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Politisch-ökonomische Perspektiven

Krise und Klassenkampf

Resolution der arbeitermacht-Jahreskonferenz, Neue Internationale 106, Dezember 2005/Januar 2006

Wir befinden uns in einer Periode der Stagnation der Produktivkraftentwicklung und verschärfter Konkurrenz. Dahinter steckt eine bis in die 1970er Jahre reichende strukturelle Überakkumulation des Kapitals.

Der stagnative Grundton der gegenwärtigen Periode bedeutet jedoch nicht einfach „Nullwachstum“. Er schließt konjunkturelle Auf- und Abschwünge ein. Entscheidend ist, dass die „Stagnation“ Ausdruck der Erschöpfung der Dynamik weiterer Akkumulation ist, dass die Produktivkraftentwicklung in immer schärferen Widerspruch zu den Produktionsverhältnissen gerät.

Der Keynesianismus der 1970er, die neoliberale Restrukturierung unter Thatcher und Reagan sowie die Globalisierung seit den 1990ern nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Rekapitalisierung Chinas waren bzw. sind Versuche des Weltimperialismus, die Krise der Kapitalismus zu überwinden. Doch das zentrale Problem, die Überakkumulation von Kapital, die Riesenmassen von Kapital in „überschüssigen“ Produktionskapazitäten, ist so nicht lösbar.

US-Hegemonie

Um die „Globalisierung“, die Ausweitung des Welthandels und die größere Bewegungsfreiheit der internationalen Kapitale in den 90ern zu erreichen, war auch ein Sieg über die Arbeiterklasse notwendig: die Zerschlagung der UdSSR und die Verstärkung der weltweiten US-Hegemonie.

Die klare Vorherrschaft der USA ist untertrennbar damit verbunden, die angehäuften Widersprüche der Weltwirtschaft „im Rahmen“ zu halten. Die Fähigkeit, die Dynamik des Konsums und der Ökonomie in den USA und damit der Weltwirtschaft insgesamt mittels ständig wachsender privater und staatlicher Schulden zu sichern, ist nur durch die Stärke des US-Imperialismus zu erklären. Gleichzeitig verbergen sich hinter der Vorherrschaft des US-Imperialismus enorme politische und ökonomische Krisenpotentiale, die sich in den nächsten Jahren zuspitzen werden und sich explosionsartig entladen können.

Ihre Vormachtstellung sichert den USA ihre Rolle als Lokomotive der Weltwirtschaft. Aber die Wachstumsdynamik in den USA ist nicht einfach auf andere imperialistische Ökonomien übertragbar. Sie muss auf deren Kosten gehen, mit deren Stagnation erkauft werden, weil die Dynamik der US-Ökonomie wesentlich von ihrer Fähigkeit, Kapital aus anderen Metropolen oder Halbkolonien wie China anzuziehen, abhängt. Anders als noch in den 80er Jahren, als der Kapital-Zufluss in die USA zu einem beträchtlichen Teil in der Industrie investiert wurde, wird es heute v.a. spekulativ angelegt.

So ist die Verschärfung innerimperialistischer Widersprüche unvermeidlich, auch wenn sich die „Rivalen“ heute noch aus gutem Grund vor einer allzu offenen Konfrontation scheuen - einerseits wegen der Übermacht der USA, zum anderen, weil die USA als Hegemonialmacht auch globale Interessen der EU oder Japans „mitsichern“. Das erfordert von den USA eine permanente militärisch-politische Präsenz auf der ganzen Welt und den Krieg als permanentes Mittel ihrer Politik.

Eine weitere Folge der „Globalisierung“ ist die Zunahme autoritärer Tendenzen. Während Waren und Geld sich immer freier durch die Welt bewegen, werden die Mauern für einen großen Teil der Menschheit immer höher. Rassistische Restriktionen, polizeiliche Sonderrechte und die Aushebelung demokratischer Rechte kennzeichnen den „Krieg gegen den Terrorismus“ im Inneren. Wie die Flutkatastrophe in New Orleans oder die Aufstände in den französischen Vorstädten zeigen, gibt es neue Dimensionen von rabiatem Rassismus und Repression v.a. gegen jene sozialen Gruppen, die immer mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.

