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Revolution in Arabien

Frauen in der ersten Reihe

Irene Zelano, Neue Internationale 158, April 2011

Frauen sind in islamisch geprägten Ländern tief verschleiert und dürfen das Haus nie verlassen“, „Frauen nehmen dort nicht am politischen Leben teil“ und „die Revolution ist gänzlich in den Händen islamistischer Spinner“ etc. Solche Stammtischparolen - die Aufzählung ließe sich unendlich fortführen - wurden im Zuge der nordafrikanischen Revolutionen gründlich durchgerüttelt. Die Bilder, die uns aus den arabischen Ländern in den letzten Wochen erreichten, widersprechen all diesen sorgfältig gehegten Vorurteilen.

Islamische Gruppen sind natürlich Teil der Aufständischen, doch stellen sie bei weitem nicht den Großteil der DemonstrantInnen und haben auch nicht die Führung der Aufstände inne. Die Freitagsgebete dienen als Sammelpunkte für Demonstrationen, doch der „große islamistische Aufschwung“ bleibt aus.

Und die Frauen? Bleiben sie brav im Haus und schauen zu, wie ihre Männer kämpfen? Nein! Wir erleben ein unheimlich starkes Auftreten von Frauen, die in den ersten Reihen der Demonstrationen stehen und auch, aber nicht nur für Frauenrechte kämpfen.

Saudi Arabien

"Keine Schiiten, keine Sunniten, Einheit, Einheit des Islam" hieß die Parole, mit der Anfang März hunderte DemonstrantInnen in Saudi Arabien auf die Straße gingen. Auch in diesem Land, in dem Frauen nach wie vor kein Wahlrecht haben, nicht Autofahren dürfen und mit der Polygamie ihrer Männer leben müssen, kommen die Proteste der nordafrikanischen Revolution langsam an. Für eine konstitutionelle Monarchie und gegen das Verbot verschiedener islamischer Strömungen beginnen hier die Proteste. Auch mutige Frauen sind im saudischen Königreich dieser Tage auf der Straße. Trotz Demonstrationsverbot versammelten sich in der ersten Märzwoche 40 Frauen für die Freilassung ihrer Söhne, welche nach einem Anschlag auf einen US-Stützpunkt seit 1996 ohne Gerichtsverhandlung inhaftiert sind. Am 11. und 20. März fanden in Saudi Arabien weitere Demonstrationen statt.

Tunesien

Eigene Frauendemonstrationen gaben den Protesten in Tunesien ein geschlechtlich durchmischtes Gesicht. Tunesien steht wohl bezüglich der emanzipatorischen Rolle der Frauen in der Revolution im arabischen Raum an der Spitze.

Schon kurz nach der Unabhängigkeit wurden Frauen den Männern vor dem Gesetz gleichgestellt. 1957 erhielten sie das Wahlrecht, müssen ihre Zustimmung zur Eheschließung abgeben, dürfen sich scheiden lassen und Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Der Zugang zu höherer Bildung steht auch Frauen offen, sie dürfen sich in der Öffentlichkeit zeigen und selbst einen Beruf ergreifen. So die Gesetzeslage. Doch wie sieht die Realität aus?

Trotz der vergleichsweise fortschrittlichen Frauenrechte ist die Lage der Frau in der Gesellschaft nicht allzu rosig. Patriarchale Strukturen prägen das tägliche Leben. So muss die Frau zwar der Eheschließung zustimmen, doch kann sie sich aufgrund der Familienstrukturen ihrem Vater nur in seltenen Fällen widersetzen. Mangelnde Jungfräulichkeit kann zu Eheannullierung führen, was häufig zu ärztlichen Eingriffen zur künstlichen „Wiederherstellung der Jungfräulichkeit“ führt. Zwar dürfen sich Frauen scheiden lassen, doch ist der Mann nur drei Monate unterhaltspflichtig und eine Wiederheirat zwar erlaubt, doch in der Realität in den meisten Fällen nur möglich, wenn die Frau darauf verzichtet, ihre Kinder in die neue Ehe mitzubringen und diese an die Verwandtschaft abgibt.

Im Arbeitsleben stellen Frauen in Tunesien 50% der Erwerbstätigen. In einem Land, in dem 42% der Arbeitsplätze auf die Textilindustrie entfallen, nicht allzu verwunderlich. Doch die Textilbranche, wo überwiegend Frauen arbeiten, wird weit schlechter entlohnt als andere Industrien. Auch im Dienstleistungsbereich sind Frauen stark vertreten und stellen z.B. 30% der Anwälte des Landes.

Die Hausarbeit ist traditionell noch immer Frauensache - ob als in Doppelbelastung neben dem Job oder indem ein Hausmädchen bezahlt wird: Haushalt bleibt in Frauenhand.

