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Agenda 2010

Stoppt die Sozialräuber!

Hannes Hohn, Neue Internationale 83, September 2003

Kapitalisten, Regierung und Opposition führen unter dem demagogischen Motto von notwendigen "Reformen" eine entschlossene Offensive gegen alles, was sozial riecht: Gesundheitsfürsorge, Renten, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe.

Dutzende "Experten" verbreiten über die Medien ihre Märchen von der Unbezahlbarkeit sozialer Leistungen, von Überalterung, Versorgungsmentalität und Sozialschmarotzertum. Mit ihrem aufgeregten Gezeter lenken sie nicht nur von den realen Fakten ab. Sie verschleiern damit vor allem die wirklichen Ursachen der derzeitigen Misere der Sozialsysteme und die Absichten der deutschen Bourgeoisie.

Massenarbeitslosigkeit, sinkende Reallöhne, Steuerentlastungen für das Kapital und niedrige Wachstumsraten verengen den sozialen Verteilungsspielraum immer weiter. Während die Arbeitsproduktivität ständig steigt, während Wissenschaft und Technik sich permanent entwickeln, haben jene Millionen, die den Reichtum schaffen, immer weniger davon. Dieses Paradoxon hat einen Namen: Kapitalismus.

Strategisches Ziel

Das "Reform"paket Schröders nennt sich Agenda 2010. Nomen est omen. Anlässlich eines EU-Gipfels in Barcelona verkündete der Kanzler, worum es geht. Bis 2010 soll die EU zur "dynamischsten Wirtschaftsregion der Welt werden" und dem Hauptkonkurrenten USA Paroli bieten können. Dieses strategische Ziel des deutschen Kapitals bedeutet einerseits, die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen zu verbessern und die politische und militärische Schlagkraft und Geschlossenheit der EU zu erhöhen. Andererseits müssen die Lohnabhängigen und die Masse der Bevölkerung den Gürtel enger schnallen.

Während die Pharmafirmen keinen Cent von ihren Riesenprofiten abgeben sollen, müssen die PatientInnen Leistungseinbußen und Zuzahlungen hinnehmen. Während den Versicherungskonzernen durch die Riesterrente neue Milliardengeschäfte winken, müssen sich die RentnerInnen in Zukunft bei höheren Eigenleistungen auf weniger Rente einstellen. Während sich Spitzenmanager Millionen in die Tasche wirtschaften, werden Zehntausende aus Kostengründen auf die Strasse geworfen.

Doch die Angriffe treffen nicht nur Arbeitslose, SozialhilfeempfängerInnen oder RentnerInnen. Im Zuge der Hartz-Reformen werden auch die (noch) beschäftigten Teile der Arbeiterklasse immer direkter angegriffen. Der früher noch "normale" Weg durch eine Phase der Arbeitslosigkeit wieder in einen tariflich gesicherten Job funktioniert heute kaum noch. Die Hartz-Reformen bedeuten für Arbeitslose wie Beschäftigte eine Abwärtsspirale, die in schlecht bezahlte und tariflich ungesicherte Mac-Jobs führt, von denen man oft genug mehrere bräuchte, um davon leben zu können.

Auch die tarifvertraglich "behüteten" und relativ besser gestellte Facharbeiterschaft der Großbetriebe - die Arbeiteraristokratie - gerät immer stärker unter Druck durch Billigarbeit und Tarifabbau. Was in Britannien und USA unter Thatcher und Reagan in den 1980er Jahren gelang - der Arbeiterklasse eine strategische Niederlage zuzufügen - soll nun auch in Deutschland erreicht werden. Das ist das zentrale Ziel von Schröders Reformen, das ist die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg des imperialistischen EU-Projekts.

Die bürgerlichen Parteien und die Kapitalisten wissen sehr wohl, dass die Gewerkschaften heute der entscheidende Faktor sind, der objektiv in der Lage wäre, ihren Generalangriff abzuwehren.

Vor kurzem noch als Traditionalist und Zögerer beschimpft, macht Schröder nun Tempo. In wenigen Monaten sollen nun die in der Agenda gebündelten "Reformen" Bundestag und Bundesrat durchlaufen. Wie erfolgreich die "Reformen" sind, zeigt ein Blick auf die Wunder, welche die Personal Service Agenturen (PSA) bewirken. Die in neue Jobs Vermittelten können an einer Hand abgezählt werden.

Von Widerstand war bisher leider wenig zu spüren. In der SPD haben die "Linken" vor Schröder kapituliert. Auch die krisengeschüttelte PDS hat außer einigen kritischen Statements nichts zustande gebracht.

Widerstand oder Kapitulation?

Die Spitzen der Gewerkschaften, allen voran DGB-Chef Sommer, hatten zwar im Frühjahr "energischen Widerstand" gegen die rot/grünen Pläne angekündigt, um dann aber jegliche ernsthafte Mobilisierung zu hintertreiben und lediglich einige kümmerliche Demos durchzuführen, die Schröders Zigarrenraucherruhe wenig störten.

Die selbst verschuldete schwache Mobilisierung nahm die Gewerkschaftsspitze dann noch zum Anlass, statt zu schärferem Kampf zur Sommerpause überzugehen, weil eine grundsätzliche Opposition gegen die Agenda "der Basis nicht vermittelbar sei".

Diese Lüge enthält aber auch ein Körnchen Wahrheit. Wie soll die führende Bürokratie die Basis auch mobilisieren, wenn ihre VertreterInnen selbst jahrelang in Projekten wie Bündnis für Arbeit, Hartz- oder Rürup-Kommission mitwirkten, um die gegen ihre eigene Basis gerichteten Reformen "sozialverträglich" mitzugestalten?! Die Spitzen der Arbeiterorganisationen gaben den kleinen Finger und ermunterten damit die Gegenseite, die ganze Hand zu ergreifen und die VerhandlungsspezialistInnen der Gewerkschaften über den Mahagonitisch des Kanzlers zu ziehen.