Die stagnative Tendenz der Weltwirtschaft zeigt sich nicht nur in der zunehmenden Rivalität. Sie äußert sich auch in den vorherrschenden Formen der Investitionen und der Wege zur Erhöhung der Ausbeutungsrate. Investitionen sind i.w. Rationalisierungsinvestitionen und nicht Investitionen in die Erweiterung bestehenden Anlagen. Das erklärt auch, warum das Kapital nach immer neuen spekulativen Anlagesphären suchen muss.

Die Fähigkeit, Profitmasse und Rendite auf Seiten der großen multinationalen Konzerne zu steigern; die Fähigkeit von Banken und Fonds, sich einen größeren Anteil am Gesamtprofit zu sichern, spiegelt sich in zwei Tendenzen wider. Einerseits ruinieren die großen Kapitale immer mehr Klein- und Mitteluternehmen (was diese wiederum durch verschärfte Ausbeutung wettzumachen suchen). Anderseits bewirkt die Aneignung größerer Teile des Gesamtprofits durch Banken und Fonds die Beseitigung von Barrieren für die Bewegungsfreiheit des Finanzkapitals.

Deutschland

Gerade in Deutschland ist die stagnative Tendenz augenfällig. Sie äußert sich vor allem in einer Stagnation der Wachstumsraten im verarbeitenden Gewerbe, dem Kernbereich der Mehrwertproduktion. Hier gab es in allen Triade-Ländern nach 2001 einen schweren Einbruch. Auch in Deutschland wurde das Niveau des Jahres 2000 erst wieder 2004 mit einem Produktionsindex von 103,5 erreicht (gegenüber 100 für das Jahr 2000), 2005 liegt kaum darüber. In USA und Britannien war dieser Einbruch noch prägnanter. Das verarbeitende Gewerbe ist weiterhin von hohen Überkapazitäten und Überproduktion gekennzeichnet. Umso schärfer wirkt hier der internationale Konkurrenzdruck.

Eine noch klarere Sprache spricht die Zurückhaltung bei Investitionen, also die sich abbremsende Akkumulationsrate. Hier liegt Deutschland im verarbeitenden Gewerbe bei einem Indexwert von unter 90 gegenüber dem Jahr 2000, also einem klaren Rückgang der Investitionstätigkeit. Dabei handelt es sich zumeist um Ersatzinvestitionen, nur etwa 10% sind echte Neuinvestitionen.

Der parasitäre Charakter der gegenwärtig vom Finanzkapital dominierten Form der Akkumulation drückt sich auch darin aus, dass - bei ständig sinkender Steuerlast der Unternehmen - immer mehr Teile des Profits vom Finanzkapital abgeschöpft werden. Inzwischen wird etwa ein Drittel vom verfügbaren Cash-Flow der Großkonzerne für Zinsen, Wertpapierkäufe, Optionen etc. aufgewendet, während sich die Investitionstätigkeit immer stärker nach kurzfristigen Renditezielen richtet. Auf diese Weise ist derzeit kein Ausweg für das Kapital aus dem Teufelskreis von Überakkumulation und Stagnation sichtbar.

Die vorherrschenden Methoden Steigerung der Mehrwertrate sind in der gegenwärtigen Periode in der Produktion von absolutem Mehrwert zu sehen (anders als z.B. im der Phase des langes Booms, als die relative Mehrwertproduktion vorherrschte). Daher sind auch die entsprechenden Methoden - Verlängerung der Arbeitszeit und Drücken des Arbeits- und „Sozial“lohns - bestimmend. Die Freisetzung von mehr und mehr Arbeitskräften und die Zerstörung von Gesellschaftlichkeit in ganzen Ländern der Welt (z.B. in Afrika) führen dazu, dass Arbeitslosigkeit, Verelendung, working poor usw. zu Dauererscheinungen werden.

