Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Iran

Vor einem neuen Krieg?

Theo Tiger, Neue Internationale 110, Mai 2006

Die aktuelle Diskussion um den Iran gleicht einem Deja vu. Erneut ist ein Staat aus dem Nahen Osten ins Fadenkreuz des UN-Sicherheitsrates und des Imperialismus, allen voran der USA, geraten. War es beim Irak der „rauchende Colt“ - die angeblich existenten Massenvernichtungswaffen -, die einen imperialistischen Krieg gegen das Land legitimierten, so ist es heute die Vermutung einer künftigen atomaren Aufrüstung.

Anfang April gelang Iran erstmals die Uran-Anreicherung. Mit ca. 160 Zentrifugen konnte Uran auf 3.5% angereichert werden, was als Konzentration für eine Nutzung in Atomkraftwerken ausreicht. Seitdem erleben wir eine hysterische Kampagne der westlichen Staaten und Medien.

US-Präsident Bush droht (wie davor auch schon Frankreichs Präsident Chirac) mit dem Einsatz von Atomwaffen - hier wird die Argumentation endgültig ad absurdum geführt, nach der durch die Drohung mit Atomwaffen eine potentielle atomare Aufrüstung verhindert werden könne.

Westliche Kriegshetze

Für eine waffentaugliche Urannutzung benötigt der Iran ca. 4.000 Zentrifugen, denn das Uran müsste dafür auf ca. 98% angereichert werden. Der Iran ist also rein technisch noch Jahre von der Herstellung einer eigenen Atombombe entfernt. Diese technischen Fakten werden aber bewusst in den Medien unterschlagen, um ungestört die Mär von der atomaren Gefahr, die vom Iran ausgeht, verbreiten zu können. Sachargumente zählen nicht in der Diskussion - auch nicht in Deutschland, dem Marktführer in der Zentrifugenherstellung.

Die Presse benutzt vor allem Aussagen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad zur Legitimation von möglichen Sanktionen und militärischen Präventivschlägen. Fast täglich gibt es neue Horrormeldungen über den Iran: der Präsident wird als Kriegstreiber, Antisemit und Terrorist bezeichnet und seine Statements dementsprechend übersetzt. Auf den Seiten www.Arbeiterfotografie.com finden sich mehrere Beispiele für diese gewollten Manipulationen westlicher Medien.

Jede Kritik am Zionismus und der imperialistischen israelischen Politik wird automatisch als Antisemitismus identifiziert. Kaum jemand, der den Iran vor einem imperialistischen Angriff verteidigen will, ist Anhänger oder Sympathisant von Ahmadinedschad. So wissen z.B. die streikenden iranischen Busfahrer, die mit Gewalt bekämpft wurden, welch Reaktionär und Nationalist im letzten Jahr in gestalt von Ahmadinedschad Präsident geworden ist.

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Khatami folgt der neue Präsident strikt dem Revolutionsrat und bekämpft jede aufkeimende Opposition mit Hilfe der religiösen Milizen. Natürlich sind die Spitzen des Iran religiöse und nationalistische Reaktionäre, doch das ist nicht neu, genauso wenig wie deren periodisch wiederkehrenden antisemitischen Ausfälle. Dass Politik und Medien diese aber plötzlich so hoch hängen, erklärt sich aus deren Suche nach Vorwänden und Begründungen für die Attacken des Imperialismus gegen den Iran.

Heute gilt es, das iranische Volk gegen einen Angriff der USA zu verteidigen. Jeder Angriff von außen stärkt die Fundamentalisten im Inneren und erleichtert diesen, sich als Antiimperialisten und Verteidiger des iranischen Volkes hinzustellen. Wir können kein Interesse an einer neuen Marionettenregierung a la Afghanistan oder Irak haben. Wenn die USA mit einem Angriff auf die Atomanlagen drohen, müssen die Antikriegs- und die Arbeiterbewegung die Rechte der iranischen Bevölkerung verteidigen.

