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Parteifusion

Die Linke und die “Linke”

Markus Lehner, Neue Internationale 118, März 2007

Die Entstehung der WASG und die bevorstehende Vereinigung mit der L.PDS stellten und stellen linke Organisationen vor einen entscheidenden Test. Die meisten haben ihn schon jetzt nicht bestanden.

Die immer offensichtlichere Krise des Kapitalismus und seiner hiesigen Herrschaftsstrukturen haben die soziale Basis für eine linke Partei im Bruch mit der SPD geschaffen - eine für ein imperialistisches Land wie Deutschland mit seiner tief sozialdemokratisierten Arbeiterklasse bedeutende Entwicklung.

Von Anfang an war klar, dass links-reformistische Kräfte aus dem Gewerkschaftsapparat zusammen mit der PDS-Führung dieses Potential nur zur Schaffung einer neuen, wiederum reformistischen Partei nutzen würden. Es war einerseits also klar, welche Chance sich für die Schaffung einer klassenkämpferischen Arbeiterpartei auftut; andererseits aber auch, welcher Kampf zu führen ist, um die Entstehung eines weiteren sozialdemokratischen Hindernisses für die Entwicklung von revolutionärem Klassenbewusstsein zu verhindern.

Etappe ins Nichts

Die linken Organisationen haben auf diese Herausforderung entweder mit passiver Abstinenz oder mit opportunistischer Anpassung als mehr oder weniger linker Flügel des Neo-Reformismus reagiert.

Auf der einen Seite stehen jene, welche die neue Linkspartei als Etappe auf dem Weg zu einer wirklichen sozialistischen Partei erklären. Entweder wird mit Gramsci von einer neuen „Bastion gegenüber der neoliberalen Hegemonie“ gesprochen, in der eine “einmalige historische Chance” läge, das Kräfteverhältnis zugunsten der Linken zu verschieben. Das würde später einmal einen weitergehenden Angriff auf die kapitalistischen Bollwerke erlauben. Leider verfehlte schon Gramscis Klassenkampf-Analytik die Dialektik der Bildung von Klassenbewusstsein: die Rücksichten der “Genossen in den sicheren Stellungen” und die Erfahrungen, Kampfziele und -methoden der unmittelbar von den kapitalistischen Angriffen Betroffenen prallen schneller aufeinander, als die “nächste Etappe” laut den weisen Vorausberechnungen kommt. Solche Etappentheorien sind speziell unter “linken” Gewerkschaftsfunktionären und ihren akademischen Zuarbeitern, z.B. in der “Sozialistischen Linken” oder der “Sozialismus”-Strömung das herrschende Denkmuster.

Auf der anderen Seite der Etappentheoretiker stehen die Alt-StalinistInnen der “kommunistischen Plattform”, welche die “revolutionäre” Tradition der SED in die neue “Linke” retten wollen. Ohne den konter-revolutionären, arbeiterfeindlichen Charakter der SED-Herrschaft je als solchen verstanden zu haben, wird der reformistische Charakter der PDS auf eine falsche Politik der derzeitigen Führung zurückgeführt. Hier müsse man in der Partei solange aushalten, bis der Zeitpunkt zur Rückkehr zu den “alten Werten” gekommen sei.

Diese “loyale Opposition” in der PDS hat sich im Parteibildungsprozess vor allem um die Rettung “sozialistischer Symbole” gekümmert (meist in konsequenzlosen Programmabänderungen), hat aber nie ernsthaft um einen tatsächlichen Politikwechsel der neuen Partei gekämpft. Gemeinsam mit der “anti-kapitalistischen Linken” kritisierte sie zwar das Modell der Berliner PDS-Regentschaft, lehnte aber jegliche effektive Opposition dagegen (z.B. den Eigenantritt der Berliner WASG) als “spalterisch” ab. Die “anti-kapitalistische Linke” stellt so nichts anderes als die Vorab-Vereinigung der loyalen Pseudo-Oppositionen in WASG und PDS dar.

Die Auseinandersetzung um die “Dessauer Erklärung” der Fraktionsvorsitzenden-Konferenz zeigt, wie sich die Machtverhältnisse in der neuen “Linken” gestalten werden. Auch der real-existierende Machtapparat der PDS hat seine Etappentheorie: “Ohne die Berliner L.PDS gäbe es dort nicht die einmalig großzügige Regelung für anfallende Wohnkosten bei ALG-II-Empfängern (...). Konzentration auf die zentralen sozialen Fragen zahlt sich unter allen Konstellationen für die Menschen aus (...). Dies ist auch der Maßstab für Entscheidungen für oder gegen Regierungsbeteiligungen”.

Kuschel-Opposition

Einer der schwersten Angriffe auf die sozial Schwachen in diesem Land seit Jahrzehnten wird mitgemacht, um ihn im “Interesse der Menschen” zu gestalten. Auf diese Bankrotterklärung “linker Politik” antworteten die Frontleute der “anti-kapitalistischen Linken” (darunter viele Abgeordnete) nicht etwa mit der Forderung nach dem sofortigen Rücktritt von Fraktionsführungen, die ihre Partei in solcher Weise in die neoliberale Attacke einreihen.