Verschärfte Angriffe

Die Angriffe auf die Lebens- und Reproduktionsbedingen der Klasse wie auch großer Teile der Mittelschichten werden schärfer und führen zu einer Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse.

Das geht mit einer weiteren Zersetzung und Rechtsentwicklung der traditionellen Arbeiterorganisationen (Gewerkschaften, bürgerliche Arbeiterparteien) und einer Neuformierung der Avantgarde der Klasse einher. Das alles wirft objektiv die Frage von international koordinierten Kämpfen gegen die bürgerliche Offensive, von Koordinationen und Kampfstrukturen und schließlich einer neuen Internationale auf.

Doch das passiert nicht im luftleeren Raum, sondern vor dem Hintergrund einer strukturellen Krise und verschärfter Attacken von Kapital und Staat. Aber anders als noch in den 70er Jahren ist der Spielraum für Zugeständnisse an die Arbeiterklasse, genauer an die Arbeiteraristokratie in den imperialistischen Ländern und den fortgeschrittenen Halbkolonien sehr begrenzt.

Ein Ziel der Angriffe in den imperialistischen Ländern besteht gerade darin, einen Teil der Klasse an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Parallel dazu sollen die politischen und gewerkschaftlichen Positionen der Arbeiteraristokratie massiv geschwächt, wenn nicht zerschlagen werden. Ideologisch entspricht das dem „Dritten Weg“ oder der „Neuen Mitte“.

Das heißt, dass für die sozialpolitische Integration der Arbeiterklasse und eine darauf bezogene keynesianische Politik kaum noch Spielraum vorhanden ist. Sie sind utopisch und reaktionär. Auch damit verbundene „radikalere“ ideologische und aktivistische Formen haben wenig Bestand, weil sie rasch mit Situationen konfrontiert sind, die zu einer massiven Konfrontation mit dem Kapital und dem Staat führen.

Trotz allem wird auch künftig auf Reformismus und Keynesianismus zuflucht genommen werden oder - auf der subjektiv antikapitalistischen Seite - zu syndikalistischen oder anarchistischen Vorstellungen. Diese Konzepte umgehen aber alle politisch-konzeptionell die Frage der Macht.

Falsche Konzepte

Das führt dazu, dass in der Ende der 1990er entstandenen antikapitalistischen Bewegung kleinbürgerlich-radikale (anarchistische), populistische, syndikalistische oder reformistische Ideen vorherrschen. Seit 2002 sind reformistische, letztlich von Teilen der Gewerkschaftsbürokratie und der ehemals stalinistischen Parteien stark beeinflusster Kräfte im Vormarsch. Ein ähnliches Phänomen zeigt sich auch in den Bewegungen zur Schaffung neuer politischer Parteien (z.B. Linkspartei/WASG). Der Grund dafür ist einerseits das Wachstum einer Bewegung (und die unter Kontrolle gebracht werden muss), andererseits die Suche der „linken“ Arbeiterbürokratie nach einem politischen Ausdruck außerhalb der offiziellen Sozialdemokratie.

Die zentristischen Strömungen verhalten sich entweder sehr verknöchert (linke Stalinisten) oder sehr opportunistisch (v.a. trotzkistische Zentristen, hier v.a. VS, IST). Sie alle gehen in ökonomistischer Manier davon aus, dass der „objektive Prozess“ dazu führen würde, dass sich die Massen radikalisieren. Sie alle - Bürokraten, Populisten, Zentristen - stellen linken Reformismus und Keynesianismus als „Ausdruck“ des Willens der Massen, als einzig „realistischen“ Weg dar, um sich so gegen revolutionäre Kritik zu immunisieren. Klassenkämpfe wie in Bolivien oder im Irak zeigen jedoch auf zugespitzte Weise die Hoffnungslosigkeit, ja den konterrevolutionären Charakter der Suche nach einem „vernünftigen“ neuen Sozialkompromiss und rücken objektiv die soziale Revolution und den bewaffneten Kampf auf die Tagesordnung.

