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Linkspartei-Fusion

WASG-Berlin sagt NEIN

Markus Lehner, Neue Internationale 106, Dezember 2005/Januar 2006

Im Leitantrag des Landesparteitags der Berliner Linkspartei.PDS ist zu lesen: „Die Ergebnisse rot-roter Politik der abgelaufenen Legislaturperiode können sich sehen lassen ... Berlin ist 2005 besser, als es 2001 war, solider und - gemessen an den Rahmenbedingungen - sozialer“.

Solide wurde tatsächlich von der PDS für die Spekulanten der Berliner Bankgesellschaft mit deren „Risiko-Abschirmung“ gesorgt. Solide wurde bei der Privatisierung der Wasserbetriebe den Konzernen eine Rendite von 8% garantiert, während 2.000 Beschäftigte entlassen wurden! Solide wurden seit 2001 bei den Krankenhäusern 4.000 Arbeitsplätze abgebaut. Besonders sozial war die Privatisierung der Wohnungsgesellschaften, bei denen nun für tausende sozial schlecht gestellte Mieter aufgrund von „Sanierungen“ Mieterhöhungen um bis zu 30% drohen! Diese Beispiele „solider“ und „sozialer“ Politik des „rot-roten Senats“ ließen sich beliebig fortsetzen.

Angesichts dieser haarsträubenden Bilanz und ihrer Beweihräucherung kommt der Frage des Zusammengehens der Berliner Landesverbände von PDS und WASG zu den Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2006 im Rahmen des bundesweiten Fusionsprozesses besondere Bedeutung zu.

Offenbarungseid

Angetreten als Partei des Protests gegen Hartz-Gesetze und Sozialraub steht die WASG jetzt vor dem Offenbarungseid des Zusammengehens mit einer Partei, die offen neoliberale als „linke“ Politik verkaufen möchte. Die überwältigende Mehrheit des Landesparteitags der Berliner WASG (26./27.11) hat nichts anderes festgestellt, als dass es eine gemeinsame Kandidatur zur Abgeordnetenhauswahl nicht geben kann, wenn die beschriebene Senatspolitik fortgesetzt wird. Dieser einfache, nichts weiter als die Minimalprinzipien der WASG umsetzende Beschluss, hat zu Reaktionen der WASG-Spitze geführt, die nur allzu klar machen, auf welchem Weg diese Partei ist.

Auch wenn in den Stellungnahmen des Bundesvorstands der WASG, von führenden Fraktionsmitgliedern oder von der Bundeslinie verpflichteten Landesverbänden ein paar dürre Worte der Kritik an der PDS-Politik in Berlin zu finden sind („auch die Berliner Linkspartei.PDS wird sich bewegen müssen“!?), so steht doch die Verurteilung des „sektiererischen Verhaltnes“ des Berliner Landesverbands, der durch sein eigensinniges Verhalten die „einmalige historische Chance“ einer großen „vereinigten Linken“ gegen die „neoliberale Hegemonie“ aufs Spiel setzen würde, im Vordergrund. Ex-SPDler Ulrich Maurer sieht die „Verschwörungskünste geübter Parteizerleger“ (Tagesspiegel) an ihrem „trotzkistischen“ Werk. Lafontaine spricht von „Totalverweigerung“, die „nicht vertreten werden kann“ (FR) und Jürgen Bischof erklärt Beschlüsse eines Landesparteitags, die der Bundeslinie nicht entsprechen, für „inakzeptabel“.

Auch die Presse wurde bedenkenlos zur Kampagne eingesetzt: Die Prügelprovokation eines Bundespressesprechers (!) gegen ein Präsidiumsmitglied in einer Pause des Parteitags wurde zur bestimmenden Schlagzeile über den Parteitag („Chaos-Parteitag wegen Tumulten nach Prügelei unter Delegierten unterbrochen“).

Auf dem Landesparteitag selbst hatte Klaus Ernst für den Bundesvorstand versucht, die Delegierten zu Beschlüssen zu drängen, welche die Entscheidung über ein Zusammengehen mit der Linkspartei.PDS auf die Bundesebene delegiert hätten. Dies war letztlich auch der eigentliche Debattenpunkt auf dem Parteitag. Der schließlich mit 2/3-Mehrheit (!) beschlossene Antrag des Bezirksverbands Friedrichshain-Kreuzberg zum Thema besagt dabei nichts anderes, als dass die Frage eines eigenständigen WASG-Wahlantritts in Berlin durch eine Urabstimmung unter den Berliner Mitgliedern entschieden wird, ohne Entscheidungen auf Bundesebene abzuwarten. Wahrlich eine schrecklich „sektiererisch/trotzkistisch“ anmutende Vorstellung für die Gewerkschaftsbürokraten, Polit-Karrieristen und Talkshow-Stars, die sich an der Partei-Spitze tummeln!

