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Gesundheitswesen und Altenpflege

Klerikal und neoliberal

Thomas von Berlin, Neue Internationale 108, März 2006

Die Kämpfe im Gesundheitssektor sind aktuell besonders wichtig. Hier treten die Widersprüche der neoliberalen „Reformen“ besonders deutlich zu Tage. Die Beschäftigten versuchen, mitmenschlichen Umgang in einem System der Profitmaximierung, der Bürokratie, der Entfremdung und der Juristerei zu erhalten und werden dabei aufgerieben. Krankenhausärzte im zerstörerischen Dauereinsatz, Pflegekräfte zwischen Überausbeutung und Zwangsarbeit und verwahrloste alte Menschen sind nur die Spitze des Eisbergs.

Die bisherigen Kämpfe, angeführt von den Uni-Kliniken, zeigen die Unfähigkeit von ver.di, die Klasse im Kampf zusammenzuführen und für Unterstützung für diesen Bereich mit eingeschränkten Kampfmöglichkeiten zu sorgen. Der gerade laufende Tarifstreik bietet hier Möglichkeiten der Verbesserung.

Der Zusammenbruch der Altenpflege in Deutschland ist inzwischen ein offenes Geheimnis. Die Blümsche Pflegeversicherung schrammt in den Bankrott. Die kapitalistische Struktur der Altenpflege führt zu ihrer Sinnentleerung und zum Aufblähen der Kosten. Der verschärfte Konkurrenzkampf ihrer rein profitorientierten Träger führt zu Qualitätsverlusten und ist mit weiteren Angriffen auf die Beschäftigten verbunden.

Gerade die kirchlichen Träger der Alten"pflege" spielen eine besonders unrühmliche Rolle. Die heuchlerische Ideologie und die autoritären Strukturen der karitativen Wohlfahrtsverbände bringen besondere "Stilblüten" der Ausbeutung und Vernachlässigung hervor.

Verschlechterungen

Allgemein sind hier in den letzten zwei bis drei Jahren Einkommensverluste von bis zu 20 % zu verzeichnen. Keine Woche vergeht ohne neue Angriffe auf die Beschäftigten und Patienten. Die Diakonie bricht die Tarife ihrer Beschäftigten neuerdings durch Sklavenhändler in Eigenregie. Sie erpresst Lohnkürzungen durch Schließungsdrohungen und stellt ebenso wie die Caritas alle bestehenden Tarifverträge infrage. Caritas-Arbeitsverträge werden zur Geheimsache erklärt, hierbei immer neue Tricks ersonnen und gegen Gesetze verstoßen.

Die Patientenpflege wird in Taktzeiten gefasst und ständig verkürzt. Die Arbeitsdichte hat unerträgliche Ausmaße zu Lasten der Patienten angenommen, viele KollegInnen leisten unbezahlte Mehrarbeit, um die Alten rudimentär zu versorgen.

Die Beschäftigten in den kirchlichen Tendenzbetrieben arbeiten in einem unerträglichen halbfeudalen Klima der Angst und Verunsicherung mit Verkündigungs- und Verschwiegenheitspflicht. Die in ihrem Mitbestimmungsrecht ohnehin eingeschränkten Mitarbeitervertretungen (MAV) sollen weiter entmachtet werden, unliebsamen KollegInnen droht die Kündigung. Für die MAVs ist es höchste Zeit, von ihrem "dritten Weg" der "Feudalpartnerschaft" Abschied zu nehmen und ihre Aufgaben wahr zu nehmen.

Die Kirchen, die jedem neoliberalen Angriff hinterherlaufen und auf die Spitze treiben, sanieren sich gleichzeitig mit Staatsgeldern auf Kosten der steuerzahlenden Arbeiterklasse, Eigenmittel werden nur für Werbung und Missionierung eingesetzt. Dies alles, während die klerikalen Manager in der Öffentlichkeit den barmherzigen Samariter geben.

