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DaimlerChrysler Untertürkheim:

Arbeiterdemokratie oder Diktatur des Apparats

Frederik Haber, Neue Internationale 111, Juni 2006

Nach der Betriebsratswahl musste die Führungsspitze des Betriebsrats eine Niederlage eingestehen. Im Werksteil Mettingen hatte die Liste "alternative" die Mehrheit der Stimmen erhalten. In den gewerblichen Bereichen, also dort, wo die überwältigende Mehrzahl Gewerkschaftsmitglieder arbeitet, waren es sogar mehr als zwei Drittel der Stimmen.

Die Niederlage war umso schmerzhafter, als der Betriebsratsvorsitzende Lense sich extra zu Wahlkampfzwecken ein Büro in diesem Bereich eingerichtet hatte und richtiggehende Wahlkampfveranstaltungen abgehalten worden waren. Auch wurde die Wahl selbst über eine ganze Woche (!) ausgedehnt, um Leute, die eher desinteressiert sind, einzeln zu bearbeiten. Nur so konnte sich die Mehrheitsströmung der IG Metall über das gesamte Werk gesehen stabilisieren.

Jetzt folgt die Rache für diese Niederlage. Die Metaller, die auf der zweiten Liste kandidiert hatten, werden nicht, wie üblich, als IG Metall Vertrauensleute akzeptiert. Der Listenführer Adler wurde von der Delegiertenkonferenz Esslingen aus dem Ortsvorstand abgewählt.

Offensichtlich wollen die Apparatschiks das volle Repressionsprogramm bis zum Ausschluss aus der Gewerkschaft durchziehen. Das wird direkte Konsequenzen für die Linke in der IG Metall haben und langfristige für die gesamte Organisation. Die jetzigen Ereignisse stellen einen weiteren Schritt der IG Metall dar, weg von einer Mitgliedergewerkschaft hin zu einer Vereinigung der Betriebsräte. Es kann aber auch das Ende der Einheitsgewerkschaft einleiten.

Die Vorgeschichte

Journalisten beginnen Berichte über Daimler Untertürkheim gerne mit der „PLAKAT“-Gruppe, einer innerbetrieblichen Opposition der frühen achtziger Jahre, die mit Wahlfälschung und Gewerkschaftsausschlüssen bekämpft worden war. Der Bezug auf PLAKAT taugt aber nur teilweise. Von damals ist personell nur Thomas Adler in der heutigen Opposition vertreten, während etliche andere Ex-PLAKATler in der Mehrheitsströmung unterwegs sind.

Wichtiger ist die Vereinbarung, die 1998 zustande gekommen war. In dieser Vereinbarung war geregelt worden, dass unterschiedliche Meinungen innerhalb der IG Metall Funktionäre sowohl im Vertrauenskörper als auch in der Betriebszeitung „Scheibenwischer“ zu Wort kommen und gleichberechtigt diskutiert werden sollen, bis demokratisch entschieden worden war.

Diese Regelung war nötig geworden, als sich erste Differenzen abzeichneten. So waren die Mettinger Werker schon einen Tag vor den Untertürkheimern in Streik getreten, als der damalige Boss Schrempp nach der Veränderung des Gesetzes zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auch gleich den Manteltarifvertrag brechen wollte, der diese – unabhängig vom Gesetz - sicherte. Die Mettinger Metaller lösten damals eine Welle spontaner Arbeitsniederlegungen aus. Millionen ArbeiterInnen freuten sich über diesen Erfolg, aber der Apparat witterte bereits Gefahr.

Die Betriebsrats-Spitze konnte mit der durchaus korrekten Vereinbarung nicht lange leben. Der „Scheibenwischer“ wurde zensiert, die Redaktion gesäubert und im Vertrauenskörper herrschte Alarm. Nachdem einige Abstimmungen sehr knapp verliefen oder sogar von der Opposition gewonnen wurden, wurde deren Redezeiten begrenzt. Die Berichte des Betriebsratsvorsitzenden und seines Stellvertreters nahmen immer mehr Raum ein, die Diskussion wurde amputiert. Eine Stellungnahme von  fast hundert Vertrauensleuten die, die Rückkehr zur alten Vereinbarung forderten, wurde nicht nur von den betrieblichen Spitzen, sondern auch von der Esslinger IG Metall mit der Bemerkung abgetan, eine Minderheit wolle einfach nicht die Meinung der Mehrheit akzeptieren.

Vordergründig geht es nur um bedrohte Machtpositionen, aber die wirklichen Ursachen liegen in der politischen Entwicklung. Was die KollegInnen der alternative als Co-Management und Korruption der Betriebsratsspitze be- und angreifen, hat seine Wurzeln in der verstärkten Anpassung der sozialdemokratischen Apparate an die Bedingungen der Krise. Der Kampf um die Profitraten ist härter geworden. Das liegt nicht an der unendlichen Gier der Kapitalisten und ihrer Manager, sondern weil die Masse der Profite insgesamt sinkt im Vergleich zur Masse des Kapitals, das mit Renditen bedient werden will.

