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Neues Prostitutionsgesetz

Alte Stigmatisierung, neue Zumutungen

Veronika Schulz, Neue Internationale 212, September 2016

Anfang Juli hat der Bundestag mehrheitlich das sogenannte „Prostituiertenschutzgesetz“ verabschiedet, das nach noch ausstehender Zustimmung des Bundesrates im Juli 2017 in Kraft treten soll. Die Große Koalition, allen voran Familienministerin Manuela Schwesig (SPD), feiert diese Neuregelung des Prostitutionsgewerbes als eine wichtige Verbesserung für in der Prostitution beschäftigte Personen, die diesen mehr Sicherheit verschaffen soll.

Die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen, die sich Union und SPD ausgedacht haben, sind allerdings eher bürokratisch als praxisnah und es darf mehr als angezweifelt werden, ob sich die Situation der rund 400.000 meist weiblichen SexarbeiterInnen in Deutschland dadurch tatsächlich verbessert.

Gründe für die Neuregelung

Das neue „Prostituiertenschutzgesetz“ soll das bestehende Gesetz aus dem Jahr 2002 ersetzen, das von der rot-grünen Koalition eingeführt wurde. Dieses wurde insbesondere von konservativen Unionspolitikern als zu liberal eingestuft, da sich Deutschland im Zuge der Anerkennung von Prostitution als Beruf zum „Puff Europas“ entwickelt habe. Derartige Kritik zielt zwar zurecht auf die menschenunwürdigen Flatrate-Angebote, die Freiern nach Einmalzahlung verschiedenste sexuelle Handlungen zu Dumping-Preisen gewähren. Die aktuelle Neuregelung und der damit verbundene Ersatz des bestehenden Gesetzes entsprechen jedoch nicht den Forderungen, für die sich Betroffenen-Organisationen seit langem einsetzen. Beispielsweise hat sich ein Modell etabliert, wonach ZuhälterInnen und BordellbetreiberInnen nur noch als VermieterInnen auftreten und bei Razzien und Kontrollen oftmals nicht belangt werden können. Die Prostituierten hingegen werden u. a. wegen Scheinselbständigkeit und Steuervergehen angezeigt und verurteilt.

Die populistische Kritik der Union verschleiert darüber hinaus die Errungenschaften des ersten Prostitutionsgesetzes, die ebenso Beachtung finden sollten. Die öffentliche Debatte über die Situation von SexarbeiterInnen ebenso wie über ihre Rechte bedeutete noch zu Beginn dieses Jahrtausends einen Tabubruch. Zum ersten Mal wurde auch über sexuell motivierte Gewalt gegen Prostituierte gesprochen und wie ihr Schutz vor ZuhälterInnen und Freiern gewährleistet werden könnte. Prostitution wurde nun nicht mehr als „sittenwidrig“ eingestuft und in der Sexarbeit Tätige hatten erstmals Anspruch auf Aufnahme in die Sozialversicherung.

Wie im Folgenden gezeigt werden wird, verfehlt die Neuregelung nicht nur diese überfälligen Nachbesserungen, sondern auch das selbstgesteckte Ziel des besseren Schutzes von Prostituierten.

Schutzmaßnahmen vs. bürokratische Kontrolle

Den besseren Schutz von SexarbeiterInnen will die Große Koalition durch eine Reihe behördlicher Maßnahmen erreichen, die für Prostituierte, BordellbetreiberInnen und Freier Auswirkungen haben.

Vorgesehen ist laut Neuregelung beispielsweise eine „Kondompflicht“ für Freier, die bei Verstoß mit einem Bußgeld geahndet werden kann (1). Bereits bei dieser Regelung wird deutlich, wie weltfremd das neue Gesetz daherkommt: Die Bundesregierung geht davon aus, dass Prostituierte ihre Freier einfach abweisen oder gar verklagen, weil diese auf Sex ohne Kondom bestehen. Solange Freier allerdings bereit sind, für sexuelle Handlungen ohne entsprechenden Schutz mehr zu zahlen oder diese Handlungen gewaltsam erzwingen, befinden sich Prostituierte weiterhin unter enormen wirtschaftlichen, körperlichen und psychischen Druck. Von verbesserter Sicherheit kann somit nicht die Rede sein, eher ist das Gegenteil der Fall.

Diese dem Gesetz zugrunde liegende bürgerliche Logik offenbart sich auch an anderer Stelle. Verpflichtende (jährliche!) Gesundheitsberatungen für Prostituierte sind ein weiterer Bestandteil des Maßnahmenkatalogs, ebenso die Anmeldung von SexarbeiterInnen bei ihrer Kommune, um bundesweit arbeiten zu dürfen. Bei diesen Vorgaben geht es der Bundesregierung und den Behörden eher um Kontrolle und steuerrechtliche Belange als um konkrete Verbesserungen der Situation von Prostituierten. Die Regierung verspricht sich davon, dass die „Fremdbestimmung in der Prostitution“ wirksam bekämpft wird.

