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Öffentlicher Dienst

Landesbeschäftigte in Warnstreiks

Frederik Haber, Neue Internationale 217, Februar 17

Diese Tarifrunde könnte was bewirken. Sie betrifft viele: Der Tarifvertrag Öffentlicher Dienst der Länder (TV-L) gilt für rund eine Million Beschäftigte an Schulen, Hochschulen, Verwaltungen, in den Finanzverwaltungen, aber auch bei Polizei und Justiz.

Es geht um viel Geld, weil der Tarifabschluss meist auch auf die BeamtInnen bei Ländern (Bund und Kommunen im Falle des TVöD-BK) sowie auf VersorgungsempfängerInnen, z. B. die Angehörigen von Verstorbenen, übertragen wird.

Außerdem hat diese Tarifrunde Signalwirkung für das ganze Land, da für die Metallindustrie die Tariferhöhung - 2 % im April - schon im letzten Jahr vereinbart worden ist.

Hier können die Gewerkschaften - gerade auch im Jahr der Bundestagswahl - zeigen, ob sie noch einen Faktor in diesem Land darstellen, mit dem man rechnen muss. Die Große Tarifkommission von ver.di, die den Streik gemeinsam mit der GEW und weiteren Verbänden führt, hat mit Forderungen, die sich auf 6 % summieren, einen Auftakt gemacht. Im Zentrum steht natürlich die Erhöhung der Löhne und Gehälter, aber eine Forderung hat auch Sprengkraft über den Öffentlichen Dienst hinaus: die nach Abschaffung der sachgrundlosen Befristung. Sollte ernsthaft um all das gekämpft und sollten die Forderungen durchgesetzt werden, wäre das ein Schritt vorwärts. Angesichts der Abschlüsse der letzten Jahre darf sich dabei jedoch niemand auf die Gewerkschaftsführungen verlassen.

Mehr Geld

Frank Bsirske von ver.di wird nicht müde zu betonen, dass die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst in den letzten Jahren von der Lohnentwicklung der Privatwirtschaft abgehängt worden seien. Das ist richtig, wenn sie sich mit den Stammbelegschaften der Auto- oder Chemieindustrie vergleichen. Es ist jedoch falsch im Vergleich mit dem wachsenden Heer der prekär Beschäftigten in den privaten Dienstleistungsberufen und den ebenso wachsenden Randbelegschaften der Industrie.

Grundsätzlich hat die ver.di-Führung nämlich das Spiel mitgemacht, das mit der Agenda 2010 begonnen wurde. Die immer weitere Ausdifferenzierung der ArbeiterInnenklasse wurde „mitgestaltet“ und nicht bekämpft. Die realen Durchschnittseinkommen stagnierten, der Standort Deutschland und die Exportmacht wurden weiter gestärkt.

Bsirske benimmt sich dabei nicht ganz so kriecherisch wie die Führung der IG Metall, hat er doch genug Branchen in seinem Verband, die dabei eher den Kürzeren gezogen haben, aber er hat immer dann die Streiks und Tarifrunden abgewürgt, wenn sie den beschriebenen Gesamtrahmen zu sprengen drohten: so bei der Post, den ErzieherInnen und bei den Kommunen.

Die Einzelforderungen, die jetzt in dem Paket drinstecken, verbleiben auch im Gesamtrahmen, den die Führungen der Gewerkschaften, der SPD und der Linken immer respektiert haben:

eine soziale Komponente in Form eines Sockel- oder Mindestbetrages

die Einführung der Stufe 6 in den Entgeltgruppen 9 bis 15 (also die Einführung einer weiteren Erhöhungsstufe für länger Beschäftigte in diesen Entgeltgruppen)

die Bezahlung der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst der Länder sowie der Erzieherinnen und Erzieher in Berlin sowie bei den an den TV-L gebundenen Studentenwerken und Beschäftigten in der Pflege soll an die der Kommunen angeglichen werden.

