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Türkei

Solidarität mit den KurdInnen!

Lucien Jaros, Neue Internationale 125, November/Dezember 2007

Am 17. Oktober billigte das türkische Parlament den Militäreinsatz gegen die PKK und sorgte damit für eine erneute Verschärfung der jahrzehntelangen Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung in der Türkei. Die laufenden Militäroperationen sollen auch auf die Kurdengebiete im Nordirak und die dortige kurdische Selbstverwaltung ausgedehnt werden.

Es ist bezeichnend, dass es angesichts dieser Verletzung der Grenzen des Iraks als eines völkerrechtlich souveränen Staates durch das NATO-Mitglied Türkei kaum Protest und schon gar keine Sanktionen durch jene imperialistischen Staaten gibt, die ansonsten recht schnell unbotmäßige Regime als „Schurkenstaaten“ einstufen.

Im Krieg der USA gegen den Irak waren die KurdInnen unter Führung der nationalistischen und halb-feudalen Parteien Verbündete der Besatzer - in der Hoffnung, mithilfe des Imperialismus dem Ziel der Autonomie oder gar eines eigenen Staates näher zu kommen. Ökonomisch gründet sich diese Hoffnung auf den Ölreichtum der kurdischen Gebiete im Nordirak.

Zweifelsohne ist der US-Imperialismus in einer schwierigen Lage. Auf der einen Seite ist die Türkei NATO-Verbündeter mit wichtigen Basen für militärische Interventionen. Auf der anderen Seite waren die kurdischen Gebiete die politisch stabilste Region im vom Bürgerkrieg geprägten Irak. Die kurdischen Lokalinstitutionen unterstützen die irakische Zentralregierung. Würden sich die KurdInnen aktiv am Kampf gegen die Besatzer beteiligen, wäre deren Lage noch weitaus schwieriger, als sie ohnehin schon ist.

Gerade weil sie eine solche Eskalation fürchten, haben die Besatzer den KurdInnen bisher eine gewisse Autonomie zugestanden. Doch einen separaten Kurdenstaat im Nordirak oder gar darüber hinaus, wird der Imperialismus nicht dulden - aus mehreren Gründen. Zum einen würde eine solche Entwicklung den NATO-Partner Türkei gegen mögliche imperialistische Befürworter eines kurdischen Staates aufbringen und diesen extrem destabilisieren.

Zweitens würde ein neuer Kurdenstaat die gesamte Ordnung in der Region durcheinander wirbeln und der Intention des Imperialismus nach größerer Kontrolle der Ressourcen der Region um Kaukasus und Kaspisches Meer diametral entgegenstehen.

Drittens wäre ein eigener Kurdenstaat eine Bestätigung dafür, dass sich der Kampf (auch in bewaffneter Form) gegen nationale und soziale Unterdrückung lohnt und Erfolg haben kann. Das würde ein positives und anspornendes Beispiel auch für andere Staaten und Unterdrückte sein, die mit dem Imperialismus im Clinch liegen wie Iran oder Afghanistan.

Gründe genug also für Washington und Brüssel, allzu großen Ambitionen der KurdInnen eine Absage zu erteilen und der Türkei freie Hand zu geben. Allerdings geht dieses Zugeständnis nur so weit, als es die Lage im Nordirak nicht destabilisiert und die KurdInnen gegen den Imperialismus und dessen Pläne im Irak auf den Plan ruft.

In diesem Sinn bezog nun die US-Regierung Stellung im Konflikt zwischen der Türkei und den KurdInnen bzw. dem Irak. Laut US-Außenministerin Condoleezza Rice stelle die PKK eine "gemeinsame Gefahr" für Washington und Ankara dar und der "Kampf gegen die PKK (erfordere) Ausdauer und Zusammenwirken". Das ist ein eindeutig positives Signal für das türkische Militär. Die „Aufforderung“ aus Brüssel die „Integrität des Irak zu respektieren“ ist  angesichts der imperialistischen Besatzung blanker Zynismus.

Konflikte

Aber nicht nur im Nahen Osten nimmt die Situation der KurdInnen lebensbedrohliche Züge an. Angestachelt von dieser Situation kam es seit Ende Oktober bundesweit zu nationalistischen Ausschreitungen gegen KurdInnen. Kurdische Menschen, Vereine und Lokale wurden angegriffen und mit Flaschen beworfen.