ZuhälterInnen und MenschenhändlerInnen werden sich ihr lukratives Geschäft allerdings nicht von formellen Anforderungen seitens der Behörden untergraben lassen. Gewalt und Einschüchterung gerade von nicht freiwillig in der Prostitution Beschäftigten gehören für diese Ausbeuter zum Arbeitsalltag. Der Anteil der „besser gestellten“ sogenannten Edelprostituierten oder „Escort-Damen“ ist verhältnismäßig gering. Rund die Hälfte aller Zwangsprostituierten in Deutschland stammt aus Osteuropa, Ostasien oder Schwarzafrika.

Die Ausnutzung der ökonomischen Zwangslage dieser Menschen, auch hier hauptsächlich von Frauen, offenbart die materielle Basis ihrer Ausbeutung durch SchlepperInnen und ZuhälterInnen.

Diesen Praktiken will die Regierung durch die Einführung einer „Zuverlässigkeitsprüfung“ entgegenwirken. Dadurch soll verhindert werden, dass vorbestrafte MenschenhändlerInnen oder GewalttäterInnen ein Bordell betreiben. Deren Mitwirkung lässt sich jedoch, ähnlich wie in anderen Branchen, nicht komplett unterbinden, reicht es doch, wenn sich jemand mit weißer Weste als BetreiberIn eintragen lässt, aber das Geschäft jemand anderem/r überlässt. Die vorgeschriebene Prüfung ist daher ein weiteres formaljuristisches Feigenblatt ohne nennenswerte abschreckende Wirkung auf die Profiteure und AusbeuterInnen.

Kritische Stimmen zur Neuregelung

Kritik an der Neuregelung kam insbesondere von Betroffenen-Organisationen. Vor allem die vorgeschriebenen Behördenkontakte bei Anmeldung und Gesundheitsberatung wurden gerügt: „Die Anmeldepflicht wirkt diskriminierend, ist datenschutzrechtlich bedenklich und birgt die Gefahr eines Zwangsoutings“ (2), so Fabienne Freymadl, die Vorsitzende des Berufsverbandes für erotische und sexuelle Dienstleistungen. Illegale und nicht freiwillige Prostitution würde auf diese Weise nicht bekämpft. Vielmehr gefährde dieses Vorgehen die Anonymität von SexarbeiterInnen, die oftmals aus gutem Grund besteht. Als Reaktion darauf soll nun eine „Aliasbescheinigung“ mit einem Künstlernamen ausgestellt werden können, der auf dem Anmeldenachweis vermerkt wird, dessen Mitführung für Prostituierte verpflichtend ist. (3)

Auch aus den Reihen der Bundestagsfraktion der Grünen wurde kritisiert, dass die Neuregelung zwar das Bordellgewerbe reguliert, jedoch keine erkennbaren Verbesserungen hinsichtlich der Rechte von Prostituierten beinhaltet.

Materielle Basis sexueller Ausbeutung

Auch wenn es freiwillig und bewusst im Prostitutionsgewerbe Tätige gibt, sind für die Mehrheit starke ökonomische Zwänge der Grund für Sexarbeit.

Die durch das Gesetz geschaffene Neuregulierung des Prostitutionsgewerbes und der damit angestrebte verbesserte Schutz der in der Prostitution Tätigen basieren auf einer Einschätzung, wonach Prostitution mit jedem anderen Gewerbe gleichgesetzt und dementsprechend staatlich reguliert werden kann. Die Regierung betont, dass durch die nun geschaffene Gesetzesgrundlage ein juristisches Vorgehen gegen Verstöße ermöglicht wird. Es ist absehbar, dass derartige Anklagen eher von staatlicher Seite als von Betroffenen selbst ausgehen werden, da durch formelle Regelungen Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse nicht beseitigt werden. Die Abhängigkeit vieler Prostituierter von ZuhälterInnen, BordellbetreiberInnen oder gar MenschenhändlerInnen wird auf diesem Weg nicht beseitigt.

Aus klassenkämpferischer und kommunistischer Perspektive ist es notwendig, sich gegen jede Form der Kriminalisierung von SexarbeiterInnen einzusetzen. Ein von bürgerlich-feministischer Seite immer wieder gefordertes Verbot von Prostitution käme einer kompletten Illegalisierung gleich. Ein solches würde die Macht der AusbeuterInnen stärken und die Lage der SexarbeiterInnen schwächen, sie diskriminieren und ZuhälterInnen vollständig ausliefern. Im internationalen Vergleich zeigt sich beispielhaft in Schweden, wie sich ein Verbot auf Sexarbeit auswirkt. Zwar werden dort statt der Prostituierten die Freier kriminalisiert, was jedoch umgekehrt dazu führt, dass Sexarbeit heimlich und unter vielfältigen Gefahren stattfindet, die bei einer Legalisierung zumindest eingedämmt werden können. Auch lassen sich potenzielle Freier nicht von einem Verbot abschrecken und suchen sich auf anderen Wegen, was sie brauchen - eine Zunahme von „Sextourismus“ ist ein Beispiel dafür.

