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Börsengang

Was steckt hinter der Privatisierung?

Peter Lenz, Neue Internationale 125, November/Dezember 2007

Seit Monaten steht die Bahn in den Schlagzeilen - wegen der Privatisierungspläne und dem geplanten Börsengang. Nun ist der Streik der GDL in den Mittelpunkt gerückt. Die kleine GDL kämpft wie David gegen den Goliath Bahn AG. Warum ist dieser Streikkampf so wichtig?

Seit der Umwandlung der Bundesbahn in die Deutsche Bahn AG sind im Konzern, dessen 100-prozentiger Gesellschafter der Staat ist, zehntausende Arbeitsplätze vernichtet worden. Zigtausende Streckenkilometer wurden stillgelegt. Teile des  Schienenverkehrs werden heute schon von privaten Bahngesellschaften abgewickelt.

Transport im Kapitalismus

Marx analysierte die Rolle des Transports: „Innerhalb jedes Produktionsprozesses spielt die Ortsveränderung des Arbeitsgegenstandes und die dazu nötigen Arbeitsmittel und Arbeitskräfte ... eine große Rolle.

Der Übergang des fertigen Produkts als fertige Ware aus einer selbständigen Produktionsstätte in die andre, räumlich davon entfernte, zeigt dasselbe Phänomen nur auf größerer Stufenleiter. Auf den Transport der Produkte aus einer Produktionsstätte in eine andre folgt noch der der fertigen Produkte aus der Produktionssphäre in die Konsumtionssphäre.

Das Produkt ist erst fertig für die Konsumtion, sobald es diese Bewegung vollendet hat.“ (Marx, Kapital Bd. 2, S. 151).

Und weiter: „Produktmassen vermehren sich nicht durch ihren Transport. (...) Aber der Gebrauchsgegenstand von Dingen verwirklicht sich nur in ihrer Konsumtion, und ihre Konsumtion mag ihre Ortsveränderung nötig machen, also den zusätzlichen Produktionsprozess der Transportindustrie. Das in dieser angelegte produktive Kapital setzt also den transportierten Produkten Wert zu, teils durch Wertübertragung von den Transportmitteln, teils durch Wertzusatz vermittelst der Transportarbeiter. Dieser letzte Wertzusatz zerfällt, wie bei aller kapitalistischen Produktion, in Ersatz von Arbeitslohn und in Mehrwert.“ (ebenda)

Arbeit im Staatssektor erscheint für die einzelnen Kapitalisten als  "Nebenkosten der Produktion", die in Form von Steuern, Abgaben, Gebühren usw. die Revenue schmälern. Sie sollen so gering wie möglich sein. In diesem Punkt  wird der bürgerlichen Staat zu einem Instrument im Interesse des Gesamtkapitals.

Dazu gehört auch, Arbeitskräfte zu den Produktionsstätten zu bringen - gerade auch in einer zunehmend flexibilisierten Arbeitswelt. Im Widerstand einiger Bundesländer gegen Kürzungen der Zuschüsse oder weitere Stilllegungen schlagen sich teilweise auch Befürchtungen von Kapitalisten nieder, dass diese Anforderung nicht mehr erfüllt werden. Immer mehr Bereiche werden, insbesondere durch Vorgaben der EU, privatisiert. Die Konkurrenz der Transportkapitalisten führt zu immer größerem Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen der Transportarbeiter, was auch für LKW-Fahrer oder Schiffsbesatzungen zutrifft.

Die DB AG als „Global Player“

Mit den Logistik-Töchtern Schenker, Bax und Stinnes hat die Bahn AG in den letzten Jahren in den Weltmarkt expandiert. In Spanien  hat die DBAG gerade wieder ein neues Unternehmen übernommen. Es gibt weitere Pläne und Abkommen mit Russland, China und der Türkei. Allein in China beschäftigt Schenker schon über 3.000 ArbeiterInnen im Logistikbereich. Auch die Übernahme der slowenischen Staatsbahn steht auf Mehdorns Wunschzettel.

Der Gang an die Börse soll der Bahn frisches Kapital zuführen, die Kapitalisten an zukünftigen Monopolprofiten im internationalen Transportsektor teilhaben lassen und weitere Zukäufe ermöglichen. Ziel ist dabei die Schaffung eines global agierenden deutschen Transport-Konzerns. Trotz des scheinbaren Scheiterns der Börsenpläne in der bisherigen Form werden Kapital und Regierung nicht locker lassen. Alle Investitionen werden auf dieses Ziel konzentriert. Personalkosten sollen beständig gesenkt, die Belegschaft diszipliniert werden.

Alternativen zur Privatisierung

Alle bisherigen Privatisierengen im Verkehrsbereich müssen rückgängig gemacht werden! Aber wir brauchen eine Diskussion darüber, wie nicht nur die Bahn-Privatisierung verhindert werden kann, sondern auch, wie eine wirkliche Vergesellschaftung aussehen kann. Eine, die Beschäftigte, Fahrgäste, Kommunen einbezieht - aber auch die Arbeitenden in der Automobilindustrie, bei den Schienenfahrzeugherstellern und in den Speditionen.

