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Sri Lanka

Im Norden Völkermord, im Süden Hunger und Unterdrückung

Erklärung der Sozialistischen Partei Sri Lankas und des Internationalen  Sekretariats der Liga für die Fünfte Internationale, 21. Mai 2009, Neue Internationale 140, Juni 2009

Rajapakses Sieg ist eine Niederlage alle ArbeiterInnen und Bauern Sri Lankas. In der Hauptstadt Colombo u.a. Städten sind die Straßen voll jubelnder Menschen, die Feuerwerkskörper abbrennen, die Nationalfahne schwenken und rufen „Sri Lanka - eine Nation“. Doch die gefeierte Einheit ist trügerisch. Denn die TamilInnen, die ca. 20% der srilankischen Bevölkerung stellen, feiern nicht, obwohl Staatspräsident Mahinda Rajapakse vor dem Parlament zu Beginn in der Tamilsprache erklärt hat, dass das Land nun „vom Terrorismus befreit“ und dieser Sieg kein Sieg über die TamilInnen sei. Seinem Versprechen, dass eine für alle Volksgruppen befriedigende Lösung gefunden werde, folgte die Einschüchterung auf dem Fuße: „Es gibt keine Volksminderheiten in diesem Land, es gibt nur zwei Gruppen: die eine liebt dieses Land und die andere nicht.“ Dies ist eine kommunalistische und chauvinistische Leugnung der tamilischen nationalen Identität. Demokratische Rechte und Frieden können auf dieser Grundlage nicht lange vorhalten.

Doch es droht Schlimmeres: Rajapakse hat zu einer Massensiegesfeier in Colombo aufgerufen. Das wird die sinhalesischen Chauvinisten weiter ermutigen, die tamilischen Gebiete im Süden des Landes zu terrorisieren. Auf sinhalesischen chauvinistischen Webseiten sind Bilder von Linken und sogar Liberalen veröffentlicht worden, die den Krieg gegen die Tamilen kritisiert haben. Sie werden nun als Feinde des sinhalesischen Volkes verdammt, und es wird damit eine offene Aufforderung zur Gewalt gegen diese Menschen ausgesprochen.

Die Regierung versucht auch, andere Vorteile aus dieser chauvinistischen Stimmung zu ziehen. Sie hat Regionalwahlen in den südlichen und Uvaprovinzen angesetzt. Präsidentschafts- und allgemeine Parlamentswahlen werden wahrscheinlich bald folgen.

Die Regierung bringt erneut die „13. Verfassungsänderung“ auf den Tisch, die in den 1980er Jahren als Friedensdiktat der Sieger gegen den nationalen Widerstand der Tamilen verabschiedet worden war. Damals wurde dies auch von gemäßigten TamilInnen als Affront betrachtet. Dieser Verfassungspassus erlaubte den Tamilen zwar, in ihren Mehrheitsgebieten im Norden und Osten der Insel Versammlungen abzuhalten, gesteht ihnen aber keine Verfügungsgewalt über Haushalt, Planung oder Infrastruktur zu. Mit anderen Worten, sie sollen vollkommen abhängig von der Zentralregierung in Colombo sein.

Staatsterror

Doch niemand im Norden des Landes wird Rajapakses Beteuerungen Glauben schenken. Immerhin wurde das Tamilen-Gebiet unter unsäglichen Todesopfern von Zivilisten erobert, die Menschen wurden vertrieben und Wohnungen, Bauernhöfe, Betriebe, Verkehrswege und Versorgungseinrichtungen zerstört.

Nach internationalen Berichten wurden allein in den letzten vier Monaten des Konflikts 8.000 Menschen getötet und etwa 250.000 vertrieben.

Nachdem sich die Armee geweigert hatte, einen Waffenstillstand auszuhandeln oder eine einseitige Feuereinstellung zu akzeptieren, präsentiert sie nun Fotos, auf denen angeblich die Leichen von Velupillai Prabhakaran und anderen ranghohen Führern der Befreiungstiger der Tamilischen Eelam (LTTE) sowie der letzten 250 Kämpfer zu sehen sind. Ihre Vertreter hoffen, dass die Vernichtung der LTTE den nationalen Widerstand der TamilInnen für immer brechen wird. Damit haben sie aber nur erreicht, dass die Gefallenen als Märtyrer gesehen werden und der Kampf - in welcher Form auch immer - wieder aufflammen wird.

Zehntausende Flüchtlinge werden in 42 Lagern hinter Stacheldraht gefangen gehalten und von Armee und Polizei überwacht.  Jeder als „Tiger“ Verdächtige wird ein hartes Schicksal erleiden. Die volle Wahrheit über die Völkermordattacke der Regierung wird wohl erst nach einiger Zeit an die Öffentlichkeit kommen, denn die ausländischen Nachrichtenagenturen waren während der Kriegshandlungen von Informationen abgeschottet und viele unabhängige einheimische Journalisten wurden eingeschüchtert oder ermordet.

