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12. November

Auf zum Bildungsstreik!

Theo Tiger, Neue Internationale 133, Oktober 2008

Bundesweit mobilisieren verschiedene Schüler- und Bildungsbündnisse für den Protesttag am 12.11. Bereits im Mai und Juni gingen zehntausende SchülerInnen auf die Straße, um gegen die Bildungspolitik der Landesregierungen zu protestieren.

Schwerpunkt der Proteste, an denen sich auch StudentInnen und LehrerInnen beteiligten, war die flächenmäßige Einführung des 12jährigen Abiturs (Turbo- oder G8-Abitur genannt) in verschiedenen Bundesländern, zuletzt in Hessen, Niedersachsen und Baden-Württemberg. Ebenso werden die Einsparungen in der Bildungspolitik abgelehnt. Sie bedeuten: weniger LehrerInnen, größere Klassen und schlechtere Ausstattung der Schulen.

In Berlin organisierte das Bündnis „Bildungsblockaden einreißen“ seit 2006 bereits drei Schulstreiks gegen die Sparpolitik des rot-roten Senats. In diesem Jahr gingen mehr als 8.000 SchülerInnen und StudentInnen am 22.5. auf die Straße. Drei Wochen später, am 12.6., gab es einen bundesweiten Aktionstag gegen den Bildungsabbau mit Demonstrationen in Oldenburg, Kassel, Tübingen, Frankfurt und vielen weiteren Städten (diese vier waren die größten). Dabei haben politische Organisationen, Gewerkschaften und die örtlichen StadtschülerInnen- und LandesschülerInnenversammlungen (SSV, LSV) gemeinsam mit Aktions -und Streikkomitees von AktivistInnen lokale Bündnisse aufgebaut. Vom 10. bis 12.10. gibt es eine bundesweite Konferenz in Berlin zur Vorbereitung des 12.11. und zur besseren Koordinierung der verschiedenen Bündnisse.

Diese Konferenz bietet die Möglichkeit, den Protest und Widerstand an den Schulen, Berufsschulen und Universitäten zu bündeln und zu zentralisieren. Die Gruppe Arbeitermacht und die Jugendorganisation REVOLUTION treten für den Aufbau einer unabhängigen Koordinierung der SchülerInnen, Azubis und StudentInnen ein - dies ist eine wichtige Voraussetzung für den weiteren Verlauf der Bildungsproteste.

Föderaler Bildungsabbau - zentraler Widerstand!

Durch die Föderalismusreform von CDU/CSU und SPD haben die Länder fast die gesamte Hoheit in der Bildungspolitik, nur einzelne Prestigeprojekte, wie die „Eliteuniversitäten“ stehen noch unter der Kontrolle der Bundesregierung. Getrieben von der „Agenda 2010“ haben alle Bundesländer inzwischen Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor durchgeführt, Privatisierungen eingeleitet und die Arbeitszeit für die öffentlich Beschäftigten verlängert. Dementsprechend waren bislang auch Protest und Widerstand gegen diese neoliberale Umverteilung in den Länderhaushalten auf die einzelnen Bundesländer konzentriert, dies traf besonders für die Proteste gegen die Einführung allgemeiner Studiengebühren in den Jahren 2003-06 zu.

Obwohl die StudentInnen zu dieser Zeit ein hohes Maß an Aktivität und Dynamik entfalteten, sich vielerorts die Proteste in Frankreich zum Vorbild nahmen, versackte der Widerstand in reformistischen Wahlversprechen vor Landtagswahlen und die führenden Kräfte an den Unis (Jusos, Grüne) stellten den Protest rechtzeitig ein. Die entscheidenden Aspekte der Bewegung der französischen Jugend 2006 kamen bei den Protesten in Deutschland allerdings nicht zum Ausdruck - ein breites Bündnis der Jugend gemeinsam mit den ArbeiterInnen.