Stattdessen wird wieder mal “solidarisch” Kritik geäußert - verbunden mit der ungeheuer glaubhaften Drohung: „Wenn jetzt auch noch die Berliner Sparkasse privatisiert wird, muss aber Schluss gemacht werden mit der Berliner Koalition!“ Natürlich wird kein Wort darüber verloren, welche Konsequenzen zu ziehen sind, wenn sich die Berliner Führungsgenossen nicht an diese Anweisung halten. Stattdessen verstecken sich diese “Linken” hinter Oskar Lafontaines Drohung, den Sparkassenverkauf als “Lackmustest” der Koalition anzusehen. Welch starke Position der “Antikapitalisten”, sich auf einen ehemaligen Finanzminister zu verlassen, der schon immer für seine Wendungen - auch was Privatisierungspolitik betrifft - bekannt war!

Noch zynischer ist sicherlich der Opportunismus von “Linksruck”. Der Objektivismus dieser Organisation, die seit Jahren eine “stetige Zunahme der Widersprüche” und der “sozialen Kämpfe” sieht, dem quasi automatisch ein entsprechendes Bewusstsein folge, führt unvermeidlich zur völligen Schönfärben des Parteibildungsprozesses. Die neue “Linke” wird als ungeheuer anziehend für alle möglichen kämpferischen Elemente gesehen.

Deshalb müsse man natürlich auf der linken Flanke unbedingt dabei sein: koste es, was es wolle! Und wenn man schon mal die Berliner PDS mittragen muss (kritisch natürlich), oder für durch und durch reformistische Programme stimmen muss - Hauptsache, man kommt über die Studentenorganisation und die Anti-G8-AG an neue Leute ran bzw. an parlamentarische Versorgungsposten für die Hauptamtlichen.

Schwieriger hat es sicher die “Internationale Sozialistische Linke” (isl), die keinen Hehl aus ihrer Einschätzung des Charakters der neuen “Linken” und der geringen Chancen für eine ernsthafte Opposition darin macht. Sie teilen zwar ähnlich wie die SAV die Kritik des NLO in der Berlin-Frage und der darin zum Ausdruck kommenden reformistischen Dominanz in der neuen Partei. Andererseits aber schreiben Kellner/Born (isl) in einer mail (8.2) an die NLO-Liste: “Während etwa SAV und isl eine in vielen Punkten ähnliche Kritik üben wie das NLO, haben diese beiden Organisationen bislang nicht den Beschluss gefasst, sich von diesem Prozess zu trennen. Beide nehmen wahr, dass viele Menschen, vor allem, aber nicht nur, Gewerkschaftsmitglieder, in der entstehenden neuen Partei der Linken die entstehende eigene politische Kraft, die Alternative links von Sozialdemokratie und Grünen sehen.”

Die Ausklinkung aus der “Linken”, wie es das NLO verfolge, führe zur Isolation von diesen “Massen”. Dabei verkenne die Mehrheit des NLO die tatsächliche gesellschaftliche Situation, die von “mangelnder Eigenständigkeit” der sozial kämpfenden geprägt sei. Anstatt also die tatsächlich bestehende politische Führungskrise der verschiedenen sozialen Kämpfe (wie gerade zuletzt der Massenaktionen gegen die Rente mit 67) durch den Kampf um eine alternative Führung anzugehen, sollen wir warten, bis diese protestbereiten Schichten sich erstmal hinter der neuen “Linken” versammeln. Wahrlich eine gute Methode, um die “eigenständigen Proteste” durch eine neue Form der reformistischen Gängelung zu erdrosseln!

Anders als die isl sieht die SAV sehr wohl eine Zuspitzung der gesellschaftlichen Situation, die ProtestaktivistInnen politisiert. Hier wird dann die “Linke” als Durchgangsstadium der Massenradikalisierung erklärt: “Wenn sich eine neue Schicht von ArbeiteraktivistInnen in den Betrieben und Gewerkschaften entwickelt und Teile davon auf der Basis verallgemeinerter Kämpfe und Bewegungen die Schlussfolgerung ziehen, auch auf der politischen Ebene aktiv zu werden, könnten sie den Schritt in die fusionierte Partei gehen, wenn es dazu keine Alternative gibt und diese Partei (...) als Oppositionskraft in Erscheinung tritt” (sozialismus.info 5, S. 7)

Sicher sei, dass es für eine Partei links der neuen Linken “zum jetzigen Zeitpunkt” keine Basis gäbe - außer in Berlin, wo dies durch den eigenständigen Wahlantritt der WASG anders sei. Mit diesen vielen Konjunktiven ausgestattet, fährt die SAV die Doppelstrategie, einerseits im Westen den Aufbau der Linksopposition in der neuen “Linken” zu propagieren, in Berlin jedoch eine oppositionelle Regionalorganisation gegen dieselbe aufbauen zu wollen.