Sogar Ärzte, die - im Auftrag der Regierung - in der Belagerungszone tätig waren und von denen Berichte über das Ausmaß der zivilen Opfer an die Weltöffentlichkeit gelangten, wurden verhaftet. Ihnen droht nun ein Prozess wegen Begünstigung des Feindes. Aber trotz allem wird die Wahrheit zu Tage treten. Die Geschichte hat stets gezeigt - in Europa, Palästina, Südamerika und Indonesien -, dass sich Grausamkeiten wie diese nicht auf ewig verbergen lassen.

Trügerische Hoffnungen

Etliche Bewohner Sri Lankas, natürlich nicht die Chauvinisten, glauben vielleicht, dass sie nun nach 25 Jahren Bürgerkrieg, der von terroristischen Anschlägen auf der einen und Pogromen gegen die Minderheit auf der anderen Seite geprägt war, nun endlich Frieden feiern können. Doch sie täuschen sich! Jeder Friede, der auf Eroberung, Unrecht und Unterdrückung beruht, kann selbst der Siegerseite nicht nutzen. Eine Nation kann nicht gegen den Willen einer großen, unterscheidbaren und lange unterdrückten Minderheit vereinigt werden.

Die Unterdrückung der TamilInnen und eine mutige Minderheit von Sinhalesen, die sich gegen den brutalen Krieg stellte, wird in den kommenden Monaten auch auf die Mehrheit der Arbeiterschaft aus beiden Gemeinschaften zurückschlagen. Der Krieg hat riesige Ressourcen verschlungen, daher werden sich die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise umso stärker bemerkbar machen. Wenn ArbeiterInnen und ländliche Armut sich dagegen wehren, werden auch sie als Leute, „die ihr Land nicht lieben“ bezichtigt und von der Regierung des siegreichen Rajapakse unterdrückt werden.

In dieser bitteren Stunde für die tamilische Bevölkerung ist es unsere Pflicht, nicht nur den TamilInnen auf Sri Lanka, sondern deren Gemeinschaften überall auf der Welt Gehör zu verschaffen. Zunächst müssen wir über die Leiden, die die Armee über die Tamilen im Norden der Insel gebracht hat, berichten, über die Zivilisten wie über die entschlossenen militärischen Kämpfer für ihre Freiheit. Dann müssen wir die vertriebenen und in Flüchtlingslager gepferchten TamilInnen zu Wort kommen lassen. Nur so kann es eine Chance auf wirklichen Frieden in Sri Lanka geben.

Perspektive

Die Regierung hofft, mit Repression jeglichen tamilischen Widerstand zu brechen. Das wird nicht gelingen. Eine neue Generation wird an die Stelle der gefallenen treten, solange die Unterdrückung andauert. Welche Form der Widerstand annehmen wird, ist noch ungewiss. Die LTTE ist allerdings als reguläre Armee, die das besetzte Gebiet verteidigen kann, vernichtet. Guerrillakrieg und individuelle Terrorakte sind jedoch weiterhin möglich. Aus unserer Sicht ist dies nicht der Weg zur Befreiung der TamilInnen und würde die Massen zum Zuschauen verdammen oder sie gar zu Opfern des Kampfes machen. Deshalb sind revolutionäre SozialistInnen immer für einen anderen Weg eingetreten als die LTTE seit 1983.

Heute muss dieser Weg mit der Verteidigung der verletzten demokratischen Rechte für die tamilische Bevölkerung im Norden und Osten und auch in den Städten und den ländlichen Gebieten in Mittel- und Süd-Sri Lanka beginnen. Trotz der repressiven und konterrevolutionären Stimmung in Colombo ist schon ein Anfang in dieser Hinsicht gemacht worden. Auf einem Treffen am 20.5. haben 18 Organisationen, darunter auch die Sozialistische Partei Sri Lankas, Sektion der Liga für die 5. Internationale; die Nawa Sama Samaja Partei (Vierte Internationale), die Vereinigte Sozialistische Partei (Komitee für eine Arbeiterinternationale) wie auch ethnische Gemeinschaftsgruppen und Einzelaktivistinnen ein Komitee gegründet, um eine wirkungsvolle Gegenkraft zu organisieren. Wenn sie erfolgreich sein wollen, müssen sie den Kampf der Tamilen mit dem der sinhalesischen ArbeiterInnen und Kleinbauern verbinden, denen die Regierung den Preis für den Krieg und die Wirtschaftskrise aufhalsen will.

