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Kampf gegen Schließung

Streik bei Norgren - Großbettlingen

Klaus-Kuno Benz, Infomail 711, 23. Oktober 2013

Seit über zwei Wochen befinden sich die KollegInnen eines kleinen Betriebes im Kreis Esslingen am Rande der Schwäbischen Alb im Streik. Was ist passiert?

Das zum britischen IMI Norgren Konzern gehörende Werk mit knapp 120 Beschäftigten in Großbettlingen (Großraum Stuttgart) soll nach dem Willen der Konzernleitung nach zwei gescheiterten Versuchen 2007 und 2009 nun zum Jahresende 2013 endgültig geschlossen werden. Dabei greifen die Bosse dieses Mal ganz tief in die Trickkiste.

Nachdem die Belegschaft, die zu fast 100 Prozent in der IG Metall organisiert ist, durch konsequente Abwehrkämpfe und Streiks beide Male die geplante Schließung ihres Werks verhindern konnte, sieht es dieses Mal richtig übel aus. Bei den letzten Schließungs-Versuchen kam den Beschäftigten noch entgegen, dass ihre Produkte für die Just-In-Time-Fertigung von LKWs dringend benötigt wurden. Dadurch gingen bereits nach kurzem Streik mehreren LKW-Herstellern die Teile aus und die Bänder drohten stillzustehen, so dass die Norgren-Konzernleitung schnell einknickte und eine Beschäftigungssicherung unterschrieb.

Dieses Mal ist die Konzernleitung jedoch besser vorbereitet. Sie errichtete in den letzten Jahren ein zentrales Puffer-Lager im Stammwerk Alpen am Niederrhein, während sie gleichzeitig im tschechischen Norgren-Werk, wohin die Produktion verlagert werden soll, eine Parallel-Fertigung errichtete.

Die „Securities“

Am 30. August bläst die Konzernleitung dann zum Angriff. Die Betriebsratsspitze wird zuvor unter einem Vorwand nach Alpen gerufen, während zur gleichen Zeit die Betriebsleiter den Belegschaften in den Standorten die Schließung des Werks Großbettlingen bekanntgeben. Vor allem aber wurde zu diesem Zwick eine „Sicherheitsfirma“ angeheuert. Deren glatzköpfiges, in schwarzer Kampfmontur gekleidete Personal bewacht ab sofort nicht nur das Werk in Großbettlingen, es tauscht die Schlösser der Werktore aus, übernimmt die Telefonanlage und stellt keine Gespräche mehr durch. Die Beschäftigten werden auf Schritt und Tritt verfolgt, die „Securities“ gebärden sich als „Herren im Haus“. Natürlich „nur zum Schutz“, und „um eine ‚Deeskalationsstrategie’ zu fahren“, erklärt ein Pressesprecher der Konzernleitung diese gewalttätige Entrechtung der Belegschaft und des Betriebsrats.

So entwürdigend und einschüchternd dieses Vorgehen von den Beschäftigten empfunden wird, es stachelt sofort auch den Widerstandswillen an. Umgehend wird die Presse informiert und eine Solidaritätswelle ausgelöst. Die Konzernleitung ist gezwungen, mit ihren Maßnahmen zurückzurudern. Der Betriebsrat kann wieder angerufen werden und die Wachmannschaft muss sich vor die Werktore zurückziehen. Dennoch ist allen klar, dass die Konzernleitung sich generalstabsmäßig vorbereitet hat, um nicht erneut eine Niederlage durch die Belegschaft einzufahren. Denn auch wenn die Presse die Meldung des Konzerns („das Werk wird geschlossen“) als gegeben übernimmt, so ist doch noch nichts entschieden. Die Belegschaft ist kampferprobt, selbstbewusst, gut organisiert und will sich auf keinen Fall geschlagen geben. Zudem braucht der Konzern offenbar auch noch die Produkte, denn nach wie vor werden auch LeiharbeiterInnen eingestellt.