Dies lag zum einen an den reformistischen Führungen der StudentInnen, welche konsequent alle selbstorganisierten Komitees und Arbeitsgruppen der AktivistInnen unter ihre Kontrolle brachten und zum anderen an der Rolle der Gewerkschaften. Zwar war und ist die GEW z.B. die einzige aktive DGB-Gewerkschaft in den Bildungsprotesten und viele LehrerInnen und GewerkschafterInnen leisten wichtige Arbeit bei den Protesten, doch hat dies nicht dazu geführt, dass auch andere DGB-Gewerkschaften dem Vorbild der GEW folgten und ihren Widerstand gegen Sozial- und Bildungsabbau mit dem Widerstand der Jugend verbanden.

Für die entstehende SchülerInnenbewegung in Deutschland müssen wir die Lehren aus den gescheiterten Protesten der StudentInnen ziehen! Der Bildungswiderstand braucht eine kämpferische Führung, braucht zentralisierten Protest und das Bündnis mit weiteren, vom Sozialabbau betroffenen Gruppen der Gesellschaft - mit ArbeiterInnen, Arbeitslosen, Armen und RenterInnen.

Freie und gleiche Bildung?

Neben der Forderung nach der Rücknahme der Sparmaßnahmen im Bildungsbereich wird immer wieder für „freie und gleiche Bildung“ geworben, allerdings ohne die wesentlichen Hindernisse bei dieser Forderung zu benennen: die kapitalistische Wirtschaftsordnung und dessen Staat.

Neben den reformistischen Illusionen in den bürgerlichen Staat - dort soll das Problem zumeist durch eine andere Landesregierung gelöst werden - gibt es auch andere Illusionen, nach denen Schule, Uni und Bildung nichts mit Kapitalismus zu tun hätten. Wenn junge Schüler eher die Hoffnung haben, dass Bildung nichts mit Arm und Reich oder Kapitalismus zu tun hat, ist dies noch aufzuklären, wenn aber reformistische Gewerkschaftsfunktionäre diese Hoffnung zum Programm machen, ist es schädlich für den Bildungswiderstand und muss entschlossen bekämpft werden.

Die jeglichem „Antikapitalismus“ unverdächtige „PISA Studie“ hat den sozialen Charakter des deutschen Bildungssystems ungewollt sehr deutlich beschrieben. Bei den Chancen auf einen guten Schulabschluss und eine gute Berufsausbildung schneiden Kinder aus Migranten- und Arbeiterfamilien am schlechtesten ab. Um in der Jugend „erfolgreich“ zu sein, braucht die Jugend reiche Eltern in Deutschland.

Das Bildungssystem ist nur Spiegelbild der kapitalistischen Herrschaftsordnung. Ebenso wie auf dem Arbeitsmarkt zieht sich auch in der Bildung die Klassenspaltung der bürgerlichen Gesellschaft durch; die soziale Selektion richtet sich gegen das Proletariat aller Herkunftsländer, gegen die Jugend, gegen die Armen und Arbeitslosen. Bildung im kapitalistischen System kann nicht „frei“ sein, weil diese Bildung nicht frei von Herrschaft ist. Diese Bildung hat zum Ziel, die Jugend für kapitalistische Profitinteressen auszubilden und ein mächtiges Instrument des Staates bei der Erziehung der nächsten Staatsbürger ist.

Die Bildung ist staatstragende Bildung und Ideologie. Jeder Gedanke, die Bildung folge irgendwelchen „höheren“ Idealen, ist fern jeglicher sozialen Realität. Durch die Institutionen des bürgerlichen Staates, dem die meisten Schulen und Universitäten noch unterstehen, wird die Ideologie der herrschenden Interessen und Klassen vertreten. Dies zu verneinen, bedeutet Verbreitung von Illusionen und schwächt jeden aktiven Widerstand der SchülerInnen und StudentInnen.