In diesem Konkurrenzkampf sind enorme Überkapazitäten aufgebaut worden und selbst wenn keine neuen Werke gebaut würden, sorgen gerade in der Auto-Industrie die Ausweitung der Produktionszeiten und die unglaubliche Rationalisierungsrate für immer neue Produktionskapazität. Für Untertürkheim heißt das, dass heute etwa gleichviel Beschäftigte wie vor zehn Jahren Motoren, Getriebe usw. für doppelt so viele Autos bauen.

Vor zehn Jahren bestand der Konflikt innerhalb des Betriebsrats also in der Frage, wie mit dieser Rationalisierung umzugehen ist, also wie viel der Belegschaft zugemutet wird. Heute begleitet die BR-Spitze nicht nur die mörderische Rationalisierung und Verschärfung der Arbeitsbedingungen, sie organisiert auch gleichzeitig den Personalabbau mit.

Natürlich erklärt sich auch die massive Senkung der Löhne durch die „Beschäftigungssicherung,“ die von Betriebsrat und IG Metall betrieben wurde, mit der Krise der Profitraten. Es geht heute nicht mehr – wie noch vor 10 oder 20 Jahren – um die Frage, ob Gewinne gemacht würden. Es geht darum, mehr Profit als alle Konkurrenten zu erzielen. Das entscheidet die Frage, welcher Auto-Konzern der nächste ist, der dran glauben muss, der aufgekauft oder zerlegt wird. Es entscheidet nicht technische Qualität oder smartes Design. Das führt zu einer Situation, wo einerseits durchaus fette Profite gemacht werden, andererseits mit aller Macht die Kosten, vor allem die Löhne gesenkt werden müssen. Und natürlich dazu jedes Jahr ein neues Kostensenkungsprogramm durchgepeitscht wird, denn die Konkurrenz hat längst nachgezogen und den kurzfristigen Vorteil des schnellsten Rationalisierers wieder eingeholt.

Die Anforderung des Kapitals an Gewerkschaften und Betriebsräte in den Großkonzernen ist also Kostensenkungsprogramme mit zu gestalten und in der Belegschaft zu verkaufen, auch wenn die Gewinne nur so rauschen. Eine echte Diskussion in der Belegschaft und im Vertrauenskörper kann da nicht mehr zugelassen werden. Das funktioniert nur, wenn die Spitze die absolute Propagandahoheit nach dem Motto hat, wir haben das Schlimmste verhindert, vertraut uns, andernfalls fliegt ihr gleich raus.

Auf den Versuch der Betriebsrats-Spitze die Diskussion zu verhindern und alle kritischen Stimmen mundtot zumachen, reagierten die KollegInnen mit der Herausgabe der alternative. 20 Ausgaben in anderthalb Jahren bezeugen eine aktive Basisarbeit. Zur Betriebsratswahl verlangte der Apparat von allen Kandidaten für die IG Metall-Liste, dass sie auf eigene Publikationen verzichten (siehe auch NI 105).

Wenn jetzt die Betriebsräte der alternative nicht mehr zu IG Metall-Vertrauensleute-Sitzungen zugelassen werden, ist das formal nach den Richtlinien für Vertrauensleute möglich, denn der Ortsvorstand muss sie als solche bestätigen. Im Normalfall findet diese Bestätigung als formaler Akt allerdings überhaupt nicht statt. Außerdem sind  in diesem Jahr in vielen Betrieben mehrere IG Metall-Listen bei den Betriebsratswahlen angetreten, ohne dass es eine so einseitige Parteinahme durch die Gewerkschaft erfolgte. Bei der DaimlerChrysler-Zentrale war eine zweite „offene“ IG Metall-Liste "Neue Perspektive" seit Jahren akzeptierter Koalitionspartner der IGM. Das Vorgehen in Untertürkheim hat also nichts mit der üblichen Praxis zu tun. Es geht allein um Politik, um die Ausgrenzung linker und kritischer Positionen.

Dabei riskiert der Apparat die weitere Aushöhlung der Demokratie in der IG Metall, formal und inhaltlich. Offensichtlich wird nicht nur der Wählerwille der Mettinger IG Metaller bei der Betriebsratswahl missachtet, sondern auch bei der letzten Vertrauensleutewahl: Es sollen auch Betriebsräte und BR-Kandidaten ihren Posten als Vertrauensperson verlieren, die als solche bei der letzten Wahl gewählt, bzw. bestätigt worden waren.

