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Parlamentswahlen in der Türkei

HDP wählen - für den Aufbau einer ArbeiterInnenpartei!

Svenja Spunck, Neue Internationale 200, Juni 2015

Die Parlamentswahlen in der Türkei am 07. Juni 2015 finden vor dem Hintergrund einer verschärften politischen Krise, weltweit und v.a. im Nahen Osten statt. Die AKP (Adalet ve Kalk?nma Partisi - Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) prägt seit ihrer Übernahme der Regierung vor mittlerweile 13 Jahren das Land mit ihrem islamistisch-konservativen Kurs und ihrer gleichzeitig neoliberalen Agenda das Land.

Dies führte nicht nur zu einer massiven Senkung der Löhne und zur Prekarisierung von Arbeitsplätzen, sondern auch zu einer Intensivierung der politischen Repression gegen alle, die Widerstand gegen die Regierung leisten. Ein Beispiel dafür waren die Szenen während der Gezi-Proteste 2013, wo sogar Menschen mit ihrem Leben dafür bezahlen mussten, dass die Regierung von Recep Tayyip Erdogan mit eiserner Faust den aufkeimenden Protest niederschlagen ließ.

2015 ist zwar von den Protesten nicht mehr viel übrig, jedoch ist unbestreitbar, dass ein Teil der Menschen, die in der Türkei auf unterschiedlichste Arten unterdrückt werden, während dessen politisiert wurden, aber sich durch die bestehenden Parteien nicht vertreten sahen.

Gründung der HDP

Kurz vor Beginn der Proteste hatte sich jedoch eine neue Partei gegründet, die HDP (Halklar?n Demokratik Partisi - Demokratische Partei der Völker). Sie ist v.a. für die ausdrückliche Unterstützung der KurdInnen in der Türkei, aber auch im kurdischen Teil Syriens (Rojava) bekannt. Die HDP versucht jedoch auch, andere unterdrückte Gruppen der Gesellschaft in sich zu vereinen, insbesondere Frauen, AlevitInnen, AtheistInnen und LGTBQ-Personen. So heißt es in ihrer Wahlplattform:

„Wir, die demokratischen Kräfte der Türkei, Friedensaktivist_nnen; Arbeiter_nnen, Umweltaktivist_nnen, Frauen, Jugendliche, LGBTI-Aktivist_nnen; Intellektuelle, Demokrat_innen, Schauspieler_nnen, parteilich unabhängige und Vertreter_nnen aller gesellschaftlichen und religiösen Richtungen; Arbeitslose, Rentner_innen, Landwirt_innen, Menschen mit Behinderung, Wissenschaftler_innen, wir alle, deren Lebensräume angegriffen bzw. zerstört werden, sind zusammengekommen. Basis-demokratisch haben wir uns in Form von Volksräten auf kommunaler Ebene organisiert.“ (Dieses und alle weiteren Zitate stammen aus der HDP-Broschüre ‚Alles was Sie über HDP wissen wollen - Was ist HDP' http://www.hdpberlin.de/Materyaller/)

Vor allem deshalb steht sie unter Dauerbeschuss der türkischen Regierung, aber weckt auch viele Hoffnungen gerade unter Jugendlichen, für die es endlich eine Alternative zu sämtlichen konservativen, nationalistischen und religiösen Parteien zu geben scheint. Das Abschneiden der HDP bei den türkischen Wahlen kann dazu beitragen, dem Plan von Erdogan einen Strich durch die Rechnung zu machen, in dem verhindert wird, dass er das Präsidialsystem einführt. Dies würde ihm zusätzliche Macht verschaffen, wodurch er davor sicher wäre, sich für die zahlreichen Korruptionsskandale vor Gericht verantworten zu müssen. Außerdem ist jeder Prozentpunkt für die HDP ein Signal dafür, wie die Bevölkerung in der Türkei sich gegenüber der Frage zur Unabhängigkeit und Gleichberechtigung der KurdInnen positioniert.

Dieser Kampf ist nicht nur für die kurdische Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Die ArbeiterInnen, die Jugend, Frauen aller Nationalitäten - einschließlich der türkischen - werden sich nicht befreien können, wenn sie nicht klar für das Selbstbestimmungsrecht der KurdInnen eintreten.

Die Kandidatur der HDP repräsentiert diesen Jahrzehnte langen Befreiungskampf gegen den türkischen Staat, sie steht v.a. für den Kampf des kurdischen Volkes gegen seine Unterdrückung, woraus auch die Massenbasis der HDP erwächst. Auch wenn Öcalan u.a. Führer der HDP immer wieder bekundet haben, dass sie an einem „Ausgleich“ mit dem türkischen Staat interessiert sind - so machen umgekehrt Erdogan und das türkische Establishment immer wieder deutlich, dass sie das nicht wollen. In Rojava haben sie den Kampf der KurdInnen behindert, sabotiert, ja deren Gegner praktisch unterstützt. Die PKK ist „natürlich“ weiter illegal, tausende kurdische AktivistInnen sitzen in Gefängnissen. Im Wahlkampf wurden systematisch Büros der HDP angegriffen.

