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Frauen in Polen

Kirche, Küche, Kinder

Helga Müller, Neue Internationale 103, August/September 2005

In Polen herrscht Massenarbeitslosigkeit. Ende März 2002 lag sie bei 18,1 %. Die Arbeitslosigkeit unter Frauen ist besonders hoch. Ende März 2002 waren 51,4 % aller Erwerbslosen Frauen, obwohl Frauen eine bessere Ausbildung als Männer haben: 39,1 % der arbeitslosen Frauen haben eine mittlere oder höhere Bildung, bei den Männern sind es nur 21,5 %. Auch von Langzeitarbeitslosigkeit sind Frauen häufiger betroffen als Männer: 57,3 % der bei den Arbeitsämtern gemeldeten Frauen suchten Ende März 2002 schon länger als 12 Monate eine Beschäftigung.

Auch vier Jahre Regierung des Linksbündnisses SLD ("Vertretung der Demokratischen Linken") mit der UP ("Arbeitsunion")haben zu keiner Verbesserung der Lage geführt. Die Arbeitslosigkeit liegt mittlerweile bei 19,5 % nach offiziellen Angaben, ein Drittel dieser 10,5 Millionen Erwerbslosen ist jünger als 28 Jahre. Nach einer Untersuchung des Statistischen Amtes in Warschau, die Anfang des Jahres veröffentlicht wurde, leben 23 Millionen an oder unterhalb der Armutsgrenze, das sind fast 60 % der polnischen Bevölkerung.

Frauen und Beruf

Fünf Millionen Menschen leben unter dem Existenzminimum. Durch die niedrigen Löhne geraten  zahlreiche Familien in Armut, obwohl zumindest ein Familienmitglied arbeitet! Gleichzeitig legte das Wirtschaftswachstum 2004 um 5,5 Prozent zu – die polnischen Spitzenunternehmen konnten in ihren Jahresabschlussbilanzen Rekordgewinne verbuchen. Die Schere zwischen Arm und Reich wird auch in Polen immer größer.

Das ist kein Wunder, denn die neue Linke, die nach den Parlamentswahlen 2001 mit einem großen Vertrauensvorschuss von 41 % - was für das polnische Wahlsystem eher ungewöhnlich ist - in die Regierung gewählt wurde, hat die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik ihrer konservativen Vorgängerregierung der "Wahlaktion Solidarität" (AWS) fortgeführt.

Die sozialen Gegensätze haben sich weiter verschärft, die Mindestlöhne, die in Polen ohnedies sehr niedrig sind – sie liegen bei etwas mehr als 200 Euro – sind weiter gesunken, das Gesundheitswesen liegt in Agonie, das Arbeitsrecht wurde weiter dereguliert, der Privatisierungskurs weiter fortgesetzt. Aufgrund ihrer Orientierung auf eine Mitgliedschaft Polens in der EU, mussten Landwirtschaft und Industrie umstrukturiert werden, was mit Lohnsenkungen und Massenentlassungen bezahlt werden musste.

Reaktionäres Frauenbild

In dieser Konstellation haben es Frauen in Polen besonders schwer. In der stalinistischen Volksrepublik Polen existierten einige Rechte für Frauen - auch wenn nicht wirklich  gesellschaftliche Gleichberechtigung erreicht war. Es gab freien Zugang zu Bildung und Beruf, dementsprechend war die Berufstätigkeit von Frauen - wie in allen "Ostblockstaaten" - sehr hoch. Es gab staatliche Kinderbetreuung, auch wenn den Frauen auch hier die Hauptverantwortung für die Erziehung der Kinder oblag und es gab das Recht auf Abtreibung.

Doch der erneuerte Kapitalismus und die damit verbundene Verstärkung des traditionell ohnehin starken Einflusses der katholischen Kirche auf die Gesellschaft, brachte 1993 die Verschärfung des Abtreibungsrechts.

Abtreibungen

Abtreibung ist nur noch unter ganz bestimmten Bedingungen erlaubt: nach einer Vergewaltigung, wenn es Komplikationen in der Schwangerschaft gibt oder das Leben der Frau bedroht ist. Selbst bei legalen Schwangerschaftsabbrüchen dürfen ÄrztInnen nach ihrem "Gewissen" entscheiden und diese verweigern.