Keine Einheit ohne Demokratie

Mit der Aushöhlung der Demokratie und der Unterordnung der gewerkschaftlichen Organisation unter die Politik der Betriebsratsfürsten und damit letztlich unter die Bedürfnisse der Großen Konzerne, zerlegt der Apparat die Einheit der Gewerkschaft, in deren Namen er gerne agiert. Das ist ein gefährliches Spiel.

Zwar gibt es bis heute noch keine nennenswerte Opposition in der IG Metall, aber undemokratische Aktionen werden von der Basis weit weniger toleriert als früher, als der sozialdemokratische Mainstream noch tarifpolitische Erfolge aufzuweisen hatte. Die Erfolge vieler oppositioneller Listen, aber auch gutes Abschneiden von kritischen KandidatInnen bestätigen dies.

Betriebsräte sind aber eine problematische Angelegenheit. In der Bundesrepublik war das Betriebsverfassungsgesetz das Mittel, um die Gewerkschaften aus den Betrieben hinauszudrängen und die betrieblichen Vertretungen auf den Betriebsfrieden, die wirtschaftlichen Ziele des Unternehmens und die Einhaltung der Gesetze festzulegen.

Statt von den gewerkschaftlichen Gremien „auf Kurs“ gehalten zu werden, bestimmen heute die Betriebsräte, gerade der großen Unternehmen, den Kurs der IG Metall. Die Vertiefung der Sozialpartnerschaft unter dem Motto der Mitbestimmung belegt dies ebenso wie die Verteidigung der Interessen der Stammbelegschaften ohne und gegen prekär Beschäftigte oder Arbeitslose.

Jetzt sichert aber das reaktionäre Betriebsverfassungsgesetz das, das Handeln der IG Metall heute mehr bestimmt als die Gewerkschaftstagsbeschlüsse, den oppositionellen Gruppen und Individuen Handlungsmöglichkeiten, Zeit und Ressourcen, die ihnen vom innergewerkschaftlichen Kräfteverhältnis her verweigert werden könnten. Verkehrte Welt!

Oppositionelle Betriebsräte unterliegen aber genauso den Mechanismen der Betriebsverfassung. Die Fixierung auf den einzelnen Betrieb und auf Konflikte, die außerhalb schwer zu vermitteln sind, könnten zu betrieblichen Einzel-Mini-Gewerkschaften führen, die aber letztlich wieder von der Logik der wirtschaftlichen Notwendigkeiten eingeholt werden. Dem IG Metall Apparat würde das dann ein paar Posten kosten, aber die Kontrolle über die Klasse kaum schwächen.

Wenn die oppositionellen Listen aber mit kritischen Vertrauenskörpern, den Gewerkschaftslinken und kämpferischen Basisaktivisten eine klassenkämpferische Basisbewegung bilden, dann kann das Monopol der Sozialdemokratie bei den MetallerInnen angegriffen werden.

Dazu ist nicht nur der Blick über den betrieblichen Tellerrand nötig, sondern auch Klarheit über die Handlungsweise des Apparates. Nur wenn klar wird, dass nicht persönliche Korruption, Abgehobenheit oder Feigheit handelt – das kann alles auch dabei sein -, sondern eine politische Konzeption die Wurzel für das Handeln der Betriebsratsfürsten darstellt, ist letztlich eine Bewegung über den Betrieb hinaus möglich.

Es geht darum die Politik des Reformismus zu bekämpfen, der den Kapitalismus nicht in Frage stellt, der im kapitalistischen Konkurrenzkampf immer zu „seinem“ Kapitalisten hält – auf betrieblicher wie auf nationaler Ebene – und die Lasten der Krise dieses Systems für eine natürliche Sache hält, die sozialverträglich verteilt gehört.

Solidarität mit der alternative!

Mit einem „Notruf“ haben sich die „alternativen“ an die gewerkschaftliche Öffentlichkeit gewandt und diese Ausschlusspolitik kritisiert. Wir bitten um Proteste an die IGM-Ortsverwaltungen, den Betriebsratsvorsitzenden in Untertürkheim und den Vorstand der IG Metall:

IGM Esslingen, z.H. Sieghard Bender und Mitglieder des Ortsvorstands: Fax: (0711) 93 18 05-34, mail: esslingen@igmetall.de
IGM Stuttgart, z.H. Hans Baur und Mitglieder des Ortsvorstands: Fax: (0711) 162 78 49, mail: stuttgart@igmetall.de
Helmut Lense, BR-Vorsitzender Untertürkheim: Fax (0711) 175 33 20
IGM-Vorstand, z.H. Jürgen Peters, Berthold Huber: Fax: (069) 6693-2843

Weitere Infos:

www.alternative-info.de

www.labournet.de

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Nr. 111, Juni 2006

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