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Rassismus

Sarrazin und seine Kritiker

Martin Suchanek, Neue Internationale 152, September 2010

Es bedarf des Salärs eines Bundesbankers, um sein Hobby zum Beruf zu machen. So kann der Freizeit-Autor Sarrazin mit „Deutschland schafft sich ab“ das Gesamtwerk seiner rassistischen Hetze medienwirksam anpreisen - samt der endloser „Klärung“ angeblich „missverständlicher“ Äußerungen. Jeder pseudowissenschaftliche Ausflug Sarrazins wie seine vorgeblich „neuesten“ Thesen zur Genetik sind das Ticket in die nächste Talkshow.

Dabei scheint die Schar seiner Kritiker so groß wie noch nie. Selbst die Bundesbank und die SPD wollen jetzt Konsequenzen ziehen. Warum erst jetzt? Hat Sarrazin etwas Neues gesagt? Nein! Seit Jahren hetzt er und fordert eine drastische Verschärfung des staatlichen Rassismus und des Zwangsregimes gegenüber den „Unterschichten“ bis hin zur gezielten Repression „nichtintegrationswilliger“ MigrantInnen oder von Hartz IV-BeziehrInnen, welche die „Arbeit verweigern“.

Neu sind auch die Entgegnungen seiner KritikerInnen nicht. Freilich verraten ihre „Entgegnungen“ oft unfreiwillig mehr über sie als über Sarrazin.

„Argumente“

1. Sarrazin beschädige das Ansehen Deutschlands und den sozialen Frieden. So - sinngemäß - die Kanzlerin. Nicht der Inhalt, nicht die Forderungen von Sarrazin sind das Problem, sondern dass sie „unserem“ Ansehen, also den wirtschaftlichen und politischen Ambitionen des deutschen Imperialismus schaden. Und auch der soziale Frieden, der infolge der Weltwirtschaftskrise ohnedies global brüchig geworden ist, solle doch bewahrt werden. Schließlich bedeutet das Fehlen von „sozialem Frieden“ Klassenkampf nicht nur von oben, sondern auch von unten. Ebenso übrigens auch der Vorwurf an Sarrazin, er spalte die Gesellschaft. Diesen Vorwurf erhebt nur, wer die reale Spaltung der Gesellschaft verschleiern will.

2. Er bekomme Applaus von der falschen Seite. Dass Nazis und Rechtspopulisten sich durch Sarrazin bestätigt sehen, wundert nicht. Der Vorwurf legt jedoch nahe, dass der Bundesbanker gar nicht in der Nähe von rassistischen, anti-muslimischen oder anti-semitischen Hetzern stehe. Warum diese Annahme, diese Unterstellung? Weil viele von Sarrazins Kritikern sich in der Sache durchaus im Lager Sarrazins befinden. Daher auch ein weiterer Vorwurf:

3. Er erschwere eine „sachliche Diskussion“. Dass Sarrazin „wirkliche Probleme“ angesprochen habe, meinen auch viele seiner Kritiker, allen voran Hetzer wie der ehemalige hessische Ministerpräsident Koch oder der Neuköllner SPD- Bezirksbürgermeister Buschkowsky. Doch, so ihr Vorwurf, Sarrazin „emotionalisiere“ und erlaube daher keine „sachliche Auseinandersetzung“, sprich er erschwert eigentlich die Umsetzung jener Maßnahmen, die er fordert.

Warum fällt es den bürgerlichen KritikerInnen so schwer, Sarrazin zu widerlegen?

Dass dem so ist, zeigte z.B. die Talksshow Beckmanns vom 30. August. Dort fiel es den anwesenden bürgerlichen PolitikerInnen offenkundig schwer, die Behauptungen Sarrazins argumentativ zu widerlegen. Sie stützten sich eher auf die ausweichende Position, dass sie „andere Zahlen“ hätten.

Diese Schwäche der bürgerlichen und klein-bürgerlichen Kritik hat einen Grund. Die zunehmenden sozialen Verwerfungen, die rassistische Ausgrenzung von MigrantInnen wie überhaupt der Armen, z.B. der Dauerarbeitslosen, also die sich stetig vertiefende soziale Ungleichheit sind Resultat der verschärften kapitalistischen Konkurrenz, der immer schärfen Ausbeutung der Arbeiterklasse. Vor diesem Hintergrund bildet sich eine immer größer werdende „Unterschicht“, die auch während der „Belebung“ der Wirtschaft nicht mehr aus ihrem Elend herauskommt.

Sarrazin führt das mit der Energie des halb-gebildeten, pseudowissenschaftlichen Angehörigen der „Elite“ aus, die um die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft weiß und die von ihrer Position nichts einbüßen will.

Ihr individueller Platz soll keineswegs auf das schnöde Glück zurückgeführt werden, mit dem richtigen Pass in Zeiten der besseren Konjunktur auf die Welt gekommen zu sein. Nein, ihre privilegierte Stellung soll vielmehr durch besondere Tüchtigkeit, kulturelle oder gar genetischen Überlegenheit verdient sein.

Aus der behaupteten genetischen (also „rassischen“) Überlegenheit soll der Anspruch auf zukünftige Privilegien gegenüber anderen Kulturen, vor allem „den Moslems“ und gegenüber der „Unterschicht“ abgeleitet werden.

Das macht Sarrazins Thesen so gefährlich und auch populär unter großen Teilen der Mittelschichten, KleinbürgerInnen, der Arbeiteraristokratie, aber auch deklassierten und politisch abgestumpften Masse der ArbeiterInnen.

Die Ungleichheit, welche die Sarrazin-KritikerInnen durch Fördermaßnahmen für MigrantInnen und Unterschichten, abbauen, wenn nicht gar beseitigen wollen, erklärt Sarrazin - so wie jede rassistische Konzeption - als naturgegeben.

Seine Kritiker habe hier ein Problem. Während Sarrazin die kapitalistische Gesellschaft und die Ungleichheit der Klassen wir der „Rassen“ als unveränderlich postuliert und biologistisch verklärt, proklamieren sie die „Gleichheit“ aller - doch soll dabei die kapitalistische und imperialistische Weltordnung unangetastet bleiben. Damit müssen sie sich in ständige Widersprüche verstricken, denn der Kapitalismus führt notwendig zu immer größerer Ungleichheit zwischen den Klassen, den Nationen, den Geschlechtern.

Davon wollen Sarrazins Kritiker nichts hören. Sie entpuppen sich daher als hilflos, wenn sie mit dem ideologischen Gemischtwarenladen reaktionärer und menschenverachtender „Erklärungen“ des halb-gebildeten Kleinbürgers konfrontiert werden.

Während Sarrazin offen zum Krieg gegen MigrantInnen und Unterschichten aufruft, so dass die die „unten“ sind, auch „unten“ bleiben, wollen seine KritikerInnen die wachsenden gesellschaftlichen Gegensätze durch Placebos heilen. In Wirklichkeit führt das nur dazu, dass die rassistische und imperialistische Politik der herrschenden Klasse gerechtfertig wird.

Wer Sarrazin und seine Ideen „abschaffen“ will, der muss die Ursachen und Wurzeln des wachsenden Rassismus, der wachsenden Hetze gegen die Armen bekämpfen. Wer vom Sturz des Kapitalismus nicht reden will, soll auch zu Sarrazin schweigen!

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Nr. 152, Sept. 2010
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*  Heile Welt
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*  Freiheit statt Angst Demo: Überwachungsstaat bekämpfen!
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*  Rassismus: Sarrazin und seine Kritiker
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