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Europäisches Sozialforum Athen

Olympiade des Widerstands?

Dave Stockton, Neue Internationale 109, April 2006

Das nächst Europäische Sozialforum (ESF) trifft sich vom 4.-7. Mai 06 in Athen. Die Organisatoren erwarten 50.000 BesucherInnen.

Die ESF-Treffen in Florenz (2002), Paris (2003) und - in geringerem Maß - in London (2005) zeigten, über welches Potenzial die internationale Bewegung für den Widerstand gegen die Globalisierung der Konzerne und den aktuell aggressivsten Imperialismus von Bush und Blair verfügt.

Das ESF von London hat die Chance dank des bürokratischen Gekungels der Socialist Workers Party (SWP, in Deutschland Linksruck) mit dem Londoner Labour-Stadtrat die Chance verspielt, die ESF-Bewegung weiter voran zu bringen. Die Veranstaltung blieb ohne nennenswerte Ausstrahlung, weil das ESF für die SWP kaum mehr als eine hochgejubelte Antikriegsdemonstration und Propagandagelegenheit zur Darstellung ihres seichten populistischen Bündnisprojekts namens Respect war. Seitdem hat die SWP praktisch kein Interesse mehr am ESF bekundet.

Respect und dessen angeblichem „Durchbruch“ bei den Kommunalwahlen erhält die ungeteilte Aufmerksamkeit der SWP. Dies ist ein Beispiel für ihre bornierte Haltung zum Internationalismus - und das zu einer Zeit, da Frankreich von Massenaktionen erschüttert wird, die aufs Engste mit dem Widerstand gegen die neoliberale Offensive der Europäischen Union verzahnt sind.

Die anarchistischen und libertären Elemente im ESF haben sich in ihre kleinen utopischen Nischen geflüchtet, wo sie nach Herzenslust ihren Lieblingsideen von „horizontalen antihierarchischen“ Strukturen frönen. Sie haben den Gewerkschaften und den U-Booten der Europäischen Linkspartei komplett das Feld überlassen. Anstatt deren Ambitionen, das ESF nur als neoreformistische Denkfabrik zu missbrauchen, zu kritisieren und ein entschlossenes Konzept zur Initiierung und Koordinierung von massenhaftem internationalem Widerstand dagegen zu setzen, blockieren sie das Entstehen wirklich demokratischer und handlungsfähiger Strukturen durch ihre pseudo-demokratischen, unverbindlichen „Horizontalen“.

Chancen

Für all jene aber, die nicht im Reformismus oder in „Horizontalen“ stecken bleiben wollen, sondern aufstehen und dieses System bekämpfen wollen, bietet Athen eine neue Chance.

Eine der Hauptaufgaben des Athener Sozialforums wird die Rückkehr des Antikapitalismus in das ESF und der Aufbau eines koordinierten gesamteuropäischen Widerstands sein. Bestehende Kämpfe, v.a. jener in Frankreich, machen klar, dass genügend Kräfte für diese Aufgabe vorhanden sind. Die Kämpfe müssen aber bewusst organisatorisch vereinigt werden!

Das einzige Organ im ESF, das Beschlüsse fassen kann, ist die Versammlung der Sozialforen, die auch die millionenfachen Proteste vor dem Irak-Krieg 2003 in Gang gebracht hatte. Doch auch diese Versammlung muss ihre Verfahrensweisen radikal umgestalten, um eine programmatische Erklärung als wirklichen Aktionsplan erörtern und verabschieden zu können. Ohne einen solchen Plan ist eine politische Vereinheitlichung als Grundlage gemeinsamen Handelns schwer möglich.

Dieser Aktionsplan muss folgende Punkte enthalten:

Koordination des gesamteuropäischen Kampfes gegen die neoliberale Lissabon-Agenda und alle Angriffe auf soziale Errungenschaften;

Widerstand gegen den imperialistischen „Krieg gegen den Terror“, gegen die Besetzung des Iraks, Palästinas und Afghanistans und den drohenden Angriff auf den Iran. Aktive Solidarität mit dem Widerstand gegen die imperialistischen Angriffe;

Kampf gegen die Angriffe auf demokratische Rechte, z.B. das Recht von Nationen wie der Basken und Kurden auf Selbstbestimmung! Verteidigung von Asylsuchenden und Einwanderern, Verteidigung der Rechte von Frauen, Jugendlichen, Homosexuellen, die attackiert werden!

Zugleich müssen antikapitalistische und revolutionäre TeilnehmerInnen auf dem ESF ihre Kräfte bündeln und die Versuche der europäischen Linkspartei bekämpfen, das ESF auf ein reformistisches Programm der Klassenkollaboration einzuschwören und jede verbindliche Aktionsorientierung und dementsprechende Beschlüsse zu blockieren.

