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Perspektiven der Gewerkschaftslinken

Sekt oder Selters?

Martin Suchanek, Neue Internationale 96, Dez 2004/Jan 2005

Die Situation der Gewerkschaftslinken spiegelt ein generelles Problem des Widerstandes gegen Sozialraub, Arbeitszeitverlängerung, Hartz IV und Agenda 2010 wider. Nach fast zwei Jahren Entwicklung einer Schicht von zehn-, wenn nicht hunderttausenden AktivistInnen steht die Bewegung davor, sich politisch neu zu sortieren. Dazu ist zuerst eine realistische Einschätzung der Lage notwendig.

Aufgrund der internationalen Krise und der verschärften Konkurrenz haben das deutsche wie das europäische Kapital einen Generalangriff auf die Lohnabhängigen gestartet. Das hat in der BRD zu großen Mobilisierungen geführt und zu einer Absatzbewegung von der SPD und einer wachsenden Unzufriedenheit mit den reformistisch dominierten Gewerkschaften.

Teilniederlagen

Aber die Mobilisierungen und Auseinandersetzungen der letzten zwei Jahre endeten mit Teilniederlagen und haben die Arbeiterklasse - die beschäftigten wie die erwerbslosen Lohnabhängigen - weiter in die Defensive gebracht. Viele Beispiele haben die Notwendigkeit wie auch die Möglichkeit einer realen Verbindung des Widerstandes in den Betrieben und auf der Straße, einer Verbindung des Abwehrkampfes in Deutschland mit dem der KollegInnen in ganz Europa gezeigt.

Aber bislang blieb eine solche Verbindung nur in Ansätzen stecken. Das trifft sowohl auf die internationale Ebene, z.B. das Europäische Sozialforum zu wie auch auf die Situation in Deutschland.

Die Gewerkschaftsbürokratie - beim ESF die britischen Gewerkschaften und der Europäische Gewerkschaftsbund - konnten entweder erfolgreich und gegen die Intention vieler BasisaktivistInnen und radikaleren Organisationen (z.B. der italienischen COBAS oder von VertreterInnen unserer internationalen Strömung, der Liga für die Fünfte Internationale) verhindern, dass eine permanente Koordinierung gebildet wurde. Vor allem aber machten sie im voraus klar, dass sie nicht gedenken, sich auf Bündnisse und Absprachen einzulassen, die sie zur Aktion und zur Umsetzung dieser Beschlüsse in den eigenen Organisationen verpflichten.

Ähnlich stellt sich die Sache auch in Deutschland dar. Die Bürokratie hat nach dem 3. April, nach Daimler und Bochum die Sache wieder im Griff und hat - in ihrer Gesamtheit - keine Intention, den politischen Bruch mit SPD und Grünen voranzutreiben.

Sicherlich sind auch in den nächsten Jahren Schwankungen nach "links" nicht auszuschließen. Insgesamt ist jedoch von der Bürokratie nichts zu erwarten, schon gar keine Strategie und Mobilisierung, die den Generalangriff des Kapitals stoppen kann.

Gleichzeitig ist jedoch ein Flügel der Bürokratie auch immer wieder an den Mobilisierungen beteiligt. Das drückt einen gewissen Druck von unten aus, aber auch den Versuch, Bewegung für eigene innerbürokratische Manöver zu missbrauchen und jede Bewegung zu kontrollieren.

Daher muss eine Opposition gerade in den Gewerkschaften gegen die Bürokratie - und zwar gegen alle ihre Flügel - aufgebaut werden und für die Mitgliedsbasis und alle anderen Lohnabhängigen als solche sichtbar werden.

Vor dem Kongress

Vor ihrem 6. bundesweiten Kongress ist die Gewerkschaftslinke nicht viel weiter als zur Zeit ihrer Gründung. Sie wurde als lose bundesweite Struktur ins Leben gerufen, als die rot-grüne Bundesregierung immer offensichtlicher gegen die Arbeiterbewegung und die Linke vorging. Der Angriffskrieg gegen Jugoslawien und die offene Kampfansage der Unternehmerverbände und der Regierung auf Löhne und Tarife waren Auslöser für die Formierung der Gewerkschaftslinken.