Für Europa sind aktuell die politischen und sozialen Krisen in Frankreich und Italien prägend. Einerseits, weil die französische Bourgeoisie nach dem NON zur Verfassung selbst in einer Krise hinsichtlich des EU-Projektes steckt - andererseits, weil sie es mit einer sehr mobilisierungsfähigen und kampfstarken Arbeiterklasse zu tun hat (Massenstreiks und Blockaden Anfang Oktober).

Für die Agitation und Propaganda sowie für praktische Initiativen ist es daher ungedingt notwendig, Losungen ins Zentrum zu stellen, die auf die Überwindung der Führungskrise der Arbeiterklasse zielen: die Organisierung des Abwehrkampfes auf europäischer Ebene, die Schaffung von Mobilisierungsstrukturen und Kampforganen, die von der Basis in den Betrieben und Stadtteilen kontrolliert werden (Aktionskomitees, Streikkomitees, Basisbewegung) und landesweit und international zentralisiert werden. Dasselbe trifft auf den Kampf gegen imperialistische Kriegs- und Besatzungspolitik sowie gegen Rassismus zu. Diese Positionen müssen mit der Forderung nach Schaffung von neuen Arbeiterparteien bzw. einer neuen Internationale verbunden werden.

Neue Angriffe

In Europa haben die herrschenden Klassen mit der Agenda von Lissabon ein Programm auf den Weg gebracht, das zum Ziel hat, eine unter deutsch-französischer Führung stehende EU  zum stärksten und dynamischsten Wirtschaftsraum und natürlich auch zu einer politisch-militärischen Macht zu formen, die es mit den USA aufnehmen kann. Trotz etlicher Erfolge (z.B. Einführung des Euro) gibt es dabei aber noch eine Reihe ungelöster Probleme und Widersprüche.

Deshalb werden die europäischen Bourgeoisien ihre Angriffe auf die sozialen Rechte der Arbeiterklasse, auf Löhne und Arbeitsbedingungen fortführen, ja intensivieren! Das wird sich gerade auch in Deutschland zeigen. Für 2006 ist ein massiver Angriff auf die Kernschichten der Arbeiterklasse und die organisierte Arbeiterbewegung zu erwarten.

Auf europäischer Ebene sollen zumindest Teile der Verfassung durchgedrückt, die Frage der Führung der EU erneut aufgeworfen und das Integrationstempo erhöht werden (was auch die Schaffung eines „Kerneuropa“ inkludieren kann). Damit ist auch das Vorantreiben der Militarisierung Europas (battlegroups, Beschaffungsinstitutionen usw.) verbunden.

Auf der anderen Seite wird von den Reformisten die Formierung eines „europäischen“ reformistischen Blocks in Sozialforen, Euroforen usw. vorangetrieben, in dessen Zentrum die europäische Linkspartei und attac stehen. Das dient dazu, die Schaffung europäischer Koordinierungen des Widerstandes zu blockieren und ihn auf ein „soziales Europa“ festzulegen.

Große Koalition

Die Wahlen vom 18. September stellen einen Rückschlag für das deutsche Kapital dar. Die Unternehmer hatten gehofft, mit der Wahl ein klares „Mandat des Volkes“ für verschärfte Angriffe zu erhalten und mit einer schwarz/gelben Regierung gerechnet. Das Wahlergebnis wie auch etliche betriebliche Kämpfe zeigen jedoch, dass die Arbeiterklasse in Deutschland noch nicht geschlagen ist und noch über Widerstandskraft verfügt.

