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Massenproteste in Bolivien

Krieg den Palästen

Simon Sucre, Neue Internationale 78, März 2003

Am 13. Januar zeigten die Bauern dem bolivianischen Präsidenten, dass sie mit seiner Politik von Hunger, Elend und Vernichtung der Koka-Plantagen nicht mehr einverstanden sind. Der Bauernführer der Cocaleros (Kokabauern) und seine Partei MAS (Movimiento al Socialismo, Bewegung für Sozialismus) riefen zu Straßenblockaden in ganz Bolivien auf. Zwei Wochen lang wurden die wichtigsten Straßen um Cochabamba blockiert. Auf die staatliche Repression folgten Kämpfe zwischen der Armee und den Bauern. Fünf Bauern, ein Arbeiter, ein Polizist und ein Soldat kamen um. Die Bauernbewegung wurde durch Proteste der Bergleute aus Huanuni, durch Studenten aus Cochabamba und von RentnerInnen unterstützt.

Fauler Kompromiss

Doch schon bevor andere Bauern aus der Hochebene mir ihrem Führer, Saturnino Mallku, mit weiteren Blockaden in anderen Regionen beginnen konnten, kungelte Morales, einer der Anführer, mit der Regierung einen "Vertrag des Verständnisses" aus. Ein anderer, Mallku, verzögerte in La Paz und Oruro Kampfaktionen - damit waren die Bauerproteste in Cochabamba isoliert.

Durch diese "Kompromisslösung" wurden zwei hoffnungsvolle Wochen von Kämpfen und Straßenblockaden beendet, bevor sie auf die Städte übergreifen konnten. Was so nur blieb, waren einige leere Versprechungen der Regierung an die Cocaleros.

Bereits in den 80er Jahren hatte der heutige Staatspräsident Sanchez de Lozada als Wirtschaftminister unter Druck des IWF und der Weltbank die Hyperinflation in Bolivien gestoppt:

Es folgten die Privatisierung wichtiger Staatsbetriebe, tiefe Schnitte ins soziale Netz und permanente Angriffe auf Löhne und Pensionen.

Um den IWF zu überzeugen, weitere Kredite zu bewilligen, wurde auch der Widerstand der mächtigsten Gewerkschaft COB gebrochen. Die Minen wurden privatisiert oder geschlossen: Tausende Bergleute flogen auf die Strasse.

Als Staatspräsident leitete er weitere Maßnahmen ein: Privatisierung des staatlichen Sektors wie z.B. der Minenbetriebe, der Ölindustrie, der Telekommunikation, Verkauf der Gasressourcen an Enron.

Der Impuestazo

Um aus der Wirtschaftskrise und den Fiskaldefizit zu entkommen, verabschiedete Lozada in seiner zweiten Amtsperiode als Staatspräsident Mitte Februar ein neues Steuerpaket, genannt "Impuestazo".

Das ohnehin arme Volk sollte nun zusätzlich 12,5 % Steuern zahlen. Diese Maßnahme, die vom IWF verlangt wurde, um das Defizit des Fiskus um 8% zu verringern, traf vor allem die ohnehin armen Lohnabhängigen.

Als die RentnerInnen aus anderen Städten am 17. Februar nach fünf Tagen Fußmarsch! das Zentrum von La Paz erreichten, um gegen die Misere zu protestierten, solidarisierten sich SchülerInnen des Ayacucho Gymnasiums. Sie warfen Steine auf den Regierungspalast. Was tat die Polizei? Sie griff die Schüler nicht an - auch die Polizisten sind von der neuen Steuer betroffen!

Bereits einen Tag zuvor hatten Elite-Einheiten und andere Polizei-Abteilungen als Protest gegen die niedrigen Löhne den Einsatz verweigert. Die Polizei unterstützte die SchülerInnen, und StudentInnen und alle anderen, die ins Zentrum von La Paz kamen.

Erst die "Colorados", eine Spezialeinheit der Armee, deren Aufgabe es ist, den Präsidenten zu schützen, setzte dann Gas und scharfe Munitionen ein: gegen Schüler, Studenten und - Polizisten. Darauf folgten Schießereien zwischen Polizei und Armee. Die DemonstrantInnen konnten abends die wichtigsten Regierungsgebäude besetzen oder beschädigen. So wurde das Gebäude des Vize-Präsidenten komplett zerstört.

An diesem Abend traute sich niemand auf die Straße. Bereits am ersten Tag kamen acht Personen ums Leben. Am nächsten Tag besetzten Scharfschützen der Armee Hochhäuser. So wurde z.B. eine Krankenschwester bei ihrem Versuch, einem Verletzten zu helfen, erschossen. Mit Hubschraubern und Panzern versuchte die Armee, das Zentrum der Stadt zurück zu erobern. Daraufhin strömten Tausende auch aus anderen Städten ins Zentrum von La Paz: aus Cochabamba, Santa Cruz und Oruro.

Auch in anderen Orten besetzte das Volk Regierungseinrichtungen. Die Armee lieferte sich Straßenkämpfe mit den DemonstrantInnen. Da die Polizei ihre "Arbeit" verweigerte, folgten Plünderungen in ganz Bolivien. Auch der letzte Ausweg - die Verhängung des Ausnahmezustandes - fruchtete nicht. Die Massen forderten nicht nur die Abschaffung der neuen Steuer, sondern auch den Sturz der Regierung. Sie leisteten der Armee, die Tränengas und scharfe Munition einsetzte, erbitterten Widerstand. Über 30 Menschen kamen dabei ums Leben.

Bilanz

Um die Massen zu beruhigen, musste die Regierung die Steuererhöhungen wieder zurück nehmen. Den Familien der Opfer wurden ca. 10.000 Euro und den RentnerInnen eine Minimalrente von ca. 120 Euro versprochen. Präsident de Lozada kündigte allen Ministern, um dem Volk seinen "guten Willen" zu demonstrieren. Die Zurücknahme der Steuer ist ein Sieg des Volkes gegen die neoliberale Politik und zeigt, das energischer Kampf mehr bringt als faule Kompromisse.

Durch die Massenproteste im Februar stand die Regierung knapp vor dem Sturz. Sanchez De Lozada musste seine komplette Ministerriege austauschen.

Diese Massenproteste zeigten, dass durch gemeinsame Aktionen der Bauern, der Arbeiter und des Volkes die Regierung zum Rücktritt gezwungen werden kann. Es wurde aber auch deutlich, dass eine organisierte revolutionäre Führung fehlt, die den Kampf bis zur vollständigen Übernahme der Macht, der Zerschlagung des bürgerlichen Staates und der Errichtung einer Arbeiter- und Bauernregierung hätte weitertreiben können.

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Nr. 78, März 2003

*  Irak-Krieg: Krieg dem Imperialismus!
*  Offener Brief: Für eine bundesweite Aktionskonferenz
*  Antikriegsaktivität: Was tun wir?
*  Antikriegsbewegung: Der nächste Schritt
*  Deutsche Linke und der Krieg: Nur Frieden?
*  Arbeiterbewegung in den USA: Doppelter Krieg
*  Krise und Krieg: Welt am Wendepunkt
*  Massenproteste in Bolivien: Krieg den Palästen
*  Stiftung Warentest: Vorsicht Falle!
*  Heile Welt
*  Internationaler Frauentag am 8. März: No Sweatshops!
*  Arbeiterklasse in Deutschland: Vertreibung aus dem Paradies?