Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Autoindustrie

Sand im VW-Getriebe

Frederik Haber, Neue Internationale 212, September 2016

Es kam in den Nachrichten an vorderster Stelle, eine Meldung von nationaler Bedeutung: VW drosselt die Produktion, weil ein Zulieferer nicht mehr Teile liefern kann oder will. Ob er nicht konnte oder nicht wollte, war eigentlich kein Thema. Alleine die Tatsache, dass er nicht lieferte, war ausreichend skandalös und seitens der offiziellen Medien machte sich erstmal keiner daran, die Gründe des gescholtenen Zulieferers zu erforschen.

Haifischbecken

Nach allem was man jetzt weiß, saß die Firma Prevent DEV GmbH, der die sächsischen Zulieferer Car Trim (Plauen) und ES Automobilguss (Schönheide) gehören, auf unbezahlten Rechnungen von VW. Es war auch die Rede von unerfüllten Zusagen und bevorstehendem Bankrott.

Das ist eigentlich normal. In der Auto-Industrie sind die Kunden - die Endhersteller - die Könige. Sie müssen nie sofort zahlen und wenn sie dies nach dem vereinbarten Zahlungstermin nicht gleich erledigen, tun sie das normalerweise ungestraft. Die Zulieferer sitzen an einem verdammt kurzen Hebel. „Haifischbecken“ nennen die Stuttgarter Nachrichten vom 23. August die Auto-Industrie und zählen auf:

Um überhaupt an Aufträge zu gelangen, muss der Zulieferer umfangreiche Entwicklungsarbeiten vornehmen. Um sie einzuspielen, ist er auf den Auftrag angewiesen - auch wenn er daran kaum etwas verdient.

Bekommt ein Zulieferer den Auftrag, muss er in Produktionsanlagen investieren. Diese Ausgaben kann er über den aktuellen Auftrag aber gar nicht einspielen. Er ist auf weitere Aufträge angewiesen - und dem Hersteller ausgeliefert.

Autohersteller durchforsten den Zulieferer intensiv nach Einsparmöglichkeiten. Diese schöpfen die Hersteller dann über äußerst knapp kalkulierte Preise ab. Hält der Zulieferer sich nicht an die Sparvorgaben, reicht es nicht einmal für die schmale Rendite um die drei Prozent, die Hersteller ihm zugestehen.

Die Autohersteller gehen davon aus, dass die Zulieferer mit der Zeit effektiver arbeiten. Die Ersparnis, die daraus entsteht, schöpfen sie ab, indem sie von vorneherein sinkende Abnahmepreise festlegen.

Darüber hinaus sichern sich die Endhersteller oft auch das Know-how der Zulieferer, nicht um selbst zu produzieren, sondern um damit die Konkurrenz zu fördern. Und dann gibt es noch etwas, was die Einkäufer der Konzerne „Quick savings“ nennen: Will ein Zulieferer den Folgeauftrag, muss er erstmal seine aktuellen Lieferungen verbilligen. Manchmal muss er das auch schon tun, um nur ein Angebot für den Folgeauftrag abgeben zu können.

Der Begriff „Haifischbecken“ ist also durchaus zutreffend und die Zustände müssen schon krass sein, wenn eine so wirtschaftsnahe Zeitung solche Begriffe verwendet.

Worin besteht der Skandal?

Dennoch sind es nicht diese Verhältnisse, die für die bürgerlichen Medien skandalös sind. In der kapitalistischen Konkurrenz ist das, was im zivilen Leben Erpressung genannt wird, Alltag und systemerhaltend. In einem Kommentar erklären die Stuttgarter Nachrichten den LeserInnen, dass „Arbeitsteilung zu den sinnvollsten Erfindungen des Wirtschaftslebens“ gehöre, da sie „den Wettbewerb auf eine ganz neue Stufe der Intensität katapultiere“, von dem „Autokäufer profitieren“ würden.

Die ganze Ungleichheit der Beziehungen drückt sich in den Renditen aus. Die am kompletten Auto erzielte Rendite wird keineswegs entsprechend den Arbeitsanteilen aufgeteilt. So sind bei den Endherstellern rund 10 Prozent Umsatzrendite das übliche Ziel, bei den großen Zulieferern 5 - 6 Prozent und ganz offenherzig erzählen die Stuttgarter Nachrichten ihren Lesern, dass den kleinen Zulieferern höchstens 3 Prozent zugestanden werden. Umsatzrendite bedeutet übrigens, dass an jedem Teil, das von einem Zulieferer gekauft wird, unabhängig davon, ob an ihm noch eine weitere Wertschöpfung stattfindet, z. B. durch Weiterbearbeitung, Daimler, BMW und Audi 10 Prozent Gewinn machen wollen.