Ohne sich um demokratische Normen oder Satzungen zu kümmern, wird die Drohung einer Auflösung des Berliner Landesverbandes in den Raum gestellt und an der Abspaltung eines möglichen Gegen-Verbandes gearbeitet (z.B. durch den „Rixdorfer Kreis“, der sich vor allem aus Mitgliedern des Neuköllner Bezirksverbandes und Linksruck-Mitgliedern zusammensetzt). Eines der „Killer-Argumente“ von Bundesvorstand und Fraktion ist die „Schädigung“ der Wahlaussichten der WASG bei den Landtagswahlen in Baden-Würtemberg und Rheinland-Pfalz, falls sich die Berliner WASG schon vor den dortigen Ladtagswahlen gegen ein Zusammengehen mit der Berliner PDS entscheiden würde. Als ob eine Unterstützung der Berliner PDS-Politik z.B. bei der Krankenhausprivatisierung eine Hilfe für die in Baden-Würtemberg kämpfenden KollegInnen in den Uni-Kliniken wäre!

Dabei war Klaus Ernst auf dem Berliner Parteitag immerhin noch Gewerkschafter genug, um in seinen Redebeiträgen die Senatspolitik in Bezug auf die Uni-Klinik Charité als entscheidenden Prüfstein dafür zu nehmen, ob es bei der Linkspartei.PDS zu einer Kursänderung kommt.

Sozial á la PDS

Im Tarifkonflikt mit ver.di für das Pflegepersonal der Berliner Uni-Kliniken verlang der zuständige PDS-Wissenschaftssenator Flierl Gehaltseinbußen im Volumen von 31,7 Millionen Euro und droht ansonsten mit betriebsbedingten Kündigungen von 1.500 KollegInnen! Dies war auch Klaus Ernst zuviel und er verlangte eine „eindeutige Absage“ der Linkspartei an diese Erpressungspolitik. Die aber denkt gar nicht daran! Ihr Berliner Vorsitzender bezeichnete besagte Erpressung als „fairen Kompromiss“ mit den „Interessen der Steuerzahler“ und in der entscheidenden Aufsichtsratssitzung am 2.12. wiederholte Flierl seine Drohungen - und dies angesichts von 1.000 demonstrierenden Beschäftigten, die Flierl mit einem gellenden Pfeifkonzert empfingen. Stattdessen wurden die „Sektierer“ von der Berliner WASG, die von den Beschäftigten mit Jubel begrüßt!

Schlussfolgerungen

Das Projekt Linkspartei/WASG befindet sich einer entscheidenden Phase. Es droht die Verfestigung zu einer bürgerlich-reformistischen, bürokratisierten Neo-Sozialdemokratie. Die Führung des Projekts versucht mit allen Mitteln, die Partei auf die Übernahme von „Regierungsverantwortung“ vorzubereiten, in der man als linkes Feigenblatt für Sozialabbau seine Funktion fürs Kapital ausüben kann.

Das vom Berliner Parteitag abgelehnte „Kooperationsabkommen III“ schreibt das „Potsdamer Dreieck“ (benannt nach einer Strategiekonferenz in Potsdam) für beide Parteien fest: Ein „Dreiklang“ von gezügelter Beförderung von Protesten, Regierungsbeteiligung („Mitgestaltung“) und „langfristiger Kapitalismuskritik“. Allgemein machen die (offiziellen) Stellungnahmen der WASG deutlich, dass man sich immer weiter von der ursprünglich proklamierten Position „die neue Linkspartei muss mehr sein als nur ein Zusammenschluss“ entfernt.

Mit dem Verbot von Doppelkandidaturen sollen die Regierungsbeteiligungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sowie die angestrebte in Sachsen-Anhalt gegenüber der widerspenstigen WASG-Mitgliedschaft durchgesetzt werden. All dies natürlich im Vorlauf auf eine mögliche „linke Mehrheit“ bei der Bundestagswahl 2009, d.h. einer Sozialabbau-Koalition mit SPD und Grünen.

Diese Idee von „Politikfähigkeit“ wird inzwischen von allen wesentlichen Figuren der beiden Parteien in unzähligen natürlich „inoffiziellen“ und demokratisch nicht legitimierten „Strategiepapieren“ verkündet. Dass dieses Konzept von über 100 der 157 Delegierten des Berliner Landesparteitags abgelehnt wurde, ist dagegen „ungehörig“ und „unakzeptabel“.

