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Bundestagswahl

Historische Katastrophe der SPD ebnet Merkel/Westerwelle den Weg

Martin Suchanek, Neue Internationale 143, Oktober 2009

Die Bildung der nächsten Regierung ist nur noch Formsache. Auch das Regierungsprogramm ist – von diversen Unsicherheiten des Koalitionspokers abgesehen – klar.

Es wird eine Regierung des sozialen Kahlschlags und des Angriffs auf die Arbeiterklasse, wie es sie nach Konsolidierung des Nachkriegskapitalismus Anfang der 1950er Jahre nicht mehr gegeben hat.

Warum hat Schwarz-Gelb gewonnen?

Rot-Grün und die Große Koalition haben mit Agenda 2010, Hartz-Gesetzen, Jugoslawien- und Afghanistan-Krieg der jetzigen Wahl gewissermaßen „vorgearbeitet“.

Die Gewerkschaftsführer haben nicht die Interessen der Lohnabhängigen, sondern v.a. „ihre“ Regierungs(partei) SPD verteidigt. Sie haben über Jahre, v.a. aber in der Krise dafür gesorgt, dass die Auswirkungen der Krise auf die Arbeiterklasse über Maßnahmen wie Kurzarbeitergeld abgefedert wurden, dass also das ganz große Job-Massaker aufgeschoben wurde und jetzt unter Schwarz-Gelb durchgezogen werden soll.

Vor allem aber kam so die herrschende Klasse zu neuem Selbstvertrauen. Die Stimmen für die FDP, das Stärkerwerden des rechten, offen neo-liberalen CDU-Flügels im Wahlkampf und die klare Präferenz aller Unternehmerverbände für Schwarz-Gelb signalisieren: Jetzt muss eine Regierung des Generalangriffs her!

Mit der FDP hat eine Partei massiv gewonnen, die für ein klares Profil steht. Wie keine andere Partei tritt sie für Neo-Liberalismus und Deregulierung ein, also für eine Politik, welche die jetzige historische Krise des Systems zwar nicht verursacht, aber befördert hat. Sie steht für das Elend von Milliarden und für den Reichtum der Milliardäre.

Mindestlohn, Rentenerhöhung für alle? Sicher nicht mit der FDP!

Auch wenn CDU und CSU ihre Wunden lecken, so freuen sich ihre Führungsriegen im Sog der FDP über den Sieg von Schwarz/Gelb. Niedersachsen Ministerpräsident Wulff kündigt daher auch an, dass es nun „CDU pur“ gebe und die FDP sich nicht mehr so leicht von der CDU absetzen könne.

Neben einem Programm zur Sicherung der Monopole und des deutschen Imperialismus (EU, Afghanistan), das nahtlos und verschärft fortgesetzt werden soll, dient die Parole der „Steuersenkung“, welche die FPD für sich monopolisieren konnte, zukünftig wohl nicht nur den Liberalen, sondern einer ganzen Regierung als Mittel, eine drastische Umverteilung von unten nach oben zu rechtfertigen und mit fiskalen Erleichterungen für die oberen Mittelschichten zu garnieren.

Die historische Katastrophe der SPD

Dass Schwarz-Gelb gerade in einer historischen Krisenperiode des Kapitalismus nach über zehn Jahren wieder eine Mehrheit erringen konnte, scheint auf den ersten Blick paradox.

Hätten nicht mindestens auch jene Parteien, die das bestehende System nicht nur schlecht verwalten, sondern für Marktwirtschaft (ob nur „sozial“, „neu-sozial“ oder pur) stehen, wie keine anderen, auch wie die SPD „abgestraft“ werden müssen?

Nun, Wahlen sind keine Barometer für Gerechtigkeit, sondern für Kräfteverhältnisse und die Formierung von Klassen und Klassenallianzen.

Die herrschende Klasse hat, das signalisieren die Wahlen, die Krise genutzt, einen neuen Block an der Macht zu bilden, der längerfristig ohne SPD auskommen soll.

Anders die Lohnabhängigen.

Nachdem die SPD keine Antwort auf die Krise geben konnte, außer sich einer „nationalen Kraftanstrengung“ unterzuordnen und eine paar mehr „Regulierungen“ auf den Finanzmärkten einzufordern, ansonsten aber die Rettung der Banken selbst auf den Weg gebracht hat und mithilfe der Gewerkschaftsführungen die Betriebe weitgehend ruhig gehalten hat, hat der Mohr seine Schuldigkeit getan.