Das führt dazu, dass Abtreibungen oft illegal und unter schlechten medizinischen Bedingungen erfolgen. Zudem sind diese sehr teuer, die Kosten für einen Eingriff belaufen sich auf durchschnittlich einen Monatslohn oder sogar mehr, so dass sich das nur Frauen aus bestimmten sozialen Schichten leisten können. Außerdem gibt es in Polen keinen guten Aufklärungs- und Sexualunterricht in den Schulen, Verhütungsmittel sind sehr teuer.

Darüber hinaus ist das Bild der Frau in Polen sehr konservativ – geprägt durch die Geschichte Polens im Kampf um seine Unabhängigkeit und durch die katholische Kirche. Im Zuge der polnischen Befreiungskriege des 19. Jahrhunderts bildete sich ein Bild der polnischen Frau heraus, das deren Wert durch das Gebären von Söhnen und durch die Bewahrung "der" polnischen Kultur bestimmt.

Dieser Frauenmythos der "Matka Polka" – der Mutter Polin – hat bis heute überlebt und ist ein Symbol von Kraft und Aufopferung und dem Verzicht auf eigene Bedürfnisse zugunsten "höherer Güter". Dieser Mythos hat im Bewusstsein der polnischen Gesellschaft die Überzeugung genährt, eine "starke" Frau ist jene, die die Rolle der Ehefrau und Mutter in der Familie einnimmt. In Wirklichkeit aber rechtfertigt er die überlieferte Rollenteilung von Mann und Frau und die Abwesenheit von Frauen im öffentlichen Leben.

Rolle der Kirche

Auf der anderen Seite übt die katholische Kirche einen immensen Druck auf die polnische Gesellschaft aus. Ihre Auffassung der gesellschaftlichen Ordnung besteht u.a. darin, dass eine Familie kinderreich, ohne Scheidungen und Schwangerschaftsabbrüche zu sein hat. Zusammen mit den harten Arbeitsmarktbedingungen übt diese Auffassung einen starken Druck auf die Familie aus, u.a. dadurch nehmen Alkoholismus und Gewalt gegen Frauen in Familien erschreckende Ausmaße an.

Diese Situation wird relativ gleichgültig registriert, es gibt kaum Frauenhäuser, in die sich Frauen allein oder mit ihren Kindern zurückziehen können. Auch der rechtliche Schutz gegen Gewalt gegen Frauen ist in Polen weit schlechter als etwa in Deutschland.

Frauen in Polen sind sehr gut qualifiziert, erhalten aber oft einen unter ihrer Qualifikation stehenden Beruf. Sie verdienen im Durchschnitt 20 % weniger als Männer bei gleicher Arbeit. In der Industrie liegen die Frauenlöhne sogar bis zu 40 % unter denen der Männer. Frauen sind hauptsächlich in den Dienstleistungssektoren beschäftigt, die sich durch niedrige Löhne auszeichnen und am stärksten von der Krise der öffentlichen Finanzen betroffen sind.

Zudem erhalten sie oft nur befristete Jobs. Auch bei der Einstellung werden Frauen benachteiligt, da man vor allem bei jüngeren Frauen befürchtet, dass sie ihr Berufsleben zugunsten der Familien opfern. Sie bekommen oft eine kleinere Rente, da sie aufgrund der niedrigeren Löhne und Gehälter weniger einzahlen und Frauen bereits mit 60 statt wie Männer mit 65 Jahren in Rente gehen. Im Durchschnitt sind die Renten für Frauen 30 % niedriger.

Obwohl polnische Frauen in der Mehrheit Vollzeit arbeiten und das auch wollen, wird dies immer schwieriger, vor allem für jüngere Frauen, da Kinderbetreuungsplätze immer rarer werden - aufgrund der massiven Kürzungen im öffentlichen Bereich. 

Berufstätige Frauen haben zwar das Recht auf Mutterschaftsurlaub, aber aus finanziellen Gründen können sich das Frauen praktisch nicht leisten.

Eine Verbesserung der Lage der Frauen ist in nächster Zukunft nicht anzunehmen. Im Gegenteil: der bevorstehende Sieg des rechten Flügels bei den Wahlen und damit auch die Zunahme des national-katholischen Denkens in der polnischen Gesellschaft wird die Situation für Frauen eher noch verschlechtern.

Wenn die neoliberale "Bürgerplattform" (PO) und die rechtskonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit (PiS) heute die Regierungspolitik von rechts kritisieren, machen sie zugleich klar, dass sie den Kürzungs- und Privatisierungskurs ihrer Vorgängerregierung weiterführen  werden. Eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts, das Anfang dieses Jahres von der regierenden SLD eingebracht und vom Parlament abgelehnt wurde, wird es auch unter der wahrscheinlichen neuen Rechtsregierung nicht geben.

