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Rente mit 67

Alt und arm

Peter Lenz, Neue Internationale 108, März 2006

Aus der (noch) sicheren Deckung der Großen Koalition heraus hat SPD-Vizekanzler Franz Müntefering ein Gesetz auf den Weg gebracht, durch welches ab 2012 bis 2029 das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67 Jahre angehoben werden soll - sechs Jahre früher, als im Koalitionsvertrag ursprünglich anvisiert. Wobei das Tempo der Anhebung sicherlich noch zunehmen wird, wenn sich wieder einmal ganz „überraschend“ herausstellt, dass Deutschland demographisch immer weiter aus den Fugen gerät und die Rentenkassen nur noch aus Löchern bestehen.

Wenn das Rentenalter noch einmal um zwei Jahre heraufgesetzt wird, bedeutet das weitere Abschlüsse und zusätzliche Rentenkürzungen von 3,6 % pro Jahr. Die Kürzungen für die RentnerInnen addieren sich damit auf bis zu 7,2 %. Bei einer durchschnittlichen Zugangsrente von 846 Euro bei Männern wird nach Abzug der Kranken- und Pflegeversicherung gerade die Grenze der Grundsicherung erreicht (Zahlen nach VdK). Das bedeutet ALG II für RentnerInnen. Nach diesem neuesten Coup von Müntefering sanken die Umfragewerte der SPD erneut - zu Recht!

Arbeiten bis ins Grab

Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Mannes in Deutschland liegt bei etwa 76 Jahren. Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer läge dann bei 9 Jahren. Ein Lohnabhängiger, der eine halbwegs existenzsichere Rente erhalten will, ist so gezwungen, bis zum vorgegebenen Eintrittsalter zu arbeiten, sonst muss er eine Kürzung der Rente hinnehmen. Selbst wenn das Rentenalter erreicht würde, müssten viele Rentner noch dazu verdienen, um sich angesichts der erbärmlichen Renten über Wasser halten zu können. In manchen Großstädten Europas sieht man schon heute RentnerInnen bettelnd vor U-Bahnstationen stehen.

Die Rente mit 67 wird die Lebenserwartung der arbeitenden Klassen senken. Wenn IndustriearbeiterInnen und HandwerkerInnen bis 67 arbeiten, wird der eine oder andere schon vorher sterben. Die Diskussion um Ausnahmen für körperlich schwer Arbeitende lenkt davon ab, dass auch in anderen Berufen der tägliche Stress enorm zugenommen hat. Man stelle sich nur einen 67jährigen Lehrer vor Grundschülern vor oder eine 65jährige OP-Schwester ...

Viele von denen, die sich ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Berufsleben bei dann verkürzter Rente nicht leisten können, werden auf der Strecke bleiben oder nur wenig von ihrem Ruhestand erleben.

Das alles entlastet die Rentenkassen, die durch Arbeitslosigkeit, Lohnsenkungen und Entsteuerung des Kapitals permanent an Auszehrung leiden.

Die von der Regierung „angedachte“ längere Arbeitszeit bis 67 ist reine Fiktion. Tatsächlich ist es zunehmend so, das immer weniger Betriebe Beschäftigte über 50 Jahre haben. Job-Bewerbungen dieser Altergruppe landen im Schredder.

Der von Regierung und Kapital stillschweigend kalkulierte Haupteffekt der Rentenreform ist eine milliardenschwere Einsparung. Da die älteren Beschäftigten eben nicht bis 67 arbeiten können, werden sie arbeitslos, bevor sie Rente erhalten können. Arbeitslosengeld oder Hartz IV (oder welche Regelung dann immer auch zutrifft) werden aber oft geringer ausfallen als die Rente. Staat und Kapital sparen sich damit dumm und dämlich.

Altersarmut vorprogrammiert

Schon heute ist der Anteil der über 50jährigen an den Erwerbslosen überdurchschnittlich hoch. Die von der Bundesregierung verordnete Rezeptur „Grundversorgung plus private Vorsorge“ ist  höchstens für die Bourgeoisie und gut verdienende Kleinbürger ein gangbarer Weg. Aufgrund der Reallohnentwicklung der letzen Jahre - Deutschland hat mit die geringsten Steigerungsraten in ganz Europa - lässt kaum Spielraum für Rücklagen. Zudem ist es geradezu pervers ist, seine Alterrücklagen in Fonds anzulegen, die dann wiederum in ganz Europa mit der Zielsetzung hoher Renditen Arbeitsplätze vernichten. So ist wachsende Altersarmut vorprogrammiert.

