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Finanzkrise

Kreditklemme und kapitalistische Krise

Richard Brenner, Neue Internationale 123, September 2007

Im weltweiten Finanzsystem wächst seit längerem die Instabilität. Über den Sommer hat sie sich vertieft. Bedeutet das, dass die lange Expansion der US-amerikanischen Ökonomie zu einem Ende ist?

Diese Frage stellen sich die Händler in der Wall Street, in London, Frankfurt und Tokio, aber auch ArbeiterInnen und Angestellte. Denn wenn es so ist, was bedeutet das für die Arbeiterklasse weltweit?

Die Blase platzt

Am Freitag, dem 1. September, hielten sowohl US-Präsident George Bush als auch der Vorsitzende der US-Zentralbank (Federal Reserve) Ben Bernanke wichtige Ansprachen, die das amerikanische Volk beruhigen und eine Vertrauenskrise im Geschäfts- und Konsumentenbereich verhindern sollten. Aber die Panik war schon da.

Ein Großteil dieser Panik auf den Finanzmärkten rührt von der Krise im „sub-prime-Hypothekenmarkt" in den USA her. Es handelt sich um Kreditinstitute, die Leuten Geld für Wohnungskäufe leihen, die nicht „erste Wahl“ (prime) sind, also eine schlechte Kreditwürdigkeit besitzen. Zeitgleich mit der Zunahme des Besitzes von Eigenheimen in den USA wurde eine ungeheure Menge Geld an Leute verliehen, denen es mittlerweile unmöglich geworden ist, dieses zurückzuzahlen.

Denn die Preise für Eigenheime sind hochgeschnellt, sie haben sich zwischen 1995 und 2005 verdoppelt. Das macht es für amerikanische ArbeiterInnen immer schwerer, ein Haus zu kaufen. Diejenigen, die es gemacht haben, sind bis zum Hals mit Hypotheken belastet. Ein Bericht der Century Foundation von 2004 hat aufgezeigt, dass die Steigerung bei den Hypotheken in der untersten Einkommensgruppe 191 Prozent ausmachte. In Detroit gab es allein im Juli 2007 8.683 Hypotheken, die wieder in den Besitz der Banken kamen, eine Steigerung um 70 Prozent. Es ist klar, dass Hunderttausende, überwiegend ArbeiterInnen, ihr Heim verlieren, wenn sich die Krise zuspitzt.

Bush musste in dieser Situation reagieren. Er erklärte, dass der Kongress dem Bundes-Wohnungsamt (Federal Housing Administration) mehr Macht geben sollte, um Leute mit schlechten Hypothekenbedingungen zu unterstützen. Er bot Steuererleichterungen an, damit  Schuldner neue Kredite finanzieren können und forderte Einschränkungen für die Geldinstitute, um sie davon abzuhalten, an Leute Geld zu verleihen, die dieses nicht zurückzahlen können.

Kann man also jetzt davon sprechen, dass sich Bush plötzlich um die Not der amerikanischen Arbeiterklasse Sorgen macht? Nein! Seine wahre Motivation besteht darin, dass er die Kredit-Krise stoppen will, bevor sie zu einem Zusammenbruch des Finanzsystems und zu einer Rezession in den USA führt. Bernanke hat es am 1. September folgendermaßen ausgedrückt: „Die Turbulenzen auf dem Finanzmarkt haben ihren direkten Ursprung im sub-prime mortgage-Markt, aber die Auswirkungen waren im breiteren Immobilienmarkt und in einem weiteren Sinn auf dem Finanzmarkt zu spüren, mit möglichen Folgen für die Leistungsfähigkeit der ganzen Wirtschaft.“

Das Problem ist, dass die Immobilien-Kredit-Firmen die Wohnungskredite in eine neue Sorte von Schulden verpackt haben, die zusätzliche Schuldenverpflichtungen (Collaterised Debt Obligations) genannt wurden, und an andere Finanzinstitutionen weitergegeben wurden. Niemand weiß, wie viele dieser schlechten Schulden sich im System befinden und wer diese letzten Endes zahlen wird. Viele Banken haben in den letzten zwei Monaten versucht, diese Schulden anderen zu übergeben, haben aber niemanden gefunden, der diese übernehmen will.