Die Rolle der UNO

Beim diplomatischen Vorspiel des Krieges lassen sich viele Parallelen zum Irak-Krieg ziehen. Während für Bush wie immer „alle Optionen auf dem Tisch liegen“, befürwortet die EU eine diplomatische Lösung. China und Russland sind zurückhaltend, stellen sich aber (bisher) gegen eine Aggression des Imperialismus. Seit einigen Monaten hat ein „Europa-Quartett“ mit EU, Frankreich, Großbritannien und Deutschland mit dem Iran verhandelt. Als Kompromiss sollte Russland für den Iran Spaltmaterial anreichern, damit das Problem einer eigenen iranischen Atomindustrie entschärft wird - ohne Erfolg. Besonders die Europäer können kein gesteigertes Interesse am Krieg haben, schließlich sind Länder wie Frankreich, Deutschland oder Italien die maßgeblichen Wirtschaftspartner des Iran. Seit dem amerikanischen Boykott von 1978 haben sich die Europäer diesen Markt unter den Nagel gerissen - allein Deutschland erwirtschaftet pro Jahr mehr als 8 Mrd. Euro Überschuss im Handel mit dem theokratischen Regime in Teheran.

Ähnliches gilt für China und Russland. Beide liefern Waffen in den Iran, so z.B. Russland Luftabwehrsysteme mit über 20.000 Raketen. China ist vor allem von den Energieexporten des Iran abhängig.

Die UNO hat einen Gesandten in den Iran geschickt. Vor dem Irak-Krieg war es UN-Botschafter Blix, heute ist es der Generalsekretär der Atomaufsichtsbehörde El Baradei, der vor der UNO berichten wird. Als nächster Schritt wird eine Resolution verfasst, die dem Iran eine eigene Atomforschung und -nutzung untersagt und von den imperialistischen Staaten unterschiedlich interpretiert werden kann. Besonders Deutschland versucht, seine eigenen Sicherheitsrats-Ambitionen zu untermauern und will als Vermittler im Irankonflikt eine vordere Position einnehmen und sich auf globaler Ebene profilieren.

In Moskau finden Vorbesprechungen der ständigen Sicherheitsrats-Mitglieder und weiterer G8-Staaten statt. Dort wird intensiv an künftigen gemeinsamen Formulierungen gefeilt, auch der Besuch von Chinas Präsident Hu in Washington gilt als Abstimmung mit der Veto-Macht.

Imperialistische Interessen

Der Iran ist der viertgrößte Ölförderer der Welt. Täglich werden 4 Millionen Barrel Öl geliefert, d.h. 5% des globalen Verbrauchs kommen aus dem Iran. Zugleich besitzt das Land die zweitgrößten Erdgasvorkommen auf der Erde. Auch geostrategisch ist der Iran von Bedeutung. Der Persische Golf und die Straße von Hormuz - eine Meerenge von weniger als 50 km Breite - sind Hoheitsgebiete des Landes.

Der amerikanische Imperialismus ist abhängig von der Kontrolle der Ölvorkommen im Mittleren Osten, ein möglicher Krieg gegen den Iran ist für die USA zur Sicherung der eigenen Vormachtstellung in dieser Region entscheidend. Speziell die asiatischen Verbündeten der USA, Japan und Südkorea, sind abhängig von den Ölressourcen des Iran - zusammen erhalten sie ca. 20% der iranischen Exporte.

In der amerikanischen Strategie zur Sicherung der globalen Energieressourcen nimmt der Mittlere Osten eine entscheidende Rolle ein: Irak und Iran müssen unter amerikanischer Kontrolle stehen, das ist ein Hauptziel des amerikanischen Imperialismus. Zwar darf daran gezweifelt werden, ob die USA erneut mit einer „Koalition der Willigen“ das Land besetzen wollen - die Aussicht, Bodentruppen in den Iran zu schicken, dürfte manches Land verschrecken. Im Gegensatz zu den relativ schwachen irakischen Streitkräften damals stellt die iranische Armee eine größere Bedrohung dar. Auch würden 150.000 imperialistische Soldaten nicht ausreichen, um die mehr als 60 Millionen IranerInnen zu „befrieden“.

Gleichzeitig könnte sich auch die Situation im Irak weiter verschärfen, ein schiitischer Volksaufstand gegen alle westlichen Besatzer könnte die Folge sein. Daher wird ein Bodenangriff keine bevorzugte Option von Präsident Bush sein; er favorisiert Luftschläge gegen die Atom-Anlagen von Natanz und Isfahan.