Vor allem aber entstand sie, weil die Spitzen der DGB-Gewerkschaften mit der Regierung mitzogen oder ihr höchstens halbherzigen, kosmetischen "Widerstand" entgegensetzten - und auch nicht mehr entgegensetzen wollten.

Von Beginn an war die "Gewerkschaftslinke" vor allem "negativ" definiert - dadurch, was sie nicht wollte. Eine gemeinsame Zielsetzung gab es nicht einmal über die unmittelbaren Aufgaben. Daher waren auch die realen Fortschritte in der Gewerkschaftslinken nur zeitweilige - und konnten es auch nur sein.

Zu diesen Fortschritten zählt ohne Zweifel, dass in der IG Metall-Tarifrunde 2002 durch eine über die "AG Tarifpolitik" koordinierte Intervention in vielen Betrieben, durch Resolutionen von Vertrauenskörpern die Forderung nach oben getrieben werden und so der Apparat kurzzeitig in die Defensive gedrängt werden konnte. Auch innere Konflikte im IG Metall-Apparat und die Tatsache, dass der Hauptvorstand selbst lange keine "offizielle" Tarifforderung empfohlen hatte, führten dazu, dass die Forderung nach 6,5 Prozent erhoben wurde.

Schwächen

Der Abschluss und die von Oben verordnete Flexi-Streiktaktik zeigten aber auch schon die Grenzen der Gewerkschaftslinken auf. Sie konnte diese nicht verhindern, sie konnte sich - von Ausnahmen abgesehen - noch nicht einmal als für die ArbeiterInnen erkennbare Opposition gegen den Apparat positionieren.

Diese Schwächen wurden in den letzten Jahren noch deutlicher. In der Bewegung gegen die Hartz-Gesetze und gegen die Agenda 2010, bei der Demonstration am 1. November oder den Montagsdemos spielten zwar viele linke GewerkschafterInnen eine mobilisierende Rolle - aber die Gewerkschaftslinke wurde nicht als eigenständige, gegen die Bürokratie gerichtete politische Kraft sichtbar.

In den Abwehrkämpfen bei Daimler und Opel trat eine ganze Schicht militanter ArbeiterInnen mit kämpferischen Aktionen wie Straßenblockade und Werksbesetzung in Erscheinung. Wichtige VertreterInnen der Gewerkschaftslinken spielten dabei eine Schlüsselrolle - aber die Gewerkschaftslinke als politische Kraft war erneut nicht sichtbar.

Daran änderte auch die Herausgabe eines eigenen Infos noch nichts, so wichtig dieser Fortschritt an sich auch war.

Dass die Gewerkschaftslinke politisch kaum weiter als zur Zeit ihrer Formierung ist, war und ist kein Zufall. Es ist auch Resultat des bislang in ihr herrschenden politischen Kräfteverhältnisses. Dazu ist es notwendig, einen Blick auf die wichtigsten Kräfte zu werfen, die bis heute in ihr vertreten sind:

 

a) Der linke Apparat und seine reformistischen BeraterInnen

Diese Strömung besteht i.w. aus hauptamtlichen Funktionären, die in der Vergangenheit oft eine Brückenfunktion zum "traditionalistischen" Flügel in der Bürokratie (Peters, Bsirske) spielten. Er verstand die Gewerkschaftslinke vor allem als Pressure Group für seine Politik im Apparat. Wenn er in der Gewerkschaftslinken oder auf Aktionskonferenzen nach rechts oder links schwenkte, so entweder aufgrund des Druckes der Bewegung oder um seinerseits linkere Positionen als Druckmittel im Apparat zu gebrauchen.

Ideologisch wurde dieser Flügel von Reformisten um die Zeitung "Sozialismus" gestützt. Als politische Zielsetzung strebt er letztlich die Neu-Konstituierung eines staatlich vermittelten Klassenkompromisses an, dem durch betriebliche und gesellschaftliche Mobilisierung nachgeholfen werden soll.

 

b) Linke SyndikalistInnen

Neben den linksreformistischen ApparatvertreterInnen wird die Gewerkschaftslinke bislang wesentlich von linken, subjektiv anti-kapitalistischen Intellektuellen geprägt, die u.a. in der Zeitschrift Express beheimatet oder im TIE-Netzwerk verankert sind.

