Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Gegen Agenda 2010

Massenstreik!

Martin Suchanek, Neue Internationale 80, Mai 2003

Hartz, Rürup, Agenda 2010. Die Namen der Reformvorhaben wechseln - der Inhalt bleibt.

Doch es geht um mehr als um Kürzungen und Einschnitte. Es geht darum, das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit grundlegend zugunsten der Unternehmer zu verschieben.

Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, Aushöhlung und schließlich Abschaffung von Kündigungsschutz und Flächentarifvertrag, Zusammenlegung von Arbeitslosen -und Sozialhilfe und Rente ab 67 dienen einem Zweck: die gesellschaftliche Macht der organisierten Arbeiterbewegung, der Gewerkschaften zu brechen.

Neue Dimension

Doch warum eigentlich? Haben die nicht immer klein bei gegeben, wenn es darauf ankam? Hat die Politik der Gewerkschaftsführung nicht ohnehin zur Unterhöhlung der Aktionsfähigkeit geführt? Haben die Gewerkschaften nicht selbst die meisten Angriffe und Verschlechterungen - vorgeblich, um Schlimmeres zu verhindern - hingenommen, ja sogar dabei mitgewirkt?

Ginge es nur um die Rückgratlosigkeit der reformistischen GewerkschaftsführerInnen und Betriebsratsfürsten müssten sich die Kapitalisten wenig sorgen.

Doch die Kapitalisten sind trotzdem unzufrieden. Erstens werden ihnen unter dem verschärften Weltmarktdruck selbst die Brosamen für die Gewerkschaftsbürokratie zu teuer. Zweitens - und das ist das eigentliche Problem - besteht die Gefahr, dass die Arbeiterorganisationen der Bürokratie entrissen und in wirkliche Kampforgane der Klasse verwandelt werden.

Daher geht es für die Kapitalistenklasse um einen "Präventivschlag" gegen die Arbeiterklasse. Bevor die Bürokratie eventuell die Kontrolle über "ihre" Organisationen verliert, sollen sie ganz platt gemacht werden!

Die Agenda 2010 hat sogar die schlafmützige SPD-Linke und Stehaufmännchen Lafontaine auf den Plan gerufen.

Der Mitgliederentscheid der SPD-Linken wird von Generalsekretär Scholz als "Verschwöreraktion" denunziert - während Schröders Clique weiter ein "Geheimpapier" nach dem anderen zum Angriff auf die Arbeiterschaft ausarbeiten lässt.

SPD-Linke und Gewerkschaftsführung

Doch was will die SPD-Linke? Will sie gegen die Regierung mobilisieren? Ganz sicher nicht! Ihr geht es nur darum, stärker "sozialdemokratische" Akzente in das neoliberale Reformprogramm einzubringen. Denn: Reformen halten auch sie für unverzichtbar, nur müssen sie sozial "ausgewogener" sein.

Ihr Pech: Die aktuelle Krise des Kapitalismus und die globalen Ambitionen des deutschen Imperialismus verhindern selbst diese sozialdemokratische Tünche am "Sozialstaat".

Die Hilflosigkeit der SPD-Linken speist sich aus zwei Quellen: 1. aus ihrem Opportunismus, der die "Regierungsfähigkeit" der SPD letztlich über alles stellt. 2. aus ihrem hoffnungslos veralteten Konzept. In Krisenperioden des Kapitalismus sind die "realistischen" Reformstrategien notwendigerweise utopische Spinnereien, da die herrschende Gesellschaftsordnung nur auf Grundlage verschärften Raubbaus an Mensch und Natur "genesen" kann.

Die Gewerkschaftsführungen könnten die Angriffe der Regierung durch die Mobilisierung der eigenen Basis zu Fall bringen. Eine systematische und entschlossene Kampagne gegen Sozialabbau, Massenentlassungen, Privatisierungen, Aushöhlung des Kündigungsschutzes wäre für die 8 Millionen starken Gewerkschaften nicht nur möglich, sondern im eigenen Interesse auch dringend notwendig.

Die Enttäuschung, die Entmutigung, die stille Resignation von Beschäftigten und GewerkschafterInnen könnte damit durchbrochen werden. Die Machtmittel haben IG Metall, ver.di usw. allemal. Mit politischen Massenstreiks könnten die Unternehmer und die SPD-geführte Regierung in die Knie gezwungen werden.

Aber genau davor schrecken die Gewerkschaftsbosse zurück. Das trifft keineswegs nur auf den rechten Flügel aus IG Chemie oder "gestandene" Bürokraten wie Zwickel zu. Auch die linken Spitzenbürokraten wie IG-Metall-Vorständler Schmidthenner sind nicht besser.

Ihr "Kampfprogramm": Schröder und die SPD-Fraktion mögen doch "wieder" auf ihre Vorschläge hören. Nicht Mobilisierung der Basis, sondern Beschwören der "guten alten Zeiten", als SPD und Gewerkschaften für ein paar Zugeständnisse (Reformen) des Kapitals jede ernste, antikapitalistische "Gefahr" in den Arbeiterorganisationen bekämpften - das ist das "Programm" der Bürokratie.