Die Große Koalition ist in dieser Konstellation für das Kapital notwendig (und sicher gegenüber „Experimenten“ wie der Jamaika-Koalition bevorzugt). Sie dient dazu, den vom Kapital für seine imperialistischen Ambitionen nötigen Generalangriff fortzusetzen und noch zu verschärfen. Auch wenn die herrschende Klasse eine CDU/FDP-Regierung favorisiert hat, sind die „Vorzüge“ der Großen Koalition offenkundig:

Ruhigstellung und Integration der Gewerkschaften durch die SPD, während die FDP als noch schlimmere „marktradikale“ Alternative präsentiert wird. In den Gewerkschaften ist damit zu rechnen, dass der Funktionärskörper wieder auf SPD-Unterstützung oder jedenfalls auf Unterlassen offener Kritik einschwenkt.

Die EU-Politik, die Fortführung des strategischen Bündnisses mit Frankreich sowie die Russland- und China-Politik werden durch die Große Koalition erleichtert. Im Kern ist eine Fortsetzung der Politik von Schröder und Fischer (wenn auch mit eine paar „freundlicheren Tönen“ gegenüber den USA) zu erwarten. In der Türkei-Politik wird die CDU/CSU langsam auf SPD-Linie umschwenken, da diese auch vom Großkapital bevorzugt wird.

Nach der Wahl traten die Unternehmerverbände sofort mit Forderungen an „die Politik“ heran: weitere Angriffe auf Arbeitszeit und Kündigungsschutz (Ausweitung der Probezeit), weitere Deregulierung des Arbeitsmarktes, Lohnsenkungen, Steuersenkungen für Unternehmer, Reduktion der Sozialausgaben, Erhöhung der Mehrwertsteuer, Weiterführung der Rentenreform, Studiengebühren usw. usf.

Hinzu kommen Angriffe auf der Ebene der Formierung des deutschen Imperialismus: EU-Militärreform (battlegroups und EU-Eingreiftruppe, Beschaffungsprogramme, de facto Außerkraftsetzung parlamentarischer Zustimmung zu Militäreinsätzen, Verschärfung der Repression im Inneren der EU (siehe Ausnahmezustand in Frankreich).

Die Große Koalition muss und wird zu Angriffen ansetzen, die über den Rahmen der bisherigen Hartz-Reformen und Agenda-Gesetze hinausgehen. Mit Massenentlassungen, mit der forcierten Pressung von Belegschaftsteilen in Leiharbeit oder schlechter bezahlte Verträge haben die Unternehmer gleich nach der Wahl eine Offensive gestartet. De facto gab es schon vor der Wahl eine Große Koalition, in der nicht nur die Hartz-Gesetze beschlossen, sondern bereits die nächsten Angriffe vorbereitet wurden: die Beschlüsse des „Job-Gipfels“, die Gesundheitsreform oder die Angriffe auf den Öffentlichen Dienst mit der Föderalismusreform.

Der Koalitionsvertrag stellt in wesentlichen Punkten eine Verschärfung gegenüber der Politik von Rot/Grün dar. Zugleich ist er nur ein „erster Schritt“, dem weitere energische Attacken folgen werden.

Die inneren Konflikte in der SPD während der Regierungsbildung um Nahles und Müntefering zeugen von der weiteren Schwächung der SPD-Linken wie von der weiter schwelenden Krise der SPD.

Die Querelen in der SPD verdeutlichen, dass sie als bürgerliche Arbeiterpartei weiteren inneren Zerreißproben und verschärften Konflikten mit Teilen der Gewerkschaften usw. entgegengeht. Doch auch die „Volksparteien“ CDU und CSU werden sich im Zuge der kommenden Konfrontationen innerlich reorganisieren.

Alles in allem verweist das auf eine verstärkte Instabilität des politischen Systems und der Regierungskonstellation.

Arbeiterklasse und soziale Bewegung

Ihre Reaktion auf den Wahlausgang zeigt, wie wenig die Gewerkschafts-Bürokratie den Ernst der Lage begriffen hat. Die DGB-Spitze signalisiert, dass sie mit der Merkel-Regierung zusammenarbeiten und eine Konfrontation vermeiden will. Dieselbe Linie zeigt sich auch auf der Betriebsratsebene in den Großkonzernen sowie in den Hauptvorständen von IG Metall und ver.di, wenn es um die Verteidigung der Tarifverträge geht. Auch die nächste Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie im Frühjahr 06 wird von der IG Metall-Führung wieder nur als reine Lohnrunde vorbereitet - erneut erfolgt keine Vorbereitung auf die zu erwartende politische Offensive des Kapitals.