Dabei könnten die USA sich auch auf Israel verlassen, dort gilt seit mehreren Jahren ein „Präventivbefehl“, der einen Luftschlag gegen Staaten vorsieht, sobald diese Israel mit Massenvernichtungswaffen bedrohen.

Atomnutzung und Terrorismus

Seit dem Irakkrieg ist uns die These von der Bedrohung durch atomare u.a. Massenvernichtungsmittel durch „Schurkenstaaten“ vertraut. Damals wurde Saddam Hussein unterstellt, er würde Massenvernichtungswaffen an „Terroristen“ wie Al-Quaida weitergeben, heute wird dies dem Iran unterstellt.

Die USA und die westlichen Medien warnen vor der Atombombe in den Händen von „Terroristen“. Wir dürfen nicht vergessen, dass es die „islamische“ Atombombe schon lange gibt, Pakistan ist seit fast 20 Jahren Atommacht und dessen Geheimdienst war der Förderer und Helfer der Taliban im Nachbarland Afghanistan.

Trotz islamistischer Regierungen und verschiedener Militärputsche, durch den auch der heutige pakistanische Präsident Mudscharaff im Amt ist, hat Pakistan die Atombombe nicht weitergegeben. Nur das Wissen der Zentrifugenherstellung hat das Land Richtung Iran und Nordkorea verlassen, bei den eigenen Erfolgen standen Deutschland und Frankreich als Paten der pakistanischen Atombombe zur Verfügung. Bezeichnenderweise hören wir da aber keine amerikanischen Vorwürfe.

Im Gegenteil, die USA paktieren offen mit der pakistanischen Militärjunta. Seit der Öffnung des pakistanischen Luftraums für die amerikanische Luftwaffe im Jahr 2001 gehört dieses Regime zu den Verbündeten der USA und des Westens. Auch Indien wird neuerdings - als Verbündeter der USA an der Südflanke zu China - von den USA hofiert und militärisch und auch atomar aufgerüstet.

An diesen Fakten wird offensichtlich, wie verlogen die Iran-Debatte ist und dass das Vorgehen des Imperialismus nicht dem „Völkerrecht“, der „Sicherheit“ oder anderen humanen Floskeln mehr dient, sondern der Beherrschung und Ausplünderung der Welt dient. Diese Politik ist nichts anderes als die militärische Seite der Globalisierung.

Kein Land der Welt wurde in den letzten Jahren so intensiv von internationalen Institutionen kontrolliert wie der Iran. Jeder Schritt der Atomforschung ist bei der UN-Atombehörde UNEAO protokolliert. Im Gegensatz zu vielen anderen Mitgliedsstaaten ist die iranische Atomforschung unter ständiger Beobachtung und Kontrolle.

Was weiß die Weltöffentlichkeit bspw. über die „Mininukes“ (Minikernwaffen) der USA? Was sagen die Medien, was sagt die UNO zur atomaren Verseuchung von Regionen im Irak oder auf dem Balkan durch den Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran durch die USA?! Werden die Pläne Russlands, seine atomaren Streitkräfte zu modernisieren von Institutionen wie der UNEAO überwacht? Gibt es eine Kontrolle der neuen amerikanisch-indischen Nuklearabkommen?

Die imperialistischen Staaten benutzen die Kontrolle über die technische und militärische Nutzung der Atomkraft: wenn gute Geschäfte abfallen, wie für europäische Konzerne in China, oder wenn es eigene militärische Interessen gibt, wie in Indien, spricht keiner im Westen von einer atomaren Bedrohung. Wenn aber ein Entwicklungsland wie der Iran seine Energieversorgung verbreitern will und schon heute eine Alternative zu fossilen Energieträgern besitzen möchte, wird dem Land eine aggressive Politik unterstellt und die friedliche Nutzung der Atomkraft gilt als direkter Hinweis für die Existenz von Atomwaffen.

Doch selbst wenn der Iran eine militärische Nutzung der Atomspaltung anstreben sollte, würden wir jede imperialistische Einmischung ablehnen und bekämpfen. Die USA, die BRD, die EU oder sonstige imperialistische Staaten wollen ein iranisches Atomprogramm oder gar eine Nuklearbewaffnung nur verhindern, weil es – wie das Beispiel Nordkorea zeigt – den Spielraum zur Kontrolle dieses Gebietes einschränkt.

