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Ägypten

Wahlen stärken Konterrevolution

Dave Stockton, Neue Internationale 166, Februar 2012

Trotz der Massenbewegung auf dem Kairoer Tahrir-Platz und in anderen Städten im November 2011 und weiteren Aktionen im Dezember hält der oberste Militärrat weiter an seiner illegitimen Herrschaft in Ägypten fest. Im Mittelpunkt der Erhebungen stand der Druck auf die Militärs, einer unabhängigen Regierung die Herrschaft zu überlassen, doch die Generäle haben nur einige Marionettenfiguren ausgetauscht und wollen so weiter regieren.

Immer wieder haben sie ihr Versprechen gebrochen, den - seit 1981 bestehenden - offiziellen Notstand aufzuheben. ZivilistInnen müssen sich weiter vor Militärgerichten für politische Vergehen verantworten. Tausende von ihnen werden verschleppt und in Gefängnissen und vom Militär in Gefangenenlagern misshandelt. Allein im November und Dezember vergangenen Jahres verlängerten Dutzende Märtyrer die Liste der Opfer, die für die fast vor Jahresfrist begonnene Revolution gestorben sind.

Aber die Unterdrückung gebiert weiteren Massenwiderstand. Die auf Video festgehaltene brutale Misshandlung einer jungen islamisch gekleideten Demonstrantin schockierte das Land und führte zu Demonstrationen von Frauen (10.000 in Kairo, 6.000 in Alexandria) und erzwang Entschuldigungen und das Versprechen seitens des Militärrats, den Fall aufzuklären, obwohl dies wie üblich nur der Beruhigung der Lage diente.

Der Militärrat hat zwar am 24. Januar die Aufhebung des Notstands angekündigt, an dem Ziel, die „Demokratie“ weiterhin zu lenken, hält der Kommandostab jedoch eisern fest.

Das neue Parlament nimmt Gestalt an

Der Militärrat hat auch die Rufe nach Verschiebung der Parlamentswahlen ignoriert. Diese haben am 28. November 2011 begonnen und wurden nach dem alten, undemokratischen Mubarakschen Wahlrecht durchgeführt, das kein umfassendes, freies, gleiches und unmittelbares Verfahren vorsieht.

Die Wahlen zum Parlament zogen sich mehrere Monate hin. Doch von Beginn an standen die Zeichen auf Sieg für die islamistischen Parteien. Die meisten Stimmen (45,7%) erhält die Freiheits- und Gerechtigkeits-Partei der Moslembrüderschaft samt ihren Verbündeten. Die Al-Nur Partei, hinter der die radikalislamistischen Salafisten stecken, vereinte 24,6% auf sich. Weit dahinter rangieren die weltliche bürgerlich-liberale Al-Wafd-Partei mit 8,4%. Die liberale Ägyptische Allianz erhielt gerade 6,6%. Die Partei „Die Revolution geht weiter“, ein Block von reformsozialistischen Gruppierungen, erreichte nur 10 Sitze (2,34 %).

Das verschafft den islamistischen Kräften eine haushohe Mehrheit für eine undemokratische und sozial reaktionäre Verfassungsgebung durch die Parlamentsversammlung. Wenn der Kandidat der Moslembrüderschaft dann auch noch die Präsidentschaftswahlen gewinnt, wird dies düstere Folgen v.a. für die Jugend und für Frauen haben sowie für all jene, die die Revolution gemacht haben, und für die Arbeiterbewegung.

Gefahren und Perspektiven

Natürlich könnte auch eine überwältigende Mehrheit der Islamisten zu einem Problem für die alte Garde im Militärrat werden. Es gibt Berichte über Spaltungen in den Reihen der Armee. Feldmarschall Tantawi und seine Clique wollen nur eine parlamentarische Fassade für die Fortsetzung der Militärherrschaft und den Zugriff auf die natürlichen Ressourcen des Landes. Das Militär kontrolliert etwa 30% des Nationaleinkommens. Es gibt Gerüchte über scharfe Widersprüche im Militärapparat, wo einige jüngere Elemente eine Allianz mit der Moslembrüderschaft befürworten, den Rückzug aus der Politik (zumindest der offiziellen) und die Annahme eines Modells nach dem Vorbild des AKP-Regimes in der Türkei gutheißen.

Die Führung der Moslembrüderschaft will mit dem Militär paktieren, aber ihre Massenbasis erhebt einige radikale Forderungen und setzt damit - auch in Zusammenhang mit der Erstarkung der Salafisten, die offener gegen die Fortsetzung der Militärherrschaft auftreten - die Partei unter Druck. Sie kann es sich nicht erlauben, nur Marionette der Militärs zu sein.

Diese Widersprüche werden den pseudodemokratischen Prozess im nächsten Halbjahr erschüttern. Doch die Gefahr einer Konterrevolution gegen die revolutionäre Vorhut und die Arbeiterklasse ist sehr groß. Die einzig wirksame Waffe dagegen ist die voranschreitende Massenmobilisierung und -organisierung der ägyptischen Arbeiterklasse und die Schaffung eines Gegenpols der Macht durch das Bündnis der Jugend mit der kämpferischen Gewerkschaftsvorhut gegen Regierung und Militär. Eine revolutionäre Partei ist notwendig, um dies herbeizuführen, denn ohne eine Situation der Doppelmacht, in der Arbeiter, Bauern, Jugendliche und eine wachsende Zahl von Soldaten von einer revolutionären Gegenmacht angezogen werden, können Regierung und Militärrat eine dominierende konterrevolutionäre Kraft in Ägypten aufbauen.

Eine solche revolutionäre Partei muss danach streben, ihr Programm zu verbreiten und ihre Schlüssellosungen den Massen bekannt zu machen. Diese müssen die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hauptforderungen aufgreifen und ebenso die demokratischen Rechte gegen Generäle und Islamisten verteidigen. In Ägypten, wo der Repressionsapparat 2011 nahezu intakt geblieben ist, muss eine solche  Partei auch Anschlägen auf ihre Legalität standhalten können. Wie die Bolschewiki muss sie unter Umständen auch die berüchtigten Julitage überstehen, wenn sie die Partei einer ägyptischen Oktoberrevolution werden will.

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Nr. 166, Februar 2012
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*  Skandal um Bundespräsidenten: Ein Stich ins Wespennest
*  FDP-Krise: Neoliberale Bruchlandung
*  Film: Und dann der Regen
*  Vernetzungstreffen in Frankfurt: Startschuss in alle Richtungen
*  IG Metall/ver.di: Tarifrunde zur Kampfrunde machen
*  Gewerkschaftslinke: Eckpunkte Tarifrunde 2012
*  Italien: Generalangriff auf die Arbeiterklasse
*  Sri Lanka: Schikanen gegen Protestbewegung
*  Ägypten: Wahlen stärken die Konterrevolution
*  NATO-Krieg in Afghanistan: Kein Ende der Besatzung