Auch die SAV sieht für die eigenständig aktiv werdenden ArbeiterInnen und Arbeitslosen also zunächst die neue „Linke“ als notwendiges erstes Etappenziel für deren Politisierung. Wiederum wird verkannt, dass der Mangel am Aufbau einer tatsächlichen sozialistischen Alternative dies zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung macht.

Wohin sollten sich diejenigen, die nach politischer Organisierung suchen, auch wenden, wenn sie kein anderes Angebot als die “Linke” haben?!

Sich in dieser Situation dem Aufbau einer organisatorischen Alternative zu verweigern, ist letztlich eine linke Flankendeckung für die Herausbildung des nächsten reformistischen Hindernisses für die Entwicklung eigenständigen Klassenbewusstseins.

Dabei wird auch übersehen, dass die Angriffe nicht erst in Zukunft Schichten von ArbeiterInnen und Arbeitslosen in Bewegung bringen, die nach politischer Organisierung suchen. Tatsächlich war die Bildung der WASG für viele KollegInnen schon heute ein Ausdruck dieser Suche. Nicht nur GenossInnen innerhalb der WASG, die jetzt in mehr oder weniger wütender Opposition zum Vereinigungsprozess stehen, auch viele Ausgetretene oder SympathisantInnen suchen hier derzeit nach Orientierung.

Die taktischen Winkelzüge von Sozialistischer Linke bis zu isl und SAV bieten hier überhaupt keinen Anhaltspunkt - ja sie versuchen nicht einmal, diese Orientierungssuche als mögliches Moment einer tatsächlichen politischen Weiterentwicklung aufzufassen - einer Weiterentwicklung, in die die linken Organisationen vorwärts treibend eingreifen müssten. Die Zahl derer, die sich jetzt im NLO oder den verschiedenen anderen Oppositionsströmungen sammeln, mag nicht den zukünftigen “eigenständigen Massen” entsprechen, auf die SAV und isl abzielen. Aber sie sind bereit zum Aufbau einer Alternative, die diesen Massen vielleicht einmal eine tatsächliche Kampfperspektive bieten kann, statt von der neuen “Linken” für die nächste  reformistische Schweinerei missbraucht zu werden.

Große Teile der “radikalen Linken” - z.B. der RSB - haben die Chance, welche die WASG-Bildung geboten hat, immer nur passiv von außen betrachtet. Man wusste ja von vornherein, dass da nur eine reformistische Partei herauskommen konnte, und dass die Basismitglieder großteils nicht die erwünschten revolutionären BetriebsaktivistInnen waren.

Jetzt beobachtet der RSB auch das NLO erst einmal von außen, wie sich das NLO entwickelt. Ähnlich wie von den anderen linken Organisationen wird verkannt, dass viele der ArbeiterInnen und Arbeitslosen, die in den Anti-Agenda-Protesten aktiv wurden, um sich später der WASG anzuschließen, zwar mit einem klar reformistischen Bewusstsein in diese Partei gegangen sind, aber in den Kämpfen um diese Partei und in dieser Partei z.T. eine enorme Entwicklung durchlaufen haben.

Dabei handelt es sich durchaus um neue AktivistInnen aus der “Mitte der Klasse”, die weitaus stärkere Multiplikatoren in der “Normalbevölkerung” sein können, als viele der langjährigen linken Polit-„Profis”. Die Chance, mit diesen Schichten zumindest den Anfang der Bewegung für eine neue, tatsächlich kämpfende Arbeiterpartei zu setzen, ist tatsächlich gegeben.

Mit der Herausbildung der “vereinigten Linken” mag die Sogwirkung des linken Reformismus auf diese Schichten tatsächlich zeitweilig stärker werden. Aber es bedarf auch keiner großen politischen Voraussicht, um zu sehen, dass die „Linke“ in Vorbereitung auf eine mögliche Regierungsbeteiligung auf Bundesebene weiter nach rechts gehen wird. Sie wird sich an die Gewerkschaftsbürokratie und deren Demobilisierungs-Kurs anpassen. Für linke Organisationen, die diesen Namen verdienen, sind daher heute der Aufbau und die politisch-programmatische Entwicklung des NLO zentrale Aufgaben.

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Nr. 118, März 2007
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*  Rente mit 67: Die Basis kämpft - die Führung kneift
*  Internationaler Frauentag: Emanzipation im Kapitalismus?
*  Netzwerk Linke Opposition: Die Chancen des NLO
*  Parteifusion: Die Linke und die "Linke"
*  UN-Klimabericht: Mehr heiße Luft
*  RAF-Diskussion: Widerstand oder "Terrorismus"?
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*  Imperialistische Mobilmachung: Kein Krieg gegen den Iran