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Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, Kommunalwahlen in Niedersachsen

Kritische Unterstützung der Linkspartei!

Jürgen Roth, Neue Internationale 212, September 2016

Wie schon im März bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sowie den Gemeindewahlen in Hessen stehen auch diesmal bundespolitische Themen im Vordergrund - allen voran das Abschneiden der AfD. Ihr werden Ergebnisse von 19 % in Mecklenburg-Vorpommern und 14 % in Berlin prognostiziert.

Mit dem zu erwartenden Einzug dieser rechtspopulistischen, rassistischen Partei in die Parlamente wird die Bildung einer stabilen bürgerlichen Regierungsmehrheit immer schwerer. Vor noch nicht einmal 50 Jahren war die Bundesrepublik fast ein Zweiparteiensystem geworden, heute balgen sich 6 Parteien und mehr um die Regierungssessel.

Das Image der AfD als Protestpartei zehrt von den Folgen der Wirtschaftskrise seit 2007, die keine der zahlreichen aus den anderen 5 Parteien gebildeten Regierungen in den Griff bekam. In Anbetracht des Fehlens einer starken sozialistischen Kraft, der Krise der proletarischen Führung kann die AfD mit ihren reaktionären Antworten auf EU- und sog. Flüchtlingskrise insbesondere bei vom sozialen Abstieg bedrohten „entsicherten“ Mittelschichten, aber auch bei prekarisierten ArbeiterInnen punkten, die jedes Vertrauen in die regierenden Parteien des „Establishments“ verloren haben.

Dass und wie wir gegen ihre Mobilisierungen den Kampf auf die Straße, an Schulen und Universitäten, in die Betriebe und Wohnviertel tragen müssen, haben wir in dieser Zeitung mehrfach aufgezeigt. Aber können KommunistInnen überhaupt Wahlen nutzen und insbesondere zu diesem Zweck?

Nichts im Angebot?

Während sich die politische Landschaft immer vielfältiger darstellt, scheint es für Linke und die ArbeiterInnenklasse immer weniger im Angebot zu geben.

SPD und Grüne sind seit gefühlten Ewigkeiten tief in das kapitalistische System verstrickt. Die einst kleinbürgerliche Protestpartei der Grünen ist zu einer bürgerlichen Partei geworden, die eine ökologische Form kapitalistischer Krisenpolitik, den „Green New Deal“, forciert. Für Koalitionen mit der SPD, aber auch der CDU bietet sie sich als „vernünftigste“ aller bürgerlichen Parteien an.

Die SPD stützt sich zwar im Gegensatz zu den Grünen historisch und organisch auf die ArbeiterInnenklasse. Sie ist aber seit 1914 eine eindeutig konterrevolutionäre, pro-imperialistische Partei. Ihre Besonderheit besteht im Unterschied zur CDU, FDP und den Grünen darin, dass ihre soziale, geschichtliche, organische Wurzel in der ArbeiterInnenklasse liegt.

Darum charakterisieren wir sie als eine bürgerliche ArbeiterInnenpartei. Das ist kein besonderer „Ehrentitel“, sondern drückt nur aus, dass sie durch einen inneren Widerspruch geprägt wird und dass, wollen RevolutionärInnen die Klasse zum Kampf gegen den Kapitalismus gewinnen, diese Basis von der SPD gebrochen werden muss.

Heute zeigt sich diese Verankerung vor allem negativ - nicht in einer Hinwendung zur SPD, sondern in der Verbindung zu den Gewerkschaften über deren Apparat und die Betriebsräte. Die soziale Stütze in der Klasse dient vor allem zu deren Kontrolle im Interesse der Bourgeoisie.

Zur Zeit stellt die SPD den regierenden Bürgermeister in Berlin und den Ministerpräsidenten in Mecklenburg-Vorpommern. In den Wahlkämpfen konzentriert sie sich darauf, möglichst nichts Konkretes zu ihren „Erfolgen“ verlauten zu lassen und versucht sich als einzige „Garantie“ gegen eine Regierungsbeteiligung der AfD und gegen eine „überbordende“ rassistische und Law-and-Order-Politik der CDU darzustellen. Sie versucht die Politik der Landesregierungen, die sie in einer Koalition mit der CDU angeführt hat, schönzureden und sich gleichzeitig davon abzusetzen. Die nächsten Stimmenverluste sind vorprogrammiert.

