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Krise bei VW

Profite statt Jobs

Peter Lenz, Neue Internationale 112, Juli/August 2006

Trotz all der „kreativen Beschäftigungsmodelle“ (4-Tage-Woche, 5000x5000 u.a.) unter der Ägide von Personalchef Peter Hartz ist der VW-Konzern in einer tiefen Krise. Um diese zu lösen, droht die VW-Führungsriege nun mit dem Abbau von bis zu 30.000 Arbeitsplätzen. Bei etwas über 100.000 VW-Arbeitsplätzen in der BRD wäre das eine drastische Verringerung der Beschäftigtenzahlen, für die ArbeiterInnen und Angestellten an einigen VW-Standorten eine glatte Katastrophe.

Parallel dazu wird vom Management auch eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeiten von 28 auf 35 Stunden ohne Lohnausgleich gefordert, für andere Belegschaften wird direkt eine drastische Lohnsenkung angepeilt. Während in Kassel und Wolfsburg unbezahlte Mehrarbeit gefordert wird, sollen die ArbeiterInnen in Hannover kurzarbeiten.

Gleichzeitig sollen Teilbereiche wie die „Komponentenwerke“ ausgegliedert werden - mit anderen, sprich: schlechteren, Tarifverträgen. Wie schon so oft in den letzten Jahren erlebt, werden die „Beschäftigungsgarantien“ vom letzten Jahr zu Makulatur.

Die Financial Times Deutschland schrieb dazu am 14.6.2006:

„Bernhard und Neumann bekräftigten (...) die aus ihrer Sicht unabwendbare Forderung nach Lohnsenkungen. Bernhard rechnete vor: ‚In den Traditionswerken von VW liegen die Arbeitskosten bei 55, bei der deutschen Konkurrenz bei bis zu 40, in Mittel- und Osteuropa bei fünf bis zehn Euro.’ Und fügte hinzu: ‚Wie sollen wir überleben, wenn selbst beim Luxuswagenhersteller Bentley die Stunde nur 25 Euro kostet?’

Neumann betonte, das Management setze auf die Einsicht der Belegschaft, ‚weil wir sonst einen schwierigen Weg vor uns haben, an dessen Ende auch die Kündigung des Tarifvertrags stehen könnte.’“

Lohnkosten zu hoch?

Abbau von Arbeitsplätzen und u.a. Drohungen gibt es auch in „Niedriglohnländern. In Brasilien rollte kürzlich eine massive Entlassungswelle, die mehreren Tausend den Job gekostet hat. Gleichzeitig will VW nach Russland expandieren. Es ist bezeichnend, dass aufgrund der immensen Rationalisierungen der letzten Jahre der Anteil der Lohnkosten an den Gesamtkosten zwar gesunken ist und trotzdem die Angriffe auf Löhne bzw. Arbeitszeit zunehmen.

Die Rahmenbedingungen, unter denen diese Attacken stattfinden, sind weltweite Überakkumulation und mörderischer Preiskampf in der Branche. Die Produktionskapazitäten der Automobilindustrie überschreiten die Nachfrage und die Kaufkraft potenzieller Abnehmer. Alle Konzerne führen die gleichen Kostendämpfungsprogramme durch. Bereits 1999 haben wir analysiert:

„Heute existieren mehr als 40 Automobilproduzenten auf der Welt und nur zehn arbeiten mit Profit (…) dank der momentan chronischen Überproduktion in der Autoindustrie.

Ende 1998 hat überschüssige Investition in Anlagen und Ausrüstung zu einem das aktuelle oder erwartete Nachfrageniveau um 20 Millionen Wagen Kapazitätsaufbau geführt. Die Ersatzkosten für diese brachliegenden Anlagen betrugen ca. 140 Mrd. $. Über die letzte Dekade ist als Resultat von "just-in time'-Techniken und flexiblem Arbeitseinsatz, die in der Branche über ihren Ursprungsort bei Toyota in Japan hinaus allgemeine Anwendung fanden, die Produktivität hochgeschnellt und verringerte die Arbeitsstunden pro Fahrzeug um 10 Prozent.

Mittlerweile müssen die verfügbaren Profitmassen nicht nur gegen das fungierende Kapital aufgerechnet werden, sondern auch alle eingemotteten Gebäude und Betriebsmittel, die während der letzten fünf Jahre an den Platz gestellt wurden. Das zerrt die Profilabilität nach unten. Der Verkauf zu Preisen, die einen Durchschnittsprofit einbringen, treibt viele Fahrzeughersteller in tiefe Schulden. (...) Zwischen ihnen ist die Konkurrenz heftig: die Automobilpreise sind in den letzten paar Jahren um 5 Prozent gefallen, wobei sich die Detailausstattungen verbesserten.

