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Frauen und prekäre Arbeit

Küche, Krise, Kapital

Erika Ärgerlich, Neue Internationale 106, Dezember 2005/Januar 2006

Die Auseinandersetzung mit dem Thema Frauenunterdrückung hat nicht mehr die Schärfe wie in den 70er und 80er Jahren, doch verschwunden ist sie aus der öffentlichen Diskussion nicht. Manche(r) sieht es schon als gesellschaftlichen Fortschritt an, dass Mädchen sich jetzt überlegen können, ob sie statt Friseurin nicht lieber Bundeskanzlerin werden wollen. Andere wollen die Hartzgesetze so modifizieren, dass Verarmung und Entrechtung wenigstens gleichmäßig auf die Geschlechter verteilt sind.

Dahinter steckt eine erhebliche Verwirrung darüber, was das eigentlich ist, das den Frauen die „gleichberechtigte Teilhabe an Beruf und Gesellschaft“ verwehrt, und in welcher Situation sich „die Frauen“ innerhalb des neoliberalen Umbaus befinden. Ohne die Berücksichtigung ihrer Klassenlage ist aber weder eine Einschätzung zu bekommen, noch eine vernünftige Perspektive zu entwickeln.

Wie ist die Situation?

Durch die neoliberalen Angriffe wird die Ausbeutung von Frauen, die zur Arbeiterklasse gehören, eindeutig verschärft. Zum einen in der Lohnarbeit, denn der Großteil der Frauen gebotenen „Beschäftigungschancen“ liegt im Niedriglohnbereich. Des Weiteren stehen gerade Frauenarbeitsplätze unter enormem Druck, was Outsourcing und Privatisierung und somit Verschlechterung der Arbeitsbedingungen angeht. Nicht zuletzt durch den Zwang seitens der Arbeitsagenturen zur Annahme jeder Arbeit, gepaart mit erhöhtem ökonomischem Druck, z.B. wenn durch Anrechnung des Partnereinkommens kein Anspruch auf eigene Leistungen besteht.

Gleichzeitig wächst auch die Belastung in der Familie durch Wegfall bzw. Privatisierung sozialer Sicherung, die nur durch Geld ausgeglichen oder durch unbezahlte Arbeit gemildert werden können.

Der „Familienernährer“ löst sich auf, wogegen die „Zuverdienerin“ bleibt. Das ist ökonomisch, nicht ideologisch gemeint. Ideologisch bleibt der Familienernährer treu an der Seite der Zuverdienerin, nur wird der „Familienlohn“ immer weniger. Die traditionell niedrigere Entlohnung von Frauen bleibt bestehen. Die Einbeziehung von Frauen in die Lohnarbeit ändert noch lange nicht ihre Zuständigkeit für die private Reproduktionsarbeit.

Mehr Arbeit gleich mehr Emanzipation?

Die Erhöhung der Frauenerwerbsquote durch die Agenda ist kein Emanzipationsprogramm. Es geht dabei nicht um gleichberechtigten Zugang zu eigenständiger Existenzsicherung, sondern nur um billige Arbeit.

Es ist nämlich immer noch funktional, die eingeschränkten Möglichkeiten von Frauen und die damit zusammenhängende Lohndiskriminierung so einzusetzen, dass sie zur Kapitalakkumulation beitragen. Der Zwang, Kinder, Küche und Kerle mit der Lohnarbeit unter einen Hut zu kriegen, trifft auf die Notwendigkeit flexibler Produktion und geringer Kosten, die sich in der Zunahme ungesicherter Beschäftigungsverhältnisse ausdrücken.

Angesichts dessen ist es erstaunlich, zu welchen Schlüssen manche KommentatorInnen kommen. So meint ein Artikel in der jungen Welt vom 26. 8. 05: „Das neoliberale Konzept zur Ausbalancierung von Produktions- und Reproduktionssphäre stützt sich nicht länger auf die Kleinfamilie. (...) Insbesondere der Abbau des fordistischen Sozialstaates soll durch einen Niedriglohnsektor für Reproduktionsdienstleistungen z.B. als „haushaltsnahe Dienstleistungen“ und öffentlich finanzierte “Arbeitsgelegenheiten“ kompensiert werden.“

Durch die Einführung der „Bedarfsgemeinschaften“ und verschärfte Anrechnung des Partnereinkommens wird die Familie in ihrer Bedeutung für die Reproduktion noch aufgewertet. Zum neoliberalen Konzept gehören auch rigide Einschnitte in der bislang öffentlichen Daseinsvorsorge. Der Staat zieht sich zurück, an dessen Stelle tritt die warenförmige Organisierung lebenswichtiger Dienstleistungen.

