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Linksruck in der Wahlalternative

Links ruckt in die Mitte

Rex Rotmann, Neue Internationale 96, Dez 2004/Jan 2005

Linksruck ist als Organisation, pardon: Netzwerk ein Beispiel dafür, dass Namen in der Politik oft mehr verschleiern als sie aussagen. Denn immer mehr bewirkt Linksruck dort, wo es mitmischt, einen Ruck gegen Links statt nach links. Wir wollen am Beispiel des Agierens von Linksruck in der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) ihre Politik und die dahinter stehende Methode beleuchten.

Die Entstehung der Wahlalternative ist Ausdruck der Enttäuschung über die Sozialdemokratie und der Abwendung Zehntausender von der SPD. Das sieht auch Linksruck und unterstützt wie auch unsere Organisation Arbeitermacht den Aufbau einer politischen Alternative zur SPD. Damit hört die Gemeinsamkeit aber auch schon auf. Während es uns darum geht, für die Schaffung einer Arbeiterpartei einzutreten und dabei von Anfang an ein revolutionäres Programm vorzuschlagen, agiert Linksruck völlig anders.

Arbeiterpartei

Zwar meint Linksruck, das auch die WASG natürlich ArbeiterInnen und GewerkschafterInnen als Mitglieder haben soll, doch ein klares Bekenntnis dazu, dass die WASG eine Arbeiterpartei sein soll, sucht man bei Linksruck vergebens. Dabei geht es nicht um Wortklauberei. Es geht darum, klar zu machen, dass eine Arbeiterpartei eine Organisation ist, die sich politisch bewusst auf die Arbeiterklasse und ihren Kampf orientiert und sich strukturell auf deren Kampfstrukturen (Streikkomitees, Vertrauensleutekörper, Mobilisierungsgremien) stützt. Das schließt ein, dass die ArbeiterInnen bestimmenden Einfluss darauf haben, was in der Partei passiert.

Diese Orientierung kollidiert notwendig mit allen Versuchen des linken Gewerkschaftsapparats und linker Intellektueller, ihre Politik möglichst alternativ- und kritiklos durchzudrücken, sich jeder Verantwortlichkeit zu entziehen und sich ein Hintertürchen offen zu halten.

Die Forderung von Linksruck "Für eine neue Linkspartei" verschleiert dieses Problem, anstatt - wie es Marxisten tun müssten - klar zu sagen, "was ist".

Dieses Vorgehen hat freilich auch einen Vorteil: man eckt bei den Damen und Herren Linksreformisten nicht an und kann froh und munter an (fast) all ihren Manövern teilhaben. Das ist auch der Grund, warum die Linksruck-VertreterInnen bei den linksreformistischen Initiatoren der WASG so wohl gelitten sind - einerseits als linkes Aushängeschild und Beleg für die politische Breite und Offenheit der WASG, andererseits als Verbündeter, wenn es darum geht, Revolutionäre in der WASG in die "Sektiererecke" zu drängen. Ist dieser Vorwurf zu hart? Nein!

Die Rolle von Linksruck als linke Verzierung zur reformistischen Politik von WASG-"Promis" wie Ernst oder Bischoff ist an konkreten Fakten festzumachen. Wenn die Reformisten ihr reformistisches Programm vorlegen, kann die Alternative von Marxisten nur so aussehen, dass sie es grundlegend kritisieren und ein eigenes, revolutionäres Programm vorlegen. Linksruck hat nicht nur selbst nichts vorgelegt (was Wunder, es hat ja auch kein Programm!), mehr noch, es ist auch dagegen, dass überhaupt eine alternative Programmdebatte geführt wird. Auf der Berliner Konferenz der Wahlalternative präsentierten sich die Linksruck-Unterstützer geradezu euphorisch als Gegner jedes "Programms, das die Breite der Wahlalternative einengen würde." Im Klartext: Linksruck lehnte alle Programmvorschläge links vom Parteivorstand ab!

Wozu führt das aber? Dazu, dass die Reformisten in Ruhe ihre neu aufgewärmte SPD-Politik früherer Jahrzehnte präsentieren können; dazu, dass das "normale" reformistische "Alltagsbewusstsein" der ArbeiterInnen sich ungestört reproduzieren kann.

Nun kommt das Besondere an der Denkmethode von Linksruck. Nicht, dass Linksruck etwa selbst das reformistische Programm für ausreichend halten würde! Man stellt sich gegen ein revolutionäres Programm, weil das die Leute "vergraulen" würde und die WASG deshalb statt eine große Partei zu werden möglicherweise wieder nur eine Sekte bleiben würde.

Von der SPD zur ... ?

Dieses Argument wurde aber auch in jener Partei jahrzehntelang wie ein Gottesurteil vor sich her getragen, zu der man jetzt eine Alternative aufbauen möchte: der Sozialdemokratie. Doch warum wenden sich die bewussteren ArbeiterInnen von der SPD ab? Nicht nur aus Enttäuschung, sondern auch deshalb, weil sie nach Antworten suchen, warum die SPD so ein Scheißverein geworden ist und wie eine Alternative dazu aussehen kann. Diese Suche nach Klarheit - wie inkonsequent oder illusionär sie auch bisweilen sein mag - befriedigt Linksruck mit irgendetwas, was "links" ist, irgendwie alternativ klingt und möglicherweise sogar einen Nebensatz zum Sozialismus enthält. Was hat das mit Marxismus zu tun? Nichts!