Skandalös für die Medien war durchgehend die Tatsache, dass ein kleiner Zulieferer die Auto-Produktion ins Stocken bringen könne und tatsächlich 22.000 Golf und Passat nicht zu dem Zeitpunkt gefertigt werden konnten, zu dem dies geplant war. Eine solche Erpressung wiederum ist natürlich nicht zu ertragen und gehört gerichtlich verfolgt. Denn dabei bleiben Profite auf der Strecke, aber viel schlimmer: Das Vertrauen in die deutsche Wirtschaft könnte leiden und eines der Schlachtschiffe, mit dem Deutschland in den Kampf mit den anderen Großmächten zieht, könnte nach der Diesel-Affäre weiteren Schaden erleiden.

Damals war Frau Merkel in Sorge, jedoch: „Ich glaube aber, dass die Reputation der deutschen Wirtschaft, das Vertrauen in die deutsche Wirtschaft damit nicht so erschüttert ist, dass wir nicht weiter als ein guter Wirtschaftsstandort gelten“. Während der Sachwalter des deutschen Imperialismus, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, den Autobauer hingegen mit scharfen Worten attackierte: „Das war ein Anschlag auf den Standort Deutschland, auf viele tausend Kunden und Arbeitnehmer“, (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/vw-abgasskandal/vw-poetsch-spricht-von-existenzbedrohenden-krise-13837935.html).

Arbeitsverhältnisse in der Autoindustrie

Dass es für die ArbeiterInnen in der Zulieferindustrie deutlich schlechtere Löhne gibt und die Stamm-Beschäftigten bei den Auto-Konzernen dann noch Jahresprämien erhalten, die mehreren Monatslöhnen andrer ArbeiterInnen entsprechen, erwähnen die bürgerlichen Medien gelegentlich noch. Dass es bei der Vergabe von Produkten, die früher fast alle Autohersteller selbst gefertigt haben, genau darum geht, wird verschwiegen. So können die Profite erhalten werden, die angesichts der weltweiten Krise immer mehr unter Druck kommen.

Den Stammbelegschaften mit ihren Jahresprämien stehen schon in den Werken die LeiharbeiterInnen mit Firmen- oder Branchenzuschlag gegenüber, solche ohne Zuschläge, Beschäftigte in fremdvergebener Produktion, gerne als „Produktionslogistik“ verbrämt, mit oder ohne Tarifvertrag, aber immer deutlich unterhalb der Flächentarifverträge der IG Metall. In der Zulieferbranche gelten diese gerade mal noch bei den großen: Bosch, ZF, Conti, Mahle, aber auch dort keineswegs überall und in den meisten Fällen mit Einschränkungen oder unbezahlten Mehrstunden. Die schlichte Anwendung der Flächentarife ist in der Metallbranche eine Ausnahme geworden.

Diese Tatsache wird aber nicht nur in der bürgerlichen Presse verschwiegen, sondern ist auch bei der IG Metall ein Tabu. So nutzt die Gewerkschaft dann den Konflikt auch nicht, um die Ausbeutungsbedingungen in den Zulieferbetrieben anzuprangern, sondern nur um die Sicherung der Arbeitsplätze zu fordern.

Dafür liegt auch ihr die Branche am Herzen: „Schnürt man den Zulieferern über die Kostenschraube die Luft ab, fehlen ihnen die notwendigen Ressourcen für die aktive Gestaltung notwendiger Veränderungsprozesse und die Innovationskraft geht verloren.“ Und: „Die Stärke der deutschen Automobilbranche besteht neben ihrer hohen Innovationsdynamik und den gut ausgebildeten Belegschaften in der engen Kooperation zwischen Zulieferern und Herstellern.“

In der Stellungnahme des IGM-Vorstandes vom 28. August kommen Begriffe wie Löhne oder Entgelte nicht vor. Von fairer, solidarischer, verlässlicher und/oder enger Zusammenarbeit ist allerdings fortwährend die Rede. Aber immer nur in Bezug auf die Geschäfts-„Partner“, nie in Bezug auf die Beschäftigten. Die bleiben weiter gespalten und im Zweifel ist die IG Metall auf Seiten der Stammbelegschaften:

„VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh hat angesichts des Zuliefererstreits und der Abgasaffäre bei Volkswagen vor betriebsbedingten Kündigungen gewarnt. ‚Stammbelegschaft ist Stammbelegschaft', sagte Osterloh der ‚Bild'-Zeitung. ‚Wenn sich jemand trauen sollte, dort abbauen zu wollen, müssten wir auch den Vorstand verkleinern!'“ (http://www.labournet.de/branchen/auto/auto-zulieferer/vw-werk-wolfsburg-u-a-materialengpass-hat-auswirkungen-auf-die-produktion) Wir danken Kollegen Osterloh für die Erinnerung an die Politik der IG Metall: „Stammbelegschaft ist Stammbelegschaft”, womit mal wieder klar ist, wer gegebenenfalls fliegen wird, wohl ohne Verbalattacken…

Das ganze Spiel des Kapitals, einen privilegierten Teil der ArbeiterInnenklasse mit den Extra-Profiten zu füttern, die auf dem Weltmarkt dank der „Stärke der deutschen Automobilbranche“ anfallen oder den Rand- und Zulieferbelegschaften abgepresst werden, wird von den BürokratInnen der IG Metall wie natürlich den BetriebsratsfürstInnen mitgetragen. „Arbeiteraristokratie“ nannte schon Engels diese Schicht der Klasse, die unter der Dominanz des sozialdemokratischen Reformismus erzogen wird, ihre Kampfkraft, die sie naturgemäß in diesen Monopolunternehmen hätte, nicht für die Klasse, sondern nur für ihre Privilegien einzusetzen.