Gegenwärtig geraten SozialistInnen und selbst aufrechte DemokratInnen aus beiden Ethnien unter Druck, sie sollen isoliert und als Kollaborateure der LTTE gebrandmarkt werden. Das ist nicht neu. RevolutionärInnen müssen überall auf der Welt ihre Arbeit so gut es geht auch unter schlechten Vorzeichen fortsetzen  Die Sozialistische Partei Sri Lankas wird gemeinsam mit ihren GenossInnen der Liga für die 5. Internationale weiter demokratische Rechte für die tamilische Bevölkerung einfordern. Ehe ihnen nicht das Recht auf Selbstbestimmung und die Entscheidung über ihr eigenes Schicksal von der srilankischen Regierung zugestanden wird, kann es nicht Frieden und Gerechtigkeit für alle geben.

Nach der Niederlage der LTTE erwarten uns neue Aufgaben. Wir müssen in den tamilischen Gemeinden im ganzen Land für den Aufbau einer neuen Bewegung werben, eine neue politische Organisation, die imstande ist, die Unterdrückung der Tamilen zu beenden. Dies muss die Form einer wahrhaft revolutionären sozialistischen Partei annehmen, die tamilische und sinhalesische Arbeiter, Bauern und Jugendliche zu einer kämpfenden Organisation mit den Methoden des Klassenkampfs zusammenschweißt, und nicht dem Guerrillakrieg oder individuellem Terrorismus anheimfällt. Der Kampf muss gegen die srilankischen Kapitalisten, ihre imperialistischen Hintermänner und die Regierung in Colombo geführt werden.

Zugleich muss jede Anstrengung unternommen werden, die sinhalesischen ArbeiterInnen und Bauern anzusprechen, die derzeit glauben, die Beendigung des Krieges würde ihnen eine „Friedensdividende“ einbringen, die Rajapakse ihnen versprochen hat. In Wirklichkeit wird er den Sieg nützen, um seine eigene Machtposition und die seiner Clique zu stärken, damit die Arbeiter und Bauern, tamilische wie sinhalesische, gezwungen werden können, die Kosten nicht nur für den Krieg, sondern auch für die internationale Wirtschaftskrise zu zahlen.

Nachdem der Krieg nun vorüber ist, müssen die Arbeiter ihre Kräfte neu sammeln, um für ihre Belange zu kämpfen. Die JVP und die kriegsunterstützenden Gewerkschaften dürfen die Arbeiter nicht mehr mit der Ausrede „keine Störung der Kriegsanstrengungen durch Streiks“ vom Kämpfen abhalten. Alle ArbeiterInnen müssen v.a. für Lohnerhöhungen gegen die grassierende Inflation und für die ihrer Arbeitsplätze, die von der Krise bedroht sind, zur Aufrechterhaltung öffentlicher Dienste, gegen Kürzungen öffentlicher Ausgaben und für die Schaffung von Programmen gesellschaftlich sinnvoller öffentlicher Arbeiten zur Verbesserung der Infrastruktur kämpfen.

Unser Endziel ist der Sturz der Kapitalistenklasse in Sri Lanka und ganz Südasien. Dies mag als langwieriger Weg erscheinen, doch die Wirtschaftskrise schafft dafür günstigere Voraussetzungen. Rajapakse wird die meisten Versprechen in Bezug auf Wiederaufbau und Neugestaltung gar nicht einhalten können. Unsere wichtigste Botschaft ist: nur ein sozialistisches Sri Lanka, ein Staat, der das Recht auf Selbstbestimmung einschließlich der Möglichkeit auf Abtrennung einräumt, kann wahren Frieden sichern, kann Hunger und Armut beseitigen und allen arbeitenden und unterdrückten Völkerschaften auf der Insel Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Heute sind die dringendsten Forderungen:

Für die Verteidigung der tamilischen Gemeinschaften gegen alle Pogrom- und Vertreibungsversuche!

Für das Recht aller Flüchtlinge auf Rückkehr in die ehemaligen Kampfgebiete!

Sofortige Freilassung aller Gefangenen, Zulassung von unabhängigen srilankischen und ausländischen Journalisten in der Kriegszone und den Lagern! Schluss mit der Zwangsverbringung in Lager!

Beendigung der unterdrückerischen Gesetzgebung gegen tamilische Organisationen! Für die Wiederherstellung der Rede-, Versammlungs- und Pressefreiheit!

Massive internationale Hilfe an Lebensmitteln, medizinischer Versorgung sowie beim Wiederaufbau von Häusern und Infrastruktur!

Sofortiger Rückzug der Regierungstruppen aus den Gebieten mit tamilischer Bevölkerungsmehrheit!

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Nr. 140, Juni 2009
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