Am 28. Oktober zogen etwa 2.000 türkischstämmige Jugendliche in Berlin von Neukölln nach Kreuzberg. Die vielen Parteifahnen der faschistischen „Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) und die Parole „Kurden auszulöschen“ zeigten die nationalchauvinistische Gesinnung dieses Mobs. Auf ihrem Weg nach Kreuzberg, wo sich kurdische Kulturvereine befinden, wurden KurdInnen unter Applaus mehrfach brutal überfallen.

Die Polizei sorgte wieder einmal für die „öffentliche Sicherheit“, indem sie, wenn sie nicht gerade der Prügelorgie zusah, beim Prügeln auf sich wehrende KurdInnen mitmachte. Am 4. November fand daher eine Protestkundgebung am Hermanplatz in Berlin statt. Leider nur etwa 250 Menschen folgten dem Aufruf linker und kurdischer Gruppen.

Wir werden uns der Hetze gegen die kurdische Bevölkerung als „Terroristen“ nicht anschließen. Im Gegenteil: Die Lieferungen von Kampfhubschraubern und Leopard-Panzern für die Türkei, die rassistische Hetze und die Pogrome gegen KurdInnen verlangen nach unserer Solidarität und unserer praktischen Unterstützung ihres Widerstands.

Der deutsche Staat hat sich schon immer ablehnend gegenüber den völlig berechtigten Interessen der KurdInnen gezeigt. So spielte die BRD jahrelange eine Vorreiterrolle im Kampf gegen die Guerilla mit Verbot der PKK und deren Einstufung als „terroristische Organisation“ seit Anfang der 1990er Jahre.

Die extrem reaktionär-nationalistischen, ja faschistoiden türkischen Organisationen hingegen sind nicht verboten. Die undemokratischen und sehr repressiven Zustände in der Türkei - nicht nur gegenüber KurdInnen, sondern auch gegenüber Linken und GewerkschafterInnen - werden von Deutschland zwar als Verstöße gegen Menschenrechte kritisiert, doch gleichzeitig betreffen die Einschränkungen des Asylrechts auch TürkInnen und KurdInnen, die hier Asyl suchen.

Welche Strategie?

Wir müssen den Kampf der KurdInnen gegen den deutschen und türkischen Imperialismus und für das Recht auf Unabhängigkeit unterstützen!

Dabei verschweigen wir aber nicht, dass die Strategie und Taktik der PKK und anderer kurdischer Organisationen ungeeignet dafür sind, den KurdInnen einen Ausweg aus ihrer Lage zu weisen.

Die Führung der PKK und andere kurdische Organisationen hatten die Situation falsch eingeschätzt. Die Ablehnung des irakischen Widerstands, um eine vermeintliche Zusage für die Autonomie nicht zu gefährden, war und ist fatal. Sie zeigt die falsche Einschätzung von Kapitalismus, Imperialismus und der Strategie des Kampfes für einen unabhängigen und demokratischen Staat, den die KurdInnen fordern.

Die Idee, sich mit dem Imperialismus auszusöhnen und ihn für die eigenen Zwecke nutzen zu können, ist falsch und gefährlich! Der Imperialismus wird nie die Interessen nach sozialer und nationaler Befreiung der Massen unterstützen. Allenfalls wird er aus kurzfristigen taktischen Interessen oder aus einer Notlage heraus zu zeitweiligen Zugeständnissen bereit sein.

RevolutionärInnen haben immer wieder darauf hingewiesen, dass eine antiimperialistische Einheitsfront gegen den Imperialismus im Irak notwendig ist. Anders als in sonst in der Einheitsfrontpolitik, die nur ein Kampfbündnis von proletarischen Organisationen ist, muss in der antiimperialistischen Einheitsfront auch die Einheit im Kampf mit klerikalen oder bürgerlichen Nationalisten gesucht werden, wann und wo diese mit den Imperialismus in Konflikt geraten und einen legitimen Kampf führen.

Vorbedingung für jedes solches zeitweilige Bündnis muss jedoch die politische und organisatorische Unabhängigkeit der Unterdrückten und ArbeiterInnen von den nicht den bürgerlichen und klerikalen „Partnern“ sein. Auch der soziale und nationale Widerstand gegen die eigenen Unterdrücker darf nicht unterbrochen, zurückgestellt oder gar beendet werden, um den Kampf gegen den Imperialismus nicht zu schwächen, wie es z.B die Stalinisten oft propagierten.