Ist das wenigstens eine clevere Taktik? Nein, eher ein Schuss ins eigene Knie, denn wer werden denn die Nutznießer des programmatischen "Nichtsangriffpaktes" zwischen Linksruck und den Reformisten sein? Zunächst die letzteren. Doch wenn sich dann die politischen Halbheiten der WASG in der Praxis rächen, wenn sie sich wie früher die SPD den "Sachzwängen" des Kapitalismus anpasst, dann frohlockt die SPD, weil wieder einmal eine Alternative zu ihr wegen substanzieller Schwachbrüstigkeit den Bach runter gegangen ist.

Doch hier diktieren nicht einfach Dummheit oder Zufall die Politik von Linksruck und ihrer internationalen Strömung "International Socialist Tendency" (IST) um die britische Socialist Workers Party (SWP).

Dahinter steckt Systematik. Linksruck geht nämlich im Grunde davon aus, dass sich sozialistisches Bewusstsein quasi von allein, im Zuge der Bewegung, aus den Klassenkämpfen selbst entwickeln würde. Natürlich, wenn das stimmt, braucht man weder eine Kaderpartei noch eine Programmatik. Der wissenschaftliche Sozialismus, der Marxismus als deus ex machina der Weltgeschichte; wobei letztere ein perpetuum mobile ist, das sich immer nur vorwärts dreht.

Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass es bisher noch keine proletarische Massenbewegung in der Geschichte gab, die von selbst zu revolutionär-sozialistischem Bewusstsein gelangt wäre. Der Grund dafür ist eigentlich simpel: das bürgerliche Sein (v.a. Lohnarbeitsverhältnis und Warenfetisch) bestimmt nun mal auch das Bewusstsein der Lohnarbeiterklasse.

Die Aufgabe, revolutionäres Bewusstsein in die Klasse zu tragen, fällt daher notwendig einer gesonderten Kraft zu: der Partei, die eine Programmatik erarbeitet. Daraus erhellt auch, warum alle großen RevolutionärInnen sich auch als TheoretikerInnen, als KritikerInnen bzw. VerfasserInnen von Programmen und als Parteigründer betätigt haben. Bevor die Klasse als solche erreicht werden kann, muss eine organisierte Vorhut zunächst die Avantgardeelemente der Klasse und mit ihnen danach das Gros der Klasse "erobern". Nachzulesen u.a. bei den Herren Marx und Lenin.

Die ökonomistische Ansicht von Linksruck, dass der objektive Prozess selbst die Klasse zur Revolution treibt, ist scheinbar optimistisch, aber falsch. Sie führt zu einer systematischen Anpassung an nicht-revolutionäre Kräfte in Bewegungen oder in sich formierenden neuen Parteien - eine Anpassung, die auch international seit Ende der 1990er Jahre von den Chefideologen der IST theoretisiert wurde.

So polemisiert u.a. Alex Callinicos gegen die Vorstellung, dass "Revolutionäre innerhalb der Einheitsfronten sich dadurch auszeichnen, dass sie Argumente einbringen, die sie von anderen Kräften innerhalb der Einheitsfront abheben".

Sie müssten einfach als "die dynamischste und militanteste Kraft im Aufbau der jeweiligen Bewegung sein, um sich auszuzeichnen und neue Leute anzuziehen."

Diese Politik hat nichts mit einer Einheitsfronttaktik zu tun, wie sie u.a. die kommunistische Internationale entwickelte, die im Gegensatz zu Linksruck zurecht darauf bestand, dass KommunistInnen niemals ihre Kritik an den Fehlern der "Bündnispartner" und ihre eigenen Ansichten verheimlichen dürften.

Sich nicht von "anderen" - z.B. reformistischen, klein-bürgerlichen oder gewerkschaftlichen Kräften - abzuheben, heißt zu suggerieren, dass der Unterschied zur revolutionären Politik nur in einem unterschiedlichen Ausmaß von "Dynamik" und "Militanz", nicht jedoch im Ziel, im Programm liege.

Das ist schon in einem "normalen" Bündnis fatal, weil dadurch eben verborgen bleibt, dass mangelnde Dynamik das Resultat falscher Politik ist (ebenso wie man natürlich auch durch Pseudo-Militanz eine Bewegung totlaufen lassen kann).

In einer Parteigründung, die ohnedies stark von Reformisten dominiert wird, ist das noch schlimmer. Ob gewollt oder nicht: Linksruck stützt die Rechten, indem es den politischen Kampf gegen den Reformismus boykottiert.

Wenn die Reformisten dann sicher im Sattel sitzen, werden sie ihre nützlichen linken Idioten raushauen, denn bekanntlich liebt man den Verrat, aber nicht den Verräter.

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Nr. 96, Dez 2004/Jan 2005

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