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Hochwasser in Pakistan

Der Zorn der Massen richtet sich gegen die Untätigkeit der Regierung

Simon Hardy, Infomail 502, 18. August 2010

Die Flutkatastrophe in Pakistan nimmt immer schlimmere Ausmaße an.  Unvorstellbares humanitäres Elend zeichnet sich ab - bereits 20 Millionen Menschen, die vor den Wassermassen fliehen, sind betroffen.

Erste Todesfälle durch Cholera u.a. Erkrankungen sind bereits gemeldet. Es droht eine ungeheure Hungersnot. Es fehlt an Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Zelten, Kleidung und Medikamenten.

Hinter der unmittelbaren Gefahr  der Ausbreitung von Krankheiten lauert eine gleichermaßen verhängnisvolle Lebensmittelkrise. Riesige Ackerflächen sind überflutet und nahezu die ganze Ernte vernichtet worden. Der Pandschab ist Pakistans fruchtbarste Gegend, der Großteil des Landes wird durch seine Ernte ernährt. Deshalb ist augenblicklich eine gewaltige Nahrungskrise zu befürchten, und Pakistan wird noch mehr als bisher von Hilfe und Lebensmittellieferungen von außen abhängig sein.

Der Indus fließt durch Pakistan von Norden nach Süden. An seinem Unterlauf im Sindh-Gebiet ist er über die Ufer getreten und reißt südwärts zum Indischen Ozean alles mit sich. Er bringt noch mehr Elend in bislang verschont gebliebene Landesteile. Der Fluss ist auf das 25-fache seines sonstigen Umfangs während der Monsunzeit angeschwollen. In manchen Regionen sind 80% des Viehs ertrunken - die Lebensgrundlage vieler BäuerInnen ist vernichtet.

Die Wettervorhersage lässt weiteren Regen in den nächsten Tagen erwarten, die Wasserstände werden also noch steigen, so dass der Wiederaufbau erst nach Wochen beginnen kann.

Skandalöse Tatenlosigkeit der Regierung

Gegen die Regierung hat sich in der betroffenen Bevölkerung ein Zorn aufgestaut, der sich inzwischen schon an einigen Orten (z.B. Jacobabad) gewaltsam Bahn gebrochen hat. Kein Wunder bei der Bilanz von aktuell 1.500 Toten, von Milliardenschäden und  der schleppenden und völlig unzureichenden Hilfe seitens der Zentralregierung. Präsident Sardari, dessen Pakistanische Volkspartei (PPP) einen starken Rückhalt bei der von der Krise am stärksten in Mitleidenschaft gezogenen Bauernschaft besitzt, hat sich weithin unbeliebt gemacht.

Er zog es bei Ausbruch der Flutkatastrophe vor, nach London zu fliegen und dort mit dem britischen Premier David Cameron zu chambrieren (um Misshelligkeiten zwischen der pakistanischen und britischen Regierung wegen angeblicher Verbindungen zum Terrorismus zu beseitigen), statt die Krise im eigenen Land anzupacken.

Erst nach zwei Wochen besuchte er die Überschwemmungsgebiete. Aber er ließ sich - im Schlepptau das staatliche Fernsehen - nur in den wenigen besser versorgten Auffanglagern blicken. An anderen Katastrophenorten wären ihm Zorn und Unmut hungernder und verzweifelter Flüchtlinge entgegen geschlagen.

Die wenigen Hilfsmaßnahmen der Regierung sind ebenfalls äußerst kritikwürdig. Als erste durften die Minister der betroffenen Regionen, halbfeudale Landbesitzer, die die Führungspositionen in der PPP besetzen, ihre Ländereien und Verkehrsprojekte, an denen sie finanziell beteiligt sind, gegen Flutschäden absichern. Die Rettung der Bevölkerung stand dahinter zurück.

Viele Politiker schöpfen auch  bewusst die Hilfsressourcen in ihren Einflusssphären nicht aus. Dadurch kommt es auch zu keiner klaren Planung bei den Hilfsprogrammen.

Unter diesen egoistischen Bestrebungen der Elite, die nur ihre Besitzstände retten will, leiden v. a. die Ärmsten der Armen. Die Dorfbewohner haben keine Wahl. Sie müssen ihre wenige Habe auf einen Karren laden und in höher gelegene Gebiete fliehen.

Währenddessen hatten die Großgrundbesitzer und das ländliche Kleinbürgertum Gelegenheit, in die großen Städte zu entkommen, sich dort in einem der vielen netten Hotels einzuquartieren und den Rückgang des Hochwassers abzuwarten.

