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Steuerreformen

Sozialraub in Permanenz

Helga Müller, Neue Internationale 112, Juli/August 2006

Den Freudentaumel der WM ausnutzend, hat die Große Koalition klammheimlich das „Haushaltbegleit-Gesetz“ und das „Steueränderungsgesetz“ durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht.

Selbst die bürgerliche Presse spricht von der „größten Steuererhöhung für den Verbraucher“, d.h. für die arbeitende und arbeitslose Bevölkerung, in der Geschichte der Bundesrepublik“ (Handelsblatt, 16.6.06).

Begründet werden die tiefen Einschnitte für die Lohnabhängigen damit, dass der Haushalt saniert und der zukünftigen Generation keine Schuldenlast übergeben werden soll.

Verschwiegen wird, dass das Haushaltsdefizit auf politische Entscheidungen der Regierungen der letzten Jahre zurückgeht - angefangen bei der Regierung Kohl, weitergeführt von Rot/Grün.

Durch immer neue Steuerreformen wurden die Unternehmen beträchtlich steuerlich entlastet. Die Argumentation dabei war immer die gleiche: die deutschen Unternehmen müssen im internationalen Konkurrenzkampf wettbewerbsfähig gemacht werden, die Steuerquote sei im internationalen Vergleich in Deutschland viel zu hoch.

Zu zahlen hatten diese steuerlichen Entlastungen des deutschen Kapitals immer die KollegInnen in den Betrieben, die Arbeitslosen, die sozial Schwachen etc. mit ständig steigender steuerlicher Belastung, höheren Beiträgen zu den Sozialversicherungen auf der einen und mit ständig zunehmenden Einschnitten in der sozialen Versorgung auf der anderen Seite. Der bisherige Höhepunkt dieser Entwicklung waren die Hartz-Gesetze.

Verschwiegen wird auch, dass die Lohnsteuern und die großen Verbrauchssteuern mittlerweile in Deutschland 75 Prozent des gesamten Steueraufkommens ausmachen, die Gewinnsteuern tragen dagegen nur noch 15,1 Prozent zum Steueraufkommen bei!

Noch 1960 teilten sich ArbeiterInnen bzw. VerbraucherInnen und Unternehmen ca. jeweils die Hälfte des jeweiligen Steuereinkommens (nach Junge Welt vom 20.06.06).

Verschwiegen wird weiterhin, dass die Lohnsteuerbelastung von Arbeitseinkommen zwischen 1960 und 2005 von 6,3 auf 17,7 Prozent anstieg. Auch die Belastung der Einkommen durch Sozialversicherungsbeiträge erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 9,4 auf 16,5 Prozent).

Die Besteuerung von Unternehmens- und Kapitalgewinnen dagegen sank im gleichen Zeitraum von 20 auf 5,6 Prozent. In der erweiterten EU liegt dieser Betrag immerhin noch bei 8,3 % (ebenda).

Von einer zusätzlichen Steuerbelastung der deutschen Unternehmen im Vergleich zur EU-Konkurrenz kann also nicht die Rede sein.

Kein Wunder also, dass der Haushalt ständig unausgeglichen ist. Verschärft wird diese Situation noch dadurch, dass die Tilgungsraten, die durch das ständige Aufnehmen von neuen Krediten erzeugt werden, um die Stabilitätsgrenze von drei Prozent - festgelegt durch Maastricht - nicht zu sehr zu überschreiten, jedes Jahr anwachsen.

Das derzeitige Finanzierungsloch von 38 Mrd. Euro entspricht ungefähr der Summe, die im kommenden Haushaltsjahr für Zinsen und Tilgung von Altschulden aufgebracht werden muss.

Um dieses Loch zu stopfen, wird die Masse der Lohnabhängigen, Arbeitslosen und Rentner nun erneut zur Kasse gebeten.

Zu den gravierendsten Einschnitten gehört die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent ab 1.1.07. Das soll dem Staat im ersten Jahr 19,4 Milliarden und in den Folgejahren jeweils rund 23 Milliarden mehr einbringen!

Ein Prozent der Erhöhung soll noch dazu dienen, die Beiträge der Arbeitslosenversicherung um zwei Prozent auf 4,5 % zu senken. Dafür will der Bund im ersten Jahr ca. 6,5 Milliarden zur Verfügung stellen, bis zum Jahr 2009 soll der Beitrag auf 7,78 Milliarden steigen. D.h. die arbeitende Bevölkerung, Arbeitslose, RentnerInnen sollen auch noch dafür zahlen, dass die Unternehmen bei den „Lohnnebenkosten“ “entlastet” werden.

