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Cochabamba

Weltklimagipfel der sozialen Bewegungen

Martin Suchanek, Neue Internationale 148, April 2010

Der UN-Klimagipfel in Kopenhagen im Dezember 2009 endete bekanntlich im Desaster. Die großen imperialistischen Staaten und aufsteigende Mächte der „Dritten Welt“ verfolgten v.a. ein Ziel: Die Kosten für die Bekämpfung einer Klimakatastrophe und ihre sozialen Auswirkungen auf die halbkolonialen, von den Großmächten beherrschten Länder und auf die Lohnabhängigen abzuwälzen.

Das hatte wenigstens ein Gutes. Es machte Millionen Menschen klar, dass von den Regierungen der USA, der EU-Länder, Chinas, Japans usw. exakt NICHTS zu erwarten ist, wenn es um den Schutz der Lebensbedingungen für die Menschen, ja der Lebensgrundlagen für die Menschheit geht. Es hatte wenigstens den Vorteil, dass die Erklärungen der Merkel-Regierung und anderer EU-Klima“champions“, als das offensichtlich wurden, was sie sind - reine Schutzbehauptungen.

Und es wurde auch offensichtlich, dass die Strategie der großen NGOs kläglich gescheitert ist, durch Konferenzlobbyisten die Herrschenden zur Vernunft bringen und von wirksamen Maßnahmen z.B. zur Reduktion der Klimaerwärmung zu überzeugen. Gescheitert ist im übrigen auch die Hoffung auf die meisten Regierungen des „globalen Südens“, von denen sich manche gar noch für die Lobpreisung der „Abschlusserklärung“ kaufen ließen.

Aufruf von Morales

Vor diesem Hintergrund erregte der Aufruf des bolivianischen Präsidenten Evo Morales, der vom 20.-22. April 2010 in Bolivien zu einem alternativen internationalen Klima-Gipfel einlädt, ernormes Aufsehen. An ihm sollen nicht nur Regierungen, die sich der Ignoranz der Großmächte widersetzen und „mit ihrer Bevölkerung zusammenarbeiten“ wollen, sondern v.a. soziale Bewegungen, KlimaschützerInnen, ForscherInnen sowie der indigenen Bewegungen der ganzen Welt teilnehmen.

Schon jetzt ist klar, dass tausende, wenn nicht zehntausende VertreterInnen von Bauernorganisationen, Gewerkschaften, indigenen Bewegungen, linken wie auch reformistischen und populistischen Parteien diesem Aufruf folgen werden. Außerdem nehmen viele anerkannte WissenschafterInnen - einschließlich solcher, die für die UN arbeiten - und zahlreiche VertreterInnen von Regierungen der „Dritten Welt“ teil. Vor allem handelt es sich dabei um RepräsentantInnen (links-)nationalistischer Regierungen aus Lateinamerika, insbesondere aus Ländern, die sich dem „bolivarischen Block“ um Venezuela, Bolivien und Ecuador angeschlossen haben.

Die Initiative von Morales, zu einem Gipfel einzuladen, der die wirklichen Problem, ihre Ursachen und Lösungen benennen soll, stieß auf eine sehr große, positive Resonanz in Lateinamerika und auch in vielen Ländern Afrikas und Asiens. Auch aus Europa wollen viele Organisationen Delegierte entsenden. Schon jetzt ist klar, dass der kommende Gipfel der größte und für die Bevölkerung der Erde repräsentativste Klimagipfel sein wird, den es je gab.

In 17 Arbeitsgruppen und auf zahlreichen Veranstaltungen soll diskutiert werden. All das soll in eine Abschlusserklärung münden. Den Entwurf dafür haben die Befreiungstheologen Leonardo Boff und Miguel D'Escoto Brockmann unter dem Titel „Allgemeine Erklärung der Gemeingüter der Erde und der Menschheit” verfasst.