Auf ganz ähnliche Weise wurden Geschäftsübernahmen in Milliarden-Höhe auf Eis gelegt, als die Finanzierungsgrundlage sich verschlechterte; die großen Banken - nicht nur in den USA, sondern weltweit - mussten sich plötzlich um ihre eigenen Finanzierungsgrundlagen kümmern.

Krisenmanagement

Die Investoren begannen, riskante Anlagen zu scheuen, um  Geld mit „höherer Sicherheit“ aufzunehmen - d.h. sie nahmen ihr Geld aus dem Umlauf, um es „auf die Bank zu legen“: Wertpapiere statt Aktien, Bargeld statt hochriskanter Derivate. Die Geldmenge im Umlauf verringerte sich, der Kreditmarkt  trocknete aus. Ein führender Manager der amerikanischen Bank Bear Stearns sagte, dass sich die Kreditmärkte in der schlimmsten Unruhe seit 22 Jahren befänden. Eine der größten amerikanischen Kreditinstitute für Eigenheime, die American Home Mortgage, stand kurz vor dem Bankrott; die französische Bank BNP Paribas fror drei ihrer Fonds ein, die 2 Milliarden Euro wert sind, und kommentierte dies damit, dass der Markt für Geldanleihen verschwunden sei. Die Banken sind wie gelähmt.

Schließlich pumpte am 9. August erst die europäische Zentralbank, dann die US-Fed Milliarden in das Bankensystem, um es über Wasser zu halten. Die Börsen nahmen dies als ein Zeichen der Schwäche auf und stürzten in London (wo der Aktienindex FTSE 100 am 10. August fast 4 % seines Wertes verlor), New York, Deutschland, Frankreich und dem asiatischen-pazifischen Raum ab.

Eine Woche später machte die Fed plötzlich eine Kehrtwendung, um an den Börsen wieder ein gewisses Maß an Stabilität zu erreichen. Bis dahin bestand Bernanke darauf, dass die Inflation das Hauptproblem für die US-Wirtschaft sei; steigende Preise würden die Krise im sub-prime Sektor noch schlimmer machen. Eine Reihe von Zinssteigerungen zur Inflationsbekämpfung war im letzten Jahr nur deshalb gestoppt worden, als klar wurde, dass das Wachstum der US-Wirtschaft ins Stottern kommen würde. Das Wachstum der Wirtschaft in den USA verlangsamte sich auf 0,7 Prozent im ersten Vierteljahr des Jahres 2007 - das geringste seit 2003.

Am 16. August senkte Bernanke den Kurs, zu dem sich die Banken im Notfall Geld von der Federal Reserve leihen konnten. In einer Rede am nächsten Tag verlor er kein Wort bezüglich der Inflationsbekämpfung: stattdessen betonte er das Risiko einer allgemeinen Rezession. „Die Konditionen auf dem Finanzmarkt haben sich verschlechtert und strengere Bedingungen, um Kredit aufnehmen und größere Unsicherheit haben das Potential, das anhaltende ökonomische Wachstum einzuschränken (...) das Federal Open Market Komitee beurteilt die Lage so, dass die nach unten weisenden Risiken für das Wachstum enorm angestiegen sind.“

Kurzfristig stoppte das den Preisverfall bei Aktien und stärkte die Hoffnung, dass Bernanke im September den Leitzinssatz absenken würde, um die Wirtschaft zu stimulieren - trotz des Risikos, dass dies die Inflation verstärken würde.