Selbst dort, wo, wie z.B. bei AEG Streiks drohen, wird eine Verallgemeinerung und Ausweitung des Abwehrkampfes möglichst vermieden. Statt z.B. einen gemeinsamen Streikkampf der 17 europäischen Standorte von Elektrolux (zu dem AEG gehört und von denen die Hälfte geschlossen werden soll) zu forcieren, setzt die IG Metall darauf, vorzurechen, dass der Standort in Nürnberg effizient und profitabel sei und saniert werden könne.

Diese Konstellation wird zu einer weiteren Stärkung der WASG (z.T. auch von PDS/Linkspartei) durch Kräfte aus dem Funktionärsapparat der Gewerkschaften, Betriebsräte, Vertrauensleute und ehemalige SPD-Mitglieder führen. Sie werden versuchen, eine neue, fusionierte Linkspartei zu einer zweiten SPD zu machen, die v.a. auf Wahlen orientiert ist und der Gewerkschaftsbürokratie (genauer deren linken Flügel) als Sprachrohr dient. Dabei wird es sicher auch Konflikte mit der PDS geben, z.B. wo diese anti-gewerkschaftlich agiert. Aber es wird keine prinzipiellen Differenzen geben. Die Spitzen von PDS und WASG wollen den „Fusionsprozess“ so gestalten, dass grundsätzliche programmatische Alternativen nicht diskutiert, klare Festlegungen bezüglich Aktionen und Mobilisierungen vermieden werden und die Führung (resp. die Bundestags-Fraktion) die Kontrolle über diesen Prozess behält. Einer künftigen reformistischen, elektoralen Ausrichtung soll nichts im Weg stehen!

Doch Linkspartei und WASG werden auch als Mittel betrachtet, Protest und Widerstandswillen gegen den Neoliberalismus zum Ausdruck zu bringen. Es wird daher entscheidend sein, welches Verhältnis die sozialen Bewegungen, die Gewerkschaftslinke und die Jugend dazu einnehmen.

Schlussfolgerungen

Wir müssen davon ausgehen, dass die kommenden Angriffe von Regierung und Kapital zu Protesten und Abwehrkämpfen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen führen werden. Wir können auch davon ausgehen, dass eine schärfere Auseinandersetzung mit Kernschichten der industriellen Arbeiterklasse ansteht, die zu einem mehrwöchigen, wenn nicht mehrmonatigen Streik führen kann.

All diese Kämpfe stehen vor dem Problem, dass sie zu einer politischen, gesellschaftlichen Bewegung zentralisiert werden müssen, dass sie mit dem Kampf um eine klassenkämpferische Basisbewegung in den Betrieben, um Aktionskomitees, um eine bundesweite Koordinierung und - vor allem - um eine neue Arbeiterpartei verbunden werden müssen! Erfolgt dies nicht, werden sie wie bisher einzeln und nacheinander geschlagen und demobilisiert!

Millionen Lohnabhängige werden von der Regierung und der Bourgeoisie in den nächsten Monaten und Jahren massiv angegriffen werden. Dieser Klassenkampf im Inneren ist die Vorraussetzung für die Durchsetzung der Weltmarktinteressen des deutschen Kapitals und die Schaffung eines imperialistischen EU-Blocks.

Im Kampf gegen Massenentlassungen, Arbeitslosigkeit, Sozialraub usw. schlagen wir folgende Hauptlosungen vor:

Nein zu Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung! Verkürzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Für eine europaweite Kampagne zur Einführung der 35-Stundenwoche! Gesetzlicher Mindestlohn von 10 Euro/Stunde!

