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21.-24. Juli

Sozialforum in Erfurt

Susanne Kühn, Neue Internationale 102, Juli/August 2005

Das erste Sozialforum in Deutschland findet an einem "Wendepunkt" für die Arbeiterkämpfe, die sozialen Bewegungen und den Widerstand gegen Rassismus und Krieg statt.

Vom 21. bis zum 24. Juli werden hunderte Workshops, Seminare, Konferenzen stattfinden. Mehrere tausende TeilnehmerInnen werden erwartet. Für Jugendliche und Jugendorganisationen wird es einen selbstorganisierten "offenen Raum" an einem zentralen Ort in Erfurt geben.

Unter den unterstützenden Organisationen und Gruppierungen ist das "breite" Spektrum der globalisierungskritischen Bewegung vertreten: Gewerkschaften, linke Parteien, soziale Initiativen, lokale Sozialforen und Bündnisse, attac, christliche Organisationen, linke Immigrantenvereinigungen, anti-kapitalistische sozialistischen, kommunistische und anarchistische Gruppierungen.

Kurzer Rückblick

Seit Schröders Agenda-Rede hat sich in Deutschland eine heterogene Widerstandsbewegung gegen Hartz-Gesetze, Sozialraub, Massenentlassungen, kapitalistische EU-Integration herausgebildet.

Die Höhepunkte der Mobilisierung waren im Herbst 2003, in Frühjahr 2004. Danach konnte v.a. die Gewerkschaftsbürokratie die Bewegung wieder "einfangen", wichtige betriebliche und soziale Kämpfe demobilisieren und ausverkaufen, so dass das Jahr 2004 mit einer Reihe von Teilniederlagen endete (Ausklingen der Montagsdemos, Niederlagen bei Daimler und Opel, ...).

Mit PDS/WASG/Linkspartei hat die Bewegung auch einen elektoralen Ausdruck gefunden, der die Desillusionierung mit der Sozialdemokratie, Wut auf die Herrschenden, aber auch den Rückgang der Mobilisierung auf der Straße widerspiegelt.

Das Sozialforum steht vor der Aufgabe eine Bilanz dieser Bewegung, ihrer Erfolge, v.a. aber auch ihrer Schwächen zu ziehen, um schon im Wahlkampf den Kampf gegen die  Angriffe der nächsten Regierung und des Kapitals vorzubereiten.

Dazu muss das Sozialforum in Erfurt jedoch mehr sein als eine Reihe interessanter Diskussionen und Foren.

Es muss sich an der Frage messen lassen, welchen Beitrag es leistet zur Verbreiterung, Vertiefung und Koordinierung des Widerstandes in Deutschland - in den Sozialbündnissen, Foren, Aktionskomitees, in den Gewerkschaften und Betrieben.

In den letzten Jahren ist der Widerstand in eine Sackgasse geraten, weil die reale Spaltung betrieblicher Abwehrkämpfe und der Aktionen der Erwerbslosen (Montagsdemos) nicht überwunden und zu einem gemeinsamen politischen Kampf gegen die Agenda 2010 vereinheitlicht werden konnten.

Es muss sich zweitens zum Ziel setzen, die neue Linkspartei unter die Kontrolle der sozialen Bewegungen und Arbeiterkämpfe zu bringen - statt umgekehrt!

Um diese Ziele zu erreichen, muss das Sozialforum jedoch selbst mit seinem bisherigen politischen Konzept brechen. Es muss aufhören, nur "Raum" zur Debatte, nur Treffpunkt zu sein, sondern zu einem Ort verbindlicher Aktionsplanung und Koordinierung werden. Die sogenannte "Versammlung der sozialen Bewegungen" am letzten Tag des Erfurter Treffens (Sonntag) muss daher auch zu einem Höhepunkt der Diskussionen werden und einen eigenen Forderungs- und Aktionsplan annehmen, der sowohl eine politische und aktivistische Stoßrichtung für die Arbeit im Herbst liefert, zum anderen auch eine Reihe von Forderungen enthält, die an die Linkspartei gestellt und von ihren KandidatInnen eingefordert werden können und sollen.

Das Sozialforum sollte selbst eine Forderungs- und Mobilisierungsplattform diskutieren. Diese sollte sich an Forderungen ausrichten, die schon in den letzten Jahren (z.B. auf der Frankfurter Aktionskonferenz 2003) verabschiedet wurden und die verschiedenen Aspekte des sozialen, betrieblichen und internationalistischen Abwehrkampfes verbinden können. Sie müssen zweitens in eine Perspektive des europaweiten und internationalen Kampfes eingebunden werden. Wir schlagen dazu folgende Forderungen vor:

Kampf gegen Massenentlassungen, Arbeitslosigkeit, Sozialraub!

Nein zu Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung: Für die Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Für eine europaweite Kampagne zur Einführung der 35-Stundenwoche! Gesetzlicher Mindestlohn 10 Euro/Stunde.

Rücknahme der Hartz- und Agendagesetze! Nein zu Billigjobs und Leiharbeit! Mindestunterstützung von 1000,- Euro netto für alle Arbeitslosen und RentnerInnen.

Kampf gegen alle Entlassungen! Für die entschädigungslose Enteignung aller Unternehmen, die Entlassungen oder Schließungen durchführen wollen unter Kontrolle der Beschäftigten! Gegen alle Privatisierungen und "Teil"privatisierungen!

Freier und kostenloser Zugang zu Bildung und Ausbildung für alle! Umlagefinanzierung zur Sicherung eines betrieblichen Ausbildungsplatzes für alle Jugendlichen!

Gegen Rassismus, EU-Imperialismus,  Krieg und Einschränkung demokratischer Recht!