Zur Kompensation der Kürzungen ist entweder Geld notwendig oder unbezahlte Arbeit von Frauen. Gerade Frauen müssen dafür Sorge tragen, die Auswirkungen von Einkommensarmut zu mildern, sei es durch längere Einkaufswege, Kleidung flicken oder Kinder bespaßen, wenn das Schwimmbad zu teuer ist.

Durch die Ein-Euro-Jobber werden eben gerade nicht die Tätigkeiten „kompensiert“, die bislang im Privaten, in der Familie und somit hauptsächlich von Frauen geleistet wurden. Vielmehr betrifft das v.a. öffentliche Bereiche wie Pflege von Grünanlagen, Einsatz in Schulen und Kitas, in Kultureinrichtungen usw. Ebenso ist zu bezweifeln, dass sich relevante Teile der Arbeiterklasse tatsächlich am Niedriglohnsektor für Reproduktionsdienstleistungen bedienen. Die Befreiung von der Reproduktionsarbeit ist nach wie vor denen vorbehalten, die es sich leisten können.

Was sich sehr wohl feststellen lässt, ist eine stärkere Klassendifferenzierung unter Frauen und weitere rassistische Spaltung. Von einer sinkenden Bedeutung der Kleinfamilie für die Reproduktion zu sprechen, ist angesichts der beschriebenen Tendenzen realitätsfern.

Auch im Elend nicht vereint

Wir können davon ausgehen, dass der Versuch, die Krise auf Kosten der Arbeiterklasse zu lösen, (ärmere) Frauen anders und härter trifft als Männer. Insofern verwundert auch folgende Meinung:

“Die faktische Umwandlung von Arbeitslosenhilfe in Sozialhilfe, die den Betroffenen ihre Arbeiteridentität raubt und sie zu einer Art Fürsorgeempfänger degradiert, kommt einer Feminisierung männlicher Armut gleich - die Mehrzahl zumindest der allein stehenden Frauen war immer schon in dieser Lage. In ihrem Egalitarismus der Verarmung heben die Hartzgesetze ein Stück der Spaltung nach Geschlechtern auf, auch wenn die Frauen weiterhin stärker betroffen sind.“ (Das Argument 256, Vorwort)

Von einer Angleichung kann, wenn überhaupt, höchstens für jene Frauen gesprochen werden, die sich von der Reproduktionsarbeit teilweise freikaufen und insofern eine „männliche“ Karriere einschlagen können.

Auch international ist zu beobachten, dass Krisen sich auf Frauen härter auswirken. So kommt es z.B. nach ökonomischen Krisen zu einem Anstieg der Zahl der in Maquiladoras (Arbeitslager der Textilindustrie in Lateinamerika) arbeitenden Männer. Doch daraus auf eine Angleichung der Lebensverhältnisse zu schließen, wäre komplett falsch. Schließlich heißt das nur, dass Frauen wiederum unter noch schlechteren Bedingungen arbeiten müssen, meist im informellen Sektor, und dass insgesamt ihre Arbeitszeit, bezahlte und unbezahlte, steigt.

Fromme Wünsche

Mit Recht beziehen sich viele Forderungen bezüglich Frauenrechten auf den Bereich der Lohnarbeit, denn der Kern ihrer Unterdrückung ist ihre Beschränkung auf die privat organisierte Reproduktionsarbeit, und umgekehrt ihr Ausschluss aus gesellschaftlicher Arbeit. Solange dieser Kern nicht geknackt ist, wird es wirkliche Gleichberechtigung nicht geben!

Wirkliche Vergesellschaftung der Reproduktion ist im Kapitalismus nicht zu bewerkstelligen. Zu groß sind die Vorteile, die diese vom Feudalismus übernommene und weiter geformte Unterdrückung bietet. Hängt doch die gesamte Abwertung „weiblicher“ Arbeit (pflegende, sorgende, unqualifizierte ...) davon ab, ebenso wie die praktische Einrichtung des Familienlohns, mit dem auszukommen Aufgabe der in Abhängigkeit gehaltenen Frauen ist.

Der Kampf um gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit wird fast seit Bestehen der BRD geführt, doch leider viel zu sehr auf wissenschaftlichem Niveau. Ob körperliche Belastungen beispielsweise bei typischen Männerberufen stärker gewertet werden, während sie als Merkmal bei Frauenberufen gar nicht vorkommen, ist keine „objektive“ Frage, sondern eine der Kräfteverhältnisse, eine politische.

Wir müssen eine Vorstellung davon entwickeln, wie Forderungen durchzusetzen sind und gegen wen und wo wir eigentlich hinwollen. Die stärkere Einbeziehung von Frauen in die Lohnarbeit ist eine Voraussetzung für ihre Befreiung, nicht die Verwirklichung der Befreiung!