Rücknahme der Hartz- und Agendagesetze! Nein zu Billigjobs und Leiharbeit! Mindestunterstützung von 1000 Euro netto für Arbeitslose und RentnerInnen!

Kampf gegen alle Entlassungen! Entschädigungslose Enteignung aller Unternehmen, die entlassen oder schließen wollen - unter Kontrolle der Beschäftigten! Gegen alle Privatisierungen!

Freier, kostenloser Zugang zu Bildung und Ausbildung für alle! Umlagefinanzierung zur Sicherung eines betrieblichen Ausbildungsplatzes für alle Jugendlichen!

Diese Forderungen können nur durch koordinierte Aktionen in Betrieben und auf der Straße erreicht werden - durch politische Massenstreiks, Besetzungen, Großdemos, Blockaden. Sie können nur durchgesetzt werden, wenn wir die Isolierung der Abwehrkämpfe auf einzelne Betriebe, Unis oder Sektoren überwinden; wenn der Abwehrkampf politisch, mit einer gesamtgesellschaftlichen und internationalen Ausrichtung geführt wird.

Das bedeutet, dass obige Forderungen je nach Situation ergänzt und die AktivistInnen eines solchen Kampfes auch gegen rassistische Angriffe und die imperialistische Politik des deutschen und europäischen Kapitals kämpfen müssen!

Dazu braucht es Kampforgane, welche die Aktionen bündeln und koordinieren können:

Aktionskomitees, Sozialforen oder Bündnisse, die regional, bundesweit, international verbunden sind und als permanente Aktionsbündnisse dienen;

Streikkomitees und eine klassenkämpferische Basisbewegung in Betrieb und Gewerkschaft, die alle Beschäftigten einbeziehen, für eine klassenkämpferische Politik eintreten und als politische Alternative gegen den bürokratischen Apparat in Gewerkschaften und Betriebsräten agieren;

Europaweite und internationale Koordinierung aller Aktionen gegen die Agenda von Lissabon, die Bolkestein-Dienstleistungsrichtlinie und die Arbeitszeitregelungen der EU-Kommission!

Die Linkspartei und die Linke

Die Linkspartei/WASG (wie auch die Europäische Linkspartei) sind momentan „Hauptprofiteure“ der politischen Lage. Dahinter steht das Bedürfnis eines Teils der Arbeiterbürokratie und der Arbeiteraristokratie nach einer „neuen“ politischen Vertretung, d.h. einer linkeren reformistischen Partei als Alternative zur und als Druckmittel auf die SPD. Diese Kräfte dominieren auch die Foren und Strukturen der sozialen Bewegungen auf nationaler wie europäischer Ebene.

Daher ist eine Intervention in die Linkspartei, ein Kampf gegen ihre Verfestigung als konsolidierte reformistische Partei unbedingt notwendig. Deshalb muss versucht werden, die kämpferischen Elemente um Forderungen für den Abwehrkampf zu gruppieren und gleichzeitig die Diskussion über das politische Programm zu führen.

Die bürokratisch-reformistische Dominanz in der Linkspartei/WASG resultiert v.a. aus dem Niedergang des Widerstands (z.B. der Montagsdemos) und stützt sich auf von Beginn an vorhandene reformistisch-bürokratische Apparate in PDS und WASG, die ihre Position durch die Wahlerfolge noch einmal verbessern konnten.

Das andere Problem ist, dass sich die „Linken“ in der WASG politisch anpassen. Das trifft v.a. auf DKP, Linksruck und isl zu, aber auch auf die SAV. Sie alle spekulieren darauf, dass der „Druck des Kapitals“ letztlich die reformistischen Konzepte der Linkspartei/WASG verunmöglichen und die Basis „automatisch“ zwingen würde, nach der Enttäuschung mit der Perspektive der Linkspartei weiter nach links zu gehen. Sie unterstellen, dass eine reformistische Partei ein notwendiges Zwischenstadium zu einer revolutionären Partei wäre.