Steinmeier, Steinbrück und Co. können gehen – auf die Oppositionsbank, vielleicht auch in irgendeinen Konzernvorstand (Magna würde sich vielleicht anbieten).

Das Desaster der SPD ist in seiner Dimension kaum zu überschätzen. Seit 1998 hat die SPD die Hälfte ihrer WählerInnen verloren – von rund 20 Millionen (40,9 Prozent) auf 10 Millionen (22,9 Prozent).

Nur 22-23 Prozent der Arbeitslosen und nur 18% der Erstwähler wählten SPD. Bei ArbeiterInnen und Angestellten lag sie bei rund 24 bzw. 21 Prozent. Nur die RentnerInnen wählen überdurchschnittlich SPD: schlechte 29 Prozent. Knapp zwei Millionen SPD-WählerInnen von 2005 blieben überhaupt zu Hause. Die gegenüber 2005 deutlich geringere Wahlbeteiligung erklärt sich so v.a. aus SozialdemokratInnen, die die SPD nicht mehr, aber auch keine andere Partei wählen wollten.

Die Ursache für die Krise ist leicht ausgemacht: Die Regierungsbeteiligungen seit 1998, von Rot-Grün bis zur Großen Koalition, hat die Basis der SPD in der Arbeiterklasse, ja auch in den Gewerkschaften nachhaltig geschwächt und unterminiert.

In zehn Jahren Regierung hat die SPD bis zur Selbstvernichtung (mit)regiert. Nun steht sie vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik. Und das hat sie verdient!

Mitleid ist hier unangebracht. Im Gegenteil: Die Zeit, als die SPD „das Monopol“ über die organisierte Arbeiterklasse hatte, dürfte dem Ende entgegengehen.

Mit einer raschen Erholung der SPD ist nicht zu rechnen. Das signalisiert schon die Drohung, Steinmeier als „Oppositionsführer“ einzusetzen.

Aber es wird zu einer Krise in der SPD – und fast noch wichtiger – zu einer Krise des Verhältnisses von SPD und Gewerkschaften führen, v.a. dann, wenn die großen Keulen gegen die organisierte Arbeiterklasse in den nächsten Monaten geschwungen werden.

Wäre eine andere SPD-Regierungspolitik möglich gewesen?

Es gilt aber auch, vor falschen Lehren aus dem Bankrott der SPD zu warnen. DIE LINKE – zumal Lafontaine – behaupten, dass der SPD ihre Krise erspart geblieben wäre, hätte Rot-Grün seit 1998 Lafontaines und nicht Schröders Politik umgesetzt. Vielleicht gäbe es dann DIE LINKE gar nicht.

Das klingt auf den ersten Blick plausibel und viele enttäuchte SozialdemokratInnen denken so. Noch wichtiger ist aber wohl, dass die Führung der Linkspartei das strategische Ziel hat, die nächste Legislaturperiode zur Vorbereitung einer Allianz für eine „neue Politik“ zu nutzen und die SPD zu „re-sozialdemokratisieren“.

Diese Vorstellung wird noch gestützt davon, dass die SPD - nach links verschoben - zu einem Partner für eine „Reformregierung“ auf Bundesebene werden könne. Hinzu kommt, dass im Saarland eine Koalition von SPD/Linkspartei/Grünen bevorsteht, die nur noch an den Grünen scheitern kann. Auch in Thüringen und Brandenburg könnte es rasch zu einer SPD/Linkspartei-Landesregierung kommen.

Doch die SPD-Politik ist – anders als es die Führung der Linkspartei glauben machen will – nicht daran gescheitert, dass man den Staatsapparat und die Regierungsmacht falsch verwendet hätte. Selbst einer bürgerlichen Reformpolitik – und nichts anderes ist der linke Keynesianismus eines Lafontaine – sind im Kapitalismus enge Grenzen gesetzt. Diese Grenze sind die Verwertungsbedürfnisse des Kapitals.

In der Zeit des „Wirtschaftswunders“ war es aufgrund überaus günstiger Ausgangsbedingungen über eine längere Periode möglich, steigende Gewinne mit steigenden Löhnen und Einkommen für die Lohnabhängigen, den Ausbau des „Sozialstaats“ usw. zu verbinden. Die Ursache waren höchst günstige Ausgangsbedingungen für das westdeutsche Kapital in den 1950er und 60er Jahren.