Katastrophen mit System

Wie bei ähnlichen Vorfällen der jüngsten Vergangenheit - angefangen vom Hurrikan Katrina in New Orleans, dem Tsunami in Südasien oder dem Erdbeben auf Haiti - enthüllen diese ‚Natur’katastrophen auf brutale Weise die erschreckenden gesellschaftlichen Klüfte in der Welt: Die Wohlhabenden können überleben, die Armen gehen vor die Hunde.

Einige Kapitalisten haben erkannt, dass sie von der Not durch Naturkatastrophen ebenso wie von wirtschaftlichen und sozialen Krisen sogar noch profitieren können.

Der potenzielle Nahrungsmittelmangel, verursacht durch die Erntevernichtung im Pandschab, hat zu Preissteigerungen bei Lebensmitteln in astronomischer Höhe geführt. Spekulanten und Großgrundbesitzer schlachten die Krise aus, um ihre Taschen durch Preistreiberei zu füllen. Die ländliche Armut, die ihre angestammte Heimat verlassen musste, ist diesen nun Halsabschneidern ausgeliefert.

Die auswärtige Hilfe, die in Pakistan bislang eingetroffen ist, reicht ebenfalls kaum aus. China hat gerade einmal 1,5 Millionen Dollar, Kuwait etwa  5 Millionen. Sri Lanka, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate haben jeweils gar nur 5stellige Beträge bereit gestellt.

Die USA haben 76 Millionen versprochen, aber der Sonderbeauftragte des Außenministeriums für Pakistan und Afghanistan, Dan Feldman, gab zu, dass der Geldstrom langsamer fließen würde als nach dem Erdbeben 2005. Er führte dies auf die schlechtere Wirtschaftslage und größere ‚Spendenmüdigkeit‘ seit der haitianischen Katastrophe zurück.

Schwierigkeiten mit der US-Hilfe

Die US-Regierung hatte ursprünglich eine Zuwendung von über 100 Millionen nach dem Erdbeben 2009 an Haiti zugesagt, aber stattdessen militarisierte es seine Hilfsleistungen dergestalt, dass Haitis Besetzung durch das  US-Marinekorps noch verstärkt wurde und das US-Militär die machtlose haitianische Regierung praktisch vertritt.

Nach der großsprecherischen Ankündigung der 379 Millionen Hilfsgelder stellte sich heraus, dass bei der wirklichen Verteilung nur 1% der Summe an die haitianische Regierung, jedoch 33% an das auf Haiti stationierte US-Militär ging, damit es für ‚Sicherheit‘ sorgt. Die USA wenden gegenwärtig zwischen 800 Milliarden und 1 Billion Dollar für ihren Rüstungshaushalt auf; Präsident Obama hat diesen noch aufgestockt.

Viele Hilfsgelder fließen in die Nutzung von Hubschraubern sowie anderer militärischer Ausrüstung und Personal, das von Afghanistan nach Pakistan als Hilfeleistung transferiert wird. Die Aufrechnung solcher Ausgaben als ‚Hilfe‘ ist eine bequeme Art, das riesige Ausmaß der US-Militärausgaben im 21. Jahrhundert zu verschleiern.

Zur Zeit kreuzt das US-Schlachtschiff Peleliu vor der Küste nahe Karatschi mit 19 Hubschraubern und 1.000 Marinesoldaten zur Unterstützung der „Hilfsbemühungen“. Doch auch nach einer Woche der gravierenden Überflutungen haben die USA lediglich 4.000 Menschen aus der Hochwasserzone ausgeflogen.

Verglichen mit der Geschwindigkeit, in der die Großmacht im Kriegsfall Hubschrauber und Personal  in die entlegensten Winkel der Erde zu bringen vermag, ist dies eine sehr schleppende Herangehensweise.  Wenn es um ein militärisches Eingreifen in Pakistan ginge, würden die USA genau so schnell wie auf Haiti reagiert haben.

Pakistans Tragödie

Pakistan ist ein Land mit einem tragischen Schicksal, ständig von Krieg, Wirtschafts- und Gesellschaftskrisen sowie von autoritärer Regentschaft heimgesucht.

Seine Geburtsstunde schlug mit der britischen Teilung Indiens, die unter hunderttausenden Todesopfern und gewaltiger ethnischer Säuberung  1947 vonstatten ging.  Derzeit ist Pakistan ein Staat, der durch Bürgerkrieg auf Geheiß der USA zerrissen ist.