Es ist eine Gratwanderung, da Sexarbeit eben nicht eine Tätigkeit wie jede andere darstellt, da die ökonomischen, aber auch psychischen und teilweise auch körperlichen Abhängigkeiten und Ausbeutungsverhältnisse um ein Vielfaches größer sind als bei „regulären“ Beschäftigungsverhältnissen. Dennoch, ja gerade deshalb ist es unsere Aufgabe als revolutionäre KommunistInnen, einer Stigmatisierung von Prostitution und jeder Form der Diskriminierung von SexarbeiterInnen entschieden entgegenzutreten. Ein gemeinsamer Kampf mit Prosituierten, die mehrheitlich naturgemäß ein Teil der ArbeiterInnenklasse, dazu ein stark unterdrückter, sind, ist notwendig, um Scham und Tabuisierung zu überwinden und Rechte und Anerkennung einzufordern.

Selbstverwaltung statt Zuhälterei

Langfristig muss es das Ziel von KommunistInnen sein, die materielle Basis umzugestalten und somit die ökonomischen Zwänge zu zerstören, die Menschen dazu nötigt, ihren Körper für sexuelle Dienstleistungen zu verkaufen, sofern sie dies nicht aus komplett freien Stücken tun. Es wäre allerdings verkürzt und nicht hilfreich, ein Verbot zu fordern, da sich Prostitution, wie bereits beschrieben, nicht einfach abschaffen lässt, zumal nicht innerhalb einer kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft, die diese erst hervorgebracht hat.

Neben der Forderung nach sozialen Rechten und Absicherung muss auch die (gewerkschaftliche) Organisierung von SexarbeiterInnen ein Ziel sein, um einerseits deren Selbstbestimmung zu stärken und ihnen andererseits die Mittel an die Hand zu geben, mit einer Stimme zu sprechen. Die Vereinzelung und dadurch gesteigerte Auslieferung an ZuhälterInnen gilt es zu überwinden. Durch Einbindung in gewerkschaftliche Strukturen würde außerdem der Stigmatisierung von Sexarbeit entgegengewirkt. Auf diese Weise könnten auch bessere Möglichkeiten für diejenigen geschaffen werden, die aus der Prostitution „aussteigen“ und in ein anderes Arbeitsverhältnis wechseln wollen.

Zur Prävention von Übergriffen sind Selbstverteidigung und gegenseitiger Schutz eine erste Maßnahme, der weitere folgen müssten.

Wir kämpfen außerdem für ein größtmöglich angst- und gewaltfreies Arbeitsumfeld für SexarbeiterInnen, welches beispielsweise durch selbstverwaltete Bordelle geschaffen werden kann. In solchen Einrichtungen könnten die SexarbeiterInnen selbst entscheiden, wen sie empfangen und bedienen und wer abgewiesen wird. Anonyme Gewalt könnte vermieden werden, indem sich Freier ausweisen müssten, damit im Falle von Übergriffen Anzeigen oder Hausverbote erteilt werden könnten.

Viele dieser Ansätze und Forderungen werden schon seit Jahren von Berufsverbänden und SexarbeiterInnen selbst aufgestellt, finden aber keinerlei Anwendung in dem neu geschaffenen Gesetz. Erst recht nicht findet sich die Forderung nach Verbot von Menschenhandel und Zwangsprostitution, entschädigungsloser Enteignung und Konfiskation der Vermögen von MenschenhändlerInnen, SchleuserInnen und BetreiberInnen von Geschäften für wider den Willen der Beschäftigten erzwungene sexuelle Dienstleistungen. Dabei wäre dies doch zwingende Voraussetzung für eine Sexbranche unter Selbstverwaltung bzw. Kontrolle der dort Beschäftigten!

Aus diesem Grund müssen wir in einer proletarischen Frauenbewegung auch die spezifischen Interessen und Forderungen von SexarbeiterInnen vertreten. Nur die ArbeiterInnenklasse als Ganzes kann durch die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus auch Prostitution als besonders zugespitzte Form sexueller Unterdrückung erfolgreich bekämpfen.

Endnoten

(1) ZEIT Online (02.02.2016): Anmeldepflicht für Prostituierte, online unter

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-02/prostitutionsgesetz-einigung-reform-schutz-sexarbeiter-kondompflicht

(2) Amnesty International (07.07.2016): Prostituiertenschutzgesetz schützt Prostituierte nicht, online unter

http://www.amnesty.de/presse/2016/7/7/prostituiertenschutzgesetz-schuetzt-prostituierte-nicht

(3) Der Tagesspiegel (23.03.2016): Verschärftes Prostitutionsgesetz kann ins Parlament, online unter

http://www.tagesspiegel.de/politik/kabinett-stimmt-zu-verschaerftes-prostitutionsgesetz-kann-ins-parlament/13360380.html

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Nr. 212, September 2016

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