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USA

Obamas gebrochene Versprechen

Mike Wilhelm/Jeff Albertson (Workers Power/USA), Neue Internationale 143, Oktober 2009

Die Wahl Barack Obamas brachte neuen Schwung und Hoffnung in die Herzen und Hirne der amerikanischen Öffentlichkeit. Nun geht das erste Jahr seiner Präsidentschaft zu Ende. Wir wollen einen objektiven Blick auf die Erfüllung von Versprechen werfen, die er während seiner Wahlkampagne gegeben hat, und einschätzen, ob und was seine Maßnahmen und politischen Initiativen bewirkt haben - für die am meisten von der kapitalistischen Krise und die imperialistischen Besatzungen in Mittelost und Zentralasien betroffenen Menschen.

Im Licht solch großer Versprechen muss die Öffentlichkeit ermessen, ob US-Präsident Obama ein wahrer „Meister“ des Volkes ist, wie seine WahlkampfpropagandistInnen ihn dargestellt haben, oder nur ein weiterer kapitalistischer Politiker als Marionette der Großkonzerne. Unter den vielen Themen auf Obamas ausladender Wahlplattform stachen der „Krieg gegen den Terror“, die Erholung der Wirtschaft, das Gesetz zur freien Entscheidung über Gewerkschaftsbildung sowie die Reform der Krankenversicherung hervor. In zweiter Linie waren auch Fragen zur Schuldeneindämmung für Studierende, zur Forschung an alternativen Energien und zur Schaffung von „grünen“ Jobs, v.a. um das Interesse von Jugendlichen zu wecken und um die Stimmen von UmweltschützerInnen zu erhalten, wichtig.

Obama und der Krieg

Während seiner Wahlkampftour hat Obama öfter seine Gegnerschaft zum Krieg im Irak geltend gemacht und wiederholt betont, er wolle die Truppenstärke verringern und schließlich alle US-Streitkräfte aus dem Land abziehen. Auf der Liste seiner Wahlversprechen stand in Bezug auf den Irak: Die amerikanischen Streitkräfte „werden keine dauerhaften Stützpunkte im Irak zum Zweck der Verhinderung einer ‚Besatzung von undefinierbarer Länge' aufbauen.“ Doch der Weiterbau von permanenten Militärbasen der Bush-Ära geht unvermindert weiter.

Von einigen „progressiven“ Demokraten wird er zwar weiterhin als Kriegsgegner hingestellt, in Wahrheit jedoch ist er keineswegs gewillt, die imperialistischen Kriege zu beenden, die von der vorigen US-Administration begonnen worden sind.

In Einklang mit seiner Meinung, der Krieg in Afghanistan und den umliegenden Regionen (z.B. Pakistan) sei gerechtfertigt, will er sich auf das Schlachtfeld in Afghanistan konzentrieren. In dieser Hinsicht hat er sein Versprechen eingelöst. Im Sommer 2009 haben 21.000 frische Soldaten ihre Stiefel in die Region gesetzt, was die Zahl der dort stationierten US-Truppen auf 62.000 erhöht. Außerdem werden durch Luftangriffe immer mehr Widerstandskämpfer und ZivilistInnen im Stammesgebiet von Südwasiristan getötet. Dazu trug auch die kürzliche Offensive der pakistanischen Regierung im Flusstal des Swat bei, die von den USA unterstützt wurde. Das bewirkt zunehmende Feindseligkeit unter der Bevölkerung gegen die USA und bereitet bereits dem nächsten Aufstand den Boden. Trotz all seiner Worte über die Niederlage des Irak-Krieges steuert Präsident Obama auf einen noch größeren Fehlschlag und noch mehr Opfer in Afghanistan zu.

Banken vor Menschen

Mit fortschreitender globaler Rezession hat Präsident Obama oft beschworen, den Druck auf die amerikanische Arbeiterschaft durch eine Kombination aus weit reichender Staatsintervention und massiver schuldenträchtiger Ausgabenpolitik lindern zu wollen. Bis 2019 erwartet das Kongresshaushaltsamt einen Schuldenstand von fast 9 Billionen Dollar. Die Regierung hat eine Summe von 787 Milliarden Dollar bereit gestellt, allein zur ‚wirtschaftlichen Linderung', aber die Arbeiterklasse hat kaum etwas von solchen Maßnahmen. Monate sind vergangen, seit 200 Milliarden aus dem Topf des Regierungsprogramms zur Regulierung des Finanzsektors in die Rettung von Pleitebanken gesteckt worden sind - die Arbeitslosenrate ist jedoch ständig gestiegen, während aus Finanzkreisen verlautet, dass die Erholung für das Kapital sich besser als erwartet anlässt.

