Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

Politische Lage

Heißen Herbst vorbereiten!

Martin Suchanek, Neue Internationale 141, Juli/August 2009

Die Weltwirtschaftskrise hat die EU und die BRD voll erreicht. Sie prägt „selbstverständlich“ auch hier die politische und soziale Lage.

Allen „optimistischen“ Prognosen zum Trotz wird immer deutlicher, dass die großen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise in Deutschland noch bevorstehen.

Wirtschaftsexperten der IG Metall rechnen damit, dass 2010 bis zu 25 Prozent aller Industriearbeitsplätze zur Disposition stehen. Bei Ländern und v.a. in den Kommunen droht ein gigantischer Anstieg der Verschuldung aufgrund der Steuerausfälle, was in Kombination mit der jüngst beschlossenen „Schuldenbegrenzung“ zu massiven Kürzungen im Bereich der öffentlichen Versorgung bei Schulen, Unis, Krankenhäusern, Verkehr usw. führen wird.

Das sind nur zwei Beispiele für die Dimension der Angriffe, welche auf die Lohnabhängigen zukommen - seien sie „voll“ Beschäftigte, in Kurzarbeit, in ungesicherten Arbeitsverhältnissen oder arbeitslos.

Veränderung des Kräfteverhältnisses

Der Ausgang der EU-Wahlen mit der dramatischen Niederlage der sozialdemokratischen Parteien, dem Zuwachs bei rechten und populistischen Formationen (bis hin zu Erfolgen offener Faschisten), der Stärkung der Konservativen und Grünen, aber auch der Stagnation oder den geringen Zuwächsen der Reformisten und Zentristen (NPA in Frankreich) ist ein Indikator dafür, dass sich das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen seit Ausbruch der Krise verändert hat.

Die herrschende Klasse hat trotz fortschreitender Krise in Kontinentaleuropa, trotz eines geschätzten Schrumpfens der EU-Wirtschaft um vier Prozent (wenn nicht mehr) in den letzten Monaten wieder etwas an Selbstvertrauen gewonnen. Während sie zu Beginn der Krise „ratlos“ war und das Schlimmste fürchtete, fühlt sie sich jetzt wieder sicherer.

Eine bedeutende Ursache für die Verschiebung des Kräfteverhältnisses sind natürlich auch die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Krise selbst. Die steigende Arbeitslosigkeit, die Entlassung der ersten Arbeitergruppen (v.a. der LeiharbeiterInnen), Stagnation, Kurzarbeit usw. haben auf die Lohnabhängigen eine einschüchternde Wirkung - wenn es keine Kraft gibt, die entschlossen ein Programm zu Bekämpfung der Krise gegen Kapital und Regierung vertritt.

Der erhoffte - oder befürchtete - große Widerstand blieb in vielen Ländern aus. Dort, wo die Arbeiterklasse und die Unterdrückten das ganze System erschütterten, wie in Griechenland, oder mit zwei Generalstreiks in Frankreich stieß die Bewegung an ihre Grenzen: es fehlten eine Perspektive und eine politische Führung, welche die Kämpfe zu einem Ansturm auf die Macht der herrschenden Klasse selbst hätten bündeln können.

In Deutschland (und in den meisten anderen Ländern) ist daher der zentrale Grund dafür, dass der Widerstand vereinzelt und zersplittert blieb, die Politik der Gewerkschaften - genauer der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführungen und der reformistischen Parteien, also der SPD und auch großer Teile der Linkspartei.

Diese streben ganz bewusst ein sozialpartnerschaftliches Bündnis mit Staat, Regierung und Unternehmerverbänden an. Wo es Mobilisierungen gab, wie am 16. Mai, sollen diese v.a. diesem Ziel dienen und darauf beschränkt bleiben, dass die ArbeiterInnen „Dampf“ ablassen.

Andere Kämpfe werden entweder auf rein-gewerkschaftliche „Rituale“ begrenzt und von der Bewegung gegen die Krise getrennt gehalten oder, wo sie außer Kontrolle zu geraten drohen, bürokratisch abgewürgt.