Sie stellen im Gegensatz zur Apparat-Strömung den Kampf gegen die Angriffe von Kapital und Regierung in den Kontext einer Kapitalismuskritik, wiederholen aber alle Fehler des linken (einschließlich des revolutionären) Syndikalismus vergangener Jahrzehnte.

Diese Strömung gehen davon aus, dass sich revolutionäres Klassenbewusstsein spontan bilde und deshalb die Formierung einer politischen Partei schädlich sei. So wie sie die verbindliche politische Organisierung der Arbeiterklasse auf einer ausgewiesenen programmatischen Grundlage ablehnt, so auch die verbindliche klassenkämpferische Organisierung gegen die Bürokratie in den Gewerkschaften.

Während sich die linken Reformisten und Bürokraten gegen eine Organisierung und jede Form politischer Rechenschaftspflicht gegenüber einer organisierten Oppositionsbewegung wenden, um freie Hand für ihre Manöver zu haben, so meinen die Links-Syndikalisten, die ArbeiterInnen durch die Ablehnung verbindlicher Strukturen und Parteien vor "Vereinnahmung" schützen zu können. In Wirklichkeit wird damit nur die politische und organisatorische Ohnmacht der ArbeiterInnen gegenüber den existierenden bürgerlichen Parteien und gegenüber der Gewerkschaftsbürokratie gefestigt.

 

c) Linke und oppositionelle Betriebsgruppen

In den Auseinandersetzungen mit dem Kapital und in den Mobilisierungen spielten diese zwar naturgemäß die wichtigste Rolle, politisch bleiben sie in der Gewerkschaftslinken aber am blassesten. Das ist Resultat der vorherrschenden rein gewerkschaftlich-betrieblichen Orientierung dieser KollegInnen, die sie unwillkürlich zu einer zweitrangigen politischen Rolle verdammt.

Eine ihrem sozialen Gewicht und Möglichkeiten entsprechende Rolle kann diese - für die Zukunft jeder klassenkämpferischen Bewegung entscheidende - Schicht von Lohnabhängigen nur spielen, wenn sie mit ihrer bisherigen politischen Enthaltsamkeit bricht. Ansonsten sind sie in der Gewerkschaftslinken dazu verurteilt, zwischen den linken Reformisten und den Syndikalisten hin- und herzupendeln.

Ein solcher Bruch kann jedoch nur über den politischen Kampf gegen obige Strömungen und alle versöhnlerischen Illusionen erfolgen; er ist nur in politischer Auseinandersetzung mit dem vorherrschenden Bewusstsein dieser Schicht möglich, einem Bruch also, den RevolutionärInnen aktiv herbeiführen müssen.

 

d) Sozialistische Strömungen

In der Gewerkschaftslinken finden sich außerdem auch eine Reihe Strömungen, die von sich behaupten, auf dem Boden des Marxismus zu stehen. Wie weit sie von einer genuin kommunistischen Politik in Wirklichkeit entfernt sind, zeigt sich freilich darin, dass sie bis heute ihrer Aufgabe als MarxistInnen nicht nachgekommen sind - kommunistisches Klassenbewusstsein in die Arbeiterklasse zu tragen und dafür zu kämpfen, aus der "Gewerkschaftslinken" eine wirklich klassenkämpferische Bewegung zu formen.

Zweifellos haben in dieser Hinsicht einige Gruppierungen (RSB, SAV) das Verdienst, real organisierend zu wirken und richtige Fragestellungen aufzuwerfen. Aber sie haben das gerade in der entscheidenden Frage von gewerkschaftlicher und politischer Organisierung bestenfalls in widersprüchlicher Weise getan, oft verbunden mit Anpassung an Reformismus und Syndikalismus.

 

Die aktuelle Aufgabe der Formierung einer klassenkämpferischen Basisbewegung zu einer politischen Kraft, welche die Bürokratie unter Druck setzen und schließlich ersetzen kann, die gleichzeitig eine entscheidende Rolle spielt, den Widerstand im Betrieb mit dem Kampf der Erwerbslosen, ja aller unterdrückten Schichten der Bevölkerung zu verbinden, setzt zwei Dinge voraus.

Erstens eine Schicht von kämpferischen ArbeiterInnen, für welche die Formierung einer solchen Bewegung eine praktische Notwendigkeit geworden ist. Diese Schicht ist vorhanden und formiert sich derzeit stärker. Das hat sich bei DaimlerChrysler, bei Opel, bei vielen anderen Auseinandersetzungen, aber auch bei den Massendemos am 1. November 2003, am 3. April 2004 und bei den Montagsdemos gezeigt.