Diese Periode ist aber lange vorbei. Die Profitraten sanken ab Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre. In den meisten Branchen herrscht Überproduktion vor (und zwar schon in der Globalisierung). Die Spekulation an den Finanzmärkten war in dieser Phase durchaus ein Mittel, die Krisentendenzen des Kapitalismus nicht offen hervortreten zu lassen, indem überschüssiges Kapital in die Geldmärkte floss und diese außerdem künstlich die globale Nachfrage stimulierten.

Eine Politik der „Sozialreform“ war aber in dieser Periode, also zur Zeit von Rot-Grün, schon nicht mehr möglich. Die SPD musste „Gegenreformen“ durchführen, wollte sie an der Spitze dieses Staates stehen - ob sie wollte oder nicht.

Der bürgerliche Staat – das musste Lafontaine am eigenen Laib erfahren – kann nicht beliebig für dieses oder jenes gesellschaftliche Interesse in Besitz genommen werden. Er ist Staat des Kapitals, er will und muss auch als solcher verwandt werden.

Durch eine weitere rein parlamentarische Reformregierung, die zum hundertsten Mal den Staat zum Ausgleich zwischen Arm und Reich, Lohnarbeit und Kapital verwenden will, wird nichts zu gewinnen sein. Diese Lehre muss auch aus dem SPD-Desaster gezogen werden. Eine Neuauflage der SPD-Politik durch DIE LINKE wird letztlich keine anderen Resultate zeigten, als jene der SPD.

Der Erfolg der LINKSPARTEI und seine Bedeutung

Hinzu kommt, dass wir keineswegs am Ende der historischen Krise der Kapitalismus stehen. Mag auch das Wirtschaftswachstum wieder leicht steigen, so müssen die Kosten der Krise noch bezahlt werden.

Die Stimmen für DIE LINKE (teilweise auch die Nichtwähler aus den SPD-Reihen) drücken in jedem Fall aus, dass die Große Koalition keine Perspektive für die Arbeiterklasse war und die SPD abgewirtschaftet hat.

DIE LINKE galt für Millionen Lohnabhängige als Mittel, ihre Ablehnung des Neo-Liberalismus, teilweise auch des bestehenden Systems zum Ausdruck zu bringen, teilweise auch ihre Bereitschaft zu kämpfen.

In der Arbeiterklasse hat DIE LINKE das Monopol der SPD schwer angegriffen. Unter den Arbeitslosen hat DIE LINKE die SPD überflügelt und wurde mit rund 26 Prozent stärkste Partei! Auch bei den ArbeiterInnen war sie mit 18 Prozent überdurchschnittlich vertreten.

Zweifellos wird sie auch ihren Anteil an den Gewerkschaftsmitgliedern erhöht haben.

DIE LINKE geht eindeutig gestärkt aus den Wahlen hervor. Jetzt muss sie aber auch in der Praxis, im Kampf gegen die neue Regierung gefordert werden. Es reicht nicht nur, über Mindestlohn, Gerechtigkeit, Sicherung der Arbeitsplätze zu reden – man muss auch dafür kämpfen!

Es reicht nicht, mit den Gewerkschaftsführern einen Schmusekurs zu verfolgen, während oft genug dieselben Funktionäre Sozialpläne und Personalsabbau in den Betreiben absegnen. Es reicht nicht, das Recht auf Generalstreik zu fordern, man muss auch dafür kämpfen, dass er vorbereitet und durchgeführt wird.

In dieser Hinsicht sind die Aussagen der SpitzenpolitikerInnen und Funktionäre der Partei DIE LINKE vom Wahlabend alles andere als positiv zu bewerten.

Viel wurde darüber geredet, dass die SPD „re-sozialdemokratisiert“ werden soll. In Brandenburg wurde die SPD wiederholt zur Koalitionsbildung mit der Linkspartei aufgefordert. Lafontaine sprach in der „Elefantenrunde“ von ARD und ZDF davon, dass DIE LINKE vermehrt den Bundesrat, also die Länderkammer, nutzen wolle, um die neue Regierung zu stoppen. Wie das gehen soll bei einer Mehrheit von CDU/CSU und FDP, ließ er offen.

Doch selbst im Falle einer Mehrheit aus SPD, Grünen und Linkspartei in der zweiten Kammer, wäre es grob fahrlässig, sich auf die „Standhaftigkeit“ einer solchen „Opposition“ zu verlassen. Oder hat nicht Lafontaine einst selbst als „Oppositionsführer“ im Bundesrat dem „Asylkompromiss“ – also praktisch der Aushebelung des Asylrechts – zugestimmt?