Daher verzichten sie entweder auf jeden politischen Kampf (Linksruck, isl) oder beschränken ihn auf taktische Manöver und den Kampf um ein links-reformistisches Programm (SAV). Auch wenn taktische Bündnisse mit diesen Kräfte eingegangen werden können, so wäre es völlig falsch, sich auf einen strategischen Block oder programmatische Zugeständnisse einzulassen.

Gleichzeitig muss auch die syndikalistische Kritik an der Linkspartei bekämpft werden, wie sie etwa von Teilen der Gewerkschaftslinken oder von Zentristen wie dem RSB kommen.

Die letzten Jahre haben auch zu einer gewissen Umgruppierung im autonomen Milieu geführt. Ein Teil landete in einer proimperialistischen, rassistischen Ecke (die Anti-Deutschen). Andere betreiben einen kleinbürgerlich-radikalen Mix aus Antifa und kleinbürgerlicher Kapitalismuskritik (Teile der Antifa, ALB). Wieder andere haben begonnen, sich der Arbeiterklasse oder dem „sozialen Widerstand“ zuzuwenden oder haben sich aus ehemals maoistischen Strömungen reaktiviert und anerkennen „prinzipiell“ die Notwendigkeit revolutionärer Organisierung bzw. einer kommunistischen Partei.

Unsere Perspektive

Europaweiter und internationaler Abwehrkampf! Politische Massenstreiks bis hin zum Generalstreik gegen den Generalangriff!

Gegen Rassismus und Faschismus! Für Arbeitereinheitsfront gegen Nazis und Angriffe auf ImmigrantInnen durch Rechte und Staat!

Gegen die imperialistische Formierung der EU! Gegen Lissabon-Agenda, EU-Verfassung, Aufrüstung und imperialistische Intervention! Solidarität mit dem antiimperialistischen Widerstand!

In Betrieb, Gewerkschaft und der Gewerkschaftslinken: Aufbau einer klassenkämpferischen, bundesweiten Basisbewegung, die sich betrieblich verankert und für eine neue Führung der Gewerkschaften kämpft!

Aufbau lokaler, regionaler und bundesweit koordinierter Aktionskomitees gegen den Generalangriff, die alle Schichten (Beschäftigte, Erwerbslose usw.) und alle Organisationen der Arbeiterbewegung, der Linken usw. einbeziehen!

Aufbau einer revolutionären Jugendorganisation als Teil einer neuen revolutionären Jugendinternationale!

Kampf für eine neue Arbeiterpartei, die gegen den Generalangriff, gegen Krieg und Sozialraub kämpft! Wir treten dafür ein, dass diese Partei von Beginn an revolutionär und kommunistisch ist, für den Sturz des Kapitalismus und den Aufbau einer neuen, der Fünften Internationale kämpft!

Diese Forderungen müssen auch an die Sozialforen, an die Gewerkschaften, an alle „linken“ Organisationen und Parteien gestellt werden!

Gegen die illusorische und reaktionäre Vorstellung der Reformisten von einem „sozialen Europa“ stellen wir die Losung der „Vereinigten sozialistischen Staaten von Europa“! Gegen die Krise der kapitalistischen Ökonomie stellen wir die Perspektive einer demokratischen Planwirtschaft auf Grundlage eines Rätesystems. Der Macht des Kapitals stellen wie die Machtergreifung des Proletariats entgegen!

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Nr. 106, Dez 2005/Jan 2006

*  LL-Demo 2006: Klassenkampf gegen Krieg und Imperialismus
*  Linkspartei-Fusion: WASG-Berlin sagt NEIN
*  Strategie- und Aktionskonferenz: Die Koalition greift an - die Konferenz zaudert
*  Aktionen gegen Studiengebühren: Über Gebühr teuer
*  Heile Welt
*  Politisch-ökonomische Perspektiven: Krise und Klassenkampf
*  Frauen und prekäre Arbeit: Küche, Krise, Kapital
*  Israel/Palästina: Alles nur Lüge
*  Ausnahmeszustand in Frankreich: Der Aufstand der Jugend und die Linke