Die Opposition gegen diesen Kurs wurde bisher vor allem in der WASG deutlich, neben dem Berliner Landesverband vor allem in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und NRW. In der PDS ist die Kritik zu vereinzelt, um als Opposition bezeichnet werden zu können (auch wenn es gerade in Berlin für die Senatskritik der WASG viel Zuspruch aus den PDS-Verbänden gibt, ohne sich nennenswert in Delegiertenstimmen nieder zu schlagen).

Die WASG-Opposition wiederum eint vor allem die Ablehnung der Regierungsbeteiligungen, ohne dass dies zu einer grundsätzlichen Kritik am reformistischen Politikkonzept der WASG führen würde. Insofern gibt es zwar von der jetzigen Berliner WASG-Führung eine klare Orientierung auf Unterstützung der Abwehrkämpfe (Krankenhausbereich, Forderung nach Rekommunalisierung der Wasserbetriebe, Rückkehr in den Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes etc.), aber kein Programm, das diese Kämpfe mit der Perspektive der Überwindung des zugrunde liegenden Systems verbinden würde.

Selbst die SAV, die in der Berliner Mehrheit derzeit einen wichtigen (wenn auch von der Bundesführung völlig überzeichneten) Einfluss hat, verkündet nur, das Programm der WASG „konsequent“ umsetzen zu wollen - während es von der PDS und dem Bundesvorstand verraten würde!

Natürlich wird die Naivität des SAV-Herangehens deutlich, sobald man sich vorstellt, die Berliner WASG würde die notwendige Mehrheit für die Umsetzung ihres Wahlprogramms erlangen und systematisch gegen Bundesgesetze wie Hartz IV, Finanzierungsvorbehalte, rechtlich abgesicherte Profitquellen von Großkonzernen etc. vorgehen. Welches Konzept vom bürgerlichen Staat muss man haben, um zu „übersehen“, dass parlamentarische Positionen und noch so viel demonstrierende GewerkschafterInnen allein nicht ausreichen, um eine solche Politik gegen den mit Sicherheit erfolgenden Widerstand des bürgerlichen Staates durchzusetzen?

Eine Orientierung auf die Kapitalismus-überwindende Perspektive der Transformation von sozialen Abwehrkämpfen in offensive anti-kapitalistische Politik kann nicht auskommen ohne ein Programm zur Zerschlagung der repressiven Apparate des bürgerlichen Staates, die uns unweigerlich entgegenstehen, sobald wesentliche Eigentumsansprüche des Kapitals angetastet werden. Lange bevor die Produktionsverhältnisse, die der übergroßen Mehrheit der arbeitenden Menschen in diesem Land die Luft zum Leben abschnüren, auf parlamentarischem oder außer-parlamentarischem Protest-Weg auch nur um Millimeter bewegt werden können, sind die entsprechenden „linken Projekte“ entweder integriert oder auf die eine oder andere Weise zerschlagen.

Programmatische Perspektive

Wir begrüßen die Herausbildung einer Opposition in der WASG. Sie kann aber nur zu einer echten Alternative werden, wenn sie sich nicht nur an die Spitze bestimmter ökonomischer Abwehrkämpfe stellt, sondern sie mit einem konsequent anti-kapitalistischen Programm verbindet. Davon ist sie noch weit entfernt.

Einem großen Teil der WASG-Oppositionellen ist noch nicht einmal klar, dass sie der Kampf gegen ihre Parteiführung aller Wahrscheinlichkeit vor die Alternative Kapitulation oder Neuformierung außerhalb der WASG stellen kann. Insofern ist eine bundesweite Diskussion über weiterführende Perspektiven und programmatische Konsequenzen aus der WASG-Erfahrung dringend nötig.

Der sich abzeichnende Fraktionskampf in der WASG kann und muss für den Aufbau einer anti-kapitalistischen Arbeiterpartei genutzt werden - wenn er ohne Illusionen in eine schleichende Umwandlung von WASG und PDS geführt wird, also stärker auf programmatische Alternativen als auf parteitaktische Manöver konzentriert wird.

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Nr. 106, Dez 2005/Jan 2006

*  LL-Demo 2006: Klassenkampf gegen Krieg und Imperialismus
*  Linkspartei-Fusion: WASG-Berlin sagt NEIN
*  Strategie- und Aktionskonferenz: Die Koalition greift an - die Konferenz zaudert
*  Aktionen gegen Studiengebühren: Über Gebühr teuer
*  Heile Welt
*  Politisch-ökonomische Perspektiven: Krise und Klassenkampf
*  Frauen und prekäre Arbeit: Küche, Krise, Kapital
*  Israel/Palästina: Alles nur Lüge
*  Ausnahmeszustand in Frankreich: Der Aufstand der Jugend und die Linke