Beherrscht und unterworfen von imperialistischen Mächten, besonders von USA und Britannien, im Innern geplagt von einer korrupten und unterwürfigen politischen Kaste, die von diesen Mächten ausgehalten wird, gefangen in Perioden von militärischer Diktatur und auf einer der barbarischsten Stufen der ökonomischen Ungleichheiten auf der Welt, ist das Leben für die Massen in Pakistan gelinde gesagt sehr hart.

Große, krakenartig wachsende Städte mit ihrer chronisch hohen Arbeitslosigkeit stehen neben unterentwickelten ländlichen Regionen, in denen das Leben nach altertümlichen patriarchalischen und reaktionären dörflichen Regeln abläuft. Pakistan ist ein tief gespaltener Staat.

Das Militär, die Kapitalisten und der Großgrundbesitz leben privilegiert, residieren nicht selten die meiste Zeit  in Europa oder Saudi-Arabien in prächtigen Villen, während sich die Bauern und ArbeiterInnen unter schlimmsten Armutsbedingungen abplagen müssen.

Pakistan ist ein unterentwickeltes Land, das an ein von imperialistischen Mächten beherrschtes  kapitalistisches System gefesselt ist.

Der Weltmarkt saugt es aus und schafft wirtschaftliche Instabilität und Chaos. Schon die Weltrezession hat Pakistan schwer getroffen und einen starken Anstieg der Arbeitslosenzahlen verursacht sowie das Regime unter das Diktat des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank gezwungen.

Hoffnung durch Arbeiteraktionen

Unter diesen barbarischen Umständen ruht die Hoffnung auf der pakistanischen Arbeiterklasse, die im Gefolge der Naturkatastrophe wieder aktiv geworden ist. Eine Streikwelle in großen Industrieunternehmen hat das Land erfasst, ausgelöst durch Reallohnverluste nach Jahren der Hochinflation.

Jetzt bauen die Arbeiterklasse, die Jugend und sozialistische AktivistInnen ihre eigenen Arbeiterhilfsausschüsse in den Städten auf, sammeln Geld und Versorgungsgüter und organisieren deren Verteilung in den betroffenen Bezirken.

Es kursieren eine Reihe von internationalen Hilfsersuchen. Die Arbeiterbewegung der ganzen Welt darf sich dem nicht verschließen.

Aber über die Verteilung von Hilfsgütern hinaus muss der Zorn der Bauern und ArbeiterInnen auf die Regierung in den Aufbau von neuen Protestbewegungen gelenkt werden. Sie müssen auch auf der Hut sein vor den reaktionären Einflüsterungen von Seiten militärischer Kräfte gegen das Sardari-Regime, welche dieses nur durch eine Militärregierung ersetzen wollen. Es ist natürlich reine Heuchelei, wenn der Militärapparat auf die formale Wiederherstellung der Demokratie verweist, aber hinter den Kulissen immer noch die politischen Fäden zieht.

Vor allem aber muss die Arbeiterklasse eine revolutionäre politische Alternative zu allen korrupten und proimperialistischen kapitalistischen Parteien entwickeln. ‚Natürlich‘ sind  Naturkatastrophen nur bis zu einem gewissen Punkt. Wen sie treffen und wie heftig, hängt von den schrecklichen Ungleichheiten des kapitalistischen Systems ab. Deshalb braucht Pakistan dringendst eine sozialistische Alternative.

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Nr. 152, Sept. 2010
*  Atomkonflikt: Schwarz/gelber Störfall
*  Heile Welt
*  Massenaktionen gegen S 21: Gegen "die da oben"!
*  Freiheit statt Angst Demo: Überwachungsstaat bekämpfen!
*  Perspektive: Der Flügel fällt - der Kampf geht weiter
*  Arbeitermacht-Sommerschulung: Marxismus praktisch
*  Rassismus: Sarrazin und seine Kritiker
*  20 Jahre Währungsunion: Eine Volkswirtschaft verschwindet
*  NPA und Frankreich: Vor einem heißen Herbst
*  Belgien: Rechtsruck in die Staatskrise
*  Frauen in Afghanistan: Elend statt Freiheit
*  Pakistan: Ohnmacht durch Zorn
*  Pakistan-Solidarität: Hilfe für das Jugendcamp!
*  Gegen die Sparpakete! Für eine europäische Massenbewegung!



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