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Neues Versammlungsrecht in Bayern

Politischer Streik für Demonstrationsrecht!

Helga Müller, Neue Internationale 131, Juli/August 2008

Noch vor der Sommerpause will die bayerische CSU-Landesregierung ein neues Gesetz zum Versammlungsrecht durch den bayerischen Landtag bringen, das massive Einschränkungen für Versammlungen, Demonstrationen und Streiks bringen würde. So ist u.a. vorgesehen:

Bereits zwei Personen, die sich laut unterhalten, können als Versammlung gewertet werden. Das könnte z.B. zwei GewerkschaftskollegInnen treffen, die vor dem Betrieb Flugblätter verteilen oder Streikposten stehen.

Neu ist die Einführung eines „Militanzverbotes“. Darunter können einheitliche Kleidung, Fahnen, Schilder oder Anstecker gezählt werden, die militant und “einschüchternd“ wirken. Das ist ein Gummiparagraf, nach dem auch kämpferische Blocks in einer Demonstration krimininalisiert werden können. Auch wenn die CSU hier einen Rückzieher gemacht hat, zeigt das, in welche Richtung das neue Gesetz gehen soll.

Versammlungsleiter und Ordner werden zum verlängerten Arm der Polizei gemacht, indem sie sämtliche Auflagen einer Demonstration mit entsprechendem Nachdruck gegenüber den Demonstranten durchsetzen müssen.

Auch bei Ordnern müssen Name und Adresse bei den Behörden angegeben werden. Diese können von Polizei und Behörden als “unzulässig” und “ungeeignet” abgelehnt werden.

Nach Gutdünken der Polizei können Demonstrationen gefilmt und die Aufnahmen beliebig lange aufbewahrt werden.

Zum Verbot einer Versammlung oder Demonstration kann es ausreichen, wenn “Rechte Dritter unzumutbar beeinträchtigt werden“. Das können z.B. die Rechte von Kauflustigen am Samstag sein; sprich, wenn die großen Kaufhausketten fürchten, dass ihr Umsatz aufgrund einer Demo beeinträchtigt wird, kann das bereits zu einem Verbot führen.

Der Polizei muss bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen Zutritt gewährt werden und ein “angemessener Platz” eingeräumt werden. Nur die Einsatzleitung der Polizei muss sich den Veranstaltern zu erkennen geben.

Dieses neue Versammlungsgesetz richtet sich nicht nur gegen gewerkschaftliche Arbeitskampfmaßnahmen, die kriminalisiert werden sollen, sondern ebenso gegen alle außerparlamentarischen politischen Kräfte, die sich gegen die Angriffe von Regierung und Unternehmer auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen breiter Bevölkerungsschichten oder gegen Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan zur Verteidigung der Interessen des deutschen Kapitals wehren wollen.

Es ist kein Zufall, dass dieses Gesetz ausgerechnet in Zeiten einer verstärkten Krise des kapitalistischen Systems und verstärkter Gegenwehr von KollegInnen zur Verteidigung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen von staatlicher Seite durchgesetzt werden soll. Der bürgerliche Staat lässt mehr und mehr seine demokratische Maske fallen.

Hier wird erneut deutlich, dass der Staat nicht über den Klassen steht, sondern ein Instrument des Kapitals ist, das eingesetzt wird, um jegliche kritische Meinungsäußerung zu unterbinden und vor allem, um Massenbewegungen gegen seine Maßnahmen zur Bewältigung seiner Krise und gegen den weltweiten Wettstreit um neue Ressourcen im Keim zu ersticken.

Bereits Friedrich Engels hat analysiert, dass der Staat entstanden ist “aus dem Bedürfnis, Klassengegensätze im Zaum zu halten; da er aber gleichzeitig mitten im Konflikt dieser Klassen entstanden ist, so ist er in der Regel Staat der mächtigsten, ökonomisch herrschenden Klasse, die vermittels seiner auch politisch herrschende Klasse wird und so neue Mittel erwirbt zur Niederhaltung und Ausbeutung der unterdrückten Klasse.” (Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates)

Dieser weitere Schritt in Richtung Aufbau eines autoritäten Überwachungsstaats reiht sich ein in die Maßnahmen zur Ausgestaltung der “inneren Sicherheit” von Bundesinnenminister Schäuble.

Das BKA-Gesetz “zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus” vereint formell alle Kompetenzen der “Terrorismusbekämpfung” in einer Behörde, dem Bundeskriminalamt. Dabei handelt es sich bei weitem nicht nur um den zumeist in den öffentlichen Begründungen angeführten “islamistischen Terrorismus”, sondern um alle Delikte im Rahmen des §129a und b StGB. D.h., dass das BKA die Kompetenzen zur polizeilichen Verfolgung aller Gruppen und Einzelpersonen bekommt, die gemäß dem sehr weit gefassten “Terrorismusbegriffs” dieses Paragraphen von den Justitzbehörden als “terroristisch” eingestuft werden.

