Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Schlichtung bei der Bahn

Abstellgleis statt Durchbruch

Frederik Haber, Infomail 821, 22. Mai 2015

„Die DB hat endlich die tariflichen Grundlagen für einen Flächentarifvertrag für das Zugpersonal akzeptiert. Wir können somit für all unsere Mitglieder des Zugpersonals in den DB-Eisenbahnverkehrsunternehmen die Tarifverträge verhandeln und abschließen. Lokrangierführer werden als Lokomotivführer exakt im GDL-Flächentarifvertrag eingruppiert. Tarifverträge anderer Gewerkschaften spielen somit für die Annahme eines Schlichtungsspruches oder den Abschluss eines Tarifvertrags keine Rolle mehr. Deshalb haben wir einer Schlichtung zugestimmt.“

So erklärt die GDL den Abbruch des Streiks. Es wurden 2 Schlichter benannt, Bodo Ramelow seitens der GDL, Matthias Platzek seitens der Deutschen Bahn. Haben die Streikenden wirklich endlich Erfolg? Die DB dementierte umgehend. Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber erklärte, die Bahn werde dafür sorgen, in entscheidenden Punkten kollidierende Regelungen zu vermeiden. Die Bahn lehne „grundsätzlich unterschiedliche Verträge für gleiche Berufsgruppen“ ab.

Ein Grundsatz, an den sich die Bahn aber ganz und gar nicht hält. Die verbeamteten LokführerInnen verdienten schon immer deutlich mehr. 2007 waren es rund 850 Euro, die Differenz dürfte eher gestiegen sein. Dazu war die Einführung des schlechter bezahlten „Rangierlokführers“ ein Mittel der Bahn zur Spaltung und zur Lohndrückerei, denn jene werden natürlich auch auf Streckenfahrten eingesetzt. Ansonsten diente die Aufspaltung der Bahn in unzählige Einzelunternehmen u.a. dem Ziel, die Löhne zu senken – ein übliches Mittel, die Ausbeutung zu erhöhen.

In der Hand der Schlichter

Jetzt also liegt das Schicksal der LokführerInnen und ZugbegleiterInnen in der Hand der Schlichter, das Verfahren selbst dauert bis zum 17. Juni. Tatsächlich hatte die Bahn die jetzigen vagen Zusagen bereits Ende letzten Jahres schon einmal gegeben. Die Süddeutsche Zeitung hatte schon am 18. Dezember von den damaligen Verhandlungen gemeldet, dass Weselsky von „Durchbruch“ spricht, die DB AG jedoch nur von „wichtigen Zwischenergebnissen“: „Bislang dreht sich der Streit […] hauptsächlich darum, für welche Berufsgruppen die GDL künftig Tarifverträge abschließt. Die Lokführergewerkschaft will auch für Zugbegleiter und anderes Personal verhandeln, das bislang von der konkurrierenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft vertreten wird. Die Bahn hat sich dazu bereit erklärt. Allerdings will sie verhindern, dass am Ende für eine Berufsgruppe zwei verschiedene Tarifverträge gelten.“

Tatsächlich hatte sich die DB schon damals nicht an ihre Zusage gehalten. Sie hat lieber auf eine Verleumdungsoffensive mithilfe von Politik und Medien gesetzt. So hatte sie schon nach dem letzten Streik behauptet, die GDL sei nicht zu Verhandlungen erschienen, dabei wurden diese vom DB-Vorstand abgebrochen.

Die BAHN AG wollte keine Lösung mit der GDL, sie hat andere Ziele. Sie will zurück zu der Zeit, als bei der Bahn nie gestreikt wurde und die verschiedenen Bahngewerkschaften, allen voran GdED/Transnet/EVG, die Politik des Vorstands bis hin zur Sanierung auf Kosten der Beschäftigten, Personalabbau und Privatisierung mitgemacht haben. Die Medien stellen GDL-Chef Weselsky als machtgierig dar. Es ist der Bahnvorstand, der seine machtpolitischen Ziele auf dem Rücken der Fahrgäste ausgetragen hat und austrägt!

Zum einen soll die Bahn kapitalmarktgerecht gestaltet werden für den Börsengang, der seit langem geplant ist. Zum anderen steht hinter diesem Machtpoker der Bahn das große Kapital in Deutschland, das mit dem Gesetz zur Tarifeinheit das Streikrecht generell einschränken will.

Es soll nur noch die Gewerkschaft im Betrieb verhandeln können und damit auch streiken dürfen, die die meisten Mitglieder hat. Was als Betrieb anzusehen ist, bestimmt natürlich der Unternehmer, der mit Ausgliederungen und Zusammenlegungen diesen immer so zuschneiden kann, wie er es für günstig hält. Das Ziel ist natürlich, kämpferische Gewerkschaften auszuschalten – was auch mal DGB-Gewerkschaften sein können.