Sie ist deshalb Voraussetzung, weil mit der Teilnahme an gesellschaftlicher Arbeit erst die Bedingungen für selbstbewusste und klassenbewusste Interessensvertretung entstehen können. Das heißt aber auch, dass der Kampf für Frauenbefreiung nicht mit dem Eintritt von mehr Frauen in Lohnarbeit endet, sondern beginnt.

Wenn Frauen nicht die Fragen nach der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums stellen, danach, was, wie, und für wen produziert wird, können sie ihre eigene Befreiung auch gleich vergessen.

Denn: was haben sie davon, wenn die Hälfte aller Spitzenpositionen in Politik und Wirtschaft von Frauen besetzt sind, eine Forderung, die durchaus von Frauen erhoben wird? Werden etwa Unternehmerinnen die kapitalistische Konkurrenz außer Kraft setzen und statt nach dem Kriterium der Profitabilität, nach dem der Frauenförderung wirtschaften?

Einen Fortschritt für Frauen gibt es nur durch Klassenkampf, ihre vollständige Befreiung erst im Kommunismus. Da das so ist, führt kein Weg an einer politischen Organisierung proletarischer Frauen vorbei: als konsequente Interessensvertretung in den Gewerkschaften, in Stadtteilen, gegen Privatisierungen, gegen Kitaschließungen, gegen Zwangsräumungen etc.!

In sozialen Bewegungen, Erwerbsloseninitiativen, auch in WASG/Linkspartei muss für den Aufbau einer politischen  Kraft gekämpft werden, die alle diese Kämpfe zusammenführt: einer Kampfpartei der Arbeiterinnen und Arbeiter!

 

Daten und Fakten

Der Anteil der von Frauen geleisteten Erwerbsarbeit ist von 2003 zu 2004 wieder gestiegen, und zwar um 1.1%. Sie beträgt somit 47.1%. Der, der Männer ist um 0.3% gesunken. Zurückzuführen ist das auf strukturelle Verschiebungen: sinkende Beschäftigung in Bereichen mit traditionell hohem Männeranteil, dafür ein Anstieg im Dienstleistungsbereich.

Explizit wird hier vom Statistischen Bundesamt auch der Anstieg der geringfügigen Beschäftigung genannt, der für Frauen einen größeren Effekt hat als für Männer. Lediglich 69.1% der gesamten Beschäftigung ist sozialversicherungspflichtige, und bei eben dieser liegt die Frauenquote 2% unter der allgemeinen Erwerbsbeteiligung von Frauen.

Der Frauenanteil an sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen beträgt 37.5%, an eben solchen Teilzeitstellen 84.7%. Ihr Beitrag zum gesamten geleisteten Arbeitsvolumen 2004 betrug 38%, die wöchentliche Arbeitszeit sank innerhalb von 5 Jahren um 3.6 h auf 30.8 h. Was dagegen steigt, und zwar deutlich stärker als die allgemeinen Zuwachsraten, sind die atypischen Arbeitszeiten bei Frauen, also Samstags (+ 64%), Sonn- und Feiertags (+ 65%), Nacht- und Schichtarbeit (+ 35%).

Die folgenden Zahlen betreffen ausschließlich geringfügig Beschäftigte, also nur solche mit einem oder mehreren Minijobs, der untersuchte Zeitraum ist 1999 bis 2004.

Innerhalb dieser 5 Jahre ist die Gesamtzahl der geringfügig Beschäftigten um 31.3% gestiegen auf insgesamt 4.802.866. Der Anstieg bei Frauen war unterdurchschnittlich mit 23.3%, der der Männer betrug dagegen 51.5%, natürlich von wesentlich niedrigerem Niveau aus. 2004 waren davon 67.3% Frauen und 32.7% Männer.

Geringfügig Beschäftigte gibt es in allen Branchen, von Landwirtschaft über Chemie bis zum Bau, von Wohnungswirtschaft über Einzelhandel bis zum Privathaushalt, wobei das Bemerkenswerte ist, dass im Privathaushalt lediglich 77.003 Personen beschäftigt sind. Den größten Anteil hat der Einzelhandel  mit 772.604 Beschäftigten.

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Nr. 106, Dez 2005/Jan 2006

*  LL-Demo 2006: Klassenkampf gegen Krieg und Imperialismus
*  Linkspartei-Fusion: WASG-Berlin sagt NEIN
*  Strategie- und Aktionskonferenz: Die Koalition greift an - die Konferenz zaudert
*  Aktionen gegen Studiengebühren: Über Gebühr teuer
*  Heile Welt
*  Politisch-ökonomische Perspektiven: Krise und Klassenkampf
*  Frauen und prekäre Arbeit: Küche, Krise, Kapital
*  Israel/Palästina: Alles nur Lüge
*  Ausnahmeszustand in Frankreich: Der Aufstand der Jugend und die Linke