Morales prangert an

In seinem Aufruf zur Konferenz in Kopenhagen hat Evo Morales nicht nur die Untätigkeit der westlichen Regierungen angeprangert. Er hat auch den Kapitalismus als Ursache der Krise scharf angegriffen:

„Deswegen möchten wir von dieser Stelle bekräftigen, dass die Ursachen im Kapitalismus liegen. Wenn wir nicht die Ursachen identifizieren, dann werden wir dieses Problem sicherlich niemals lösen können, das alle gemeinsam betrifft und nicht nur einen Kontinent allein, nicht nur eine Nation allein, nicht nur eine Region allein. Daher ist es unsere Pflicht, die Ursachen der Klimaveränderung festzustellen und angesichts der Verantwortung vor meinem Volk und vor der Weltbevölkerung festzustellen und angesichts der Verantwortung vor meinem Volk will ich ihnen sagen, dass die Gründe im Kapitalismus zu finden sind. (...) Alle beschweren sich über den Klimawandel, aber niemand protestiert gegen den Kapitalismus, den übelsten Feind der Menschheit.“ (Rede von Morales am 17.12.09)

So weit so gut. Morales und Chavez nutzen die UN-Klimakonferenz recht geschickt, um die Untertätigkeit, den Zynismus der Regierungen der Großmächte angesichts der drohenden Klimakatastrophe zu denunzieren. Sie brandmarkten dabei auch richtig das kapitalistische System in klaren Worten, die wir bei hiesigen „Arbeitervertretern“ aus den Gewerkschaften, der SPD, aber auch der Linkspartei nur allzu oft vermissen.

Diese größere Radikalität von Morales kann und darf jedoch eine politische Bewertung seiner Lösungsvorschläge für den Klimawandel, der Strategie für die Konferenz nicht ersetzen. Es ist ohne Zweifel die Pflicht jeder Organisation, die gegen den Klimawandel kämpfen will und die über die Mittel dazu verfügt, an den Debatten in Bolivien teilzunehmen und am Aufbau eine effektiven Kampfeinheit, an der Entwicklung von gemeinsamen Forderungen und an der Diskussion um die Alternativen zum globalen Kapitalismus mitzuwirken.

In der Tat ist eine solche Teilnahme dringend notwendig, auch angesichts der politischen Schwächen des Gipfels, die sich in den Zielen der Konferenz, der Abschlusserklärung, aber auch im Verständnis von „Antikapitalismus“ bei Morales und anderen zeigen.

Die Agenda des Gipfels

Ein Blick auf die Agenda des Gipfels zeigt deutlich, dass er nicht weit über das „Modell“ der internationalen Sozialforen hinausgeht, sprich vieler, oft interessanter Diskussionen und Debatten und einer unzureichenden (oder gar keiner) Abschlusserklärung und Aktionsplanung.

Die Konferenz hat lt. ihren Initiatoren sechs Ziele:

Analyse der strukturellen und systemischen Ursachen der Klimakrise und Entwicklung von Vorschlägen für eine substantielle Verbesserung im Interesse der Harmonie von Mensch und Natur;

Diskussion und Beschluss einer „Allgemeinen Erklärung der Gemeingüter der Erde und der Menschheit”;

Beschlussvorschlag über neue verpflichtende Bestimmungen zum Kyoto-Protokoll unter Schirmherrschaft der UN;

Arbeit an eine weltweiten Referendum über den Klimawandel;

Analyse und Plan für die Durchführung eines Tribunals zum Klimawandel;

Strategien und Aktionen für die Mobilisierung zum Schutz des Lebens gegen den Klimawandel und zum Schutz der Rechte der „Mutter Erde“ zu definieren.

Diese Ziele verdeutlichen, dass die Konferenz in vielerlei Hinsicht nicht über die Zielsetzung vieler NGOs hinausgeht. Hauptadressat von Forderungen und auch anvisierter Vorreiter einer Klimapolitik im Interesse „der Völker und der Erde“ sollen die Vereinten Nationen sein.

Die Initiatoren der Konferenz unterstellen einfach, dass die UN „missbraucht“ wird, dass ihr Versagen angesichts der Aufgaben des Klimaschutzes nicht Ausdruck des politischen Charakters der UN als Instrument zur Etablierung und Sicherung der imperialistischen Nachkriegsordnung nach 1945 wäre.

Das führt aber auch dazu, dass die Forderungen - nicht nur die Ziele - sehr vage, allgemein, unspezifisch sind.

Der „Anti-Kapitalismus“ der „Mutter Erde“

Neben dieser links-bürgerlichen, reformistischen Ausrichtung gibt es aber auch eine andere Ursache für die Schwäche der Gipfelausrichtung. Das zeigt sich auch in der „Allgemeinen Erklärung der Gemeingüter der Erde und der Menschheit”. In den ersten Abschnitten heißt es:

“Das höchste, universelle Gemeinschaftsgut, die Existenzbedingung für alle sonstigen Güter, ist die Erde selbst. Denn sie ist unsere grosse Mutter, die geliebt, geachtet, gepflegt und verehrt werden muss, so wie unsere eigenen Mütter.