Die Regierung ist offenkundig mehr damit beschäftigt, bankrotte Banken zu Lasten der Arbeiterklasse zu stützen als deren schweres Los zu erleichtern.

Wenn die jüngsten Arbeitslosenzahlen von 9,4% mit steigender Tendenz stimmen, sind die viel zitierten Bemühungen der US-Regierung, die Wirtschaft wieder in die richtige Spur zu bringen, jedenfalls nicht den ArbeiterInnen und der überwältigenden Mehrheit der US-amerikanischen Bevölkerung zu Gute gekommen. Diese Politik zeigt im Gegenteil den wahren Charakter der Obama-Regierung: die Fütterung des krisengeschüttelten kapitalistischen Systems mit Regierungsgeschenken auf Kosten der Arbeiterschaft und Jugend, die kein Interesse an der Aus- und Aufrechterhaltung dieser altersschwachen Institutionen haben.

Keine neuen Gewerkschaftsrechte

Während der Kandidatur versuchte Obama, Unterstützung bei den Gewerkschaftsführern und Mitgliedern zu gewinnen und versprach den Funktionären, dass die Durchsetzung des Gesetzes zur freien Wahl der Beschäftigten, das die gewerkschaftliche Organisierungsmöglichkeit schützen soll, eine hohe Priorität in seiner Amtszeit genießen soll. Dieses Gesetz würde bedeuten, dass Beschäftigte in geheimer Abstimmung selbst bestimmen könnten, ob sie Gewerkschaften beitreten wollen, was deren Verankerung in Betrieben natürlich sehr erleichtern würde. Außerdem würden Verstöße von Unternehmern gegen die Bestimmungen der Behörde für arbeitsrechtliche Beziehungen unter Strafe gestellt. Die Vorteile eines solchen Gesetzes lägen auf der Hand und waren Grund genug für die größeren Gewerkschaften, die sich in den AFL/CIO und den Change to Win-Verbänden formiert haben, mit massivster Unterstützung an Kampagnengeldern (80 Millionen Dollar) auf dem Ticket der Demokratischen Partei zu fahren.

Doch im Kongress floppte der Gesetzesantrag. Jedes Manöver zur Stärkung der Arbeiterklasse bedroht die Interessen des Kapitals und damit auch die Macht der bürgerlichen PolitikerInnen, deren vorgeblicher Auftrag die ‚Vertretung der Volkes' ist. Es gehört zur Taktik Obamas, an Stelle von Entschlossenheit zur Mobilisierung für die Durchsetzung von Gesetzesvorhaben mit dem Hinweis auf scheinbar dringlichere Angelegenheiten wie wirtschaftliche Erholung und Reform der Krankenversicherung seine AnhängerInnen zu vertrösten und die Aufmerksamkeit davon abzulenken. Er tut dies in vollem Bewusstsein, dass jeder Versuch, dieses Gesetz zur Stärkung von Arbeiterorganisierung einzuführen, gegenwärtig „undurchführbar“ ist. Das ist der Charakter einer bürgerlichen Partei, die sich von Massenorganisationen der Arbeiterklasse unterstützen lässt. Wenn sie jedoch an der Regierung sind, dienen Obama und die Demokraten letztlich nur den Kapitalisten und suchen nach Kompromissen - besonders mit der sozial konservativen Blue Dog-Gruppierung in den eigenen Reihen - und beseitigen damit jeden Rest von fortschrittlichem Inhalt im Gesetzesentwurf.