Daher geht es Schmidthenner und Co. auch nicht darum, die Mitglieder zu mobilisieren. Es geht ihnen darum, die SPD-Spitze von einer "anderen Politik" zu überzeugen. So erklärte Schmidthenner z.B. in Friedmans Talkshow, dass die SPD-Regierung auch aus Eigeninteresse eine "andere Politik" durchführen müsse. Nur so hätte sie bei den kommenden Bundestagswahlen wieder eine Chance.

Und vor den Bundestagswahlen? Bis dahin beschränkt sich die Gewerkschaftsführung auf Lobbying, eine paar Demos und markige Sprüche. Das war's dann. Die Strafe für Schröder ist nicht erfolgreiche Abwehrkampf, sondern eine CDU-Regierung.

Widerstand

Die Zeche für die Passivität und Abwarterei der Gewerkschaftspolitik zahlen freilich nicht die BürokratInnen, sondern wir: ArbeiterInnen, Angestellte, Erwerbslose, ImmigrantInnen, SchülerInnen, Studierende.

Versprach der designierte IGM-Vize Peters erst, das Mitgliederbegehren der SPD-Linken zu unterstützen, so hat er inzwischen wieder Abstand davon genommen. Schließlich sei man kein "Anhängsel" der SPD und wolle sich nicht in deren Interna einmischen. Typisch Reformist: Ausreden statt Einflussnahme!

Wir müssen alle Funktionsträger und Abgeordneten der SPD auffordern, im Bundestag gegen die Agenda zu stimmen und die Basis dagegen zu mobilisieren - ohne dabei Illusionen in deren Politik zu haben.

Die Attacke der Regierung ist ein strategischer Angriff auf alle Lohnabhängigen, auf die Masse der Bevölkerung. Sie kann nur durch einen gemeinsamen politischen Abwehrkampf zurückgeschlagen werden.
Proteste, wie sie von den Gewerkschaften für den 17. Mai geplant sind, müssen unterstützt werden. Aber sie reichen nicht!

Wir brauchen politische Massenstreiks, bis die Agenda 2010 vom Tisch ist! Diese Forderung muss an die Gewerkschaftsführung gestellt werden. Aber wir wissen, dass die "Widerstandskraft" der Bürokraten vor allem im Widerstand gegen den Druck der eigenen Basis besteht.

Zur Erzwingung, Vorbereitung und Durchführung einer solchen Aktion sind eigene Kampfstrukturen - Aktions- und Streikkomitees in den Betrieben, die sich auf aktive Vertrauensleute, Betriebsräte und Gewerkschaftsgruppen stützen - unabdingbar. Wir brauchen Abteilungs- und Belegschaftsversammlungen, um die Dimension der Angriffe klar zu machen und Kampfmaßnahmen dagegen festzulegen.

Wir fordern von den Gewerkschaften die Einberufung regionaler und bundesweiter Vertrauensleutekonferenzen ein, um allgemeine Kampfmaßnahmen zu beschließen.

In jedem Fall gilt: Die Gewerkschaftsopposition, die Linke, die Basisinitiativen und Gruppen müssen ihre Zersplitterung und Isolation überwinden. Der Apparat hat einen großen Vorteil: Er kontrolliert den Laden, er ist landesweit koordiniert. Die kampfwilligen ArbeiterInnen und die Linken sind es nicht!

Daher ist der Zusammenschluss von aktiven GewerkschafterInnen in einer landesweiten, klassenkämpferischen Basisbewegung im DGB und in den Einzelgewerkschaften notwendig. Aufgabe einer solchen Basisbewegung muss es sein, den Kampf gegen die Agenda 2010 voranzutreiben, die Gewerkschaften zum Kampf zu zwingen und wenn nötig auch ohne und gegen die Bürokratenspitze Streiks, Besetzungen und Blockaden durchzuführen.

Dazu muss auch die Gewerkschaftslinke mit ihrer bisherigen Politik brechen! Es geht nicht einfach darum, "bessere" Vorschläge als die Gewerkschaftsbürokratie zu machen und einen Bürokraten durch einen anderen zu ersetzen. Es geht darum, den politischen Kampf gegen den bürokratischen Apparat zu führen und eine klassenkämpferische Gewerkschaftsführung aufzubauen. Es geht nicht um einen linken Abklatsch des Reformismus, sondern um eine Absage an jeden Reformismus!

Wer Schmoldt, Zwickel, Peters und Schmidthenner in den Gewerkschaften nicht schlagen will, wird auch gegen Schröder keine Chance haben!