Legale Hindernisse

Wie zahlreiche andere Belegschaften davor, stehen auch die ArbeiterInnen von Norgren vor dem Problem, dass ein Arbeitskampf bzw. ein Streik gegen eine Werkschließung nach deutscher Rechtsprechung nicht zulässig ist. Um diesen Druck zu vermeiden, haben sich die IG Metall Esslingen und die IG-Metall entschlossen, als erstes die Forderung nach einem „Sozialtarifvertrag“ aufzustellen. Für diesen darf nämlich legal gestreikt werden.

Das hat allerdings zwei Pferdefüße: Erstens führt es zu einer Doppeldeutigkeit. Während „eigentlich“ gegen die Schließung und Entlassung gekämpft wird, geht es offiziell um einen „Sozialtarifvertrag“ und damit um Verhandlungen um die Bedingungen eines Personalabbaus. Das macht nicht nur den Kampf schwerer, es erschwert auch die Information der Öffentlichkeit und damit auch den Aufbau von gewerkschaftlicher und gesellschaftlicher Solidarität, weil die Wahrheit über die Angriffe oft genug nur verklausuliert und damit missverständlich vermittelt wird - insbesondere solange das bürgerliche Recht als heilige Kuh gilt.

Selbst die legalen Möglichkeiten - z.B. eine politische Kampagne gegen die Knebel des geltenden Arbeits- und Tarifvertragsrechts - werden von den Gewerkschaften in der Regal nicht genutzt, ja nicht einmal thematisiert.

Zweitens bedeutet es, dass der Kampf „offiziell“ als Kampf für einen „Sozialtarifvertrag“ geführt wird, auch, dass der Einfluss der Gewerkschaftsfunktionäre, ihrer „VerhandlungsexpertInnen“ und juristischen BeraterInnen erhöht und deren Kontrolle über die Verhandlungen gestärkt wird. Damit wird auch die Möglichkeit erhöht, dass hinter dem Rücken einer gut organisierten, kampfbereiten Belegschaft faule Deals angebahnt werden, die dann noch als „juristischer Sachzwang“ dargestellt werden.

Hier offenbart das Tarifvertragsrecht nicht nur seinen Klassencharakter: der Umstand, dass es als Mittel zur Stärkung der Rolle der Gewerkschaftsbürokratie verwandt werden kann, erklärt auch, warum die Gewerkschaften wenig bis nichts gegen diese massive Einschränkung der Rechte der ArbeiterInnen wie der Gewerkschaften selbst unternehmen.

Tricks der Konzernleitung

Die Konzernleitung arbeitet auch sonst mit allen Tricks. So wird mal kurzerhand die Mitbestimmung ausgehebelt und die Belegschaft von Sicherheitspersonal überwacht, Versprechen werden gebrochen, es wird versucht, die Belegschaft zu spalten, so sollen 20 Beschäftigte angeblich im 60 km entfernten Werk in Fellbach unterkommen. Es wird eingeschüchtert. Die Konzernleitung droht: „Es werden Köpfe rollen!“.

Diese Maßnahmen zeigen jedoch auch die Angst dieser Konzernleitung vor einer kleinen aber kampfbereiten Belegschaft. So erwidern die ArbeiterInnen auf die Drohung: „Wenn die damit drohen, dass Köpfe rollen, dann werden wir dafür sorgen, dass deren rollende Köpfe unsere noch überholen!“. Erste 24stündigen Warnstreiks werden durchgeführt.

Die Nacht- und Nebelaktion der Konzernleitung und die Antwort der Beschäftigten

Am ersten Oktoberwochenende nach dem Feiertag ist es soweit: Die Konzernleitung holt zum zweiten Schlag aus und will in einer Nacht- und Nebelaktion eine erste Montage-Anlage abtransportieren. Sie heuert für Freitagabend ein Verpackungs-Unternehmen an, das sich aufs Werksgelände schleicht, die Anlage demontiert und verpackt. Als dann jedoch auch noch ein großer LKW aufs Gelände fährt, werden Nachbarn aufmerksam und informieren die Beschäftigten. Sofort wird die Telefonkette ausgelöst, die KollegInnen strömen herbei, die IG Metall wird informiert und das Werktor wird durch ein IG Metall-Fahrzeug blockiert.