Es gilt als sicher, dass beide Parteien nach den Wahlen – in der sie laut Umfragen 20 bis 25 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können – eine Koalition eingehen werden. Insbesondere will die PiS eine umfassende autoritäre Transformation der polnischen Gesellschaft durchsetzen, was bei den anderen rechten Parteien, der PO und der erz-katholischen, offen antisemitischen "Liga der Polnischen Familien" (LPR) - Umfragen sehen sie bei ca. 16 Prozent -auf Unterstützung trifft.

Welche Antworten?

Die Lebensbedingungen und Rechte von Frauen - besonders der proletarischen - in Polen sind mit der kapitalistischen Restauration spürbar schlechter geworden. Daran kann nur etwas geändert werden, wenn der Kampf für die Befreiung der Frauen, für die Ausweitung ihrer Rechte und die Verbesserung ihrer realen Lebenslage ein zentraler Teil des Abwehrkampfes der Arbeiterbewegung gegen die neoliberale Kürzungspolitik und die Angriffe von Kapital und Regierung werden.

Das schließt ein, gegen männliche Vorurteile jeglicher Art auch in der Arbeiterklasse selbst und in deren Organisationen anzugehen. Dazu muss eine Kampagne gegen den reaktionären Einfluss der Kirche v.a. auch in den Gewerkschaften geführt werden. Dazu gehören z.B. Forderungen nach dem Recht auf separate Treffen und Organisationsmöglichkeiten für Frauen in den Gewerkschaften. Diese Treffen können dazu beitragen, dass Frauen ihre Interessen und Forderungen besser artikulieren können.

Organisierung

Um Frauen im Kampf zu organisieren, um die Arbeiterinnen in den Fabriken und Büros, die StudentenInnen an den Unis und die Frauen auf dem Land in den Kampf gegen die Angriffe von Kapital und Staat und die klerikale Reaktion zu ziehen, ist der Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung dringend notwendig. Diese muss von den Organisationen der Arbeiterbewegung wie von der polnischen Linken unterstützt werden.

An die Organisationen der Arbeiterbewegung muss die Forderung gestellt werden, auf "Rücksichten", Bündnisse und Vereinbarungen mit der Kirche zu verzichten. Sie müssen aufgefordert werden, für die Gleichberechtigung von Frauen einzutreten. Wichtige Forderungen dabei wären u.a:

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit!

Kostenlose Kinderbetreuungsmöglichkeiten!

Abschaffung jeder Art von Einschränkung der Abtreibungsmöglichkeiten! Kostenlose Verhütungsmittel!

Aktive Gegenmobilisierung gegen sexistische, klerikale und halbfaschistische Kampagnen zur Beschneidung der Rechte der Frauen!

Die Integration Polens in die EU muss dazu genutzt werden, für die Durchsetzung der jeweils höchsten europäischen Standards bei Rechten für Frauen einzutreten und den Kampf grenzübergreifend zu führen.

Die jüngste Geschichte Polens ist ein markantes Beispiel dafür, wie sogar die begrenzten Errungenschaften zur Gleichberechtigung von Frauen unter dem Stalinismus durch die Wiedereinführung des Kapitalismus untergraben wurden. Unter dem Deckmantel des "neuen" Kapitalismus wirken all die jahrhundertealten reaktionären Denkweisen und Traditionen weiter, welche Frauen benachteiligen und ihre systematische Unterdrückung festigen.

Auch am Beispiel Polen zeigt sich: Keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus, kein Sozialismus ohne Frauenbefreiung!

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Nr. 103, Aug./Sept. 2005


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*  Aktionsprogramm: Vom Abwehrkampf zur sozialen Revolution!
*  Wahlkampf 2005 und die Linke: Mitschwimmen und absaufen
*  SPD, DGB, Linkspartei und Mindestlohn: Wer bietet weniger?
*  VW-Skandal: Boulevard und Billiglohn
*  Frauen und Polen: Kirche, Küche, Kinder
*  AFL-CIO-Spaltung: "Kings of Labor" entzweit
*  Hugo Chavez: Der neueste Prophet
*  Heile Welt
*  Sozialforum in Erfurt: Reformismus von unten oder Widerstand gegen den Generalangriff?