Kampf auf neue Art

Die Agenda 2010 trifft gleichermaßen Beschäftigte, Erwerbslose, Jugendliche, RentnerInnen. Bündnisse wie Anti-Hartz-Initiativen und die entstehenden Sozialforen müssen in die Bewegung gezogen und einen prominenten Platz bei der Umsetzung der Aktionen einnehmen. Der Kampf kann und muss nicht nur im Betrieb, sondern auch im Stadtteil geführt werden. Dazu müssen die Sozialforen zu Aktionsräten vernetzt werden! Sie dürfen nicht auf unverbindliches "Diskutieren" reduziert werden! Sie müssen zu Organisationszentren des Widerstandes werden.

Dazu brauchen wir auch neue Aktionsforen, wie sie z.B. die Arbeitslosenbewegung in Argentinien (die piqueteros), Italien und Frankreich entwickelt haben - Straßenbesetzungen, Blockaden, unterstützende Streikposten für betriebliche Kämpfe, Besetzung von Arbeitsämtern usw.

Besonders wichtig ist es, die SchülerInnen, die zu Hunderttausenden gegen den Krieg auf die Straße gingen, in den Kampf gegen die Angriffe der Regierung einzubeziehen. Schröders Agenda ist die Fortsetzung der Militarisierung der deutschen Außenpolitik - Truppen am Balkan und in Afghanistan, Aufrüstung von Bundeswehr und EU-Eingreiftruppe - im Inneren. Der Kampf gegen den US-Angriff auf den Irak und die de facto Unterstützung durch die deutsche Regierung in Form von Überflugrechten, Awacs usw. muss nun durch Kampf gegen Sozialabbau und Abwälzen der Kosten für Bildung und Ausbildung auf die Eltern fortgesetzt werden.

Alternative

Heute steht die Organisierung des Abwehrkampfes, des Aufbaus von Kampfstrukturen im Vordergrund. Ohne politischen Massenstreik wird die Regierung nicht klein beigeben.

Doch was wollen wir eigentlich an Stelle der Regierungspolitik und der Angriffe des Kapitals setzen?

Verkürzung der Arbeitszeit! Durchsetzung der 35-Stunden-Woche unter Kontrolle der Beschäftigten! Aufteilung der Arbeit auf Alle!
Öffentliche Beschäftigungsprogramme unter Kontrolle der Gewerkschaften und der ArbeiterInnen zur Reintegration der Arbeitslosen!
Freier Zugang zu allen sozialen Einrichtungen, Gesundheits- und Rentenversorgung, Zugang zu Bildung und Ausbildung! Ausbau dieser Einrichtungen unter Arbeiterkontrolle! Finanziert durch die Kapitalisten und Reichen!

Ein solches Programm, das wir hier nur kurz skizzieren können, wird auf den entschiedenen Widerstand der Unternehmer und ihres Staates treffen. Wir müssen daher die Offenlegung aller Geschäftsunterlagen und aller staatlichen und kommunalen Planungen fordern! Ein solcher Kampf muss mit dem Kampf für eine umfassende Reorganisation der gesamten Wirtschaft einhergehen. Es geht nicht nur um Jobs für alle, es geht auch darum, gesellschaftlich nützliche soziale, ökologische, kulturelle Einrichtungen zu sichern.

All das stößt auf zwei große Hindernisse: Erstens die Macht des Privateigentums. Ohne die entschädigungslose Eineignung der großen Konzerne und Banken unter Kontrolle der Arbeiterklasse ist eine Reorganisation der Wirtschaft unmöglich.

Zweitens wird der bürgerliche Staat, werden Bullen, Gerichte, Behörden, Parlamente, Regierungen gegen uns eingesetzt werden. Wir müssen daher für Streiks, Massendemos, Blockaden eigene Kampforgane aufbauen, mit denen wir uns gegen den Staat der Unternehmer verteidigen können.

Wenn wir die Agenda 2010 mit Massenstreiks zurückschlagen, steht die Machtfrage in der gesamten Gesellschaft. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Dazu brauchen wir Kampforgane, die eine alternative gesellschaftliche Macht von Räten in den Betrieben und im Stadtteil darstellen.

Kurzum: der Abwehrkampf gegen die Agenda 2010 muss nicht nur verallgemeinert werden. Er kann und muss gleichzeitig zu einem Angriff auf das gesamte Ausbeutungssystem des Kapitalismus werden!

Leserbrief schreiben   zur Startseite

neue internationale
Nr. 80, Mai 2003

*  Gegen Agenda 2010: Massenstreik!
*  Rot/Grüner Generalangriff: Krieg nach Innen
*  Öffentlicher Dienst Berlin: Verhandeln bis zum Tod
*  Heile Welt
*  Antikriegsbewegung: Bilanz und Perspektiven
*  Der Krieg und die Antideutschen: Proimperialistische Linke
*  Kampf der Besetzung des Irak!
*  Mai 1968: Alles war möglich
*  Europäisches Sozialforum: Fighten oder Faseln?
*  Vorwärts zur Fünften Internationale!