Zweifellos ist die HDP keine ArbeiterInnenpartei, sondern von ihrer sozialen Basis und ihrem Programm her ein kleinbürgerliche Organisation. Aber sie ist auch die Organisation des Massenwiderstandes gegen nationale Unterdrückung, eine Stimme für sie ist eine Stimme für die Rechte des kurdischen Volkes. Deshalb rufen wir zur Wahl der HDP auf!

Welches politische Programm?

Die Wahl der HDP ist eines jedoch entschieden nicht: die Wahl eines antikapitalistischen, revolutionären Programms, welche die politischen Verhältnisse in der Türkei tatsächlich umstürzen und im Interesse der ArbeiterInnenklasse aufbauen würde.

„Das was uns am meisten fehlt ist: Freiheit, Gleichberechtigung, Frieden und Gerechtigkeit. Dafür setzen wir uns ein. HDP setzt sich für Demokratie, für die Arbeiternehmerrechte und für ein menschenwürdiges Leben ein. Umweltschutz, sowie die Sicherung des Rechts auf Leben von Menschen und allen Lebewesen ist von großer Bedeutung.“

Das Programm der HDP ist eine Wunschliste, und auch wenn wir jeden dieser Wünsche nach Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit teilen, appellieren wir an alle, nicht die Augen vor der Stärke des Gegners zu verschließen. Die Repressionen, die jetzt in der Türkei gegen politische Oppositionen und Minderheiten durchgeführt werden, die ultra-reaktionären Gewerkschaftsgesetze, die aus Zeiten des Militärputsches stammen und die deutliche Rhetorik der AKP-Politiker zeigen: Nur der Kampf der arbeitenden Klasse, und zwar gemeinsam mit kurdischen und türkischen Lohnabhängigen und BäuerInnen, gegen die Regierung des Kapitals, ihre regionalen Verbündeten und imperialistischen Staaten kann die Wünsche und Hoffnungen erfüllen, die in den Menschen geweckt wurden!

Die HDP ist in all diesen grundlegenden Fragen politisch schwammig. Die Hauptursache dafür liegt darin, dass sie von einem sozialistischen Programm weit entfernt ist. Das drückt sich insbesondere darin aus, dass die HDP die ArbeiterInnenklasse nicht als die entscheidende Kraft einer revolutionären Veränderung betrachtet. Vielmehr hängt sie einem kleinbürgerlichen Programm an, was auch der sozialen Basis der Partei entspricht.

„Wir bekämpfen Arbeitslosigkeit und Armut, setzen uns gegen die sukzessive Zerstörung des Kleingewerbes und gegen Ausbeutung_von Bauern bzw. Landwirten ein. Wir verstehen uns als ein Teil der gesellschaftlichen Bewegungen, die sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung und für ein menschenwürdiges Leben einsetzen.“

Statt klarer Programmatik in dringenden Fragen, findet man leider oft nur Phrasen. „Aufgrund von Profitgier ist die Umwelt von Zerstörung bedroht. Auf dieser Erde haben auch andere Lebewesen, Tiere und Pflanzen (wie der Wald, der Wolf, die Vögel, die Blumen und die Käfer) ein Recht auf Leben. Unser Ziel ist das ökologische Gleichgewicht und die öko- logische Ordnung aufrecht zu erhalten und zu schützen.“

ArbeiterInnenpartei

Wir sehen den Aufbau einer ArbeiterInnenpartei in der Türkei als zentral für die fortschrittlichen Kräfte innerhalb und außerhalb der HDP an. Nur eine solche kann längerfristig die Unterdrückung der KurdInnen und die Angriffe auf die türkische ArbeiterInnenklasse durch den reaktionären türkischen Staat zurückgeschlagen und Betriebsbesetzungen und den Aufbau demokratischer Selbstverteidigungsstrukturen organisieren.

Gleichzeitig verdeutlicht die Lage in der Region die Notwendigkeit einer sozialistischen Lösung, denn hier lagern verschiedene Pulverfässer, die jeder Zeit hochgehen können: die Barbarei des faschistoiden Islamischen Staates, das reaktionär-bonapartistische Regime Assads und der Einfluss des Imperialismus, ob durch das NATO-Mitglied Türkei oder den korrupten Barzani-Clan im nordirakischen Teil Kurdistans. All diese Kräfte sind nicht nur eine Bedrohung für die einzelnen Gebiete, sondern für die ganze Region, deshalb muss diesem Problem die Losung der Vereinigten sozialistischen Staaten des Nahen Ostens entgegengestellt werden! Wir rufen zur Wahl der HDP nicht wegen, sondern trotz ihres Programms auf. Wir rufen dazu auf, weil sie trotz aller Schwächen, den jahrzehntelangen Befreiungskampf des kurdischen Volkes repräsentiert.

Doch wir sagen klar: Nur auf Basis eines revolutionären Programms kann der Kampf für einen säkularen Staat erfolgreich sein, in dem nach den Interessen der arbeitenden Bevölkerung und der gesellschaftlichen Minderheiten entschieden wird und nur eine sozialistische Wirtschaft schafft tatsächliche Entwicklung und Wohlstand für die Bevölkerung in der Türkei!

ONE SOLUTION - REVOLUTION

Tek yol - Devrim!

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Nr. 200, Juni 2015
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