Deshalb verschleppte die BAHN die Tarifverhandlungen. Deshalb trägt sie den Tarifkampf zu Lasten der Fahrgäste aus, deshalb opfert sie hunderte Millionen an betriebswirtschaftlichen Verlusten. Deshalb hetzen die Medien und verbreiten die Lügen des Bahn-Vorstands. Deshalb treibt die Bundesregierung den Angriff auf das Streikrecht voran, der diesen Monat durch den Bundestag gepeitscht werden soll.

Besonders schlimm ist, dass die Führungen von DGB, IG Metall und IG BCE sich zu Wasserträgern der Unternehmer machen. Sie haben erklärt, dass die Gütertransporte „ihrer“ Industrien nicht behindert werden dürfen. Die Profite in ihrer Branche sind ihnen wichtiger als die Rechte der Arbeiterklasse im ganzen Land!

Gegen die Hetze der Medien, gegen die Angriffe von Kapital und Regierung, gegen den Verrat von SPD und DGB ist Aufklärung und Widerstand nötig!

Die Alternative

Weselskys Vorgehen ist mit Zick-Zack-Taktik noch nett beschrieben. Kurzfristig einen neunten Streik ausrufen und ihn dann überraschend beenden für Zusagen, deren Wert sehr gering ist, ist kein Ausdruck planvoller Überlegung. Man kann ihm auch vorwerfen, dass er die Dimension des Kampfes, den er und die GDL führen, nicht wirklich verstanden hat. Wenn er die Aktionäre der Bahn AG auffordert, den Vorstand daran zu hindern, so viel Verlust für das Unternehmen zu machen, hat er eben nicht verstanden, dass der Vorstand von den mächtigeren Kräften des deutschen Kapitals so geführt wird, wie es dem Ziel der Kapitalistenklasse und nicht vorrangig dem Unternehmen dient.

Aber letztlich sind für die Hindernisse, den Kampf erfolgreich durchzuziehen, andere verantwortlich.

Allen voran die EVG, die sich - obwohl sogar selbst (noch) in Tarifverhandlungen - als Streikbrecher verhält und bitter für ihren Verrat bezahlen wird, falls der Bahnvorstand durchkommt. Eine Niederlage der GDL wird sie nicht stärken, sondern hilflos einer noch massiveren Angriffswelle aussetzen.

Mit verantwortlich sind auch die Führungen von DGB, IG Metall und IG BCE, die mit der Unterstützung der „Tarifeinheit“, eine ähnliche Streikbrecherfunktion für die ganze ArbeiterInnenklasse in Deutschland übernehmen.

Die SPD, die mit dieser Gesetzesinitiative die Geschäfte v.a. des deutschen Exportkapitals besorgt und sich nach der Agenda 2010 erneut zur Speerspitze gegen ArbeiterInnenrechte macht.

Trotz dieser Hindernisse wäre der unbefristete Streik der einzige Weg zum Erfolg gewesen - die Schlichtung kann nur in einem faulen Kompromiss enden, wenn nicht in einer vollen Niederlage.

Das hätte erfordert, offensiv auf die anderen Beschäftigten der Bahn zuzugehen und ihnen klarmachen, dass das Zugpersonal nicht nur für sich selbst kämpft.

Zweifellos sind die LokführerInnen besonders belastet - laut GDL entfallen von 7 Millionen Überstunden 3 Millionen allein auf diese und eine weitere auf die ZugbegleiterInnen. Eine Niederlage wäre aber nicht nur eine Niederlage für die GdL und die von ihr vertretenen KollegInnen. Es wäre ein Signal an die DB, dafür auch andere Beschäftigtengruppen weiter anzugreifen. Es sei daran erinnert, dass z.B. der Bahnhof Mainz schon einmal stillgelegt werden musste, weil das Fahrdienst-Personal so ausgedünnt und überlastet war.

Die GdL hat zurecht immer wieder darauf hingewiesen, dass es um eine politische Auseinandersetzung geht. Aber sie führt den Kampf nicht als solchen. Dazu wäre es zuerst nötig, aktiv die Sabotagepolitik des EVG-Spitze anzugreifen und sich an die Mitglieder dieser Gewerkschaft zu wenden. Die EVG-KollegInnen stehen ja auch in einer Tarifauseinandersetzung – und viele der Basismitglieder lehnen die Manöver ihrer Führung ab. Es wäre daher notwendig, diesen Unmut zu organisieren, die EVG-KollegInnen aufzufordern, einen Bruch mit dieser Politik zu erzwingen – und sich aktiv mit den GdL-Mitgliedern zu solidarisieren. Das beste Mittel dazu wäre, selbst in unbefristeten Streik zu treten und so auch die Basis für einen zukünftigen gemeinsamen Kampf zu legen.