Ägypten

„Die Revolution findet nicht nur auf dem Tahrir-Platz statt, sie ist in jedem ägyptischen Haus“, sagt eine Ägyptische Kämpferin auf dem Tahrir-Platz und zielt damit auf die eben beschriebenen, auch in Ägypten herrschenden häuslichen patriarchalen Strukturen ab. Wie viele andere Frauen, die auf dem Tahrir-Platz eine wichtige Rolle gespielt haben, musste sie sich zu Hause gegen ein Verbot durchsetzen, an den Demonstrationen teilzunehmen, und so Gefahr zu laufen, bestraft oder verstoßen zu werden. Vielen Frauen ging es so - und doch haben die ägyptischen Frauen an vorderster Front mitgekämpft und aktiv zum Sturz Mubaraks beigetragen.

Im mit 80 Mill. EinwohnerInnen bevölkerungsreichsten Land Nordafrikas ist der Dienstleistungssektor mit 50% der Wirtschaftsleistung der stärkste. 2006 stellte die Tourismusbranche 20% der Deviseneinnahmen und 10% der Arbeitsplätze, die umfangreiche Schwarzarbeit in diesem Sektor nicht mitgerechnet. Frauen machen in den prekären, wie in den offiziellen Arbeitsverhältnissen im Tourismus einen Teil der Beschäftigten aus.

Bei der Bildung sieht es für Frauen in Ägypten vergleichsweise gut aus. An den Universitäten stellen Frauen inzwischen 50% der AbsolventInnen. Schon 1962 zog die erste Frau isn Parlament ein, das Wahlrecht für Frauen wurde schon 1956 erkämpft. Das alles spiegelt die Tatsache wider, dass Ägypten schon auf eine verhältnismäßig lange Geschichte der Frauenbewegung zurückblicken kann.

Säkularisierte Feministinnen stehen hierbei islamischen Frauenbewegungen gegenüber, welche mehr Rechte für Frauen erkämpfen möchten, aber zugleich Werte wie Moral, Religion und Familienleben erhalten wollen. Für die säkularisierte Frauenbewegung ist besonders Hoda Shaarawi, die sich in den 20er Jahren mit der Gründung der "Egyptian Feminist Union" an die Spitze der dortigen Frauenbewegung stellte, zum Symbol geworden. 1923 erstaunte sie die Massen, als sie von einem Frauenkongress aus Rom zurückkehrte und in einem symbolischen Akt ihren Schleier von sich warf und die anfangs atemlose Menge zum Jubeln brachte. In den 50er und 60er Jahren führte sie im Namen der Frauenrechte zwei Hungerstreiks und eine Belagerung des Parlaments durch. Sie kämpfte ihr Leben lang gegen die Unterdrückung der Frau in der arabischen Welt.

Libyen

Sehr viel schlechter sieht die Lage gerade in dem Land aus, in dem der „Revolutionsführer“ sich schon 1969 für Frauenrechte stark machte, sie jedoch nie Realität werden ließ. Zwar dürfen (und teilsweise müssen) auch Frauen zur Armee und stellen auch die Leibwache Gaddafis, doch tauchen sie sonst im öffentlichen Leben kaum auf.

Das fast ausschließlich von Öl-Einnahmen lebende Libyen leidet aufgrund seiner geringen Bevölkerungszahl von nur sechs Millionen unter massivem Arbeitskräftemangel, was sowohl zu großen Strömen von Wanderarbeitern aus den Nachbarländern führt, als auch zur Integration der Frauen in den Arbeitsprozess.

Im derzeitigen Bürgerkrieg sind Frauen jedoch weitaus weniger sichtbar, als in den Revolutionen der Nachbarländer.

Fazit

Entgegen allen westlichen Vorurteilen gegenüber der Beteiligung von Frauen an den Veränderungen in der arabischen Welt, haben die Frauen dort oft eine wichtige Rolle gespielt und spielen sie noch. Doch letztlich wird die Frage der weiteren Rolle von Frauen in den sozialen Veränderungen v.a. davon abhängen, ob und wie der revolutionäre Prozess weiter geht. Äußerungen, wie die der Muslimbruderschaft, dass Frauen für die Präsidentschaft ungeeignet seien und nur für Kabinettsposten nominiert werden sollten, deuten schon auf die kommenden Probleme hin.

Um den Kampf für eine wirkliche Gleichberechtigung der Frauen zu gewinnen, müssen die Frauen der arabischen Welt Seite an Seite mit den ArbeiterInnen für die Fortführung der Revolution bis hin zur Erlangung der Staatsmacht durch die ArbeiterInnenklasse und die Etablierung rätedemokratischer Strukturen kämpfen.

Eine neue Diktatur oder eine bloße Neubesetzung des Parlaments wird an den Lebensverhältnissen der verarmten Bevölkerungen genauso wenig ändern, wie an den systematisch beschnittenen Rechten der Frauen und an deren realer sozialer Benachteiligung und Unterdrückung.

Genauso, wie es der Führung der Arbeiterklasse bedarf, um die Revolutionen zum Erfolg zu führen, bedarf es auch einer proletarischen Frauenbewegung, welche sich in diesem Kampf für die Rechte der Frauen in allen Lebensbereichen bis hin zum Erreichen des Sozialismus einsetzt.

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Nr. 158, April 2011
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