Gesundheitswesen

Der Zustand der Krankenversorgung in den USA ist gelinde gesagt katastrophal. Laut statistischen Erhebungen waren 2007 46 Millionen Bürger der Vereinigten Staaten nicht krankenversichert. Für die meisten hat sich die Lage verschlimmert, weil die Mehrheit der ArbeiterInnen in den USA eine betriebliche Versicherung haben. Die enge Kopplung von Beschäftigung und Krankenversorgung macht den ohnehin unerquicklichen Zustand der  Arbeitslosigkeit, der sich mittlerweile der 10 Prozent-Marke nähert, noch bedrohlicher, zumal dadurch immer mehr US-ArbeiterInnen in das Heer der Unversicherten abrutschen. Mehr denn je ist eine umfassende Krankenversorgung ein ernstes Anliegen für die Bevölkerung, aber Kongress und Präsident unternehmen kaum Anstrengungen in diese Richtung. Proletarische AmerikanerInnen müssen sich nicht nur Sorgen machen, wie sie Rechnungen und Hypotheken bezahlen und einen neuen Arbeitsplatz finden können; sie müssen auch in der ständigen Furcht leben, krank zu werden und das Geld für horrende medizinische Rechnungen aufbringen zu müssen.

Präsident Obama verfügt über eine demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus, nicht jedoch im Senat. Um die Mitglieder der Republikanischen Partei sowie die Opposition in den eigenen Parteireihen, z.B. die Blue-Dog Demokraten, die über die Kosten der Einführung einer staatlichen Krankenversicherung besorgt sind, zu gewinnen, ist Obama bereit, große Zugeständnisse zu machen. Es zeichnet sich schon ab, dass, wie in der Kampagne noch versprochen, „ein neuer öffentlicher Plan, der auf der Versorgung für die Mitglieder des Kongresses beruht und Einzelpersonen und kleineren Betrieben erlaubt, sich erschwingliche Gesundheitsversorgung zu kaufen“, wahrscheinlich nicht die erforderliche parlamentarische Mehrheit erhalten wird. Wenn weiterhin nur private Versicherungsgesellschaften für die medizinische Versorgung zuständig sind, werden auch alle künftigen Reformen nur die Geldschränke der Versicherungsriesen füllen.

Politiker der Bosse

Wenn Obama es mit einer umfassenden staatlichen Krankenversicherung wirklich ernst meinen würde, müsste er eine Besteuerung der Reichen zu deren Finanzierung vorschlagen. Aber er tut nichts dergleichen. Er ist der Politiker der Bosse. Es gibt Haltelinien, die er einfach nicht überschreiten kann und will, weil er das Band zur herrschenden Klasse nicht zerschneiden darf. Öffentlicher Druck ist deshalb entscheidend, um den Wandel zu bewirken, den die Arbeiterklasse wirklich braucht. Arbeiterklasse und Jugend müssen zu politischen Aktionen voranschreiten: Demonstrationen, Großkundgebungen, Boykotte, Arbeitsniederlegungen usw., um Obama und die Demokraten zu zwingen, das Versprechen einzulösen, das sie für den Fall ihrer Wahl gegeben haben.

Zugleich dürfen wir uns aber nicht auf die FührerInnen der Reformbewegung für eine Krankenversicherung verlassen, da sie mit den bürgerlichen PolitikerInnen kooperieren. Sie sind nicht willens, die ernsthaften Forderungen zu stellen, die für die Verwirklichung einer garantierten Krankenversorgung für die gesamte Bevölkerung der USA nötig sind, aus Furcht vor dem Verlust ihrer einträglichen beratenden Stellung. Die reformistische Illusionen in die Fähigkeit Obamas und der DemokratInnen, wirkliche und bedeutsame Veränderungen im Gefüge des Gesundheitswesens der USA gesetzlich zu verankern, gehen davon aus, dass es eines ständigen Drucks auf diese falschen Führer bedürfe, damit sie über ihr begrenztes Programm hinaus gehen.

Doch: Wenn durch Mobilisierungen Reformen, und seien es nur beschränkte, im Gesundheitswesen erreicht werden können, warum dann dabei stehen bleiben?

Wie für Verbesserungen kämpfen?

