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Neuer UN-Klimabericht

Mehr heiße Luft

Jan Keiler, Neue Internationale 118, März 2007

Was der Öffentlichkeit Anfang Februar vom UNO-IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) im 4. Bericht zum Klimawandel präsentiert wird, war für Aufgeklärte nicht wirklich neu. Neu war nur die verlogene Hysterie bürgerlicher Politiker und Medien.

Eine wirkliche Neuigkeit gab es aber doch - dass sich die konventionellen Computermodelle bezüglich des Tempos der Erwärmung „geirrt“ hatten. Die Erderwärmung und damit der Anstieg des Meeresspiegels gehen schneller, als bisher vorrausgesagt. So steigt der Meeresspiegel um 3,1 mm jährlich, anstatt 2 mm, wie bisher prognostiziert. Dies hätte laut Bericht einen Anstieg bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um mindestens 19-37 cm und höchstens 26-58 cm zur Folge. Ein Anstieg um 40 cm würde jedoch den Verlust des Lebensraumes für 200 Millionen Menschen bedeuten!

Weiter stellt der Bericht fest, dass der Klimawandel mit 90prozentiger Sicherheit „anthropogene“ Ursachen hat. Hauptsächlich - zu 78 Prozent - durch fossile Energieträger und zu 22 Prozent über Landnutzungs-Änderungen (z.B. Rodungen). Dies hat zu einer Steigerung des CO2-Gehalts der Atmosphäre um 35 Prozent geführt - der höchste Gehalt seit 650.000 Jahren! Von den letzten 12 Jahren, gehören 11 zu den wärmsten seit Aufzeichnung des Wetters. Schwere Zeiten also für von der Industrie bestellten Leugner - die Menschheit steckt schon mittendrin im Klimawandel!

Der Bericht entwirft drei Hauptklimaszenarien, die den möglichen Schwankungsbereich der Temperaturerhöhung unter bestimmten Rahmenbedingungen aufzeigen. So gibt es ein global nachhaltiges, „best case“-Szenario mit abnehmender Bevölkerung, einer Service- und Informationswirtschaft mit geringer Materialintensität und der Einführung „sauberer“ ressourceneffizienter Technologien mit einer wahrscheinlichen Temperaturerhöhung von 1,8 Grad Celsius bis zum Ende des Jahrhunderts.

Szenario drei nimmt eine stetige Zunahme der Weltbevölkerung an und eine „heterogene Welt mit hoher Eigenständigkeit und Schutz lokaler Identitäten“ (gemeint ist hier wahrscheinlich der Konkurrenzkampf zwischen den Nationalstaaten). Die Wirtschaft hätte „primär eine regionale Ausrichtung“ (was in diesem Falle ja ökologischer wäre - das Kapital agiert aber global) und somit würden sich auch die Technologien eher getrennt voneinander und langsamer entwickeln. Dieses „worst case“-Szenario, mit einer mittleren Temperaturerhöhung von 3,4 Grad charakterisiert ziemlich genau die gegenwärtige Wirtschaftsweise des Kapitals.

Natürlich lässt der Bericht die Frage offen, ob der Kapitalismus jemals in der Lage ist, sich zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise zu wandeln. Dazu ist er vom Charakter seiner Organisiertheit gar nicht fähig, denn die Gesetze der Kapitalakkumulation und erweiterten Reproduktion zeigen die Notwendigkeit von ständigem Wachstum zur Aufrechterhaltung der Profite und folglich auch enormer Ressourcenverschwendung.

Das Kyoto-Abkommen

Ein gutes Beispiel, um die Unfähigkeit des Systems zu zeigen, ist das Fiasko des Kyoto-Protokolls. Danach sollten die Emissionen um einen kleinen Beitrag reduziert werden und zwar auf den Stand von 1990 - also vor Zusammenbruch der Industrien der Ostblockstaaten und der damit verbundenen Reduzierung des Ausstoßes an Treibhausgasen um 50 %. Deshalb bringt Kyoto keine wirkliche Verringerung der Emissionen. Aber selbst dieser winzige Schritt war für die Kapitalisten in den USA (der größten Ökonomie der Welt) und Australien inakzeptabel. Da die USA 25 Prozent aller Treibhausgase erzeugen - fast doppelt so viel wie die EU - würden Einsparungen die Profite des US-Kapitals im Vergleich zu Europa stärker drücken.

