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Voran, Vorwärts und die Militant-Tendenz

Bruch und Kontinuität einer Wende

von Colin Lloyd, Richard Brennner, und Eric Wegner

 

"Marxistische Zeitung für SPD, Jusos, Falken und Gewerkschaften"

(Untertitel von Voran bis 1991)

"Zeitung der Marxisten in SPD, Jusos und Gewerkschaften"

(Untertitel von Voran von 1991 bis 1993)

"Marxistische Zeitung für Arbeiter/innen und Jugendliche"

(Untertitel von Voran ab 1993)

 

Die Veränderung der Untertitel der Zeitungen von "Voran" und ähnlich bei "Vorwärts" drückt die weitreichende Umorientierung aus, die diese beiden Organisationen seit 1989 vollzogen haben. Die Wende weg von der zeitlosen Ausrichtung auf die Sozialdemokratie, die für Voran und Vorwärts, die deutsche und die österreichische Sektion des "Committee for a Workers' International" (CWI), so kennzeichnend war, führte sowohl in Deutschland als auch in Österreich zu Abspaltungen. Damit wurde die Spaltung des CWI und seiner bedeutendsten Sektion, "Militant" in Großbritannien, nachvollzogen. Der Ausschluß des Gründers von Militant und führenden Theoretikers des CWI, Ted Grant, signalisierte die Aufgabe eines zentralen Grundsatzes ihrer politischen Strategie.

Voran und Vorwärts hatten - wie Militant - stets darauf beharrt, daß es für Sozialisten notwendig sei, langfristig in der Sozialdemokratie zu sein. Militant hat heute eine eigene Partei ins Leben gerufen und ergreift jede Möglichkeit, gegen Labour zu kandidieren. Voran und Vorwärts haben Schritte in dieselbe Richtung unternommen und können sich nicht eimal mehr dazu durchringen, in ihrer Vorfeldorganisation "Jugend gegen Rassismus in Europa" (JRE) für einen Wahlaufruf für die Sozialdemokratie einzutreten.

Andere Veränderungen haben diesen Schwenk begleitet. Während sich Militant in den 80er Jahren gegen Versuche stellte, in der Labour Party die Möglichkeit für spezielle Treffen von Immigranten zu schaffen, weil das angeblich "die Arbeiterklasse spalten" würde, fördert es heute seine eigene schwarze Frontorganisation, die mit den Slogans und Symbolen der Black Panther-Bewegung der 60er Jahre auftritt. Während das CWI bis in die 80er Jahre Polizisten als "Arbeiter in Uniform" betrachtete, bezeichnete Militant die britischen Polizisten nach deren brutalen Angriff auf eine Großdemonstration gegen die faschistische BNP in London als "Schläger in Blau", und auch in der österreichischen und deutschen JRE argumentieren die Mitglieder von Voran und Vorwärts schärfer gegen die Polizei als früher.

Noch 1989 hieß es in der Einleitung zu Ted Grants "The Unbroken Thread" ("Der ungebrochene Faden"): "Keine andere Tendenz der Rechten oder der Linken hat denselben ehrlichen, ernsthaften und offenen Zugang zu Diskussionen. Im Gegensatz zu den Stalinisten und den ultralinken Sekten, die alle eine Industrie daraus gemacht haben, ihre früheren Fehler und theoretischen Purzelbäume zu verstecken, gibt es keine Schriften oder Reden von Ted Grant, die der Autor nicht bereit wäre, neu herauszugeben und zu debattieren." Die Führer des CWI waren gewohnt, damit zu prahlen, daß nur ihre Tendenz ihre früheren Positionen mit Stolz nachdrucken könne. Heute vermeidet das CWI solche Ansprüche sorgfältig. Kein Wunder. Wie hat aber nun die gegenwärtige CWI-Führung die Wende der politischen Orientierung erklärt? Ganz einfach: gar nicht.

Das Editorial des Militant, das den Ausschluß von Grant und seinen Unterstützern bekanntmachte, stellte die Spaltung als halbpolitische "Trennung der Wege" mit einer alten Garde dar, die den Anschluß an die Zeit verloren hätte (1). Es ist freilich nicht überraschend, daß die Führung des CWI ihren Bruch mit Grant nicht befriedigend erklären konnte. Eine Analyse würde zeigen, daß - während eine bestimmte taktische Auswirkung von Grants Methode den Umständen der 90er Jahre angepaßt wurde - die Ursache für die Probleme des CWI nicht in der einen oder anderen Taktik liegt, sondern im Wesen von Grants Methode selbst. Aber genau diese wird nicht untersucht, geschweige denn berichtigt.