Die Angriffe des Kapitals werden - gerade auf betrieblicher Ebene - nach den Niederlagen des letzten Jahres noch intensiviert werden. Um dem Paroli zu bieten, reicht aber ein nur betrieblicher Widerstand - und sei er selbst so militant wie in Bochum - nicht aus. Er muss "vernetzt" werden. Ansonsten läuft dieses Potential unvermeidlich ins Leere und führt zu einer weiteren Kräfteverschiebung zugunsten des Kapitals und des rechtesten Flügels der Gewerkschaftsbürokratie.

Das ist aber keine rein technisch-organisatorische Frage. Es ist vor allem eine politische Frage. Daher ist auch die zweite Voraussetzung eine politische Voraussetzung.

Eine Basisbewegung braucht eine politische Grundlage: sie braucht ein Programm. Sie muss sich als politische Strömung gegen die Bürokratie konstituieren. Sie muss daher auch mit der "politischen Neutralität" der Gewerkschaften, die in Wirklichkeit nur politische Unterstützung der SPD ist, brechen und das Recht auf offene politische Aktivität aller Strömungen in den DGB-Gewerkschaften einfordern.

Sie muss daher auch für die ArbeiterInnen und Angestellten in den Betrieben, für die Erwerbslosen, die Jugendlichen in der Ausbildung usw. als oppositionelle politische Strömung sichtbar sein. Dafür braucht es auch einen politischen Kampf für das Recht auf offene Fraktionsbildung.

Dazu braucht sie Strukturen: regelmäßige - am besten monatliche - bundesweite Delegiertentreffen, die möglichst aus einer betrieblichen oder regionalen Basis erfolgen sollen. Sie braucht zu allen wichtigen Fragen eigene politische Standpunkte und Mittel, diese zu verbreiten. Sie braucht eigene Mobilisierungs- und Kampagneschwerpunkte gegen die laufenden Angriffe. Ganz eindeutig wird hier die Frage des Kampfes gegen Arbeitszeitverlängerung und Lohnraub im Vordergrund stehen müssen.

Auch das Treffen der Gewerkschaftslinken in Stuttgart muss daher solche Fragen in den Mittelpunkt stellen.

Welches Programm, welche Politik?

Eine oppositionelle, klassenkämpferische Struktur in den Gewerkschaften wird sich nur entwickeln können, wenn es darin einen aktiven revolutionär-kommunistischen Pol gibt, der offen für den Aufbau und um die politische Führung dieser Bewegung kämpft. Eine klassenkämpferische Basisbewegung kann sich nur dann auf Dauer entwickeln und halten, wenn sie Teil des Aufbaus einer neuen Arbeiterpartei ist, die auch politisch eine Alternative zum sozialdemokratischen Reformismus der Bürokratie darstellt.

Dazu muss eine solche Partei selbst einen klar anti-kapitalistischen, revolutionären Charakter haben. Dafür müssen KommunistInnen offen in einer solchen Partei (resp. in ihrem Formierungsprozess) eintreten.

Die Forderung nach einem "klassenkämpferischen Programm" für eine sich formierende Basisbewegung heißt aber nichts anderes, als für ein Programm einzutreten, das den gewerkschaftlichen und betrieblichen Abwehrkampf mit dem Kampf gegen das kapitalistische System hier und auf der ganzen Welt verbindet.

Ohne einen bewussten politischen Kampf gegen den Einfluss der Sozialdemokratie, der Gewerkschaftsbürokratie, kleinbürgerlicher Kräfte wie attac, aber auch des "natürlichen" Reformismus der ArbeiterInnen werden auch die entschlossensten Aktionen immer wieder vor das Problem der Integration in des kapitalistische System gestellt werden.

Daher ist die Schaffung einer Basisbewegung untrennbar mit der Aufgabe verbunden, eine neue Arbeiterpartei zu schaffen - eine politische Kraft, die eine in sich heterogene Bewegung und verschiedene Teilkämpfe auf Grundlage einer politischen Gesamtstrategie, eines Programms verbinden kann - die letztlich eine solche Basisbewegung politisch führt.

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Nr. 96, Dez 2004/Jan 2005

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