Im Negativen bestätigt dieser tagtägliche Ausverkauf, dieser Verrat an den Gesamtinteressen der Klasse aber auch den nach wie vor hegemonialen Einfluss der Arbeiterbürokratie, des reformistischen Apparats in den Gewerkschaften und der Masse der Betriebsratsgremien über die Klasse.

Dieser negative Einfluss zeigt sich nicht nur im Mangel an Mobilisierung. Er wirkt auch auf das Bewusstsein der Masse verheerend. Warum? Die herrschende Klasse, ihre politischen Vertreter und die bürgerlichen Medien gestehen durchaus zu, dass es „Schwächen“ im System gibt (wobei der Kapitalismus natürlich weiter als „alternativlos“ dargestellt wird).  Aus der Krise rauskommen, könnten „wir“ - also alle Klassen der Gesellschaft, reich und arm, Kapital und Arbeit - jedoch „nur gemeinsam“. Daher müssen alle etwas „beisteuern. Im Klartext: die Lohnabhängigen sollen zahlen und den Standort aus dem Dreck ziehen.

Diese sozialpartnerschaftliche Ideologie verfängt umso mehr, weil die Gewerkschaftsführungen genau ins selbe Horn wie die herrschende Klasse blasen. Auch sie wollen „Standortsicherungpakete“ für „deutsche Unternehmen“, auch sie wollen Opel als „deutschen oder europäischen Konzern“ retten und kümmern sich einen Dreck darum, was dabei aus den US-amerikanischen, italienischen oder anderen ArbeiterInnen wird.

Auch sie akzeptieren, dass ein Teil der Arbeiterklasse bei der Krisenrettung auf Kurzarbeit, ein anderer zum Arbeitsamt gehen muss, dass die Betriebe „entlastest“ werden müssen usw.

Alles, was sie dafür wollen, ist mehr „Mitsprache“, eine Renaissance der „Sozialpartnerschaft“ und der relativ starken Stellung der Arbeiterbürokratie, von Betriebsräten, Aufsichtsratsmitgliedern, Gewerkschaftsfunktionären. Ihr Problem: Die herrschende Klasse will längerfristig die Kosten dieser „Partnerschaft“ nicht mehr tragen und die Bürokratie zu geringeren Bezügen noch direkter in ihre Lenkung der Betriebe einspannen.

Die Rolle der Linken

Die Fähigkeit des Apparats in dieser Situation, die Klasse zurückzuhalten, ist aber auch das Resultat der politischen Schwäche, der reformistischen Orientierung und Zögerlichkeit der Anti-Krisenbewegung, die gegen die Mehrheit des Gewerkschaftsapparates entstand und mit den Demonstrationen am 28. März durchaus Potential und Mobilisierungsfähigkeit bewies.

Im politischen Zentrum dieses Bündnisses steht jedoch eine Koalition von Teilen der Linkspartei, des linken Flügels der Bürokratie, kleinbürgerlichen Reformern wie attac und Teilen der „radikalen Linken“ zentristischer und autonomer Provenienz (v.a. aus dem Spektrum der Interventionistischen Linken).

Dieser Flügel verfolgt ein etwas anderes Ziel als der sozialdemokratische Apparat in den Gewerkschaften und der SPD, er will „echten“ Reformismus, links-keynesianische Reformpolitik, die zum „Transformationsmodell“ hochstilisiert wird. Auch wenn ihre Perspektive letztlich eine der Klassenzusammenarbeit ist, so geben sie vor, gegen die Krise politisch mobilisieren zu wollen und tun das bis zu einem gewissen Grad auch.

Ihre zentrale Schwäche besteht aber darin, dass sie den sozialdemokratischen Mainstream nicht politisch bekämpfen, sondern mit ihm ins Geschäft kommen wollen.

Es geht ihnen nicht darum, die Gewerkschaftsführungen durch Forderungen und eine organisierte Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften zu gemeinsamen Aktionen zu zwingen, sondern sie wollen diese für eine gemeinsame Strategie gewinnen.