Im April 2003 schrieben wir: „Angesichts dieses europaweiten Frontalangriffs auf die Bahnbeschäftigten wären international koordinierte Kampfaktionen und entsprechende Strukturen nötig! Um diese aufzubauen, brauchen wir hier und heute eine klassenkämpferische Basisbewegung über Gewerkschafts- und Branchengrenzen hinaus, welche die kritischsten und aktivsten KollegInnen umfasst. Eine solche Bewegung hätte das Potential zu einer Alternative - in der Führung von Streiks und zur reformistischen Führung der Gewerkschaften insgesamt!“

Auch eine „rein staatliche“ Bahn wird weitere Strecken stilllegen, die Preise erhöhen, den Service verschlechtern.

Trotz einer leichten Zunahme der Beförderungszahlen - bei Personen und dramatischer bei Gütern ist der langfristige Trend rückläufig. Die Regierung hat die Zuschüsse für die Bahn weiter gekürzt. Die globalen Rahmenbedingungen des Kapitalismus werden dafür sorgen, dass sich diese Entwicklung fortsetzt.

Die Stilllegung "unrentabler" Strecken drückt das Passagieraufkommen tendenziell nach unten. Dem stehen horrende Investitionen in prestigeträchtige Hochgeschwindigkeitsstrecken gegenüber, die weniger einer realen Nachfrage als der Ankurbelung des Exports (z.B. Magnetbahn nach China) dienen. Das Angebot wird immer mehr auf die Interessen von zahlungskräftigen Kunden ausgerichtet, die möglichst schnell von einem zum nächsten Businesstermin wollen.

Bei der Sicherheit wird weiter gespart - die 99 Toten des Unglücks von Eschede waren ein grausiger Beleg dafür. Schienenetz und Brücken siechen dahin, die Zahl der Langsamfahr-Bereiche hat zugenommen.

Auch der Gütertransport per Schiene ist trotz immenser Investitionen rückläufig. Der Grund: die Kapitalisten können sich um umweltfreundlichen Transport ihrer Waren nicht kümmern. Für sie zählen Preis, Tempo und Verfügbarkeit der Transporte für "lean produktion" und "just in time" im Rahmen komplizierter internationaler Produktions- und Logistiksysteme. Dafür ist der LKW-Transport immer noch flexibler und praktischer. Dass darunter die Umwelt, die Straßen und die Nerven der Autofahrer leiden, sind Kosten, die nicht das Kapital, sondern die Gesellschaft trägt.

Darum werden auch die Arbeitsbedingungen, v.a. die Arbeitszeiten und Schichtdienste weiter angegriffen. Eine „flexible“ Bahn, die die Kapitalinteressen bedienen soll, braucht auch eine „flexible“ Belegschaft, die zu gezwungen wird zu vergleichbar schlechten Bedingungen wie die LKW-FahrerInnen zu arbeiten.

Enteignung

Im Kapitalismus wird es keine Alternative geben. Eine grundsätzliche Verkehrsreform zugunsten der Umwelt und wesentlich größerer Rationalität des Transportes ist unmöglich, ohne grundsätzliche Eingriffe in die kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse.

Voraussetzung dafür wären allerdings die Enteignung des Privateigentums und die Einführung einer gesamtgesellschaftlichen Planung von Produktion und Verkehr. Anstelle der Konkurrenz verschiedener Verkehrsträger könnte dann ein sinnvolles, rationelles und harmonisches System aller Verkehrsmittel etabliert werden. Der Kampf für die Kontrolle über das Transportwesens durch Beschäftigte, KonsumentInnen ist dabei ein wichtiger Schritt, um Organisationsformen zu schaffen und zu erkämpfen, die eine Gegenmacht gegen die Kapitalinteressen und den bürgerlichen Staat darstellen.

Eine solche Gegenmacht stellt freilich nur das Problem der gesellschaftlichen Kontrolle - sie löst es noch nicht. Aber sie führt die Notwendigkeit vor Augen, dass eine rationale „Bahnreform“ im Interesse der Gesellschaft vor allem eines erfordert -  die Macht der herrschenden Klasse und ihres Staates insgesamt zu brechen.

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Nr. 125, Nov./Dez. 2007
*  Bahn: Sieg dem GDL-Streik!
*  Börsengang: Was steckt hinter der Privatisierung?
*  IG Metall Gewerkschaftstag: Durchmarsch der Rechten
*  SPD: Beck to the roots?
*  Kopftuchverbot: Die große Scheinheiligkeit
*  Sozialforum: Wie weiter?
*  Heile Welt
*  NLO: Am Scheideweg
*  Linke Zeitung: Antikommunistische Märchenstunden der Minderheit
*  Linksruck: Selbstliquidation als Erfolgsstory
*  Neue Großmacht? Wohin geht China?
*  Pakistan: Nieder mit dem Ausnahmezustand
*  Solidarität mit den KurdInnen!