Gleichzeitig treten alle KollegInnen mit Ausnahme einiger LeiharbeiterInnen in einen dauerhaften Warnstreik. Ab sofort bewachen die Beschäftigten die Werktore sowie alle Ein- und Ausgänge des Betriebs rund um die Uhr.

Der Abtransport der Anlage kann so mehrere Tage und Nächte lang verhindert werden. Doch die Konzernleitung hat mächtige Helfer. Ohne eine juristische Klärung abzuwarten, ob der Abtransport der Anlage während laufender Verhandlungen überhaupt legal ist, springt der Esslinger CDU-Landrat Einiger der Norgren-Geschäftsleitung bei und bringt mit Polizeihilfe und unter Strafandrohungen die Belegschaft dazu, das Werktor freizugeben.

Am 16. Oktober finden eine Kundgebung und ein Demonstrationszug durch Nürtingen statt. Eine ganze Reihe Delegationen befreundeter Belegschaften aus der näheren Umgebung bekunden ihre Betroffenheit und ihre Solidarität. Auch vom Werk Fellbach sind einige KollegInnen da. Die Kundgebung richtet sich natürlich gegen die üble Politik der Konzernleitung, v.a. gegen die Praxis einiger Leiharbeitsunternehmen, die trotz Streik tarifvertragswidrig und unter Androhung von Kündigung nach wie vor LeiharbeiterInnen ins Großbettlinger Norgren-Werk schicken.

Die Auseinandersetzung hält derzeit unvermindert an, der Ausgang ist völlig ungewiss. Die Belegschaft ist derzeit entschlossen, auf gar keinen Fall klein beizugeben. Die Fronten scheinen klar zu sein: hier die Konzernleitung mit ihrer Finanzmacht und ihren Helfern unter Polizei, Justiz und Politik; dort die Beschäftigten und ihre Unterstützer im Ort und in anderen Betrieben - und die IG Metall. Aber hat dieses Bündnis dauerhaft Bestand? Gab es in der Vergangenheit nicht etliche Beispiele, in denen der Gewerkschafts-Apparat nicht gerade eine sehr ruhmreiche Rolle spielte?

Verrat des IG Metall-Apparats?

Während einerseits der Kampf der Norgren-Beschäftigten in vollem Gange ist und zumindest lokal von der IG Metall getragen wird, brauen sich womöglich im Verborgenen Kräfte zusammen, um einen Verrat vorzubereiten. Anstatt für die bedingungslose und unbefristete Verteidigung des gesamten Werks und aller Arbeitsplätze zu kämpfen und dafür die Forderung der Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle aufzustellen, kann die Bürokratie sich „Kompromiss-Linien“ vorstellen, z.B. eine „Teil-Verlagerung“ und die „Schließung des Werks erst in einigen Jahren“ bei gleichzeitigem gut bezahltem „Sozialtarif“. Dies würde bedeuten, dass einige Beschäftigte sofort und andere erst später entlassen werden. Damit würden die Entlassungen „sozialverträglicher“, und v.a. wird die „Eskalation“ herausgenommen.

Dann würde sich auch die Achilles-Ferse des Kampfes um einen „Sozialtarifvertrag“ zeigen: Die IG Metall könnte die Werksschließung sogar noch als „Erfolg“ verkaufen.