Während viele Investoren diese Situation nutzten, um billige Aktien zu kaufen in der Erwartung, dass diese in die Höhe gehen, waren viele erfahrenere Bankiers und Händler skeptischer.  „Die Orientierung der Fed auf die Inflation zerbröckelt“, sagten Analysten der Rabobank und fügten hinzu: „die Knie von Bernanke fangen an zu zittern.“ Stephen Stanley von RBS sagte, „auf das Risiko hin, den Vorhang des Zauberers zu lüften und diese Geste zu zerstören, muss ich herausstellen, dass ein Schnitt beim Diskontsatz keine Erleichterung ist und von der Mechanik des Systems aus gesehen, nichts bewirken wird.“

Carl Weinberg und Ian Shepherdson von High Frequency Economics sagten, dass der Schritt vermuten lässt, dass Bernanke befürchte, dass eine Institution, die substantielle Bankverbindlichkeiten hätte, die sie selber nicht mehr einlösen kann, spektakulär zusammenbrechen könnte.“

Die letzten Ankündigungen von Bernanke wiederholen seine Behauptung, dass die Hypotheken- und Finanzkrise einen Einfluss auf die wirkliche Wirtschaft haben könnte. Am 1. September sagte er: „Der Rückgang der Bautätigkeit hat die jährliche Steigerungsrate des US-amerikanischen Wirtschaftswachstums um durchschnittlich ca. einen _ Prozentpunkt über die letzten 1 _ Jahre reduziert. Offensichtlich könnte sich, wenn die gegenwärtigen Bedingungen im Immobilienmarkt weiter bestehen, die Nachfrage nach Eigenheimen weiter abschwächen, was wiederum mögliche Folgen für die gesamte Ökonomie haben könnte.“

Jedoch behaupten einige Kommentatoren, dass die Krise im Kreditmarkt eher unwahrscheinlich zu einer Rezession in den USA, geschweige denn auf internationaler Ebene führen könnte, weil die Industrie-Unternehmen nicht sehr hoch bei den Banken verschuldet sind. Diese Annahme geht davon aus, dass ein Mangel an erhältlichen Darlehen die Expansionspläne der Unternehmen nicht beeinflussen wird, da sie keine Kredite von Banken und anderen Finanziers brauchen.

Die Kolumnistin der Financial Times, Gillian Tett, vertrat diese Meinung, als sie am 18. August schrieb, dass der gegenwärtige Trend zu verminderter Kreditaufnahme weniger schmerzvoll sei, weil die großen Unternehmen nicht mit größeren Schulden belastet sind. Tatsächlich ist das Niveau der Unternehmensschulden - gemäß der Zahlen der Bank of International Settlements und der Bank von England - gefallen. Zwischen 2003 und dem letzten Jahr fielen die Schulden von US-Industrie- und Handelsunternehmen vom Höchststand von über 38 Prozent der gesamten Vermögenswerte auf ungefähr 32 Prozent. Nichtsdestotrotz ist dieser Stand immer noch höher als der von 2001, als dieser bei 29 Prozent lag.

Dagegen sind viele der etwas tiefergehenden Kommentatoren skeptischer, was diese optimistischen Aussichten für eine schmerzlose Erholung aus der Kredit-Krise betrifft. Obwohl das Economist-Magazin nicht für seine Zweifel an der Fähigkeit des Systems bekannt ist, seine inneren Widersprüche zu überwinden, kam es nicht umhin, der „optimistischen“ Perspektive eine kalte Dusche zu verpassen. Es verweist auf Analysen der UBS, nach denen ein Prozent Anstieg der Kapitalkosten, zusammen mit einem Fall von 10% der Aktienkurse bzw. der Immobilienpreise, das Wachstum der US-Ökonomie im nächsten Jahr um 2,6% reduzieren und damit die Ökonomie in die Rezession treiben würde. Global fügen sie hinzu: „Die Amerikaner sind immer noch eine große Quelle der Nachfrage für die Welt. Ein starker Rückgang dieser Nachfrage würde weh tun“.

