Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Linksbündnis

Neue Chance - für wen?

Jürgen Roth, Neue Internationale 102, Juli/August 2005

Noch am Abend des 22. Mai im Anschluss an die Wahlschlappe in NRW verkündeten Kanzler Schröder und SPD-Chef Müntefering, angesichts des "strukturellen Patts zwischen Bundestag und Bundesrat" im Parlament die Vertrauensfrage zu stellen, um Neuwahlen einzuleiten. Nach dem inzwischen erfolgten Mißtrauensvotum ist der Weg zu Neuwahlen frei, sofern Bundespräsident Köhler den Bundestag auflöst und das Bundesverfassungsgericht keine Einwände erhebt, wovon auszugehen ist.

Der Überraschungscoup verfolgte jedoch ganz andere Ziele als angekündigt. Das Patt zwischen den beiden Parlamentskammern war lange schon Geschäftsgrundlage einer informellen großen Koalition für die Umsetzung der neoliberalen Agenda. Was würde sich daran durch einen erneuten Wahlerfolg der Regierungskoalition ändern? Nach acht verlorenen Landtagswahlen in Folge hieß es aus den Reihen von Rot/Grün auch immer nur: "Durchhalten! Die Strukturreformen müssen erst greifen."

Diese gegen die Mehrheit der Bevölkerung und Massenbasis der SPD gerichtete Politik produzierte mit dem Abbröckeln der Unterstützung innerhalb der Arbeiterschaft auch ein Dilemma für die Bourgeoisie. Für die aus ihrer Sicht notwendigen noch schärferen Angriffe (Kündigungsschutz, Flächentarif, Kopfpauschale…) ist keine besonders handlungsfähige Regierung vorhanden. Zugleich sollen Neuwahlen zu einer stärkeren "demokratischen" Legitimation der noch heftigeren neoliberalen Offensive genutzt werden.

SPD und Wahl

Die SPD wiederum instrumentalisiert die Wahlen, um ihre Unterstützung unter den Lohnabhängigen zu verbessern, sich als bürgerliche Arbeiterpartei wieder zu regenerieren. Der bevorstehende "Lagerwahlkampf" gegen "Schwarz-Gelb" wird auch dazu genutzt, um die Parteilinke und die Gewerkschaftsbürokratie zum Ducken zu zwingen, ihre Kritik an der "sozial unausgewogenen" Politik verstummen zu lassen. Damit soll auch eine weitere Erosion der Partei nach links verhindert werden.

Vor allem Lafontaine erkannte die Gunst der Stunde, ja geradezu den Zwang zum Handeln und stellte sich für ein vereintes Linksbündnis mit der PDS gegen seine alte Partei zur Verfügung. Die "Linkspartei" hat auf jeden Fall für Bewegung auch in der deutschen Linken gesorgt.

Bündniskonstruktion

PDS und WASG haben eine offene Liste auf Basis der PDS vereinbart. Damit die WASG ihr Gesicht besser wahren kann, nennt sich die PDS in LINKSPARTEI um. Nach der Bundestagswahl sollen Verhandlungen zwischen beiden Parteien mit dem Ziel der Fusion binnen 2 Jahren aufgenommen werden. Dies alles bedarf noch des Absegnens durch die Mitgliederbasis beider Parteien (Sonderparteitage, Urabstimmungen).

Innerhalb beider Parteien gibt es zwar mehrheitlich Zustimmung zum linken Wahlbündnis, aber auch erhebliche Vorbehalte gegen die jeweilige BündnispartnerIn. Die linken Flügel beider Parteien sind teils dafür, teils dagegen. Die Argumente der SkeptikerInnen sind teilweise progressiv.

So befürchtet die Kommunistische Plattform in der PDS den Verlust an sozialistischem Profil der Gesamtpartei. Die SAV in der WASG geißelt die Regierungsbeteiligung der PDS in Berlin und Schwerin, und deren Mitwirken an den Sozialkürzungsplänen. Die Kommunistische Plattform hält sich mit ihrer Kritik an ihrer Mutterpartei PDS dagegen sehr zurück. Für die SAV ist Lafontaine offenbar ein Hoffnungsträger. Wie sonst kann man - zurecht - die PDS für ihre Teilnahme an neoliberalen Landesregierungen kritisieren und deshalb gegen eine gemeinsame Kandidatur von WASG und PDS auftreten, während Oskars Rolle als Finanzminister in einer solchen Bundesregierung bis zu seiner kampflosen Kapitulation vor den Unternehmerverbänden offensichtlich kein Hindernis für eine gemeinsame Kandidatur ist?