Sollte sich diese Linie durchsetzen, wäre dies die Spaltung der Kampffront. Das, was der Konzernleitung mit ihrem „Angebot“, 20 Leute in Fellbach zu übernehmen, nicht gelang und auch durch den Einsatz von LeiharbeiterInnen, gelänge ihr dann hintenrum durch das „Verhandeln“ um einen „Kompromiss“ um eine Spaltung der Belegschaft in den Teil, der noch ein wenig weiterarbeiten darf und den anderen Teil, der sofort fliegt.

Sollte sich diese Linie durchsetzen, wäre das Ergebnis eine selbst initiierte Niederlage auf Raten und ein kompletter Sieg der Norgren-Konzernleitung. Wofür hätten die Beschäftigten dann gekämpft - damit für einen Großteil der KollegInnen die Arbeitslosigkeit sofort und für die anderen  ein wenig später kommt?!

Diese Linie wäre auch eine vertane Chance, den Kampf, zu gewinnen und den ganzen Standort mit allen Arbeitsplätzen zu erhalten.

Woher droht die Gefahr, dass sich die IG Metall dieser Linie verschreibt?

Der Kampf der Norgren-Beschäftigten zielt darauf ab, dass den Kunden in der LKW-Branche bald die Teile ausgehen und diese auf die Konzernleitung Druck ausüben.

Allerdings werden diese Firmen sehr wahrscheinlich auch über ihre Betriebsratsspitzen, die in der Regel in den Aufsichtsräten der Unternehmen sitzen, Druck auf die IG Metall ausüben, den Streik abzublasen. Dies wäre nichts Neues, dies geschah auch schon beim Kampf um die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland.

Solche Versuche müssen in der IG Metall entschlossen bekämpft und zurückgewiesen werden! Die IG Metall soll stattdessen die Beschäftigten der Norgren-Kunden informieren und mobilisieren. Es muss verhindert werden, dass sich die Konzern-Manager gegen die Beschäftigten verbünden. Es dürfen keine Teile von Streikbrecher-Fertigungen weiterverarbeitet werden!

Wir meinen, dass über die eingeleiteten Kampfmaßnahmen hinaus auch eine Perspektive nötig ist, die über „kostengünstiges Produzieren“ und „Wir machen doch Gewinne“ hinausgeht. Wenn der Konzern die Fabrik nicht mehr will, muss man sie ihm wegnehmen. Die Belegschaft muss die Kontrolle über die Produktion übernehmen, der Staat soll die Finanzierung sichern (Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle). Es muss für ein Programm von Forderungen gekämpft werden, z.B.

Schluss mit der Vernichtung von Arbeitsplätzen und Standorten zugunsten von Gewinnmaximierung!

Betriebe, die entlassen oder mit Entlassungen drohen, müssen entschädigungslos enteignet und unter Kontrolle der Beschäftigten verstaatlicht werden!

Der Kampf muss unter Kontrolle der Beschäftigten geführt werden: Keine Geheimverhandlungen und Absprachen hinter dem Rücken der KollegInnen! Tägliche Streikversammlungen, die über weitere Kampfmaßnahmen und Aktionen entscheiden. Wähl- und Abwählbarkeit der Streikleitung und etwaiger Verhandlungsdelegationen durch die Streikenden!

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Nr. 184, November 2013
*  Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken: Gewerkschaftslinke aufbauen!
*  Koalitionsverhandlungen: Für Frauen nichts zu lachen
*  Heile Welt
*  Tarifrunde Einzelhandel: Es steht Spitz auf Knopf
*  Norgren-Großbettlingen: Vom Streiken und Tricksen
*  Berliner GEW-Streik: Welche Perspektiven?
*  Weltwirtschaft: Aufschwung à la Titanic
*  Argentinien: Wie weiter für die "radikale Linke"?
*  Brasilien: Boom auf tönernen Füßen
*  Griechenland: Welche Art Antifaschismus?
*  Revolutionärer Lesezirkel: Klassenkampf an die Uni tragen
*  Nachruf auf eine Genossin: Michaela hat uns verlassen
*  Blockupy 2014: Mobilisierung braucht Perspektive





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