Die Arbeiterklasse darf sich nicht damit zufrieden geben, ein paar Reformen durchzusetzen, die genau genommen sogar für die Kapitalistenklasse manchmal akzeptabel sind. Reformen können das schwere Los für bestimmte Teile und Schichten der Arbeiterklasse erleichtern helfen, aber wenn die bestmögliche Behandlung für alle unser Ziel ist, muss die vollständige Beseitigung des ganzen Systems notwendiges Gebot sein. Dazu gehört u.a. die Verstaatlichung der Versicherungskonzerne und deren Zusammenlegung zu einer einheitlichen Krankenversicherung - unter Kontrolle der Arbeiterklasse und der Versicherten. Das freilich würde nur durchsetzbar sein, wenn durch Streiks und Massenproteste, ja im Grunde durch einen politischen Generalstreik, die sich auf wirkliche Kampforgane der Klasse stützen, genügend Macht aufbauen.

Die Arbeiterklasse und andere Kräfte, die gegenwärtig in der Reformbewegung für das Gesundheitswesen arbeiten, müssen sich auf eine Verdichtung des Kampfes einstellen, wenn nämlich die Obama-Administration unsere Forderungen schließlich mit dem Hinweis auf den Kostendruck auf die Arzneimittel- und Versicherungskonzerne ablehnt. Nur durch anhaltende Anstrengungen und größere Organisation wird der Kampferfolg und der schließliche Wandel, den wir brauichen, möglich: ein Gesundheitswesen, das nach unseren gesellschaftlichen  Bedürfnissen und nicht dem privaten Profit funktioniert.

Wenn wir wirklich ein Gesundheitswesen haben wollen, das rundum versorgt und die allgemeinen Kosten senkt, müssen wir unsere politische Tätigkeit bis zu dem Punkt verstärken, an dem Obama und andere Angehörige der Demokratischen Partei sich nicht mehr herausreden können. Wir müssen von ihm und anderen DemokratInnen zunächst die Auflage eines bundesweiten Gesundheitsprogramms einfordern, bezahlt aus Steuermitteln, die von den Großkonzernen und Hochfinanzparasiten aufzubringen sind statt von der arbeitenden Bevölkerung, die ohnehin schon um ihre Existenz kämpft.

Staatsbürokraten sind jedoch keinesfalls ein Gegenmittel gegen die Versicherungsprofiteure, die im wesentlichen darüber befinden, wer eine medizinische Behandlung erhält und wer nicht. Die Bürokraten des kapitalistischen Staates dürfen nicht die Entscheidungsgewalt und Kontrolle über den nationalen Plan haben. Damit ein landesweites Gesundheitswesen voll wirksam und erschwinglich für alle sein kann, müssen wir demokratische Organisationen von ArbeiterInnen und Gesundheitsfachleuten unter Arbeiterkontrolle überall aufbauen, um entscheiden zu können, wie die medizinische Versorgung flächendeckend am besten zu organisieren und verteilen ist.

Angesichts der zunehmenden Probleme für die lohnabhängige Bevölkerung der USA (Rezession, medizinische Versorgungskrise und deren Auswirkungen, die weiter tobenden imperialistischen Kriege in Zentralasien und Mittelost, militärische Verstärkungen in Südamerika und Unterstützung für einen Militärputsch in Zentralamerika) sieht es so aus, als ob die Mehrheit der US-Regierung Urlaub macht.

Trotz der kurzen Amtszeit zeichnet sich der Klassencharakter von Obamas Präsidentschaft klar ab. Seine Versprechen für die Arbeiterschaft, die Jugend und alle ‚fortschrittlichen' Elemente, die der amerikanischen Politik eine Richtungsänderung geben wollen, erweisen sich nun als das, was sie von Anfang an waren: als unaufrichtige Demagogie.

In den kommenden Monaten und Jahren wird sich herausstellen, wie Obama und andere DemokratInnen ihre Wahlkreise zu ‚vertreten' gedenken, aber wenn Obamas erstes Halbjahr als Indiz dafür genommen werden kann, wie er die Geschäfte im Weißen Haus weiterführen wird, dann wird er es schwer haben, dieselbe Wählerschaft zu finden, die bereit ist, ihm 2012 ein zweites Mal die Stimme für eine weitere Amtszeit zu geben. Stattdessen werden sich die Chancen für diejenigen erhöhen, die dafür plädieren, dass die Arbeiterklasse der Vereinigten Staaten auf Dauer eine eigene und unabhängige Partei braucht.

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Nr. 143, Oktober 2009
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