So konnte Deutschland großmäulig verkünden, seine CO2-Emissionen um 17 Prozent gegenüber 1990 reduziert zu haben - hauptsächlich erreicht durch das Plattmachen der ostdeutschen Industrie. So war es leicht, sich bis 2012 auf eine Reduktion der Treibhausgase um 21 Prozent zu verpflichten. Doch selbst dieses Ziel wird bei weiten verfehlt werden, da z.B. der Primärenergieverbrauch in Deutschland gestiegen und nicht gesunken ist. Auch der Einsatz erneuerbarer Energien kann diesen Trend bestenfalls abfedern, aber nicht zu einer wirkungsvollen Reduktion der Emissionen führen, da die großen Stromkonzerne, die hauptsächlich über fossile Energieträger Strom erzeugen, ihre Profite mit Klauen und Zähnen verteidigen und folglich den Ausbau regenerativer Energien be- und verhindern werden, wo immer möglich.

Mit viel PS ins Desaster

Der dramatische Klimawandel schreit geradezu nach mehr internationaler Zusammenarbeit zum schnelleren und massiveren Einsatz von - oft schon vorhandenen - umweltschonenden Technologien. Doch aufgrund der imperialistischer Rivalitäten und der kapitalistischen Konkurrenz ist das nicht oder nur absolut unzureichend möglich. Die kapitalistischen Hauptländer, die für die Mehrheit der Emissionen verantwortlich sind, werden die Profite „ihrer“ multinationalen Konzerne in jedem Falle verteidigen - vor allem in Zeiten einer wirtschaftlichen Rezession.

Aktuelles Beispiel ist die unverhohlene Lobbyarbeit von Kanzlerin Merkel. Die EU kündigte an, die Grenzwerte für den CO2-Ausstoss von Autos von gegenwärtig 160 Gramm pro Km auf 120 Gramm bis 2012 zu reduzieren. Der Aufschrei der Industrie und ihrer parlamentarischen Hilfskräfte ließ nicht lange auf sich warten und wie üblich wurde die Arbeitsplatzkeule als Totschlagargument benutzt. Dabei hatte sich die Autoindustrie selbstverpflichtet, den Ausstoß bis 2008 auf 140 Gramm zu verringern. Der Anstieg der CO2-Emissionen im Straßenverkehr seit 1990 um satte 26 Prozent in der EU, enthüllt diese Selbstverpflichtung als reines Lippenbekenntnis. Dass solche zu nichts verpflichtenden Verpflichtungen nur zur Vernebelung der Öffentlichkeit dienen, zeigt ein Blick nach Kalifornien: dort haben BMW, VW, DC und Porsche gegen das neue Klimaschutzgesetz geklagt - mit dem absurden Argument, Kohlendioxid sei nicht als „Luftschadstoff“ einzustufen. Angesichts dieses Syndikats der Umweltverbrecher war es nur eine Frage der Zeit, bis auch EU-Kommissionspräsident Baroso einknickte. Jetzt geht es nur noch um den Durchschnittswert von 130 Gramm: ein Wert, den z.B. ein Golf schon heute erreicht. Zudem dürften Autos der Oberklasse weiterhin ihre Abgaswolken in die Atmosphäre blasen, da kleinere Autos diesen Grenzwert unterschreiten und damit den Durchschnitt drücken.

Wir erinnern uns bei der Gelegenheit an die ähnliche Debatte um den Dieselruß-Filter. Damals gab die deutsche Autoindustrie Millionen aus - nicht für den Filter, sondern für eine Werbe-Kampagne gegen ihn.

Kapitalistisches Krisenmanagement

Das Abschmettern des CO2-Grenzwertes für Autos mit Hilfe von Merkel und Co. zeigt drastisch, was die vollmündigen Ankündigungen der Kanzlerin, Fortschritte im Klimaschutz zum Schwerpunkt sowohl der deutschen EU-Ratspräsidentschaft als auch ihres G8-Vorsitzes zu machen, wert sind: nichts!

Die Auflagen, Verbote und Grenzwerte passen nicht in die Marktphilosophie und widersprechen der Logik von Konkurrenz, Profitjagd und neoliberaler Deregulierung. Sie dienen aber dazu, zu „begründen“, warum die privaten Haushalte - also die proletarischen Massen - in Verantwortung genommen werden.

Konkret heißt das z.B. die Einführung neuer „Umweltsteuern“; eine Öko-Steuer (die aber nur zum Stopfen von Haushaltslöchern dient), gibt es ja schon. Dazu erfolgen Appelle zum „Umdenken“. Doch ein Tempolimit soll es nicht geben, obwohl sich mit dieser Maßnahme etwa 26 Millionen Tonnen CO2-Emissionen einsparen ließen. Verstärkt sollen auch öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden.

Doch all diese Maßnahmen werden zu wenig bringen, weil sie das Grundproblem des geradezu irrwitzigen Autoverkehrs - die anarchische Wirtschaftsstruktur auf Basis der Konkurrenz - nicht beseitigen.