Wie den Widerstand entwickeln?

Bezeichnend ist jedoch, was die Spitzen der Linkspartei nicht behandelten, nämlich die Frage, wie die zukünftige Regierung auf der Straße, in den Betrieben, an den Unis und Schulen bekämpft werden kann.

Das ist aber die entscheidende Fragestellung der nächsten Monate im Kampf gegen drohende Massenentlassungen, Sozialkürzungen und Einsparungen bei den Kommunen in Milliardenhöhe.

Gegen den Generalangriff hilft nur verallgemeinerter politischer Kampf! Dazu brauchen wir einen Mobilisierungs-, einen Kampfplan, der am Deutschen Sozialforum im Oktober,  auf den Konferenzen der Gewerkschaftslinken (31. Oktober/1. November) und der Anti-Krisenbündnisse im November (14./15.11.) diskutiert und beschlossen werden muss. Dazu muss DIE LINKE Farbe bekennen! Dazu schlagen wir folgende Forderungen, Aktionsformen und Perspektiven vor:

Gegen alle Entlassungen! 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Aufteilung der Arbeit auf Alle - unter Arbeiterkontrolle!

Für eine gleitende Skala der Löhne und Sozialeinkommen gegen die Inflation!

Für einen Mindestlohn von 11 Euro/Stunde netto! Weg mit den Hartz-Gesetzen und der Rente mit 67! Arbeitslosengeld und Mindesteinkommen für RentnerInnen und Azubis von 1.600/Monat, finanziert aus Progressivsteuern auf Reichtum und Kapital!

Nein zu Rettungspaketen und Konjunkturprogrammen für Kapitalisten! Offenlegung aller Geschäftsunterlagen für Arbeiterinspektionen! Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten unter Kontrolle der Beschäftigten und NutzerInnen!

Entschädigungslose Enteignung der Banken, Zusammenlegung zu einer einheitlichen Staatsbank unter Arbeiterkontrolle!

Enteignung der Konzerne unter Arbeiterkontrolle - beginnend mit Firmen, die Löhne kürzen und entlassen wollen!

Betriebsbesetzungen, Blockaden, Streiks bis hin zum Generalstreik!

Aufbau von Aktionskomitees und lokalen Anti-Krisenbündnissen, die bundesweit und international koordiniert sind!

Welche Perspektive?

Um die Angriffe abzuwehren, ist es notwendig, die gesamte Arbeiterklasse, alle Unterdrückten in den Kampf zu führen.

Daher brauchen alle von der Krise Betroffenen Kampforgane, die sie selbst demokratisch bestimmen und kontrollieren. Zugleich muss dafür gekämpft werden, die vorhandenen betrieblichen, gewerkschaftlichen und örtlichen Organe zu demokratisieren und zu wirklichen Aktionszentren zu machen!

Nötig ist eine Anti-Krisen-Bewegung, die in Betrieben und Gewerkschaften, die in der Jugend, bei Arbeitslosen und unter MigrantInnen verankert ist. Nur ein solches System von Selbstorganisation der Arbeiterklasse kann sicherstellen, dass wir unsere Aktivitäten selbst kontrollieren und verschiedene Konzepte und Erfahrungen diskutieren.

In dieser Bewegung wollen wir, anders als die Führung der Linkspartei, nicht nur gegen die drohenden Verschlechterungen kämpfen. Wir wollen an die Wurzeln des Problems. Die Krise gehört zum Kapitalismus, zu einem System, das auf Ausbeutung und Unterdrückung basiert.

Eine „krisenfreie“ menschliche, ökologische oder friedliche Weltordnung ist nicht möglich, solange die Kapitalisten und Imperialisten herrschen. Daher wollen wir die Bewegung gegen die Krise zu einer gegen den Kapitalismus machen.

Wir kämpfen daher darum, dass die Arbeiterklasse in den Kämpfen eigene Kontroll- und Machtorganen wie z.B. Räte schafft. Unsere Alternative zu jeder offen bürgerlichen Regierung ist eine Arbeiterregierung, also eine Regierung aus Arbeiterparteien, die sich auf Kampforgane der Arbeiterklasse stützt, die Macht der Kapitalistenklasse bricht, das Chaos des Marktes durch eine demokratische Planwirtschaft im Interesse der Mehrheit ersetzt.

Denn es gibt eine Alternative zu Krise, Kapitalismus, Krieg - die sozialistische Revolution!

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