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Grossdemonstrationen am 17. September

TTIP und CETA stoppen - international!

Tobi Hansen, Neue Internationale 212, September 2016

Das Freihandelsabkommen TTIP zwischen EU und USA steht auf der Kippe. CETA, das Abkommen mit Kanada, soll dafür umso rascher durchgezogen werden.

Schon im Oktober 2015 gingen über 250.000 Menschen in Berlin gegen TTIP/CETA auf die Straße. Die Demonstration war jedoch kein Aufhänger für weitere Aktionen, geschweige denn für weitere Mobilisierungen und/oder Kampagnen in den Betrieben.

Am 17. September, also fast ein Jahr später, folgt die nächste Massenmobilisierung in 7 Städten gegen die Macht der Konzerne, für Verbraucherschutz und arbeitsrechtliche Standards. Die Forderung ist einfach, klar und richtig: TTIP und CETA müssen gestoppt, verhindert werden.

Die Chancen stehen v. a. bei TTIP gut. Das liegt jedoch nicht in erster Linie an den Protesten, sondern an den Gegensätzen zwischen USA und EU, welche die Verhandlungen ins Stocken gebracht haben.

Trotzdem: Grund zur Entwarnung ist damit noch lange keiner gegeben. Erstens steht CETA nicht vor dem Scheitern. Zweitens ist TTIP trotz aller Friktionen nicht vom Tisch und niemand sollte sich darauf verlassen, dass sich die UnterhändlerInnen von EU und USA nicht doch auf Kosten der Bevölkerung einigen. Drittens wären im Fall des Scheiterns Verhandlungen über Abkommen zu einzelnen Aspekten von TTIP wahrscheinlich.

TTIP am Ende?

Aktuell wird kaum noch davon ausgegangen, dass das Freihandelsabkommen noch 2016 zustande kommt. Dies liegt aber nicht an den Großdemonstrationen aus dem Jahr 2015, auch wenn das einige RednerInnen den Protestierenden am 17. September erzählen wollen. Vielmehr liegt es daran, dass sich die beiden mächtigsten Wirtschaftsblöcke der Welt noch nicht einig sind.

Schließlich geht es bei allen „Freihandelsabkommen“ letztlich darum, wer wo welche Vorteile aus ihnen ziehen bzw. den Konkurrenten/Partner ausstechen kann. Bei allen Regelungen und Kapiteln des Vertrages geht es um Profite und deren Verteilung. Ein größerer Streitpunkt ist der Zugang zu öffentlichen Aufträgen. In den USA gilt das Prinzip „America first“. Dies muss die EU aufbrechen, wenn deutsche und andere Konzerne aus der Union an diese Aufträge rankommen sollen. Ähnliches gilt für die Schiedsgerichte, die Markenrechte und Schutzzölle, die weiterhin Bestand haben sollen.

Das mutet für ein „Freihandelsabkommen“ zwar seltsam an, es entspricht aber der aktuellen kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die von den Interessen des Großkapitals, von monopolistischen Unternehmen und dem Finanzkapital dominiert wird und deren spezifische Interessen es auf beiden Seiten des Atlantik zu wahren gilt. So wollen z. B. die USA ihren Automobilmarkt schützen, während die EU dasselbe Ziel für ihren Agrarmarkt verfolgt.

Diese Art von Freihandel soll jedoch nicht nur den Markt für die Kapitale der beiden Blöcke erweitern - vor allem soll so auch die Konkurrenz aus Japan, China und anderen Ländern von den jeweiligen Märkten ferngehalten werden. Daher ist TTIP auch ein Abkommen gegen die meisten Länder der Welt zur gemeinsamen Sicherung der Konkurrenzfähigkeit und Interessen der „traditionellen“ Großmächte Europas und Nordamerikas - und daher sollte die Gegenbewegung das Abkommen nicht zu Grabe tragen, bevor es endgültig gefallen ist.

