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Skandal um den Bundespräsidenten

Ein Stich ins Wespennest

Hannes Hohn, Neue Internationale 166, Februar 2012

Fast täglich wird die Skandalstory um Bundespräsidenten Christian Wulff durch eine neue Episode erweitert und jede seiner Erklärungen nährt neue Vermutungen um Vorgänge, welche der „obersten moralischen Instanz“ der deutschen Gesellschaft nicht gut zum eselsbraven Gesicht stehen.

Doch so gut der Skandal in Fortsetzungen dem Umsatz von BILD nutzen mag - eigentlich ist die Sache langweilig wie eine Merkel-Rede, denn alles, was Wulff an Dreck hoffte unter die noblen Teppiche seines Präsidentenpalais gekehrt zu haben, kennen wir schon von hundert anderen Vorgängen ähnlicher Art bei Politikern, Wirtschaftsbossen oder Promis aller Art.  Bisher war es noch stets so, dass immer dann, wenn etwas aufgeklärt werden sollte, neben dem eigentlichen Fauxpas noch ein Dutzend andere zum Vorschein kam.

Mehr als nur ein Grußdirektor

Auf jeden Fall zeigen die öffentlich gewordenen „Fehltritte“ Wulffs, wie tief verquickt die Interessen, ja das Alltagsleben von Kapitalisten und PolitkerInnen sind. Ähnlich der Mafia existiert auch in Deutschland ein riesiger Filz aus Unternehmern, Politikern, Juristen, Medienleuten, Wissenschaftlern usw. usf. Man kennt sich, man hilft sich, man deckt sich - soweit es geht. Und es geht ziemlich weit.

Der Haken an der Sache ist nur, dass ein deutscher Bundespräsident außer für das Begrüßen von Staatsgästen v.a. für die „politische Moral“ zuständig ist - genauer: für den öffentlichen Anschein, dass da noch etwas „Anständiges“ mit im Spiel sei außer den nackten Sachinteressen des Kapitals oder dem Ego von Politikern. Pech: Wer hoch steigt, kann umso tiefer fallen. Doch keine Angst, sollte Wulff tatsächlich unsanft landen, so nicht unter einer Brücke, sondern eher in Brüssel …

Man sollte meinen, dass das Amt des Grüßonkels aus Schloss Bellevue für die deutsche Bourgeoisie und ihre Politikaster eigentlich verzichtbar wäre, da das Schicksal des krisengeschüttelten Europas mehr denn je von Berliner Ministerien entschieden wird. Doch selbst in der oft genug irrational anmutenden bürgerlichen Politik ist selten etwas einfach nur Zufall oder reine Zier. Auch das Amt des Bundespräsidenten hat eine durchaus wichtige Funktion - v.a. für den Fall, dass die Demokratie mal nicht mehr so gut funktioniert, wie z.B. in der Weimarer Republik. Als die bürgerlichen Parteien damals zunehmend weniger in der Lage waren, das soziale Desaster der ersten deutschen Republik zu regieren, kam ein „starker Mann“, der „über den Parteien“ steht, gerade recht. Erst war es Kanzler Brüning, der mit Notverordnungen am Parlament vorbei - oder besser: mit dessen Duldung - regierte, dann war Reichspräsident Hindenburg der letzte Halbstarke - ehe der fürs Kapital „richtige“ starke Mann kam: Hitler.

Von solchen Szenarien ist Deutschland momentan sicher noch entfernt. Doch die Situation der Welt - und besonders Europas - lässt ahnen, dass die Verhältnisse sich auch hier schnell ändern könnten. Angesichts massiv schwindender Illusionen in die Demokratie und politischer Radikalisierung käme dann einer Figur wie Wulff eventuell eine wichtige Funktion zu. Dafür muss er aber möglichst „unbescholten“ sein, um als Autorität, als „moralische Instanz“ zur Rettung der Nation geeignet zu sein. Deshalb ist es nicht ganz unwichtig, die Person des Bundespräsidenten, v.a. aber sein Amt, vor Ungemach zu bewahren. Nicht zuletzt geht es dabei auch um das „Ansehen“ der Demokratie, d.h. der Glaubwürdigkeit des demokratischen Scheins. Ob dafür Wulff zum Abschuss freigegeben wird oder nicht, ist noch offen.

Auf jeden Fall muss die Blamage der bürgerlichen Politik von Linken genutzt werden - für eine grundsätzliche Kritik an ihr, die offenlegt, dass die bürgerliche Demokratie nur eine verhüllte Form der Diktatur des Kapitals ist. Der Scheincharakter dieser Demokratie wird am Posten des Bundespräsidenten besonders deutlich. Immerhin wird das höchste Staatsamt noch nicht einmal formell vom Volk gewählt, sondern von der Bundesversammlung, einem dubiosen Gremium aus von den Parteien bestimmten Spezis aus dem „Öffentlichen Leben“. Dabei kostet das Operetten-Amt die Gesellschaft jährlich Millionen: das teuerste Einmann-Kaspertheater der Welt!

Leider fällt den Spitzen der Linkspartei dazu nichts weiter ein als darüber zu jammern, dass das schöne Amt so in Misskredit geraten ist. Wie angenehm wäre es doch, einen ehrlichen, netten Bundespräsidenten zu haben, der vielleicht sogar mal bei der Linkspartei um Rat fragt. Was fällt uns dazu noch ein? Z.B. das:

Sofortiger Rücktritt Wulffs als Bundespräsident!

Abschaffung des Bundespräsidentenamtes!

Einsetzung eines Untersuchungsausschusses unter Mitwirkung von an der Basis direkt gewählten VertreterInnen von Belegschaften, Gewerkschaften, Arbeitsloseninitiativen usw.!

Überprüfung aller Funktions- und Mandatsträger in Bund, Ländern und Kommunen auf eventuelle Verbindungen zur Wirtschaft und Vergünstigungen!

Herabsetzung aller Diäten auf Höhe eines Facharbeitergehaltes und Streichung aller Boni!

Veröffentlichung aller (Neben)einnahmen von Abgeordneten und staatlichen Funktionsträgern!

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Nr. 166, Februar 2012
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*  Antifaschismus: Schafft die Arbeitereinheitsfront
*  Heile Welt
*  Skandal um Bundespräsidenten: Ein Stich ins Wespennest
*  FDP-Krise: Neoliberale Bruchlandung
*  Film: Und dann der Regen
*  Vernetzungstreffen in Frankfurt: Startschuss in alle Richtungen
*  IG Metall/ver.di: Tarifrunde zur Kampfrunde machen
*  Gewerkschaftslinke: Eckpunkte Tarifrunde 2012
*  Italien: Generalangriff auf die Arbeiterklasse
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