Nein zur Festung Europa! Weg mit den Gesetzen von Schengen und TREVI! Kampf gegen alle Abschiebungen, weg mit Abschiebeknästen! Nein zu allen Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen! Gleiche Rechte (einschließlich aller politischen Rechte) für alle, die in Deutschland leben! Asylrecht für alle politischen Flüchtlinge!

Weg mit allen rechtlichen Einschränkungen betrieblicher, gewerkschaftlicher und politischer Kämpfe und Streiks!  Weg mit allen "Anti-Terror"-Gesetzen!

Kein Rede- und Versammlungsrecht für Faschisten! Mobilisierung von Arbeiterbewegung und ImmigrantInnen gegen alle Nazi-Aufmärsche und Versammlungen!

Kampf gegen Krieg und Besetzung! Solidarität mit dem irakischen und palästinensischen Widerstand! Bundeswehr raus aus Afghanistan, Bosnien, Kosovo und von Horn von Afrika! Nein zur NATO und zur europäischen Verteidungsunion! Keinen Cent und keinen Euro für die Bundeswehr!

Für den gemeinsamen europaweiten Kampf gegen EU-Imperialismus, gegen die Agenda von Lissabon, Bolkestein (Dienstleistungsrichtlinie)!

Zu Durchführung solcher Aktionen ist mehr notwendig als Diskussionen. Sie müssen in die Betriebe, Büros, Schulen, Unis, in die Stadtteile und Kommunen getragen werden. Dazu brauchen wir Organisationsformen und -strukturen, die Kämpfe vor Ort zusammenfassen und alle aktionswilligen einbeziehen können:

Aktionskomitees, Sozialforen oder Bündnisse, die regional, bundesweit, internationale verbunden sind und als permanente Aktionsbündnisse dienen.

Streikkomitees und eine klassenkämpferische Basisbewegung in den Betrieben und Gewerkschaften, die alle Beschäftigten einbezieht, für eine klassenkämpferische Politik eintritt und als politische Alternative gegen den bürokratischen Apparat in den Gewerkschaften und Betriebsräten agiert.

Schritte dazu wären z.B.: Organisierung einer Konferenz von Vertrauensleuten, aktiven GewerkschafterInnen und ArbeiterInnen aus von der Schließung betroffenen Betrieben wie Alstom, Kone, BSH, ...; eine bundesweite Demonstration gegen Agenda 2010 und Hartz-Gesetze während des SPD-Wahlparteitags.

Diese Bündnisse und Foren müssen allen Organisationen und Gruppierungen der Arbeiterbewegung, der Linken und Unterdrückten offen stehen - insbesondere den politischen Parteien.

Die Linkspartei muss aufgefordert werden, diese Losungen zu unterstützen und dafür einzutreten. So kann sie - wie jede andere Partei - in der Praxis getestet werden. Dazu ist es allerdings auch notwendig, dass Parteien auf den Sozialforen offen auftreten und über ihre Politik diskutiert werden kann.

Das ist aus mehreren Gründen notwendig. Erstens ist dies eine viel bessere Garantie gegen unausgewiesene Vereinnahmungsversuche, weil dann ParteivertreterInnen offen agieren können und müssen, während sie sich gegenwärtig hinter zahlreichen "zivilgesellschaftlichen" Maskeraden verstecken können.

Zweitens ist die Formierung einer politischen Kraft, einer Partei, die sich auf die sozialen Bewegungen und kämpferischer ArbeiterInnen stützt - also eine neue Arbeiterpartei notwendig, wenn wir aus der aktuellen Zersplitterung des Widerstandes und Abwehrkampfes herauskommen wollen. Die Frage ist für uns nicht, ob wir eine Partei brauchen, sondern welche, ob eine weitere "Sozialstaatspartei" oder "Reformkraft" oder ob wir eine revolutionäre Arbeiterpartei brauchen, die auf einem kommunistischen Programm steht.

Die Frage trifft im Übrigen die gesamte Sozialforumsbewegung. Diese reicht bekanntlich von NGOs, bürgerlichen und kleinbürgerlichen Gruppierungen wie Kirchen, attac, etc. über die Gewerkschaften, reformistische Parteien wie PDS, WASG, DKP zur kleinbürgerlich-radikalen Linken, sozialen Bündnissen bis hin zu anti-kapitalistischen, anti-imperialistischen, revolutionären und kommunistischen Kräften.

Kurzum, in der Bewegung findet selbst ein politischer Kampf statt zwischen Kräften, die unterschiedliche Klassen oder Teile von Klassen repräsentieren.

Dieser Kampf muss bewusst geführt werden. Eine politische "Neutralität" zwischen den verschiedenen Weltanschauungen, zwischen reformistischen und revolutionären Ideen und Zielen, zwischen Arbeiter- und "Bürger"politik führt entweder zum Tod der Bewegung oder zu ihrer Integration in das herrschende System.

Daher muss der Kampf für verbindliche Aktionsstrukturen Hand in Hand gehen mit der politischen Auseinandersetzung auf den Seminaren und in den Workshops zwischen "Neo"-Reformismus und Revolution.

 

neue internationale
Nr. 102, Juli/August 2005


*  EU in der Krise: Soziales oder sozialistisches Europa?
*  Heile Welt
*  Europäisches Kapital: EU-Champions
*  Linksbündnis: Neue Chance - für wen?
*  PDS/WASG: Von der Linkspartei zur Arbeiterpartei!
*  Revolutionäre Situation: Bolivien in Aufruhr
*  Programmdiskussion: Streitfall Arbeitermiliz
*  Planwirtschaft: Alternative zur globalen Armut
*  Baden-Württemberg: Streik im Öffentlichen Dienst
*  21.-24. Juli: Sozialforum in Erfurt