Die KollegInnen der Wohlfahrtsverbände sind gegen diese Entwicklungen längst in Bewegung gekommen. Es ist aber dringend notwendig, die Gegenwehr weiter zusammenzuführen. Längst haben Beschäftigte und Patienten an der Basis eine eigene, menschliche Kooperation entwickelt, die auch den Angriffen "von oben" stand- und überhaupt den Laden am Laufen hält. Diese Formen gilt es auszuweiten. Warum nicht einmal einen Informations-, Aktions- und Festtag gemeinsam mit den Alten vor der Konzernzentrale durchführen? Das bringt die Alten aus der Isolation und die Bosse in Rage! Wichtig wäre auch ein Streikbeitrag von unserer Seite im jetzigen Tarifkonflikt.

Drei Faktoren behindern die Ausweitung der Kämpfe im Bereich der Altenpflege:

1. die berechtigte Angst vor einer Altenpflege durch die Zwangsarbeit der Ein-Euro-Jobber. In vorauseilendem Gehorsam werden hier die Möglichkeiten eines gemeinsamen Kampfes unterschätzt.

2. ist das Verhältnis zu den Gewerkschaften traditionell ungeklärt. Natürlich sind die Gewerkschaften, allen voran ver.di, politisch gesehen bürgerliche Institutionen mit Großverdienern an der Spitze. Sie sind von sich aus relativ passiv und die Mitarbeit in ihnen läuft ständig Gefahr, sich im Gewirr von bürgerlicher Legalität und Anpassung zu verlieren. Andererseits bieten sie die Möglichkeit der Koalition und des Kampfes der ArbeiterInnen - nicht zuletzt auch im Kampf gegen die eigene Bürokratie. Wichtig dabei ist allerdings, dass wir genau wissen, was wir wollen und unsere Systemgegnerschaft in einem revolutionären Zusammenschluss zu festigen.

3. gilt es, die Zersplitterung der Belegschaften zu überwinden, die insbesondere von der Caritas als Kampfmittel eingesetzt wird. Nicht nur dieser Verband hält sich - oft gegen jegliche Legalität - eine eigene "Reservearmee" von prekär Beschäftigten, um die Kernbelegschaft unter Druck zu setzen. Eine zentrale unmittelbare Forderung sollte deshalb die nach Festeinstellung für Alle sein, ohne Verkündigungspflicht und Einschränkung der Mitbestimmung.

Raus aus der Defensive!

Die Kolleginnen und Kollegen in kirchlichen Einrichtungen haben bereits den Kampf gegen den klerikalen Kapitalismus aufgenommen. Jeden Tag gibt es Zoff mit unfähigen Vorgesetzten, die Kommunikation untereinander gegen die verordnete mittelalterliche Unwissenheit hat sich verbessert. Petitionen, Offene Briefe und Klagen vor den Arbeitsgerichten stören die Friedhofsruhe. KollegInnen treffen sich nach der Arbeit, Versammlungen auf Abteilungsebene finden statt, Betriebsgruppen diskutieren, was zu tun ist, Demonstrationen tragen den Unmut an die Öffentlichkeit. Anstatt immer nur die Ängste der konservativeren Teile der Belegschaften nachzubeten, sollte ver.di diese Initiativen endlich aufgreifen. Jesus would be a marxist now!

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Nr. 108, März 2006

*  18. März: Gegen Besatzung, Ausbeutung und Krieg!
*  Iran/Irak: Im Fadenkreuz des Imperialismus
*  Hände weg vom Nahen Osten! Antimperialismus und Befreiungskampf
*  Zur Politik der PDS: Ankommen ist alles
*  Gesundheitswesen und Altenpflege: Klerikal und neoliberal
*  Rente mit 67: Alt und arm
*  Jugend und Hartz IV: Pension Mama statt eigene Wohnung
*  Heile Welt
*  Streik im Öffentlichen Dienst: Ver.di am Scheideweg