Die Forderung nach „gleicher“ Bildung muss sich auch einmal der Realität stellen. Neben den erwähnten PISA-Ergebnissen zeigt sich bei „gleicher“ Bildung, dass diese selbst formell in Deutschland derzeit nur 4 oder 6 Jahre dauert, nämlich in der Grundschule. Dort dürfen wir, trotz verschiedener Qualitäten der Grundschulen, privaten Einrichtungen usw. zunächst davon ausgehen, dass alle SchülerInnen in etwa das „Gleiche“ lernen. Ab da vollzieht sich ein international gesehen fast einmaliger Selektionsprozess. Das mehrgliedrige Schulsystem selektiert die Jugend spätestens ab der 6. Klasse und führt nach 9, 10 oder 12 (13) Jahren zum Abschluss.

Gleichzeitig steigt die Zahl der privaten Bildungseinrichtungen, welche durch kleinere Klassen, mehr Lehrer und bessere Ausstattung zumeist bessere Möglichkeiten für die Kinder aus den reicheren Schichten, aus dem gehobenen Kleinbürgertum und der Arbeiteraristokratie versprechen.

Allen SchülerInnen, StudentInnen und den Beschäftigten im Bildungsbereich muss daher klar sein, dass ihr Kampf kein isolierter Kampf ist, sondern sich direkt gegen die herrschenden Interessen von Kapital und Staat richtet. Der Protest richtet sich gegen die Umverteilung in den öffentlichen Haushalten auf Druck des deutschen Kapitals, uns allen als „Agenda 2010“ und Hartz IV bekannt. Dieser hat nicht nur für die öffentlichen Beschäftigten zu unbezahlter Mehrarbeit, Lohnkürzung und Stellenabbau geführt, sondern alle Gruppen der Arbeiterklasse angegriffen, als letztes mit der Rente mit 67. Diese Politik hat für alle, die sich nach Schule und Ausbildung nicht erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt verkaufen die Hartz -Gesetze parat. Sie bedeuten vor allem für jugendliche Arbeitslose wenig Geld und verschärfte Repressionen und Arbeitszwang, da kann es schon Mal vorkommen, dass einem 18jährigen Schüler bei Anmeldung zu Hartz IV gleich der Ein-Euro-Job angeboten wird - oder nach der zweiten Repressionsstufe Essensmarken anstelle von Geld übergeben werden.

Unsere Bildungsproteste müssen sich daher als antikapitalistische Proteste verstehen. Nur wenn wir die Grundlage dieser Politik zum Gegenstand unseres Widerstands machen, können in Deutschland „französische Verhältnisse“ herrschen, wie es ja viele AktivistInnen der letzten Jahre hofften.

Gemeinsamen Widerstand aufbauen!

Für die AktivistInnen der Schul- und Bildungsbündnisse ist die gemeinsame Konferenz am 10./12.10 in Berlin ein wichtiger Schritt für die gemeinsame Mobilisierung zum 12.11 und für die Planung weiterer gemeinsamer Aktivitäten. Gemeinsam müssen wir die Möglichkeit nutzen, uns eine gemeinsame Basis, ein Netzwerk, eine Koordinierung aufzubauen um die erfolgreichen Proteste vom Frühsommer weiter zu führen.

Es darf nicht bei symbolischen eintätigen Aktionen bleiben, die dann im nächsten Jahr nur zum Wahlaufruf für DIE LINKE, Grüne und SPD führen. Wir haben jetzt die Möglichkeit, den Bildungswiderstand der Jugend zu bündeln und bundesweit arbeits- und aktionsfähig zu machen. Dies müssen wir vor allem erstmal gemeinsam mit Azubis und StudentInnen erreichen.

Von der Konferenz muss das Signal der Einheit der Jugend gegen Bildungs- und Sozialabbau ausgehen. Es muss einen Aufruf an Azubis und StudentInnen geben, mit uns vor Ort gemeinsame Treffen und Komitees für den 12.11. aufzubauen und gemeinsamen Widerstand zu formieren.

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Nr. 133, Okt. 2008
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*  Heile Welt
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*  Großdemo gegen Budgetdeckelung: Alibi oder Auftakt?
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*  12. November: Auf zum Bildungsstreik!