Die italienische Partei Rifondazione Comunista, die PDS/Linkspartei in Deutschland, die griechische reformistische Partei Synaspismos, die KP Frankreichs wollen das ESF mit ihrem Programm dominieren.

Die von italienischer Seite vorgeschlagene „Charta für ein anderes Europa“ und die von Frankreichs Reformisten initiierte Petition sind nur zwei Varianten ein und derselben Grundlinie. Ihre Strategie läuft auf eine Regierungsbeteiligung mit angeblich anti-neoliberalen bürgerlichen und sozialdemokratischen Parteien hinaus.

Rifondazione hofft, noch vor dem ESF in die Regierung mit einer Neuauflage der Olivenkoalition aus den 90er Jahren eintreten zu können. Die KPF glaubt, dasselbe 2007 vollbringen zu können. Das wäre nichts anderes als eine Neuauflage der alten stalinistischen Volksfrontidee, also einer Regierungskoalition mit den „fortschrittlichen Teilen“ der herrschenden Klasse. Der Unterschied wäre nur, dass sie jetzt nicht mehr wie vor und nach dem 2. Weltkrieg „antifaschistisch“, sondern „anti-neoliberal“ genannt würde. In jedem Fall wäre das - wie schon immer - ein Verhängnis für die antikapitalistische Bewegung. Wie in den Volksfrontregierungen der späten 40er Jahre würde eine solche Politik unvermeidlich zur Unterordnung unter die Interessen der herrschenden Klasse (genauer unter ihren vorgeblich „anti-neoliberalen“ Teil führen).

Im Amt würden diese Parteien wie derzeit die Linkspartei z.B. in Berlin ihre eigenen neoliberalen Kürzungen mit dem Argument des „kleineren Übels“ gegenüber offen rechten Parteien begründen und jeden wirkungsvollen Widerstand dagegen behindern und sabotieren.

Zuspitzung

Hinzu kommt, dass die Bourgeoisie in Europa ihre Beziehungen zur Arbeiterklasse stärker „amerikanisieren“ muss, d.h. Löhne kürzen, den Arbeitstag verlängern, Produktion verlagern, den „Sozialstaat“ zerschlagen und das Gesundheitswesen privatisieren muss, wenn sie international konkurrenzfähig bleiben will.

Die meisten größeren Ökonomien Europas treten fast auf der Stelle, selbst im Aufschwung des Konjunkturzyklus. Das eröffnet keinerlei Spielraum für ernsthafte und längerfristige Zugeständnisse der Herrschenden an die Arbeiterklasse, auch wenn damit kurzfristige Erfolge keineswegs ausgeschlossen sind, falls das den Herrschenden zur Abwendung einer Bedrohung der eigenen Macht notwendig erscheint, wenn ArbeiterInnen massenhaft zur Aktion schreiten.

In den nächsten Jahren werden wir daher eine wachsende Reihe von angespannten Klassenkämpfen auf dem Kontinent erleben. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, auch mittels des ESF die Organisierung und Verbindung des Klassenkampfes international voranzutreiben und gegen all jene Konzepte und Kräfte zu kämpfen, die das hintertreiben!

Die kapitalistische Globalisierung macht den Aufbau einer neuen internationalen politischen Bewegung und  neuer Kampfparteien der Arbeiterklasse umso notwendiger. Jeder Rückzug in die nationale Isolation führt in die sichere Niederlage. Wir brauchen eine neue revolutionäre Internationale, eine Fünfte Internationale, welche die wichtigsten revolutionären Lehren der voran gegangenen vier Arbeiterinternationalen in sich trägt.

Das ESF ist ein Forum, wo antikapitalistische Kräfte sich gemeinsam dieser Aufgabe stellen und sie organisiert anpacken können - vorausgesetzt, eine ernsthafte und ehrliche Debatte über das Programm wird in Gang gesetzt; vorausgesetzt, koordinierte Aktionen begleiten jeden Schritt. Zentral ist dabei, dass die sich als revolutionär verstehenden Kräfte dabei zusammen wirken, um den Prozess voran zu treiben.

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Nr. 109, April 2006

*  Öffentlicher Dienst: Wie kann ver.di den Kampf gewinnen?
*  Tarifrunde 2006:Metaller in den Streik!
*  Programmtische Eckpunkte WASG/Linkspartei: Ein reformistischer Wunschkatalog
*  Linksparteifusion: Hände Weg von der WASG-Berlin!
*  Pseudo-Demokratie: Nein zur manipulativen Urabstimmung!
*  Asylrecht: Universalwaffe Terrorismusvorwurf
*  70 Jahre Revolution in Spanien, Teil 1: Der Weg zur Revolution
*  Europäisches Sozialforum Athen: Olympiade des Widerstandes?
*  Heile Welt
*  Massenstreiks: Frankreich im Ausstand