Die Linkspartei?

Seit ihrer Gründung versuchte sich die Linkspartei als Alternative zum neo-liberalen Kurs und zur imperialistischen Außenpolitik der SPD zu präsentierten.

Dieser Anspruch war jedoch immer schon hohl. Wo sie Koalitionsregierungen mit der SPD bildete oder SPD-Grünen-Koalitionen duldete wie in Sachsen-Anhalt, Berlin, Brandenburg, NRW war sie vom reformistischen „großen Bruder“ kaum zu unterscheiden. In Thüringen führt sie unter Ramelow eine Landesregierung an, die sich von allen anderen nur kosmetisch abhebt.

Daran zeigt sich der bürgerliche Charakter der Partei. Anders als viele Linke gern unterstellen, ist Reformismus keine „ArbeiterInnenpolitik“, die sich nur auf Reformen oder deren Versprechen erstrecken würde. Er ist vielmehr eine Spielart bürgerlicher Politik, die fest auf dem Boden des Kapitalismus steht und vorgibt, diesen humaner gestalten, im Extremfall sogar mittels Parlament und bürgerlichem Staat „transformieren“ zu können. Hier zeigt sich der utopische, illusorische Charakter dieser Ideologie, die, einmal an der Regierung, zur Mitverwaltung des Systems führen muss. Daher sind auch die links-reformistischen programmatischen Erklärungen der Partei und der Parlamentsfraktion nur die beschönigende Begleitmusik zu ihrer Realpolitik.

Besonders drastisch hat die Berliner Linkspartei das an der Landesregierung zum Ausdruck gebracht. Verdientermaßen hat sie sich dadurch in den Augen vieler diskreditiert, auch wenn sie sich in den letzten Jahren in den Umfragen etwas erholen konnte.

Hinzu kommt, dass Teile der Linkspartei, v. a. Sahra Wagenknecht, in den letzten Monaten den staatlichen Rassismus und die Hetze der AfD nicht bekämpft, sondern sozial-chauvinistisch hofiert haben. Dies wurde zwar von der Mehrheit der Parteiführung und den Linken (AKL, marx21) zurückgewiesen - aber es zeigt, dass die Linkspartei selbst alles andere als verlässlicher „Partner“ der Geflüchteten ist.

Nichts zu wählen?

Betrachten wir nur die Programme der Parteien, so könnte man leicht zum Schluss kommen, dass es für die ArbeiterInnenklasse nichts zu wählen gibt. Eine revolutionäre, kommunistische Gruppierung tritt nicht an. Auch die Kleinst“parteien“ PSG und DKP bieten keine Alternative, sondern zentristische (PSG) oder reformistische (DKP) Wahlprogramme, die sich von jenem der Linkspartei allenfalls durch größere Wünschbarkeit unterscheiden. Politisch sind sie gerade in Fragen des anti-rassistischen Kampfes äußerst schwach, die Forderung nach offenen Grenzen fehlt. So teilen sie die grundlegenden Schwächen der Linkspartei, nicht jedoch deren Stärke: Massenhang.

Wahlen sind jedoch nicht einfach Abstimmungen über Programme. Sie sind auch ein Gradmesser für das Kräfteverhältnis in der Gesellschaft und eine Form der politischen Konfrontation zwischen jenen Parteien, die sich auf die ArbeiterInnenklasse stützen und offen bürgerlichen Parteien. Trotz ihrer Kritik kann es RevolutionärInnen nicht egal sein, wie sich das Kräfteverhältnis bei Wahlen darstellt (ebenso wenig wie es uns egal sein kann, ob bei Betriebsratswahlen die Listen der klassenkollaborationistischen DGB-Gewerkschaften oder gewerkschaftsfeindliche Gruppierungen gewinnen).

Vor allem aber geht es bei der kommunistischen Wahltaktik, wie sie z. B. Lenin in seiner Schrift zum „Linken Radikalismus“ entwickelt hat, darum, Lohnabhängige von ihrer Bindung an die Linkspartei (oder auch die SPD) zu brechen, also den inneren Widerspruch zwischen der sozialen Basis dieser Parteien und ihrer bürgerlichen Politik zu verschärfen. Natürlich entsteht dieser nicht durch die Taktik, aber gerade in der Krise zeigt er sich immer wieder.