(...) Die Stabilisierung oder Erholung der Profitrate gebietet die Eliminierung von vielen Überkapazitäten. Dies kann nur in einer neuen Runde von Übernahmen und Schließungen erreicht werden. Um auf der Stufenleiter der eingebrachten Investitionen Profit zu machen, heißt es für jeden Produzenten, mindestens 2 Millionen Einheiten jährlich weltweit zu verkaufen; das könnte bald auf 5 Millionen steigen.

Denselben Prozess kann man in der Ölbranche, bei Halbleitern, "weißen" Gütern und vielem mehr (…) sehen: grenzenlose Erweiterung, gestiegene Produktivität von sinkenden Profiten begleitet, Überproduktionskrise, Zerstörung und Konzentration von Kapital und immer mehr Arbeiter, die der ‚relativen Überbevölkerung’ hinzugefügt werden.“ (Aus RM 27, Krisentheorie und moderner Kapitalismus, S.36)

Die gestiegenen Öl-Preise, verbunden mit einer tendenziellen Verknappung dieses Rohstoffs in den nächsten Jahren, wirken sich sowohl auf die Produktion als auch auf die potentiellen Käufer von Autos aus. Es gibt durchaus einen innerkapitalistischen Widerspruch zwischen den Energiekonzernen und dem Automobilsektor. Die Preise für Strom erhöhen die Profite der Energiekonzerne, beschneiden aber jene der Automobilkonzerne. Die Benzinpreise sind für die Masse der AutofahrerInnen, ein dickes Problem. Die faktische Abschaffung der Wegepauschale für Berufspendler tut ein Übriges.

VW hat auf wichtigen Gebieten technologisch den Anschluss regelrecht verpennt. Statt verbrauchsarmer Fahrzeuge wurde auf die Entwicklung spritfressender Nobelmarken gesetzt. Das einzige verbrausarme Modell, der LUPO, wurde durch eine sehr teure und anfällige Elektronik für die Benutzer zum Euro-Grab. Das beweist erneut, dass kapitalistische Produktion letztlich nur dem Profit dient und z.T. weit an den realen Bedürfnissen der Gesellschaft (z.B. dem Schutz der Umwelt) vorbeigeht. Das zeigt auch, dass gesellschaftlicher Fortschritt wie z.B. die Schaffung eines effizienten und zugleich ökologischen Verkehrssystems, das auch mit einem Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs einhergehen müsste, mit der kapitalistischen Produktionsweise kollidiert, weil es den Absatz und damit den Profit der Autokonzerne schmälern würde.

Rüstungsindustrie

Die „Mobilitätsindustrie“ steckt in der Krise. Die Kürzung der Bundeszuschüsse für den Öffentlichen Personennahverkehr kann durchaus in diesem Zusammenhang gesehen werden und ist vor allem auf die Intervention der „Autolobby“ zurückzuführen.

Es gibt aber auch andere Entwicklungstendenzen. So zählt auch ein großer Teil der Rüstung statistisch gesehen zur “Mobilitätsindustrie“. Die Rüstungsindustrie ist zur Zeit die einzige „Auto“-Branche mit gefüllten Auftragsbüchern, wird doch z.B. in Kassel bei Rheinmetall und Krauss-Maffei-Wegmann die mobile Panzerwaffe „PUMA“ für die „Krisenreaktionskräfte“ der NATO in größeren Stückzahlen gefertigt.

Die hessische Landesregierung will Unsummen in den Ausbau des Regionalflughafens Calden stecken. Dabei ist der Zweck klar definiert: der Ausbau des Flughafens Calden dient den „Interessen der nordhessischen Wirtschaft“, die ihre Produkte schnell zu ihren Kunden transportieren will. So sieht „Wirtschaftsförderung“ aus, welche die Profite der Branche sichert, indem die Herstellung von Waffen für den Imperialismus und dessen erzreaktionäre Bündnispartner gefördert werden, mit denen Tausende Menschen umgebracht werden.

Gegenwehr?

Die Beschäftigten, die nach dem 5000x5000 Modell arbeiten, haben mittels Warnstreiks immerhin eine minimale Anhebung ihrer Bezüge erreicht.

Angesichts der internationalen Dimension der Angriffe auf die Beschäftigten sind aber nicht nur lokale oder nationale, sondern international koordinierte Aktionen notwendig, um den ständigen Drohungen und Erpressungen wirklich effektiv Widerstand entgegen setzen zu können.

Die ArbeiterInnen in den europäischen Standorten des GM-Konzerns haben in den letzten Wochen einige Schritte in diese Richtung getan. Gegen die Schließung des Werkes in Portugal sind in fast allen europäischen Standorten ArbeiterInnen auf die Strasse gegangen und haben Warnstreiks durchgeführt.