Zweitens wäre es darum gegangen, aktiv den Schulterschluss mit den streikenden ErzieherInnen, mit den stattfindenden Arbeitskämpfen bei Amazon, bei der Charité in Berlin, bei der Post und den GebäudereinigerInnen zu suchen oder zuvor in der Metall-Branche und den Beschäftigten der Länder.

Das hat die GdL-Spitze bisher zu wenig oder gar nicht gemacht. Das ist eine Schwäche der Streiktaktik – eine gesellschaftliche, politische Auseinandersetzung, bei der es um weit mehr als einen Tarifvertrag geht, so zu führen, als wäre es eine rein betriebliche Angelegenheit.

Es hätte erfordert, sich an die gesamte Klasse zu wenden, um klar zu machen:

Beim Streik geht es längst nicht mehr um eine „reine“ Tariffrage. Es geht um einen politischen Angriff der Bundesregierung, der Unternehmerverbände, bei dem die Spitzen zahlreicher DGB-Gewerkschaften und die EVG-Führung tatkräftig mitmachen. CDU-Politiker und Unternehmerverbände fordern nicht nur die Einführung des Gesetzes zur „Tarifeinheit“, sondern auch Einschränkungen des Streikrechts in wirtschaftlichen wichtigen Sparten wie z.B. Mindestbetrieb von bis zu einem Drittel im Transport- und Logistikbereich, langfristige Ankündigung von Streiks, damit sich die Unternehmer darauf einstellen können oder ein System der Zwangsschlichtung.

Um die Hindernisse für einen wirklichen Erfolg und die Selbstbeschränkung der GDL zu überwinden, treten wir dafür ein, dass die Entscheidung, wie lange ein Streik geht und wie er geführt wird, in die Hände der Basis gelegt wird.

Die GdL-Führung hat sich für den entgegengesetzten Weg entschieden. Statt die Auseinandersetzung politisch zuzuspitzen und einen unbefristeten Streik vorzubereiten, ist sie den Weg in die Schlichtung gegangen, was auch Friedenspflicht bis Mitte Juni bedeutet. Damit findet während der Lesung und wahrscheinlichen Verabschiedung des Gesetzes zur „Tarifeinheit“ auch keine Streikaktion statt. Die Räder stehen nicht still, die Züge fahren. Ab 1. Juli soll das Gesetz zur weiteren Einschränkung des Streiksrechts in Kraft treten. In der Schlichtung beraubt sich die GdL ihrer stärksten, ja ihrer einzigen wirksamen Waffe – was Weselsky als „Zerschlagen des Gordischen Konten“ hochjubelt, bedeutet in Wirklichkeit nur, sich selbst die Hände zu binden. Die GdL verliert Zeit und Initiative – die Bahn AG hat einen Teilerfolg errungen. Allenfalls wird die Schlichtung zu einem faulen Kompromiss führen -  die GdL wird entweder gezwungen, einen gegen sie gerichteten Spruch anzunehmen oder den Streik unter erschwerten Bedingungen wieder aufzunehmen.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 200, Juni 2015
*  Imperialistengipfel in Elmau: Nieder mit den G7!
*  Repression: Versammlungsfreiheit?
*  Kampf bei der Post: Urabstimmung und Vollstreik - jetzt!
*  Care Revolution Wien: Die Pflege steht auf
*  Schlichtung bei der Bahn: Abstellgleis statt Durchbruch
*  Griechenland: An einem Wendepunkt
*  Rassismus in den USA: Repression und Widerstand
*  Parlamentswahlen in der Türkei: HDP wählen - für den Aufbau einer ArbeiterInnenpartei!
*  Tod eines Widerstandskämpfers: Alexej Mosgowoi wurde ermordet
*  G7, Ökologie und Umweltbewegung: Heiße Luft
*  Solidarität mit Griechenland: Schuldenstreichung und Stopp der Spardiktate



Wöchentliche E-News
der Gruppe Arbeitermacht

:: Archiv ::

Nr. 199, Mai 2015
*  Mai-Aufruf des DGB: Den Verrat der Zukunft machen wir
*  Erster Mai: Der deutsche Imperialismus schreitet voran - und die ArbeiterInnenklasse?
*  Hände weg von Griechenland!
*  Bahn: Solidarität mit der GdL!
*  Tarifeinheit: Fürs Streikrecht auf der Straße
*  Berliner Mietproteste: Aufbegehren!
*  Streik der ErzieherInnen: Bloßer Tarifkampf?
*  Bundesweit Revolution-Konferenz: Ein voller Erfolg
*  Ukraine: Nach Minsk II
*  Venezuela: Hands off, Mr. President!
*  Jemen: Nein zur saudi-arabischen Intervention!
*  Pakistan: Arbeiterinnen organisieren sich
*  Cyberwar und Überwachung: Freiheit stirbt mit Sicherheit
*  EU-Tagung zur Flüchtlingspolitik: Gipfel des Zynismus