Die kommende US-Präsidentschaftswahl bedeutet, dass ein Ende der Verhandlungen in diesem Jahr auszuschließen ist. Beide Kandidaten stehen TTIP kritisch gegenüber - Trump wegen seiner protektionistischen Wirtschaftspolitik und Clinton, weil sie gerade bei diesem Thema den ehemaligen Sanders-UnterstützerInnen im Wahlkampf entgegenzukommen versucht. Weder Clinton noch Obama werden für einen raschen TTIP-Deal die Wahlchancen der Demokraten riskieren. Und auch die EU hat nichts davon, ein Abkommen im Eilverfahren und mit vielen Zugeständnissen durchzupeitschen, das von einem neuen Präsidenten oder neuen Mehrheiten im US-Kongress oder Senat wieder kassiert wird.

Risse

In Deutschland und anderen europäischen Ländern haben die zähen Verhandlungen und die Proteste aus der Gegenbewegung die Risse unter den Regierungen und im „TTIP-Lager“ vertieft. In der SPD bröckelt die Zustimmung, nicht ganz zufällig findet ein Konvent zwei Tage nach den bundesweiten Großdemos in Wolfsburg statt. Inzwischen ist sowohl vom wirtschaftsfreundlichen „Seeheimer Kreis“ wie auch von der NRW-Landesgruppe der Bundestagsfraktion eher Ablehnung zu hören.

Deren VertreterInnen glauben nicht, dass TTIP noch vor der Bundestagswahl 2017 durchkommt, oder zumindest nicht in der jetzigen Form. Hier finden wir keine plötzlich aufgetauchte sozialdemokratische Gesinnung wieder, sondern allein die Furcht vor der nächsten verlorenen Wahl treibt diese Komponenten der SPD zu einer abwartenden Haltung, während die sog. SPD-Linke wohl zur Hälfte Gabriel folgen will. Eine verlorene Abstimmung beim Konvent könnte zumindest das mittelfristige Ende des Parteivorsitzenden einläuten. Ob damit aber TTIP verhindert werden kann, steht auf einem anderen Papier.

Zweifellos ist es richtig, diese Gräben in der SPD weiter zu vertiefen, eine klare Stellung gegen TTIP und CETA (!) einzufordern und vor allem in den Gewerkschaften und auf der Straße Druck auszuüben. Zugleich braucht der Protest gegen TTIP, CETA und ähnliche Abkommen eine Perspektive, die die gemeinsamen Interessen der ArbeiterInnenklasse auf beiden Seiten des Atlantiks und über EU und USA hinaus ins Zentrum rückt. Es geht darum, dass der Protest mit einer fortschrittlichen, internationalistischen und anti-kapitalistischen Perspektive verbunden wird - und nicht in die Sackgasse nationaler Abschottung, des Protektionismus oder der Beschwörung der Ideologie der „Sozialpartnerschaft“ geführt wird.

Begrenztheit des reformistischen Protestes

Die Slogans der Proteste wirken manchmal wie aus einer anderen Zeit hinübergerettet, dort wird eingetreten „für einen gerechten Welthandel, für Demokratie statt TTIP“. Alles bleibt in einer Käseglocke der deutschen reformistischen und kleinbürgerlichen Ideologie.

Der „gerechte Welthandel“ ist eine ideologische Fiktion. Sie unterstellt, dass sich in einer globalen kapitalistischen Ökonomie auf Dauer andere als die Konkurrenzfähigsten durchsetzen könnten, dass die mächtigsten imperialistischen Staaten wie die USA und Deutschland andere Interessen als jene der herrschenden Klassen vertreten würden. Für die deutsche Regierung geht es u. a. darum, dass das Land „Exportweltmeister“ bleibt. Die Forderung nach einem „fairen Welthandel“ bei gleichzeitiger Beibehaltung der kapitalistischen Marktwirtschaft ist angesichts der Zwangsgesetze der Konkurrenz und Profitmacherei eine illusorische Phrase, die letztere beschönigt und verharmlost - und zugleich die Protestierenden in die Irre führt.

Dasselbe trifft für eine „Demokratie“ zu, die lt. Kanzlerin Merkel vor allem marktkonform zu sein hat. Damit rechtfertigt sie die Einschränkung bürgerlicher Rechte - wir sollten aber nicht vergessen, dass selbst die demokratischste bürgerliche Demokratie letztlich ein Herrschaftsinstrument des Kapitals ist.