Doch dabei zeigten sich erneut zwei zentrale Probleme: 1. blockiert der Apparat der Gewerkschaft bzw. der Betriebsräte diesen Widerstand oder führt ihn in eine Sackgasse; 2. existieren zu schwache oder gar keine handlungsfähigen Strukturen auf betrieblicher Basis, die in der Lage wären, unabhängig oder gar gegen die bürokratischen Apparate den Kampf zu organisieren oder international zu vernetzen.

Im Falle VW kommt noch dazu, dass das System der „Sozialpartnerschaft“ besonders stark ausgeprägt und die Illusionen in die Fähigkeiten von IG Metall-Apparat und Betriebsräten, Kompromisse mit den Interessen des Unternehmens zu erreichen, besonders stark waren. Doch unter dem Druck der Krise sind diese Illusionen zunehmend zerstoben.

Doch dieser Bewusstseinswandel muss nun mit der Schaffung von Strukturen verbunden werden, in  denen einerseits Widerstand organisiert und andererseits die Diskussion darüber, welche Konzepte, welche Führungen usw. nötig sind, um die Angriffe des Klassengegners zurück zu schlagen, geführt werden kann.

Das heißt: Aufbau einer Basisbewegung von GewerkschafterInnen und KollegInnen, von Jugendlichen und Erwerblosen, die den Kampf führen wollen oder ihn schon führen. Das heißt auch: Schaffung einer politischen Kampforganisation, einer Arbeiterpartei.

Ein - momentan in jeder Hinsicht noch unzureichender - Ansatz dafür ist die WASG. Es hat auch bei VW in Kassel Ansätze zum Aufbau einer WASG-Betriebsgruppe gegeben. Im kommunalpolitischen Programm der Kasseler Linken für Arbeit und soziale Gerechtigkeit (zu denen auch die WAG gehört) hat sich das jedoch kaum widergespiegelt. Das wirft durchaus ein Licht auf die Strategie der WASG, welche mehr auf Wahlen und Parlament als auf eine reale Verankerung in der Klasse zielt.

Auch beim Streik bei Opel Bochum wurde die Chance, die WASG in der kämpferischen Vorhut des Betriebs zu verankern, vergeben - und zwar bewusst, nicht etwa nur durch politisches „Ungeschick“. Hier zeigt sich, dass Leute wie Ex-IG Metall-Funktionär und jetzt Linkspartei-Bundestagsabgeordneter Klaus Ernst ArbeiterInnen nur als politische Manövriermasse des Apparats und als Wähler sehen - nicht aber als die wesentliche soziale Basis der WASG. Diese Stellvertreterpolitik huldigt derselben Methode wie die Politik der SPD, der PDS und der Gewerkschaftsbürokratie. Damit gilt es zu brechen! Doch was machen Ernst, Lafontaine und Co.? Noch nicht einmal zu einer milden Kritik an der Politik der reformistischen Gewerkschaftsführung und der Betriebsratsfürsten reicht es, geschweige denn zu einer Alternative dazu!

Im Fall VW müsste Stellung bezogen werden gegen die Führung der IGM, die sich jetzt schon wieder mehr am Wohl des Konzerns als am Wohl der Beschäftigten orientiert. Doch die IG Metall-Führung in Kassel bleibt nach wie vor SPD-nah. Um die Protestaktionen der SchülerInnen und StudentInnen kümmert sie sich herzlich wenig, obwohl die zum gemeinsamen Kampf mit den VWlerInnen bereit waren.

Wen bei VW nicht erneut tausende Jobs verloren gehen und große Lohneinbußen hingenommen werden sollen, müssen wir einen Gang hoch schalten. Was ist nötig, um den nächsten Ausverkauf zu verhindern?

Keine Geheimverhandlungen! Alle Belegschaften müssen jederzeit über alle Verhandlungen informiert sein! Keine Vereinbarungen ohne Zustimmung der Beschäftigten!

Betriebsversammlungen zur Diskussion von Gegenmaßnahmen und zur Wahl rechenschaftspflichtiger und jederzeit abwählbarer Kampfführungen!

Verbindung des Kampfes der Beschäftigten mit ausgegliederten Bereichen, den Arbeitslosen, der Jugend usw. (z.B. durch Aufstellung der Forderung nach Wiedereinstellung Entlassener).

Organisierung von Streiks an allen VW-Standorten und Ausweitung auf andere Auto-Betriebe und Branchen - hierzulande und international!

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Nr. 112, Juli/August 2006

*  Steuerreform: Sozialraub in Permanenz
*  WASG/PDS: Es geht - voran???
*  Heile Welt
*  Gesundheitsreform: Kopfpauschale droht
*  Krise bei VW: Profite statt Jobs
*  G8-Gipfel: Plünderer der Welt
*  70 Jahre Revolution in Spanien: Die Rolle der POUM
*  Kongo: Neues Opfer der EU
*  Palästina/Libanon: Stoppt Israels barbarische Aggression!