Diese Damen und Herren Reformisten glauben immer noch, sie könnten mit den Kapitalisten und deren Regierung Kompromisse aushandeln. Sie meinen immer noch, das alte sozialpartnerschaftliche Spielchen des Verhandelns, des Drohens und des ab und zu mal einen begrenzten Tarifkampf führen könne immer noch funktionieren. Das ist ein fataler Irrtum, für den die Arbeiterklasse und die Mehrheit der Bevölkerung einen bitteren Preis bezahlen müssen!

Die alte Taktik der ReformistInnen "links blinken und rechts abbiegen" hat sie nun selbst in eine Sackgasse manövriert. Die Krise der IG Metall zeigt das. Während die "Traditionalisten" um Peters ohne Konzept dastehen und sich deswegen bei der nächsten Gelegenheit den rechten Reformern anpassen werden, sind die "Modernisierer" um den designierten IGM-Vize Huber bereit, die IGM entlang einer neoliberalen Logik nach dem Vorbild der IG BCE des Hubertus Schmoldt umzumodeln. Was das bringen wird, liegt auf der Hand. Weniger Kampf, mehr schlechte Kompromisse. Noch weitere Untergrabung von Organisation, Klassenbewusstsein und Kampfkraft. Die Praxis zeigt schon seit Jahren: von Schmoldt lernen heißt: noch schlechtere Tarifabschlüsse, noch höhere Mitgliederverluste.

Der IGM-Streik im Osten war signifikant für die Situation. Die Basis wollte kämpfen und hat das unter schwierigen Umständen auch getan. Die Führung war - nachdem sie den viel größeren, wichtigeren Konflikt um die Agenda bewusst umgangen hat - bereit, diesen Streik zwar zu führen, ohne ihn aber energisch vorzubereiten und auszuweiten, bis der Sieg erreicht ist. Andere Teile der Führung (Huber, Zwickel) und etliche Betriebsratsfürsten fielen um und betrieben offen Streikbruch. Die Gegenseite indessen blieb hart. Sie wollte keinen Kompromiss, sie wollte den Sieg. Sie hat dafür - im Gegensatz zu den reformistischen FürhrerInnen - das Ihre getan.

Die Agenda ist ein strategischer Angriff auf die gesamte Arbeiterklasse. Sie kann nur abgewehrt werden, wenn die Klasse ihre gesamte Kampfkraft mobilisiert und Kampfformen anwendet, die wirksam genug sind. Einzelne Aktionen, Proteste, selbst Großdemos reichen nicht, um die zu allem entschlossenen "Reformer" aufzuhalten. Nur politische Massenstreiks können den notwendigen politischen und vor allem ökonomischen Druck erzeugen, um die Umsetzung der Agenda zu stoppen bzw. rückgängig zu machen.

Da die Gewerkschaftsführung politische Streiks - außerhalb von Tarifrunden gilt die "Friedenspflicht" - aber ablehnt, gilt es, diese Kampfaktionen gut vorzubereiten: auch gegen den Widerstand von Teilen des reformistischen Apparats in den Gewerkschaften.

Um die Kampffront aufzubauen, müssen in den Betrieben und an der gewerkschaftlichen Basis Versammlungen durchgeführt werden, die klar machen, welche Dimension die Agenda hat und wie sie gestoppt werden kann. Es müssen Aktionskomitees gegen die Agenda geschaffen werden, die regionale und bundesweite Delegiertentreffen durchführen. Sie müssen nicht nur Resolutionen und Forderungen an die Führungen der Gewerkschaften und die Abgeordneten von SPD und PDS zu stellen, gegen die Agenda zu stimmen. Sie müssen vor allem Massenproteste und Streiks vorbereiten und die Gewerkschaftsgremien auffordern, den Kampf zu organisieren.

Ist das überhaupt möglich? Haben doch jahrzehntelange Sozialpartnerschaft und die äußerlich unpolitische (in Wahrheit jedoch sozialdemokratisch) orientierte Gewerkschaftspolitik Klassenbewusstsein und Kampfkraft der Arbeiterbewegung massiv untergraben. Doch die massenhafte Enttäuschung von der SPD, die Krise der Gewerkschaften zeigen, dass die Bindungskraft des Reformismus zurückgeht. Zugleich formiert sich auch Widerstand.

Anti-Hartz-Komitees und Arbeitsloseninitiativen entstanden. Gegen die Riesterrente und gegen Entlassungen gab es vereinzelte Streiks. Diese Ansätze und auch die Kampfbereitschaft der OstmetallerInnen im letzten Streik zeigen, dass der Wille zum Widerstand vorhanden ist. Woran es v.a. mangelt, ist eine entschlossene Kampfführung, eine Struktur, die die einzelnen Initiativen bündelt und die Kämpfe weitertreibt.

In diesem Sinn rufen wir alle kämpferischen GewerkschafterInnen, alle ArbeiterInnen, alle AntikapitalistInnen auf, gemeinsam die Agenda zu Fall zu bringen. Die bundesweite Demo am 1. November in Berlin ist dafür ein guter Anfang. Sie wird eine erste Heerschau unserer Kräfte sein.

 

1. November, Berlin:

Bundesweite Demo gegen Agenda 2010

 

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Nr. 83, September 2003

*  Agenda 2010: Stoppt die Sozialräuber!
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*  Gewerkschaften: Für eine revolutionäre Fraktion!
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