Zusätzlich soll u.a. der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung im Jahr 2006 um 170 Mill. Euro, von 2007 an um 340 vermindert werden. Ziel ist es, damit den Bundeszuschuss von bisher ca. sechs Prozent auf ein Prozent im Jahr 2009 zu reduzieren.Gleichzeitig werden die Beiträge zur Arbeitslosen- und Krankenversicherung bei den geringfügig Beschäftigten in Minijobs von 25 auf 30 Prozent angehoben. D.h. die Beschäftigten in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen sollen den Rückzug des Bundes aus der Finanzierung der Rentenversicherung mit ihren Beiträgen ausgleichen. Gleichzeitig sind es gerade die Beschäftigten mit geringem Einkommen und damit geringen Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung, bei denen Altersarmut vorprogrammiert ist.

Durch das „Steueränderungsgesetz,“ kommen weitere Eingriffe in die Lebensverhältnisse der Massen hinzu:

Die Pendlerpauschale wird de facto durch die Einführung des “Werkstorprinzips” abgeschafft, d.h. die Fahrtkosten von der Wohnung zur Arbeit (bis 20 Km)  können nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden! Erst zwingt die Anarchie der kapitalistischen Produktion den Beschäftigten weite Fahrwege auf, um sie dann auch noch auf den Kosten dafür sitzen zu lassen!Erhoffte Mehreinnahmen: 2,5 Milliarden.

Die Altersgrenze für die Zahlung von Kindergeld und für den Kinderfreibetrag wird von 27 auf 25 Jahre gesenkt. Eine Übergangsregelung ist geplant. Erhoffte Mehreinnahmen: 534 Millionen jährlich.

Der Sparerfreibetrag wird für Ledige und Verheirate halbiert. Erhoffte Mehreinnahmen: 750 Mill. Euro jährlich. (Zahlen nach FR-online vom 29.06.06)

Um das Ganze noch zu toppen, plädiert die SPD - allen voran Obersparkommissar Peer Steinbrück - dafür, eine „Reichensteuer“ einzuführen, um angeblich die soziale Schieflage der Lasten und Einschnitte gerechter zu verteilen.

Für Besserverdienende (Einkommen von 250.000 Euro jährlich für Ledige und 500.000 Euro jährlich für Verheiratete) soll der Spitzensteuersatz von 42 % um drei Prozent auf 45 % angehoben werden. Unternehmen hingegen müssen nichts zahlen, denn Einkünfte aus Gewerbebetrieben oder aus selbstständiger Arbeit - also Gewinne von Unternehmen - sind von dieser Regelung ausgenommen. Bringen soll das ganze 250 Millionen Euro!

Das sind Peanuts im Vergleich zur Milliardenabzockerei bei der Masse der Bevölkerung. Aber selbst gegen diese „Mini-Reichensteuer“ läuft die FDP mit Hetztiraden wie “blanker Sozialismus” und “Verarmungssteuer” Sturm.

Finanzminister Steinbrück erhofft sich von dem neuen Paket insgesamt Steuermehreinnahmen für Bund, Länder und Kommunen von bis zu 5,4 Mrd. Euro jährlich - alles aus den Taschen der arbeitenden Kolleginnen und Kollegen, der Arbeitslosen, der Rentnerinnen und Rentnern usw.

Damit aber nicht genug! Schon wird über eine neue große Unternehmenssteuerreform nachgedacht, um die Wirtschaft durch die Einführung “international wettbewerbsfähiger” Unternehmenssteuersätze noch weiter zu entlasten. Die SPD spielt auch hier eine Vorreiterrolle. So will Steinbrück vor allem die Konzerne entlasten: Die Steuerlast für Kapitalgesellschaften soll von 39 auf 30 Prozent, die Körperschaftssteuer von 25 auf etwa 16 Prozent sinken.

Wenn sich Steinbrück durchsetzt, wird sich das oben geschilderte Ungleichgewicht beim Steuereinkommen weiter zugunsten der Unternehmen verschieben. 2005 zahlten deutsche Kapitalgesellschaften noch 16 Milliarden Körperschaftssteuer. Diese Summe soll nun noch halbiert werden. (nach Junge Welt vom 20.06.06) Im gleichen Jahr 2005 machten allein die Top-30-DAX-Unternehmen mehr als 50 Milliarden Profit.

Die Steuerpolitik hat neben der offensichtlichen Umverteilung von Einkommen noch andere Funktionen. An der Staatsverschuldung verdient natürlich auch das Privatkapital. Die „Finanznot“ infolge von Steuerausfällen dient auch dazu, weitere Privatisierungswellen zu rechtfertigen und öffentliche Unternehmen dem Anlage suchenden Privatkapital - oft noch zu staatlich garantierten Renditen - in den Rachen zu werfen.