Andere Parteilinke (Geraer Dialog; Linksruck, isl) unterstützen das Projekt hingegen ohne Wenn und Aber. Ein eigener Entwurf für eine Wahlplattform wird erst gar nicht in Erwägung gezogen. Linksruck und isl haben schon Routine darin, verteidigten sie doch die neokeynesianische Plattform des WASG-Bundesvorstands gegen sozialistische KritikerInnen.

Ebensowenig stört diese Linken die völlige Ausrichtung auf parlamentarische Opposition oder die Tatsache, dass der linke Vorturner Gysi erst bereit war, als Berliner Wirtschaftssenator den Sozialabbau mit zu organisieren, um bald den ersten Vorwand zu nutzen, aus der Schußlinie der Kritik zu flüchten.

Weder PDS noch WASG wollen eine Kampfpartei, wollen eine aktive Klassenvorhut sein. Das Terrain ihrer Spitzen sind nicht Betrieb, Gewerkschaft, Schule, Universität oder Straße, sondern die Sesselreihen des Berliner Reichstagsgebäudes. Soviel ist im Vorfeld schon sicher. Das zeigt ein Blick in Wahlmanifest, Programm und Leitantrag des Bundesvorstands der WASG. Das zeigen Politik und Praxis der PDS.

Erneuerter Klassenkompromiss?

"Im Zentrum unserer Politik stehen die Erhaltung und die grundlegende Erneuerung des Sozialstaates. Er ist eine wesentliche zivilisatorische Errungenschaft. Lange und erbitterte gesellschaftliche Auseinandersetzungen haben ihn im vergangenen Jahrhundert zwar noch nicht verwirklicht, aber doch Wesentliches durchsetzen können. Den Sozialstaat sichern, heißt, ihn für die Bedingungen im 21. Jahrhundert weiter zu entwickeln." (Wahlmanifest der WASG)

Der "Sozialstaat" war und ist eine bürgerliche Lüge! Nicht der Staat der herrschenden Klasse hat die Arbeiterschaft mit Sozialleistungen beglückt, sondern umgekehrt deren fortschreitende Organisierung und Erfolge haben diesen zu Zugeständnissen gezwungen. Das wurde zugleich damit erkauft, dass die Arbeiterbewegung in den bürgerlichen Staat integriert wurde - im Wesentlichen über die "Verstaatlichung" ihrer Führung, der verbürgerlichten sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsbürokratie!

Diese Form des Klassenkompromisses erfolgte also einerseits um den Preis des Stillhaltens, der Friedhofsruhe, der Abkehr vom Klassenkampf und v.a. von jedem Gedanken an Revolution und Unversöhnlichkeit der Gegensätze zwischen Lohnarbeit und Kapital. Andererseits war das Modell "deutscher Sozialstaat" von den Launen der (Welt-)Konjunktur abhängig. Weil diese immer mehr kriselt (verschärfte Konkurrenz, Überkapazitäten, "Globalisierung"), demontieren Unternehmer und Regierung es nun nach und nach.

Die Linkspartei verteidigt nicht einfach die Errungenschaften der Klasse, sondern vor allem den Sozialpartnerschaftskompromiss, d.h. die Unterordnung des Proletariats unter die Bourgeoisie. Diese Ideologie erschwert aber die kämpferische Gegenwehr der Arbeiterklasse außerordentlich!

Zurück zur alten BRD?

Die Strategie der WASG heißt: zurück zur alten BRD, zum keynesianischen Interventionsstaat. Dafür ist aber heute angesichts der gigantischen Staatsverschuldung und zunehmender Weltmarktkonkurrenz keine Fraktion der Bourgeoisie zu gewinnen: die tonangebenden exportorientierten Großkonzerne sowieso nicht, ebensowenig das stärker vom Binnenmarkt abhängige kleinere mittelständische Kapital. Gerade letzteres setzt nicht auf staatliche Investitionsprogramme zur Belebung des inneren Marktes, sondern auf noch aggressivere Angriffe auf die Beschäftigten!

Das Linksbündnis täuscht die Arbeitervorhut, wenn sie es auf ein Bündnis mit dem mittleren und kleinen "national operierenden" Kapital orientiert. Insofern ist Lafontaines Chemnitzer Rede nicht einfach nur eine Entgleisung. Seine chauvinistischen Tiraden gegen osteuropäische "FremdarbeiterInnen" - ein Begriff aus der NS-Zeit - sind die Zuspitzung einer rückwärts gewandten Perspektive, der Suche nach dem Schulterschluss mit UnternehmerInnen, die es so nicht mehr gibt.