Schönreden oder Klassenkampf

Viele BetriebsrätInnen und Vertrauensleute in der Zulieferindustrie haben sich mehr oder weniger heimlich gefreut, dass endlich jemand dem Giganten aus Wolfsburg die Grenzen aufzeigt. Echte Freude kann da dennoch nicht aufkommen, weil „Die Infos zeigen, dass in diesem bereits als ‚David gegen Goliath' bezeichneten Konflikt auch beide die Bösen sein können…“ (labournet; dort finden sich auch zahlreiche Text zur VW-Affäre und ihren Hintergründen).

Das ist kein Wunder. Im Haifischbecken fressen die Großen den Kleinen das Futter weg und gelegentlich mal den ganzen Konkurrenten. Sie werden aber keine Karpfen. Die kleinen Haie sind oft in der Behandlung ihrer Beschäftigten in jeder Hinsicht brutaler als das Management in Konzernen, die gut gewerkschaftlich organisiert sind.

Was GewerkschafterInnen und Linke aufgreifen müssen, ist die Realität darzustellen und Alternativen zu den Illusionen entwickeln, die hier von der Gewerkschaftsführung verbreitet werden. Die Krise dieses Systems und die damit einhergehende Verschärfung der Konkurrenz werden nicht erlauben, „langfristig ausgerichtete partnerschaftliche Beziehungen zwischen OEMs und Zulieferern zu garantieren und Vergabe wie auch Preisbildung für beide Seiten transparent und fair zu regeln“. (OEM: Original Equipment Manufacturer; Originalausrüstungshersteller, der selbst produzierte Teile nicht in den Einzelhandel bringt; in der Automobil- und Maschinenbaubranche das genaue Gegenteil: ein Unternehmen, das Produkte von Fremdherstellern unter eigenem Namen veräußert; d. Red.) Solche, von der IG Metall gebetsmühlenartig vorgetragenen Phrasen können nur in die Irre führen und werden zerplatzen wie Seifenblasen.

Die Kluft zwischen den KapitalistInnen wird weiter wachsen und damit auch zwischen den Schichten der ArbeiterInnenklasse, sollte dem nicht durch Kampf entgegengetreten werden. Da hilft die Hoffnung Haie zu Karpfen zu machen nicht weiter. Ziel muss sein es sein, für gleiche Arbeitsbedingungen zu kämpfen. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ muss in der ganzen Branche gelten. Natürlich bundesweit und da kaum eine Branche so international aufgestellt ist wie die Autobranche, ist dieser Kampf von Anfang an international. Die Sonderzahlungen für die Stammbelegschaften sind heute so offensichtlich Zugeständnisse auf Kosten aller anderen, dass sie nicht länger zu tolerieren sind. Sie sind gleichsam das Symbol der Unterordnung der Gewerkschaftsbürokratie nicht nur unter die Konzerne, sondern auch unter alle Bemühungen der herrschenden Klasse Deutschlands, die Welt für sie zahlen zu lassen. Es ist auch ein politischer Kampf, dem sich Linke auch politisch stellen müssen. Die Macht der Auto-Konzerne muss gebrochen werden. Die Branche muss entschädigungslos verstaatlicht und unter Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden - aller Beschäftigten! Nur so können „Fairness und Partnerschaft“ einziehen und Innovationen verwirklicht werden, die zu einem sinnvollen und effektiven Verkehrssystem führen, das seinerseits nicht nach den Kriterien der Profitmaximierung, sondern gemäß den Interessen der NutzerInnen und ökologischer Nachhaltigkeit reorganisiert werden muss.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 212, September 2016

*  TTIP und CETA stoppen - international
*  Autoindustrie - Sand im VW-Getriebe
*  Landtags- und Kommunalwahlen: Kritische Unterstützung der Linkspartei!
*  Neues Prostitutionsgesetz: Alte Stigmatisierungen, neue Zumutungen
*  Gina-Lisa Lohfink: Ein Beweis ist kein Beweis
*  Türkei: Erdogans Regime auf dem Weg zum Bonapartismus
*  Syrien: Die Konterrevolution droht alles zu ersticken
*  Sommerschulung/REVO-Camp: Politischer Erfolg
*  US-Präsidentschaftswahlen: Zwei Übel treten an
*  Antimuslimischer Rassismus: Nein zum Burkaverbot!
*  Rassistische Gesetze des Bundes und Bayerns: Weg mit den sog. "Integrationsgesetzen"