Die Gründung der Linkspartei war selbst ein Ausdruck der Krise der SPD und hat zur Bildung einer zweiten, linkeren reformistischen Partei geführt, die sich als „echte“ sozial-demokratische Alternative präsentiert. Nun ist der reale Gehalt dieses Unterschiedes nicht so groß, wie beide gern vormachen.

Aber die Linkspartei organisiert (noch) die politisch aktiveren, fortgeschritteneren Teile der Klasse, aktivere linke GewerkschafterInnen sowie AktivistInnen in den sozialen Bewegungen und kontrolliert diese zum Teil, entweder direkt über eigene Mitglieder oder politische Anhängsel im „post-autonomen“ Milieu. Die Linkspartei trägt - wenn auch auf einer vollkommen kleinbürgerlichen Grundlage - wichtige Teile der anti-rassistischen Mobilisierungen der letzten Monate oder tritt im Gegensatz zu allen anderen Parteien offen für die kurdische Bewegung auf.

Trotz aller Vorbehalte wird die Mehrzahl der politisch fortgeschritteneren ArbeiterInnen die Linkspartei wählen und dies als Mittel begreifen, nicht nur den Erfolg der AfD zu begrenzen und so weitere Demoralisierung zu verhindern, sondern auch um ihre Ablehnung der Politik der Grünen und der SPD in der Großen Koalition wie in den Landesregierungen zum Ausdruck zu bringen.

Daher rufen wir zur Wahl der Linkspartei in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen auf!

Keine Illusionen!

Wir tun das jedoch, ohne die Illusionen der Linkspartei-AnhängerInnen zu teilen. Ihr Programm ist letztlich untauglich, die Gefahr von Rechts zu stoppen oder auch irgendein anderes der großen Probleme zu lösen.

Es ist aber unmöglich, die AnhängerInnen dieser Partei nur durch Kritik ihres Programms zu überzeugen. Es geht auch darum, die Partei dem Test der Praxis zu unterziehen.

In Berlin spricht sich die Spitze der Linkspartei für eine Koalition mit SPD und Grünen aus. Angesichts der Erfahrungen mit vergangenen Koalitionen ist davon auszugehen, dass Führung und Parlamentsfraktion so ziemlich alles zu unterschreiben bereit sind, was ihnen vorgelegt wird.

Die „Linken“ in der Linkspartei sehen umgekehrt ihr Heil darin, jede Koalition abzulehnen, weil die Linke ansonsten auch „verbürgerlicht“ würde. Das klingt radikal, ist es aber nicht. Die Linkspartei muss nicht erst „verbürgerlichen“, ihrem Klassencharakter nach ist sie schon eine Partei, die das bürgerliche System und das Privateigentum an den Produktionsmitteln verteidigt. Für RevolutionärInnen geht es bei der Regierungsfrage daher nicht darum, dass die Linke „unbefleckt“ bleibt, sondern gerade im Gegenteil, dass sie dazu gezwungen wird, ihre Versprechen einzulösen. Dieser Probe kann sie an der Regierung allemal besser unterzogen werden als in der Opposition, wo jeder alles versprechen kann. Wir fordern sie zugleich auf, keine Koalition mit irgendeiner offen bürgerlichen Partei einzugehen, also auch nicht mit den Grünen!

Zweitens sollten Linke in der Linkspartei (wie auch GewerkschafterInnen von der SPD fordern), dass nicht „irgendeine“ Koalition von bürgerlichen ArbeiterInnenparteien gebildet wird, sondern eine auf der Basis grundlegender Forderungen der Klasse zur Wohnungsfrage, zur Rekommunalisierung privatisierter Betriebe, zur Ablehnung aller reaktionären Gesetze im Bundesrat, zum Stopp von Abschiebungen und Aufnahme aller Geflüchteten, die in Berlin leben wollen.

Drittens muss die Linke aufgefordert werden für ihre Versprechungen auf der Straße zu mobilisieren - sie muss also auch hier dem Praxistest unterzogen werden.

So können die Illusionen in die Linkspartei - und sei es nur die falsche Vorstellung, dass sie ein „kleineres Übel“ sei - praktisch überprüft werden. Das ist Teil einer Politik, die darauf zielt, eine Bresche zwischen die Parteiführung und die Basis zu schlagen und diese für eine revolutionäre Alternative zum Reformismus zu gewinnen.

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Nr. 212, September 2016

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