Das Neue an diesem Ansatz ist die enorme Aufwertung eines zentralen, bundespolizeilichen Staatsschutzes gegenüber den bisherigen Kontrollmechanismen durch Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern. Dazu kommen noch besonders weitgehende Rechte, geheimpolizeiliche Mittel in ganzer Breite einzusetzen.

Damit wird ein weiteres Stück Demokratie der Nachkriegs-BRD beerdigt, um an die Traditionen des autoritären Staatsverständnisses vor 1945 anzuknüpfen.

In der unmittelbaren Nachkriegsperiode war das deutsche Kapital einerseits mit Besatzung und Niederlage seiner bewaffneten Organe, andererseits mit einer möglichen revolutionären Zuspitzung konfrontiert. In dieser Situation musste es einen “antifaschistischen Grundkonsens” proklamieren und eine Reihe “demokratischer Reformen” zulassen, um seinen Staat  wieder restaurieren zu können.

Sowohl aufgrund des Drucks der Alliierten als auch der eigenen Bevölkerung wurde daher ein allgemeiner Verzicht auf eine geheime Staatspolizei und eine weitgehende Dezentralisation der Polizei hin zu landesspezifischen Schutzpolizeien beschlossen. Zugleich war die Geschichte der BRD auch immer eine Geschichte der Aushöhlung und Umgehung diese Vorhaben und der Verschärfung der Repression.

Mit dem neuen BKA-Gesetz erhält nun die politische Staatschutzpolizei des Bundes neben ihren bisherigen “Ermittlungsrechten” wesentliche Kompetenzen in der “Gefahrenabwehr.” Diese reichen von Verhör-, bis zu Überwachungs-, Abhör-, Durchsuchungs- und In-Gewahrsamnahme-Rechten. Dazu kommt, dass mit der besonderen „Terror-Gefahr“ auch eine Ausweitung der Polizeirechte verbunden wird.

Positiv zu vermerken ist, dass es in Bayern gegen das beabsichtigte neue Versammlungsgesetz bereits mehrere Demonstrationen gab und die Verschärfungen in die öffentliche Debatte gekommen sind. In München kam es zu zwei größeren Demonstrationen:

Eine mit ca. 3.000 TeilnehmerInnen, zu der ein breites Aktionsbündnis - vom AK Vorratsspeicherung bis hin zum linken und autonomen Spektrum - aufgerufen hatte; eine andere mit ca. 5.000 KollegInnen, zu der der DGB aber auch politische Parteien von Die Linke über die SPD, Bündnis 90/die Grünen bis hin zur FDP aufgerufen hatten.

Auch wenn es ein Fortschritt ist, dass selbst der DGB sich durchgerungen hatte, zu einer Großdemonstration gegen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit aufzurufen, so hat er dies sehr halbherzig getan.

Zum einen hat die IG-Metall München zwar den Aufruf zur Demonstration unterstützt, aber in den Betrieben überhaupt nicht dafür mobilisiert. So war die Mobilisierung in den Betrieben eine Initiative einzelner Betriebsräte und Vertrauensleute. So erklärt sich auch die geringe Teilnahme zum Teil.

Zum anderen hat die DGB-Spitze ein Interview des bayerischen Innenministers Hermann kurz vor der Demonstration, dass die Gewerkschaften mit der Verschärfung des Versammlungsrechtes ja gar nicht gemeint seien, zum Anlass genommen, sich aus der Mobilisierung gegebenenfalls ganz zurückzuziehen.

Das ist ein eklatanter Beweis dafür, dass einige GewerkschaftsführerInnen immer noch nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen, dass der deutsche Staat angesichts der Krisenerscheinungen des kapitalistischen Systems, wachsender innerer Spannungen, aber auch der größer werdenden internationalen Zugriffe des deutschen Kapitals auf neue Ressourcen, nach innen und außen aufrüstet.

Es wäre die Aufgabe des DGB, genau diesen Zusammenhang aufzuzeigen, um den KollegInnen bewusst zu  machen, dass es gerade die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse sind,  die ihnen ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen immer schwieriger machen und die auch dazu führen, dass ihre Widerstandsmöglichkeiten immer mehr eingeschränkt werden.

Das wiederum macht deutlich, dass selbst die elementarsten demokratischen Rechte und die Rechte der Arbeiterklasse zur Selbstverteidigung wie das Streik- und Demonstrationsrecht nur durch die Arbeiterklasse selbst und letztendlich nur durch einen politischen Massenstreik verteidigt werden können. Dabei müssen die Arbeiterbewegung, die Jugend, die Migrantenorganisationen, die „radikale Linke“ und alle ernsthaften DemokratInnen gemeinsam kämpfen!

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Nr. 131, Juli/Aug. 2008
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