Auch die Häuslebauer sollen nach Merkel etwas beitragen und ihre Häuser isolieren. So richtig das ist, so wenig bezahlbar ist es für viele Leute. Außerdem dient dieser ideelle Aktionismus v.a dazu, die Hauptverursacher von Verschmutzungen - die Wirtschaft und besonders die Energie-Konzerne - aus der Schusslinie zu nehmen.

Man muss aber auch sagen, dass es derzeit für die Energieerzeugung schlichtweg keine grundlegende Ersatztechnologie für die fossile Verbrennung gibt. Die Kernfusion ist auf absehbare Zeit nicht praktisch einsetzbar, die derzeitige Kernspaltung wegen ihrer Risiken, enormen Kosten und des Mangels an nutzbarem Spaltmaterial in der Natur keine Alternative.

Was bleibt, technologisch gesehen, übrig? In erster Linie die möglichst breite Nutzung alternativer Energien, zweitens die Einsparung von Energie. Beides kollidiert aber mit den Profitinteressen des Kapitals, denn dessen Interesse ist es, möglichst wenig investieren zu müssen und möglichst viel - also auch Energie - verkaufen zu können.

Die an kurzfristigen Verwertungsinteressen gekoppelte Wissenschaft zeigt sich unfähig, die notwendigen wissenschaftlichen Durchbrüche zu erreichen. Zu einem entstehen riesige Kosten für die Entwicklung neuer Ansätze; vor allem sind aber momentan, da Profite immer Köder für Investitionen sind, eben fossile Brennstofftechnologien am profitabelsten.

Alternativen

Seit fast zehn Jahren nimmt die Angst vor der ökologischen Katastrophe zusammen mit der Angst vor Krieg und Arbeitslosigkeit den Spitzenplatz bei allen Umfragen ein. Zum ersten Mal seit langer Zeit zeigt sich, dass die Entwicklungslogik der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse in Frage gestellt wird. Es regt sich vermehrt Widerstand gegen diese Profitlogik. Sogar Greenpeace, sonst nicht gerade antikapitalistisch, fordert die Zerschlagung der Energiemonopole.

Das Konzept dabei ist leider immer das alte, wirkungslose: für einen 10-Punkte-Plan zum Klimaschutz stehen 12 Politiker, Institutionen und Firmen zur Verfügung, bei denen man per Aktionspostkarte oder Protestpamphleten mal richtig Dampf ablassen kann. Damit kann man aber weder das Kapital zu etwas zwingen, noch kann so Widerstand geschaffen werden, der wirklich etwas durchsetzen kann. Auch die ewige Mär von der „Macht der Verbraucher“ hat immer noch nicht ausgedient. Die Verbraucher sind jedoch in der kapitalistischen Produktion das letzte Glied in der Verwertungskette. Zudem sind sie gleichzeitig als Arbeitskräfte in die Kapitalverwertung mit eingebunden, entwickeln also ein Eigeninteresse am Erhalt „ihres“ Betriebes und schauen beim Einkaufen in erster Linie auf den Preis - umso mehr in Zeiten von Lohndumping und  Hartz IV. Wie schon Marx bemerkte: „Die Produktion schafft auch den Produzenten“.

Die Ökologiebewegung hat es bisher nicht geschafft, die ökologische Frage mit der sozialen zu verknüpfen. Die Existenz einer „ökologischen Bewegung“ allein verweist aber darauf, dass der Reformismus und auch Teile der Linken dieses Thema nicht bearbeitet haben.

Auch ein noch so ambitioniertes Greenpeace oder andere „grüne“ Bewegungen könnten nur etwas erreichen, wenn sie 1. die Überwindung der kapitalistischen gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen als Grundlage dafür ansehen, auch Umweltprobleme zu lösen. Zweitens müssen die Arbeiterklasse - und damit die Mehrheit der Gesellschaft - dafür gewonnen werden, sich selbst als Subjekt von Veränderungen zu sehen. Das aber heißt auch Kampf gegen die reformistischen Führungen der Arbeiterbewegungen, z.B. der Gewerkschaften, die beständig die falsche und verlogene Alternative Arbeitsplätze oder Umweltschutz aufmachen, anstatt den ökologischen „Umbau“ mit grundlegenden Forderungen nach der Aufteilung der Arbeit auf Alle oder nach Arbeiterkontrolle über die Produktion verbinden.

Die aktuelle Klima-Debatte erhellt erneut schlaglichtartig, wie aktuell doch Rosa Luxemburgs Losung „Sozialismus oder Barbarei“ ist.

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Nr. 118, März 2007
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