Der Kampf gegen den Imperialismus wird die Massen auch lehren, dass die bürgerlich-nationalistischen Bündnispartner den Kampf immer wieder boykottieren, sobald ihre eigenen sozialen Pfründe in Gefahr geraten oder ein Kompromiss mit dem Imperialismus möglich scheint.

Permanente Revolution

Daher ist der Kampf der ArbeiterInnen, Bauern und der Armut gegen die Imperialisten zugleich auch Ausgangspunkt für die Befreiung der Massen nicht nur von fremden Unterdrückern, sondern auch von den eigenen Kapitalisten und Großagrariern. Den antiimperialistischen Kampf zur sozialen Revolution zuzuspitzen ist die Anwendung der Theorie der „Permanenten Revolution“ in Halbkolonien.

Danach können selbst bürgerlich-demokratische Forderungen wie das nationale Selbstbestimmungsrecht nicht mehr von der Bourgeoisie umgesetzt werden. Dazu ist nur das Proletariat im Bunde mit anderen Ausgebeuteten und Unterdrückten imstande. Insofern muss das Proletariat auch die Führung im Kampf übernehmen und ist dadurch auch in der Lage, eine demokratische Revolution zur sozialistischen weiterzuführen und den Kapitalismus samt Privateigentum zu stürzen.

Demgegenüber sprechen die kurdischen Organisationen - auch die PKK - nur von „Demokratie“ - ohne zu erwähnen, welche sie meinen und welche Klasse sie ausüben soll. Sie reden vom „Volk“ statt von Klassen und sehen das Bürgertum zusammen mit den kleinbürgerlich-demokratischen Parteien als Führungen im Kampf. Sie alle streben letztlich einen kurdischen Staat oder eine Autonomie an, die sich auf Privateigentum, auf bürgerlichen Verhältnissen gründen.

Wirkliche Befreiung und eine grundsätzliche Umgestaltung der Lebensverhältnisse der KurdInnen sind jedoch nur möglich, wenn ein konsequenter Kampf gegen jeden Imperialismus geführt wird, anstatt von Teilen des Imperialismus Unterstützung zu erwarten. Wirkliche Befreiung wäre auch damit verbunden, die eigene kurdische Oberschicht zu stürzen.

Insofern verbinden RevolutionärInnen die Frage der nationalen Befreiung immer mit der Frage der sozialen Befreiung - ohne die eine oder andere zur Vorbedingung zumachen. MarxistInnen treten nie abstrakt für „nationale Selbstständigkeit“ ein. Sie sehen diese Kämpfe immer im Zusammenhang mit der Gesamtdynamik des Klassenkampfes. Insofern verteidigen wir das Recht der KurdInnen auf nationale Selbstständigkeit. Niemals würden aber nur für ein bürgerliches Kurdistan eintreten, sondern immer für einen Arbeiterstaat Kurdistan.

Für die kurdischen Massen ist eine bürgerlich-nationalistische Perspektive, wie sie auch von der PKK - trotz einiger linker Phrasen - vertreten wurde und wird letztlich eine Sackgasse. Nur der Kampf für einen sozialistischen Rätestaat und eine sozialistische Föderation im Nahen und Mittleren Osten kann dem kurdischen Volk eine soziale Perspektive weisen. Dazu kommt, dass nur eine solche, jede Art von Ausbeutung und Unterdrückung attackierende, Orientierung einen gemeinsamen Kampf mit den Unterdrückten und Lohnabhängigen TürkInnen, IrakerInnen usw. ermöglicht. Ohne diesen gemeinsamen Kampf können sich auch die KurdInnen selbst nicht befreien.

Stoppt die rassistische Hetze gegen KurdInnen!

Freilassung Öcalans und aller inhaftierten KurdInnen!

Weg mit dem Verbot der PKK! Weg mit den „Anti-Terrorlisten“ der EU und BRD!

Volle Bürgerrechte für alle KurdInnen in Deutschland!

Für das nationale Selbstbestimmungsrecht aller KurdInnen!

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Nr. 125, Nov./Dez. 2007
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*  SPD: Beck to the roots?
*  Kopftuchverbot: Die große Scheinheiligkeit
*  Sozialforum: Wie weiter?
*  Heile Welt
*  NLO: Am Scheideweg
*  Linke Zeitung: Antikommunistische Märchenstunden der Minderheit
*  Linksruck: Selbstliquidation als Erfolgsstory
*  Neue Großmacht? Wohin geht China?
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*  Solidarität mit den KurdInnen!