Mit anderen Worten: Auch wenn viele Firmen genug Liquidität haben, um ihre Investitionspläne ohne Kredite zu finanzieren, würde allein der Rückgang der Konsumenten-Kaufkraft den Trend zum ökonomischen Abschwung verstärken. Große Rezessionen beginnen in der Produktionssphäre, werden aber zuerst als Finanzkrisen sichtbar - so wie 1929 und 1987. Es braucht einige Zeit, um dann das Produktionswachstum und dann die Basis der Produktion zu treffen, aber das ist dann schon der Zeitpunkt wenn - zusammen mit einer Reduktion der Konsumtion - die Krise offensichtlich eine Spur der Verwüstung durch die Gesellschaft zieht.

Düstere Aussichten

Was erwartet uns also? Einiges ist bereits klar: Für die US-Arbeiterklasse wird die Zahl der Wohnungspfändungen, von Wohnungslosigkeit, von Elendsquartieren etc. steigen, nachdem schlecht bezahlte ArbeiterInnen keine Kredite zur Wohnungsfinanzierung mehr finden werden. ArbeiterInnen mit mittlerem Einkommen in den USA, Britannien und Spanien werden zwischen unzureichenden Einkommenssteigerungen und steigenden Hypothekenzinsen in die Zange genommen; auch Pensionsfonds sind bereits schwer von den Einbrüchen am Aktienmarkt betroffen. Da die Zentralbanken die Zinsen senken, um der Rezession auszuweichen und die Wirtschaft zu stimulieren, wächst der Druck, zur Vermeidung von Inflation die Löhne und Gehälter weiter niedrig zu halten. So ist erklärlich, warum die britische Regierung unter Gordon Brown in den jüngsten Tarifkonflikten im Öffentlichen Dienst besonders unnachgiebig agierte (z.B. beim Streik der Gefängnisbediensteten Ende August).

Viele bürgerliche Kommentatoren weisen auch auf potentielle Probleme in Rest Europas hin. „Der Ifo-Geschäfts-Index in Deutschland ist im August den dritten Monat in Folge gefallen, genauso wie die Konsumenten-Zuversicht zurück gegangen ist“, schreibt der Economist. Erschreckt von den Gefahren für das deutsche Bankensystem aufgrund der US sub-prime Krise, besonders nach dem Fast-Zusammenbruch der SachsenLB, sagte Angela Merkel in einer Rede in Tokio: „Es ist nicht akzeptabel, dass falsche Risiko-Bewertung an einer Stelle von der gesamten globalen Gemeinschaft zu bezahlen ist.“

Dass dieselbe Frau Merkel, die erst vor kurzem das Loblied auf die Wohltaten der Globalisierung gesungen hat, jetzt solche Bitterkeit über die Wirkungsweise einer global vernetzten Finanzwelt ausdrückt, ist natürlich Ironie. Es ist ein Zeichen dafür, dass in einer tatsächlichen ökonomischen Krise die Kapitalisten gegeneinander darum kämpfen werden, welche Länder oder Regionen die Kosten der krisenbedingten Kapitalentwertung und -zerstörung tragen werden.

Wie wir schon im Juli geschrieben haben, werden die ausufernde Verbreitung komplexer Finanzinstrumente, die Expansion von Kredit und Aktienbesitz, das Wachstum von fiktivem Kapital, die enorme Ausdehnung von Kapitalexport allesamt von den grundlegenden Widersprüchen im Herz des kapitalistischen Systems getrieben. Nachdem mehr Profit entsteht, als profitabel produktiv investiert werden kann, führt dies zu fiktivem Wachstum auf den Finanzmärkten, letztlich zur Finanzkrise; diese wiederum ist nur das Vorspiel für die eigentliche Krise, die durch Kapitalentwertung und -zerstörung versucht, die Bedingungen für profitable Kapitalakkumulation wiederherzustellen.

Wir können nicht sicher vorhersagen, wann die nächste Krise sich vollends entfalten wird, wie lang und tief sie sein wird. Aber wir können sie klar am Horizont erkennen - und müssen uns für den Klassenkampf wappnen.

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Nr. 123, September 2007
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