Dazu kommt, dass die aufgezwungene private Rentenversicherung in steigendem Maß aus dem Einkommen der Lohnabhängigen und immer weniger aus den „Lohnnebenkosten“ (die in Wirklichkeit auch Lohnbestandteile sind) „paritätisch“ vom Kapital finanziert. Die Riester-Rente wird in erheblichem Maße aus Steuern - und darunter in steigendem Maße Lohnsteuern – mitfinanziert. Dieses Modell entlastet das Kapital enorm und bürdet den Lohnabhängigen immer mehr finanzielle Lasten auf - für immer weniger Rente.

Zwei weitere Faktoren bewirken eine zusätzliche Rentenkürzung. Erstens die rückwirkend ab Januar 2006 eingeführte Besteuerung der Renten und zweitens die Nichtdurchführung der Rentenangleichung bei gleichzeitig wirkender Inflationsrate.

Alt gegen Jung

Der Heraufsetzung des Renteneintrittsalters folgte dann in kurzem Abstand die 20%ige Kürzung der ALG II-Bezüge. Gegen das „Anspruchsdenken“ der Jugendlichen wird gehetzt, die sich auf Kosten der Beitrags- und Steuerzahler eine eigene Wohnung finanzieren lassen wollen. Den jungen Menschen wird eingeredet, dass die alten sich auf ihre Kosten ein Leben in Saus und Braus finanzieren lassen würden.

Eine Gesellschaft muss sich auch daran messen lassen, wie sie mit alten Menschen umgeht. Und diese Bilanz fällt erschütternd aus. In den Altenheimen und Pflegestationen herrschen oft haarsträubende Zustände. Personal fehlt an allen Ecken und Enden, die “Betreuung“ in den Alten- und Pflegeheimen wird zur lebensgefährlichen Bedrohung. Dabei sind die Beschäftigten dort zunehmend Lohndrückerei und enormem Stress ausgesetzt. Die gesundheitliche Versorgung der Alten wird zudem durch diverse Kürzungsprogramme im Gesundheitsbereich immer mehr kommerziellen Gesichtspunkten unterworfen So werden alten Menschen zunehmend medizinische Indikationen und Medikamente mit der Begründung verweigert, dass dies „unwirtschaftlich“ sei.

Die Hetze Jung gegen Alt wie das ganze scheinheilige Gerede über die Überalterung der Gesellschaft, das Rentnerproblem usw. soll nur die wahren Ursachen verschleiern.

Die politische Linie der Bourgeoisie

Das bisherige Rentensystem, das an die Arbeitseinkünfte gekoppelt war und „paritätisch“ von Lohnarbeit und Kapital finanziert wurde (tatsächlich wurde und wird es natürlich wie jede andere soziale Leistung auch nur von den Lohnabhängigen erarbeitet), basierte auf zwei Grundlagen: 1. auf einer relativ hohen Beschäftigungs- und damit Lohnquote und 2. auf guten Wachstumsraten. Das war während des langen Nachkriegsbooms der Fall. Doch diese historische Ausnahmesituation ist inzwischen vorbei. Die sich vertiefende Krise des Kapitalismus unterhöhlt diese Faktoren jeden Tag mehr. Norbert Blüms Slogan „Die Renten sind sicher“ erinnerte schon in den 1980ern an das Pfeifen im Walde …

Die Zerschlagung der Sozialsysteme wird europaweit vorangetrieben. In den 90er Jahren hat der European Round Table (ERT), ein Gremium, in dem alle führenden Industrieunternehmen Europas repräsentiert sind, ausführliche Empfehlungen zur Rentenpolitik formuliert, die teilweise wortwörtlich in Gesetzesvorlagen europäischer Regierungen eingeflossen sind. Der ERT empfiehlt zur Rentenpolitik u.a.:

Konzentration der Ausgaben der öffentlichen Rentenkassen auf die Sicherung eines „Mindestlebensstandards“;

Herstellung eines „vernünftigen“ Verhältnisses zwischen öffentlicher und privater Rentenversorgung - mit einem steigenden Anteil an Kapitaldeckung;

Anhebung des gesetzlichen Rentenalters;

Schaffung von „Anreizen“, damit ältere Beschäftigte jenseits des normalen Rentenalters im Beruf bleiben können;

Entkopplung der Renten von den Nominaleinkommen;

Schaffung eines Marktes für Privatversicherungen, mehr Wettbewerb zwischen   Privatrentenversicherungen, „Ermutigung“ des Einzelnen, sich individuell fürs Alter abzusichern;

Steuerhindernisse sollen beseitigt werden, um Investitionen in Privatversicherungen zu erleichtern.