Die Attraktivität der ostdeutschen Landesverbände für Unterwanderungsversuche durch die NPD verliert so ihren geheimnisvollen Charakter. Von Anfang an trieb ein verhältnismäßig einflussreicher Flügel mit populistischer Kleinunternehmerideologie ("Bürger- statt Linkspartei") in der WASG-West sein Unwesen. Auch die Mitgliederbasis der PDS-Ost ist alles andere als immun gegen ausländerfeindliche Einflüsse ("Sozialschmarotzer", "Schmutzkonkurrenz").

Seit April 2004 ging es mit der Bewegung gegen die Agenda 2010 bergab. Sie hatte ihren Zenit überschritten und geriet in die Defensive. Die WASG, selbst ein Spiegelbild des Bruchs von Vorhutelementen mit der SPD, blieb eine Kleinpartei mit 6.000 Mitgliedern, während sie vor ihrer Gründung im März 2004 noch auf ein Rekrutierungspotenzial von mehreren Zehntausend in Umfragen verweisen konnte.

Sie blieb mit ihrer alleinigen Orientierung auf Wahlen der Avantgarde in Betrieb und Gewerkschaft, auf der Straße etc. alles schuldig. Bestenfalls latschte sie bei den Montagsdemos mit. Nirgendwo versuchte sie, den fortgeschrittensten Elementen des Proletariats eine weiterführende Perspektive für ihren Kampf zu weisen, eine Anleitung, eine Führung anzubieten. Kämpfe wie bei OPEL in Bochum wurden sogar mehr oder weniger ignoriert.

Sie scheute vor jedem Kampf gegen die sozialdemokratische Gewerkschaftsbürokratie zurück. Unter diesen Umständen war ihr Abschneiden bei der NRW-Landtagswahl mit 2,2% gerade noch passabel. Die Entwicklungsdynamik hin zu einer neuen Arbeitermassenpartei, in der RevolutionärInnen offen um Herzen und Hirne der fortgeschrittensten Klassenelemente ringen konnten, war zu diesem Zeitpunkt aber natürlich passé. Darum traten unsere GenossInnen aus der WASG aus.

Die "überraschende" Wende in der innenpolitischen Situation bietet nun eine neue Chance, in die kämpferische Bewegung gegen Sozialabbau, in die "Antiglobalisierungsbewegung" und in die Gewerkschaftsopposition wiederholt und verstärkt die Perspektive einer neuen Arbeiterpartei hineinzutragen. Deutlich spürbar sind die Hoffnungen, die diese Schichten in die Wahl eines neuen Linksbündnisses setzen.

Bruch mit der Sozialdemokratie

Das ist ein fortschrittlicher Impuls im Vergleich zu großen Teilen der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft, die trotz alledem der SPD (noch) die Treue halten, als Ausdruck ihres Unmut mit Rot/Grün nur Stimmenthaltung üben oder gar Union oder FDP wählen.

Darum werden wir zur kritischen Wahlunterstützung für die offenen Listen der Linkspartei aufrufen: 1. weil diese Schichten der Klasse das Potential für eine wirkliche Kampfpartei darstellen und 2. so ihre Illusionen in den linken Reformismus am ehesten verfliegen können, weil ihre neue "linke" Führung und Partei in der Praxis getestet werden kann.

Denn klar ist, dass Lafontaine, Gysi und Co. am liebsten bei der ersten Gelegenheit aufgrund ihrer parlamentarisch beschränkten Logik mit der SPD ins Regierungsbett steigen würde. Als Anlass würde ihnen dazu schon genügen, wenn die SPD in der Opposition wieder etwas mehr linke Rhetorik bemüht (Lohnerhöhungen, Verteidigung der Sozialpartnerschaft, Kapitalismusschelte, Ausweitung von ALG 1).

Die Linkspartei ist eine Chance. Ob sie zu einem neuen reformistischen Hindernis für den Klassenkampf wird oder aber den Aufbau einer Arbeiterpartei voranbringt, hängt wesentlich auch davon ab, ob und wie RevolutionärInnen darin eingreifen.

Leserbrief schreiben   zur Startseite

neue internationale
Nr. 102, Juli/August 2005


*  EU in der Krise: Soziales oder sozialistisches Europa?
*  Heile Welt
*  Europäisches Kapital: EU-Champions
*  Linksbündnis: Neue Chance - für wen?
*  PDS/WASG: Von der Linkspartei zur Arbeiterpartei!
*  Revolutionäre Situation: Bolivien in Aufruhr
*  Programmdiskussion: Streitfall Arbeitermiliz
*  Planwirtschaft: Alternative zur globalen Armut
*  Baden-Württemberg: Streik im Öffentlichen Dienst
*  21.-24. Juli: Sozialforum in Erfurt