Die Kehrseite davon ist, dass bei den Protesten auch Anleihen an plumpem populistischen Antikapitalismus und Sozialchauvinismus vorhanden sind. Dazu gehört auch die Mär von der sog. „sozialen Marktwirtschaft“, die nicht so schlimm sei wie der böse US-Kapitalismus. Es gehört dazu auch die Mär, dass vor allem die USA Europa erpressten, während sich die EU über den Tisch ziehen ließe.

So fehlen Bezüge des Protestes, die über den Schutz der deutschen KonsumentInnen und Beschäftigten hinausgehen könnten. Natürlich ist es richtig, die Mitbestimmungsrechte der DGB-Gewerkschaften gegen Angriffe des Kapitals zu verteidigen. Aber diese sind selbst zugleich auch ein gesetzlicher Rahmen zur Einbindung der ArbeiterInnenklasse in das System der Sozialpartnerschaft und keineswegs „Vorbild“ für eine kämpferische Bewegung. Die reformistischen, gewerkschaftlichen oder kleinbürgerlichen Führungen der Proteste - seien es SPD, Gewerkschaftsapparat, Linkspartei, Grüne, attac, ... - wollen die Mobilisierung jedoch auf eine rein parlamentarische und institutionelle Reform festlegen, die es erlauben soll, zu einer (imaginierten) Zeit des Sozialkompromisses auf nationaler Ebene zurückzukehren.

Dies macht aber auch deutlich, dass antikapitalistische und revolutionäre Gruppierungen diese Proteste nicht auf Abstand verfolgen sollen oder allein bei ihrer Kritik des Reformismus stehen bleiben dürfen. So würden sie nur den wohlfeilen Akteuren der Grünen, der NGOs, von attac, den Gewerkschaftsführungen, der Linkspartei oder SPD-Linken die sozialpartnerschaftliche Ausrichtung der Proteste überlassen, ohne daran etwas zu ändern.

Dabei darf sich die Kritik an diesen Führungen nicht nur auf deren Ideologie beschränken. Es geht darum, dass die Bewegung aufhört eine nationale Bewegung zu sein und dass die ArbeiterInnenklasse zur führenden Kraft dieser Mobilisierungen wird, dass aus einem jährlichen Protest eine Bewegung erwächst, die betrieblich und gewerkschaftlich mobilisiert und politische Streiks für ihre Forderungen länderübergreifend koordiniert.

Perspektive

Den Freihandelsabkommen stellen wir nicht die Perspektive der Rückkehr zum Nationalstaat samt Sozialpartnerschaft gegenüber, sondern den gemeinsamen Kampf über die Länder und Kontinente hinweg. Über den Stopp von TTIP und CETA hinaus fordern wir die Offenlegung aller Verträge, Vertragsentwürfe, Eingaben und Verhandlungsprotokolle. Unsere Alternative zu TTIP und CETA ist nicht der Protektionismus, sondern Abschaffung von Schutzzöllen bei gleichzeitiger Kontrolle von Gesundheits- und Umweltstandards der Produkte durch VertreterInnen von Gewerkschaften, der Masse der KonsumentInnen, von LandarbeiterInnen und BäuerInnen.

Gleichzeitig müsste als Alternative zu TTIP statt leerer Phrasen ein gemeinsamer Kampf für die Verbesserungen der Rechte und materiellen Lage der ArbeiterInnenklasse um konkrete Forderungen organisiert werden wie z. B.: Aufhebung aller Beschränkungen gewerkschaftlicher und betrieblicher Aktivität und Organisierung; Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden; Abschaffung aller Leiharbeits- und befristeten Arbeitsverhältnisse; Mindestlohn, der von der ArbeiterInnenbewegung der jeweiligen Länder festlegt wird; die vollständige Freizügigkeit (offene Grenzen); wechselseitige Anerkennung aller Bildungsabschlüsse und Ausbildungen; entschädigungslose Enteignung privatisierter Unternehmen und Dienstleistungen unter ArbeiterInnenkontrolle!

In diesen Antworten und ihrer Verbindung mit einer antikapitalistischen Perspektive könnte der Schlüssel zu einer „transatlantischen“ Solidarität der ArbeiterInnen und Unterdrückten liegen.

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Nr. 212, September 2016

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