Für die Auszubildenden fordert ver.di eine Erhöhung der Vergütungen um 90 Euro, mehr Urlaub und die Übernahme nach der Ausbildung. Zudem sollen die schulischen Ausbildungsgänge, z. B. in den Gesundheitsberufen, in die Tarifverträge einbezogen werden.

Sie werden es sich auch einfach machen, ein Ergebnis am Ende schönzurechnen, da Teilergebnisse bei Berufsgruppen kaum nachzuvollziehen sind. Trotzdem hat das Volumen von 6 % eine Signalwirkung und könnte zu Kämpfen führen, die den Klassenkonsens in Frage stellen.

Befristungen

Es gibt auch im Öffentlichen Dienst Leiharbeit, aber die Befristungen sind das größere Problem. Das Teilzeit- und Befristungsgesetz unterscheidet begründete Befristungen, z. B. als Elternzeitvertretung oder für eine zeitlich befristete Stelle. „Sachgrundlose Befristungen“ dürfen maximal dreimal verlängert werden bis zu einer Gesamtdauer von zwei Jahren. Im Hochschulbereich gelten noch andere Fristen.

Die sachgrundlose Befristung als solche dient allein dazu, die Gehälter zu drücken und die Beschäftigten in ständiger Unsicherheit und Hoffnung auf Übernahme zu halten. Wenn ver.di dies grundsätzlich in Frage stellt, kann das ein Signal für alle prekär Beschäftigten sein.

Bei der Leiharbeit haben die DGB-Gewerkschaften, allen voran die IG Metall, diese Chance gerade ungenutzt verstreichen lassen. Die Neuregelung des Gesetzes, das letztlich keine Verbesserung für die LeiharbeiterInnen bringt, wurde nur mit - erfolgloser - Lobbyarbeit und Anpassung der Tarifverträge begleitet (http://arbeitermacht.de/ni/ni214/leiharbeit.htm).

Eine öffentliche Kampagne gegen Leiharbeit und Befristung hätte aber im letzten Jahr Signalwirkung gehabt und könnte auch gerade in diesem Wahljahr sich an die Schichten der ArbeiterInnenklasse wenden, die im kapitalistischen Deutschland des Jahres 2017 nicht oder kaum die Chance haben, einen sicheren Arbeitsplatz und ein Einkommen zu erreichen, das einigermaßen zum Leben reicht.

Eine solche Kampagne wäre ein praktisches Zeichen, dass die ArbeiterInnenbewegung mit ihren Organisationen kämpfen und etwas für alle, auch gerade für die unteren Schichten der Klasse, erreichen kann. Das wäre der beste Schlag gegen alle DemagogInnen und RassistInnen, die Unterstützung in diesen Schichten vor allem deshalb finden, weil diese seit Jahren von der Sozialdemokratie gedrückt und den Gewerkschaften verlassen worden sind.

Taktik

Deshalb rufen wir auf, den Tarifkampf im Öffentlichen Dienst zu unterstützen, die Warnstreiks, die Kundgebungen, die Versammlungen. Wir rufen auf, alle Forderungen aufzugreifen und für ihre Durchsetzung zu kämpfen. Dafür müssen aber alle Streikenden und Aktiven den Kampf selbst in die Hand nehmen, damit der Kampf nicht ausverkauft wird.

Streikkomitees in den Betrieben und Verwaltungen bilden; Soli-Komitees, wenn sich der Kampf ausweiten sollte!

Versammlungen der Gewerkschaftsmitglieder und der Beschäftigten müssen über das Vorgehen entscheiden, nicht die Hauptamtlichen!

Tarifkämpfe können Menschen in Bewegung bringen. Das bringt neue Erfahrung und Erkenntnisse. Gerade weil alle Kämpfe der letzten Jahre ausverkauft worden sind, brauchen sie auch die Erfahrung, wie man sich wehren und dabei lernen kann, die eigenen Organisationen zu kontrollieren.

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Nr. 216, Februar 17

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