Das ist natürlich letztlich nur möglich, wenn man sich der Strategie der Bürokratie anpasst - nicht umgekehrt. Es ist daher kein Wunder, dass DIE LINKE die zentrale, dominierende Kraft dieses Flügels ist. Sie vertritt eine Zusammenarbeit mit SPD und Gewerkschaftsspitzen auf Grundlage eines reformistischen Programms, das letztlich auf eine Regierungskoalition abzielt, am konsequentesten.

Diese Kräftekonstellation hat für die Entwicklung klassenkämpferischen Widerstands bremsende, negative Auswirkungen. Für uns ist die Frage entscheidend, wie sie durchbrochen werden kann.

Dazu müssen wir mehrere objektive und subjektive Faktoren der kommenden Entwicklung im Auge behalten:

1. Die Wirkungen der Wirtschaftskrise wurden bisher auch durch Zugeständnisse an die Arbeiteraristokratie auf Kosten der Gesamtklasse abgefedert (Kurzarbeitergeld). Es zeichnet sich jedoch ab, dass das an seine Grenzen stößt.

Hinzu kommt, dass Regierung und Bourgeoisie aufgrund ihres neu gewonnen Selbstvertrauens bereiter sind, Industriebetriebe oder Kaufhausketten über die Klinge springen zu lassen und nicht auf sozialpartnerschaftlich ausgehandelte „Rettungspakete“ zu setzen.

2. Mit den Wahlen im September ist wahrscheinlich, dass eine Regierung gebildet wird, die - gestützt auf  ein „demokratisches Mandat“ - schärfer angreifen wird; entweder eine scharz-gelbe Koalition (ev. unter Einbeziehung der Grünen) oder eine Große Koalition mit deutlich geschwächter SPD.

3. Damit kommt aber eine Regierung an die Macht, welche die „Strategie“ der Gewerkschaftsführungen noch mehr an ihre Grenzen treibt, sie von der Masse der Klasse mehr entfremden wird, aber auch von Teilen der Kernschichten. Insbesondere die ideologische Bindekraft wird weiter absinken, weil die reformistische Bürokratie tatsächlich auch in einer strategischen Sackgasse steckt. Hinzu kommt, dass die Angriffe zu „spontanen“ Kämpfen führen können, ja werden und/oder bestehende Ansätze von Widerstand - insbesondere im Bildungsbereich - weiter anstacheln werden.

Insgesamt heißt das, dass wir mit einer massiven Verschärfung des Klassenkampfs von oben rechnen - und auch damit, dass die Arbeiterklasse zunehmend vor die Alternative gestellt wird, zu kämpfen oder kampflos Position um Position zu verlieren.

In dieser Situation müssen RevolutionärInnen und alle klassenkämpferischen ArbeiterInnen und Jugendlichen aktiv in den Bündnissen gegen die Krise sowie in anderen Bewegungen arbeiten. Dazu gibt es ernsthaft betrachtet keine Alternative, auch wenn die Bündnisse von Reformisten dominiert werden. Ebenso gilt das für die Arbeit in der Gewerkschaftslinken, die selbst schwächelt, und in den Bündnissen für den Bildungsstreik.

Für die Bündnisse gegen die Krise schlagen wir folgendes Forderungsprogramm unter dem Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ vor:

Gegen Kurzarbeit und gegen alle Entlassungen! Streiks und Besetzung von Betrieben, die mit Entlassungen oder Schließung drohen! Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalsausgleich!

Sicherung der Einkommen! Mindestlohn von 11 Euro netto steuerfrei! Mindesteinkommen von 1.600 Euro für alle Arbeitslosen, Invaliden, RentnerInnen, Studierende!

Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher öffentlicher Arbeiten unter Kontrolle der Beschäftigen und Gewerkschaften - finanziert aus der Besteuerung der Unternehmen und der Reichen!

Entschädigungslose Enteignung und Verstaatlichung der Banken und Fonds, sowie aller Betriebe, die mit Einlassungen drohen, unter Arbeiterkontrolle!

Um solche Forderungen kann der Widerstand gegen die Krise gebündelt werden. Entscheidend ist jedoch auch die Frage, wie sie durchgesetzt werden können.