Hände weg vom Iran!

Bezeichnend ist auch die neueste Argumentation von US-Außenministerin Rice. Sie sieht einen möglichen Militärschlag gegen den Iran gar als Akt der „Selbstverteidigung“.

So wird, unabhängig von der realen Sachlage, eine permanente Bedrohung der USA - die es aufgrund der militärischen Omnipotenz der USA gegenwärtig ohnehin gar nicht geben kann - konstruiert, gegen die man dann jederzeit vorgehen kann.

Es wird das Recht auf „Selbstverteidigung“ ausgerufen, was jedem Land bei Angriff seiner Souveränität nach der UN Charta formell zusteht. So wird der „Präventivkrieg“ zum „Selbstverteidigungskrieg“ - eine Rhetorik, die uns von früheren imperialistischen Kriegen, z.B. denen Hitler-Deutschlands, bekannt ist.

Ein Angriff auf den Iran wäre ein weiterer Schlag gegen jede Art von Versuch von halbkolonialen Staaten der „Dritten Welt“, sich gegen die räuberischen Interessen des Imperialismus zu stellen und ein gewisses Maß von Unabhängigkeit und Souveränität zu bewahren.

Ein militärischer Erfolg des Imperialismus würde zugleich jeden Widerstand, jede Opposition gegen den Imperialismus, gegen jede Ausbeutung und Unterdrückung schwächen und demoralisieren.

Andererseits würde eine Niederlage von Bush und Konsorten oder die Verhinderung eines Angriffs auf den Iran durch internationale Massenaktionen diesen Widerstand stärken und dessen Selbstbewusstsein heben.

Ein Sieg über den Iran und selbst die Zerschlagung seiner militärischen und atomaren Ressourcen würde bedeuten, dass der Einfluss des Imperialismus in der Region steigt. Auch der berechtigte Kampf der PalästinenserInenn gegen den rassistischen Staat Israel würde dadurch geschwächt. Im schlimmsten Fall würde ein Erfolg der Bush-Pläne die Einsetzung eines servilen Regimes wie im Irak oder gar die Besetzung des Irans bedeuten.

Antikriegsbewegung

Aus all diesen Gründen muss eine starke antiimperialistische Antikriegsbewegung aufgebaut werden, wie dies schon vor dem Irak-Krieg geschah, als weltweit Millionen auf den Strassen waren. Damals hatte das Europäische Sozialforum von Florenz die Initiative ergriffen.

Trotzdem gelang es damals nicht, Bush und Blair zu stoppen. Warum? Zum einen, weil große Teile der Bewegung Illusionen in die „Friedenspolitik“ Deutschlands und Frankreichs hatten, weil die Bewegung zu wenig effektive Aktionen wie Blockaden von Stützpunkten, Häfen usw. durchführte und weil die reformistischen Führungen der Antikriegsbewegung und der Arbeiterklasse - Pazifisten, die Gewerkschaftsspitzen und „linke“ Parteien wie die PDS - sich weigerten, solche Aktionen zu initiieren und einen internationalen Generalstreik zu organisieren.

Diese Fehler müssen überwunden werden! Gerade am kommenden europäischen Sozialforum müssen wir dafür eintreten, eine internationale Koordinierung der Anti-Kriegsbewegung zu schaffen, die am Tag X des Angriffs auf den Iran zu Massendemonstrationen auf der ganzen Welt aufruft und Streiks und Blockaden initiiert, um die imperialistische Kriegsmaschinerie lahmzulegen.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 110, Mai 2006

*  Weltlage: Krise und Klassenkampf
*  Streik im Öffentlichen Dienst: Eine weitere Teilniederlage
*  WASG Berlin: Spreu und Weizen
*  Parteitage WASG/PDS: Neue Arbeiterpartei statt Top Down Projekt
*  Heile Welt
*  Iran: Vor einem neuen Krieg?
*  Kongo und der deutsche Imperialismus: Ein Platz an der Sonne?
*  20 Jahre Tschernobyl: Globaler Störfall
*  70 Jahre Revolution in Spanien, Teil II: Volksfront gegen die Revolution
*  Frankreich: Da war mehr drin!
*  Italien: Prodi hat gesiegt - fürs Kapital