Reaktionen

Der „Aufschrei“ des DGB war überhörbar. DGB-Chef Sommer kritisierte, dass das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre heraufgesetzt werden soll. Nach einem Treffen mit der Linksfraktion sagte Sommer, das sei nichts anderes als ein „Rentensenkungsprogramm“. Auch ver.di kritisierte das Vorhaben. "Wenn nicht gleichzeitig mehr Arbeitsplätze für Ältere und altersgerechtes Arbeiten geschaffen werden, ist das Ganze nur ein weiteres Programm zur Absenkung der Renten", sagte die ver.di-Vizevorsitzende Margret Möhnig-Raane der Berliner Zeitung.

Die Worte hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube! Noch mehr mangelt es an konkreten Aktionen und einer wirklichen Kampfperspektive seitens der Gewerkschaftsspitzen.

Gegen den rentenpolitische Supergau und das drohende Abrutschen der Mehrheit der Arbeiterklasse in die Altersarmut wäre eine massive Abwehraktion der ganzen Klasse nötig. Doch was tut die Gewerkschaftsführung? Angesichts des Generalangriffs von Staat und Kapital weicht sie einer generellen Antwort der Klasse - also Massenproteste, politische Massenstreiks bis hin zum Generalstreik aus - und setzt auf Kompromisse, die mit einzelnen begrenzten und isolierten Abwehraktionen erreicht werden sollen. Diese Strategie spaltet die Klasse und demoralisiert sie. Anstatt die einzelnen Kämpfe wie den ver.di-Streik, die IG Metall-Tarifrunde, die Streiks bei AEG u.a. zu verbinden und mit einer allgemeinen Perspektive zu versehen, setzen Sommer, Bsirske und Peters auf Nadelstiche, wo eine lange Gerade angebracht wäre.

 

Lenin zur Rente

(aus: Programm der SDAPR (1912); Resolution, der Vl. Gesamtrussischen Konferenz der SDAPR)

1. Der Teil der vom Lohnarbeiter produzierten Reichtümer, den er in der Form des Lohns erhält, ist so unbedeutend, dass er kaum ausreicht zur Befriedigung seiner allerdringendsten Lebensbedürfnisse; der Proletarier ist somit jeder Möglichkeit beraubt, von seinem Lohn Ersparnisse zu machen für den Fall des Verlustes seiner Arbeitsfähigkeit infolge Unfall, Krankheit, Alter, Invalidität sowie auch für den Fall der Arbeitslosigkeit, die untrennbar mit der kapitalistischen Produktionsweise verbunden ist. Darum ist die Arbeiterversicherung für alle die erwähnten Fälle eine Reform, die durch den ganzen Verlauf der kapitalistischen Entwicklung gebieterisch diktiert wird.

2. Die beste Form für die Versicherung der Arbeiter ist ihre staatliche Versicherung, aufgebaut auf folgenden Grundsätzen:

Sie muss die Arbeiter sicherstellen für alle Fälle des Verlustes der Arbeitsfähigkeit, Unfall, Krankheit, Alter, Invalidität; für Arbeiterinnen außerdem Schwangerschaft und Geburt; Versorgung von Witwen und Waisen nach dem Tod des Ernährers oder für den Fall, dass sie infolge von Arbeitslosigkeit des Lohns verlustig gehen;

a) die Versicherung muss alle in Lohnarbeit stehenden Personen und ihre Familien umfassen;

b) alle Versicherten müssen entschädigt werden nach dem Prinzip der Vergütung des vollen Lohns, wobei alle Ausgaben für die Versicherung auf die Unternehmer und den Staat entfallen müssen;

c) alle Arten von Versicherungen müssen von einheitlichen Versicherungsorganisationen verwaltet werden, die nach territorialem Typ und auf dem Prinzip der völligen Selbstverwaltung durch die Versicherten aufzubauen sind." (Lenin, Werke, Bd. 17, S. 467 f.)

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Nr. 108, März 2006

*  18. März: Gegen Besatzung, Ausbeutung und Krieg!
*  Iran/Irak: Im Fadenkreuz des Imperialismus
*  Hände weg vom Nahen Osten! Antimperialismus und Befreiungskampf
*  Zur Politik der PDS: Ankommen ist alles
*  Gesundheitswesen und Altenpflege: Klerikal und neoliberal
*  Rente mit 67: Alt und arm
*  Jugend und Hartz IV: Pension Mama statt eigene Wohnung
*  Heile Welt
*  Streik im Öffentlichen Dienst: Ver.di am Scheideweg