I. Das Gemeinwohl der Erde und der Menschheit verlangt es, das wir die Erde als etwas Lebendes, als Subjekt von Würde verstehen. Sie kann nicht von einem Einzelnen angeeignet und nicht (…) zur Ware gemacht werden, und sie darf nicht systematischer Aggression durch irgend eine Produktionsform ausgesetzt sein.  Sie gehört all jenen, die sie bewohnen und der Gesamtheit der Ökosysteme.”

Diese Passagen triefen nicht von ungefähr von spirituellem Krimskrams. Das liegt nicht nur am Autor, dem Jesuitenpfarrer und Befreiungstheologen Boff.

Der drohenden kapitalistischen Katastrophe wird die Wiederherstellung einer „Harmonie“ zwischen „Mutter Erde“ und den „Menschenkindern“ entgegengehalten. Die „gemeinschaftlichen Güter“ (Erde, Wasser ...) sollen zu Gemeineigentum werden. Die „restliche“ Produktionsweise jedoch bleibt unberührt davon, soll aber wohl in kommunales/genossenschaftliches oder klein-kapitalistisches Privateigentum überführt werden.

Um die reale Produktionsweise - sprich, dass „die Erde“, also Grund und Boden, Bodenschätze usw. Eigentum bestimmter Menschen sind - kümmert sich der Text wenig. Es geht ihm daher auch nicht darum, Forderungen aufzustellen, wie z.B. für die Enteignung der großen Monopole, die Verstaatlichung von Bergwerken, Rohstoffenquellen, großen Agrarbetrieben, der Wasserversorgung  usw. unter Arbeiterkontrolle.

Vielmehr werden vorgeblich ewige Rechte der Mutter Erde (bzw. der „Schöpfung“) in endlosen, religiös angehauchten Phrasen dargestellt, wobei Katholizismus und indigene Religionen eine unheilvolle und schwer lesbare Symbiose eingehen.

Die Erklärung wäre freilich missverstanden, würde sie bloß oder gar vorrangig als religiöser oder spiritueller Text aufgefasst werden. Sie spiegelt vielmehr den Klassencharakter, den „Anti-Kapitalismus“ eines großen Teils der Bewegungen wider, die sich in Bolivien versammeln - nämlich einer v.a. klein-bürgerlichen, bäuerlichen Bewegung. Deren soziale Interessen nach eigenem Land bei gleichzeitiger staatlicher Sicherung wichtiger allgemeiner Produktionsvoraussetzungen werden als „ewige“ Interessen der „Mutter Erde“ verklärt, die sich in einem „harmonischen“ Verhältnis zur Natur befunden hätten.

Da das Kleinbürgertum, die Bauernschaft jedoch selbst keine eigene, von ihren Klasseninteressen bestimmte Gesellschaftsordnung aufbauen kann, muss sie sich an eine Hauptklasse der bürgerlichen Gesellschaft anlehnen. Die Organisierung und Durchsetzung von „Gemeineigentum“ an den allgemeinen Produktionsvoraussetzungen - Wasserversorgung, Energiewirtschaft, Infrastruktur bis zu Bildungsinstitutionen - kann die bäuerliche Gemeinde, auch wenn sie genossenschaftlich strukturiert ist, nicht leisten. Dazu braucht es eine der Hauptklassen der Gesellschaft, dazu braucht es einen Staat.

Die „große Klasse“ kommt bei den Initiatoren der Konferenz in Gestalt von Hoffnungen an die UN und links-nationalistische, bürgerliche Regierungen daher - sprich letztlich eines Flügels der Bourgeoisie.

Hier zeigen sich die politischen Grenzen und der Klassencharakter von Regimen wie der Bolivianischen Regierung unter Morales deutlich. Ihre Version des „Sozialismus“ ist im Grunde eine Form des kleinbürgerlichen Sozialismus. Dieser will zwar bestimmte „Auswüchse“ und Formen des Systems, so z.B. die Vorherrschaft der großen Monopole abschaffen oder einschränken. Gleichzeitig lässt er jedoch die Grundlagen der Bildung der großen Kapitale, das Privateigentum an den Produktionsmitteln auf Basis der verallgemeinerten Warenproduktion, unangetastet.