Die Krise trifft die gesamte Klasse, ihre Auswirkungen und die Angriffe kann letztlich nur durch die Aktion der gesamten Klasse, also auf politischer Ebene begegnet werden. So wichtig es ist, in einzelnen Betrieben den Kampf aufzunehmen und mit allen Mitteln zu unterstützen, so wichtig der Aufbau lokaler Bündnisse ist, so müssen diese immer als Schritte zum Aufbau eines bundesweites Widerstandes verstanden werden - zum Kampf für den politischen Massenstreik, den Generalstreik!

Die DGB-Gewerkschaften sind die einzige Kraft, die einen solchen Streik organisieren und führen können.  Zugleich wissen wir aber, dass die Gewerkschaftsführungen alles andere als einen solchen Kampf wollen. Im Gegenteil: sie werden alles tun, um sein Zustandekommen zu verhindern.

Daher ist es notwendig, für diese Losung ist gerade in den Betrieben und Gewerkschaften zu kämpfen. Wir schlagen vor, dass die Bündnisse gegen die Krise und die Gewerkschaftslinke eine politische Kampagne für den politischen Massenstreik führen - und zwar sowohl als Forderung an die Gewerkschaftsführungen wie in den Betrieben, auf der Straße, vor den Arbeitsagenturen, um die Losung zu popularisieren und MitstreiterInnen zu organisieren.

Perspektive

Obige Forderungen und Perspektiven schlagen wir der Bewegung vor. Es ist aber vollkommen klar, dass es in dieser Bewegung unterschiedliche, ja im Grunde einander entgegengesetzte Strömungen und Stoßrichtungen gibt. Während die Reformisten darauf hoffen, den Kapitalismus durch „Druck“ zähmen zu können, ist uns bewusst, dass die gegenwärtige Krise letztlich nur auf zwei Arten gelösten werden kann. Entweder im Sinne der herrschenden Klasse - d.h. Stilllegung von Betrieben, Massenentlassungen, Privatisierungen, weitere Kürzungen, Lohnraub usw. - oder im Sinne der Arbeiterklasse und der Unterdrückten: durch die sozialistische Revolution, durch den Sturz des Kapitalismus.

Selbst oben skizziertes Anti-Krisenprogramm ist nur durchsetzbar durch politische Massenstreiks bzw. einen Generalstreik, d.h. wenn die Machtfrage in der Gesellschaft gestellt wird.

Daher verknüpften wir den Kampf für den Generalstreik mit dem Kampf für eine Arbeiterregierung, die sich auf die Mobilisierung für einen solchen Streik, auf Streikkomitees, Aktionsräte, Selbstverteidigungsorgane gegen Streikbrecher und Bullen stützt und die daran geht, die herrschende Klasse zu enteignen, die Wirtschaft auf der Grundlage demokratischer Planung zur reorganisieren und den bürgerlichen Staatsapparat durch die Rätemacht zu ersetzen.

Kurzum, es geht um eine Regierung, die nicht den Kapitalismus verwalten, sondern durch die sozialistische Revolution stürzen will, eine Revolution, die nicht an den Landesgrenzen halt macht, sondern nur dann Erfolg haben kann, wenn sie Teil der europäischen und internationalen sozialistischen Revolution ist.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 141, Juli/Aug. 2009
*  Politische Lage: Heißen Herbst vorbereiten!
*  Heile Welt
*  Kitas: Unbefristeter Streik!
*  Programm gegen die Krise: Arbeiterkontrolle erst nach der Verstaatlichung?
*  Berlin: Alle reden von Bad Banks - die Linkspartei saniert eine
*  Bildungsstreik: Die Bewegung wächst
*  Sri Lanka: Gewerkschafter enthüllen Wahrheit über die Lager
*  Befreiungskampf: Solidarität mit den Tamilen!
*  Honduras: Nieder mit dem Putsch!
*  Afghanistan-Mandat: Bundeswehr raus - sofort!
*  Afghanistan: Widerstand und revolutionäre Arbeiterpolitik
*  1934: Streik in Minneapolis: Kämpfen in Zeiten der Krise
*  Iran: Massenproteste und ihre Perspektive