Denn: Trotz Rekordprofiten der Top-Konzerne ist das Kapital insgesamt von einer massiven Überproduktion und verschärfter Konkurrenz „geplagt“. Die steuerlichen Entlastungen dienen also der Steigerung der Konkurrenzfähigkeit, der bürgerliche Staat kommt dabei nur seiner Funktion nach, dem deutschen Kapital bestmögliche Bedingungen zu schaffen.

Die Privatisierungen ändern zwar nichts am Grundproblem der Überakkumulation von Kapital - aber sie erlauben die profitable Aneignung von Reichtum, der bislang in öffentlicher Hand war.

Wenn der bürgerliche Staat die Umverteilung von unten nach oben organisiert, wenn für er für die enormen Rüstungsausgaben der nächsten 10 Jahre bei Rentnern, Armen, Kranken und Jugendlichen spart, dann müssen sich diese Gruppen gemeinsam dem entgegen stellen!

Was tun?

Darum: Nein zur Mehrwertsteuerhöhung! Abschaffung aller Massensteuern (Mehrwertsteuer, Ökosteuer, Tabaksteuer usw.)! Progressive Besteuerung von Reichtum und Kapital!

Offenlegung und direkte Kontrolle der Geschäfts-Unterlagen, der Konten usw. durch die Beschäftigten und die organisierte Arbeiterbewegung, um sicherzustellen, dass die Kapitalisten und Reichen sich dieser Besteuerung nicht entziehen!

Anträge im Bundestag wie von der Linksfraktion vorgetragen, werden hier nichts bewegen. Steuerfragen sind letztlich Macht- und Klassenfragen. Um den dahinter steckenden politischen, gesamtgesellschaftlichen Angriff abzuwehren, braucht es eine gesamtgesellschaftliche Antwort.

Nur mit dem Mittel des politischen Streiks und einer Massenbewegung, die sich gegen diesen und andere Angriffe der Regierung und des Kapitals wendet, kann der Kampf gegen die Steuererhöhungen für die Massen erfolgreich geführt werden.

Eine solche Bewegung aufzubauen erfordert aber auch, gegen die reformistischen Konzepte und deren Führungen kämpft, welche die Bewegung immer wieder bremsen und demobilisieren.

Wie? Indem wir einerseits Forderungen an die Führungen von WASG, Linkspartei.PDS und Gewerkschaften stellen, den Widerstand aktiv zu organisieren; andererseits den Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung vorantreiben, die v.a. in den Betrieben verankert sein und selbständig mobilisieren muss; durch Kampf für eine klassenkämpferischen Arbeiterpartei.

In diesem Kampf muss zugleich auch die Frage der Macht, muss die Frage des Gesellschaftssystems aufgeworfen werden. Schon seit den 1970ern haben alle Regierungen die Umverteilung von Unten nach Oben, den Sozialabbau und diverse Steuergesetz-Novellen vorangetrieben - die versprochenen positiven Effekte zur Sicherung der Sozialsysteme, zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit usw. sind jedoch ausgeblieben.

Auch das heftigste Engerschnallen des Gürtels und der rabiateste Griff in die Geldbörsen der Massen können die gesellschaftliche Misere offensichtlich nicht beenden. Kein Wunder: die Ursache ist der Kapitalismus selbst!

Entgegen den neoliberalen Steuer-Reformen setzen wir ein Programm, das an den aktuellen Interessen der Massen ansetzt und sie mit der Frage der Macht, mit der Frage, welche Klasse die Geschicke der Gesellschaft lenkt, verbindet.

Letzten Endes kann aber nur eine Arbeiterregierung, die sich auf Kampforgane der Klasse (Streikkomitees, Räte, Milizen) stützt, durchsetzen und sicherstellen, dass die Fortschritte im Kampf nicht vom Kapital wieder zurückgerollt und von der Krise des Kapitalismus zunichte gemacht werden.

Nur mit der Ergreifung der politischen Macht, nur mit der Enteignung des Kapitals, nur mit der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates können wir absichern, dass nicht nur die Errungenschaften unseres Kampfes Bestand haben, sondern sogar die Tür zu einer Gesellschaft aufgestoßen wird, in der die Reichtümer der Gesellschaft allen zugute kommen und die irrwitzigen und abstrusen Reformversuche von Merkel und Co. den Müllhaufen der Weltgeschichte zieren.

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Nr. 112, Juli/August 2006

*  Steuerreform: Sozialraub in Permanenz
*  WASG/PDS: Es geht - voran???
*  Heile Welt
*  Gesundheitsreform: Kopfpauschale droht
*  Krise bei VW: Profite statt Jobs
*  G8-Gipfel: Plünderer der Welt
*  70 Jahre Revolution in Spanien: Die Rolle der POUM
*  Kongo: Neues Opfer der EU
*  Palästina/Libanon: Stoppt Israels barbarische Aggression!