Damit muss bei der Politik von Morales und anderen notwendigerweise ein Zick-Zack-Kurs herauskommen. Dieser stößt zwar einerseits auf den erbitterten Widerstand der Imperialisten und auch großer Teile der Kapitalistenklasse Boliviens. Zugleich aber werden die Klasseninteressen der ArbeiterInnen und armen Bauern wie auch die Politik zum Klimaschutz trotz aller „anti-kapitalistischen Reden“ in das Korsett der Aufrechterhaltung einer, wenn auch reformierten, kapitalistischen Ordnung gezwängt.

Auf Dauer kann das nicht gut gehen.

Die Arbeiterbewegung, die politische Linke muss daher in Cochabamba wie im globalen Kampf gegen eine drohende Klimakatastrophe eine eigenständige Klassenlinie entwickeln und ein eigenes Programm vertreten.

Das schließt durchaus ein, wo möglich, für konkrete Ziele und Aktionen mit den bolivarischen Regierungen bzw. Bewegungen Lateinamerikas gemeinsam zu kämpfen und auch Forderungen an sie zu stellen.

Wir teilen das Ziel von Morales, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, um den die Erderwärmung auf ein Grad zu beschränken.

Perspektive

Wir fordern daher die Verstaatlichung der großen Energiekonzerne, der Versorgungsunternehmen für Wasser und Gemeingüter, des Agrobusiness und der Verkehrsindustrie und großen Transportunternehmen unter Arbeiterkontrolle! Wir fordern von den Regierungen bzw. Regierungsvertretern, die in Cochabamba anwesend sind, nicht auf irgendwelche UN-Erklärungen zu warten, sondern dort, wo sie Regierungsmacht haben, damit zu beginnen.

Wir schlagen vor, dass in Cochabamba eine Internationale Kampagne für die entschädigungslose Enteignung oben genannter Kapitalgruppen gestartet wird, dass wir versuchen, dafür die Gewerkschaften und alle Arbeiter- und Bauernorganisationen zu gewinnen.

Wir schlagen vor, gemeinsam dafür zu kämpfen, dass die großen, imperialistischen Staaten und die Kapitale, in deren Interesse sie agieren, gezwungen werden, die Kosten für den Maßnahmen zum Klimaschutz zu tragen. Als erster Schritt sollen die Schulden der Länder der „Dritten Welt“ gestrichen werden, so dass sie nicht weiter vom Schuldendienst an imperialistische Banken und Finanzinstitutionen geknebelt werden.

Solche und ähnliche Sofortmaßnehmen und Übergangsforderungen müssen letztlich darin münden, der herrschenden Klasse die Kontrolle über die Produktionsmittel, die in ihren Händen immer mehr zu Destruktionsmitteln werden, zu entreißen.

Nur auf dieser Grundlage wird sich auch ein Klimanotplan auf weltweiter Ebene erzwingen lassen. Wer dies für utopisch hält, sollte erklären, wie mit Emissionshandel und Klimagipfeln a la Kopenhagen das Zwei-Grad-Ziel erreicht werden soll?!

Erst wenn wir die klimagefährdenden Konzerne, ob im Energiebereich, der Industrie (z.B. Autoindustrie) oder der Landwirtschaft direkt zum Ziel der Auseinandersetzung machen, wird auch das Subjekt klar, dass hier dem Kapital tatsächlich die Lunte vom Pulverfass reißen kann: ein Bündnis von Arbeiterklasse und Bauern, dass um die Kontrolle der Produktionsmittel kämpft und einem Programm der klimagerechten Konversion ihrer Arbeitsbedingungen verpflichtet ist. Der Kapitalismus erweist sich nicht erst seit der Krise als unfähig, ein vernünftiges und nachhaltiges Verhältnis von Mensch und Natur herzustellen. Diese Produktionsweise geht vielmehr mit einer zunehmenden Verelendung der ArbeiterInnen und der Zerstörung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen einher.

Es ist ein System, das die Menschheit an den Abgrund drückt, ja drücken muss. Es muss nicht „grün“ getüncht werden, sondern rot überwunden werden - durch den Kampf der Arbeiterklasse im Bündnis mit Bauernschaft, städtischer und ländlicher Armut, durch eine sozialistische Revolution, die allein die Grundlagen schaffen kann für die Ersetzung der kapitalistischen Marktwirtschaft durch eine demokratische, globale Planwirtschaft, die sowohl den Bedürfnissen der Menschheit, wie der Erhaltung ihre natürlichen Lebensgrundlagen dient.

Eine umfassende Resolution der Liga für die Fünfte Internationale zum Klimawandel und zur ökologischen Frage unter:

Rettet den Planeten vor der Zerstörung durch den Kapitalismus!

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Nr. 148, April 2010
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