In diesem Artikel untersuchen wir die Grundlagen der Methode von Voran und Vorwärts, d.h. der Methode von Grant und dem CWI, denn sowohl die frühere Orientierung von Voran und Vorwärts als auch die kürzliche Wende haben ihren Ursprung in der Politik der Militant-Tendenz in Großbritannien. Deshalb kann die Politik von Voran und Vorwärts nicht analysiert werden, ohne auch die von Militant zu betrachten. Das ist auch der Grund dafür, warum in Teilen des Artikels die Politik von Militant im Mittelpunkt steht. Wir argumentieren, daß diese Strömung einen direkten Bruch mit dem Marxismus/Trotzkismus repräsentiert, nicht eine Anpassung oder Weiterentwicklung des Trotzkismus, um den Nachkriegsbedingungen gerecht zu werden.

Grants Methode wurde entwickelt, um die charakteristische Haltung der Militant-Tendenz zum britischen Labourismus zu rechtfertigen. Sie hat zu einer Revision des marxistischen Verständnisses der Beziehung zwischen revolutionären Sozialisten und der Arbeiterklasse geführt - mit weitreichenden Konsequenzen für Programm und Praxis. Außerdem zeigen wir, wie die entscheidenden Fehler des "Grantismus" in der Politik des CWI tief verwurzelt bleiben. Das führt nicht nur dazu, daß das CWI unfähig ist, sich selbst vom Erbe des Opportunismus zu befreien, sondern auch, daß weitere Instabilitäten und Krisen garantiert sind.

Die trotzkistische Entrismus-Taktik

Die Strategie von Militant, Voran und Vorwärts zur Erlangung von Masseneinfluß durch den Aufbau einer Tendenz in der Labour Party beziehungsweise in der SPD oder SPÖ wurde in Großbritannien in den 70er Jahren allbekannt. Sie resultierte in öffentlichkeitswirksamen Säuberungen und Ausschlüssen aus der Labour Party in den 80er Jahren. Das wird gewöhnlich als "Entrismus" bezeichnet, ein Begriff, den die Trotzkisten in den 30er Jahren verwendeten.

Nach 1934 entwickelte Leo Trotzki eine Taktik, die den völligen Eintritt seiner Unterstützer in sozialdemokratische und zentristische Parteien beinhaltete (2). Angesichts eines Zustroms radikalisierter Arbeiter in diese Parteien traten auch die Trotzkisten darin ein, kämpften für ihr Programm, schufen offene Tendenzen und Fraktionen und wuchsen bedeutend an. Unvermeidlicherweise waren die Trotzkisten durch ein bis zwei Jahre kompromißloser Opposition die Objekte bürokratischer Maßnahmen und Ausschlüsse. Angesichts der Wahl zwischen der Verwässerung ihres Programms und dem Ausschluß entschieden sich die, die Trotzkis Rat folgten, für den offenen Weg und anerkannten, daß Entrismus notwendigerweise eine temporäre Taktik sein mußte.

Im internen Bulletin der französischen Trotzkisten schrieb Trotzki folgendes: "Wir sagen unseren Freunden offen: Verteidigt eure Position in der SFIO mit Entschlossenheit, aber seid auf den unabhängigen Kampf vorbereitet, wenn er uns aufgezwungen wird - und es sieht danach aus, daß das der Fall sein wird. Wie können wir es vermeiden, das offen zu sagen?

Die Ansicht der Spartakisten (eine zentristische Fraktion in der SFIO), daß es notwendig sei, um jeden Preis in der SFIO zu bleiben, ist Verrat." (3)

Das Versäumnis der französischen Trotzkisten, diesen Rat unmittelbar zu befolgen, und die Schwankungen ihrer Führung, schwächten ihre Fähigkeit, in die proletarischen Massenkämpfe von 1936 zu intervenieren, bedeutend. Die entscheidende Lehre, die Trotzki aus dieser Erfahrung zog, war, daß Entrismus einen offenen Kampf für revolutionäre Ideen einschließt und daß nicht erwartet werden kann, daß er längere Zeit andauert: "Eintritt in eine reformistische, zentristische Partei beinhaltet keine langfristige Perspektive. Es ist nur eine Phase, die unter bestimmten Bedingungen auf eine Episode beschränkt sein kann. (...) rechtzeitig den Angriff der Bürokratie gegen den linken Flügel zu erkennen und uns selbst dagegen zu verteidigen, nicht durch das Machen von Zugeständnissen, Anpassen oder Verstecken-Spielen, sondern durch eine revolutionäre Offensive." (4)

Ted Grant und die Entrismus-Taktik

Bei der Entwicklung seiner Haltung gegenüber dem Entrismus in der britischen Labour Party fand es (der aus Südafrika stammende und in Großbritannien tätige) Grant notwendig, seine Herangehensweise von der zu unterscheiden, die sein Hauptrivale in der britischen radikalen Linken der Nachkriegszeit, Gerry Healy, angenommen hatte. Healys Art von Entrismus war nicht von der prinzipienfesten Herangehensweise geleitet, die von Trotzki während der "französischen Wende" entwickelt wurde. Ganz im Gegenteil. Grant schrieb im Mai 1970:

"Zu keinem Zeitpunkt behielten (die Nachkriegstrotzkisten) das klare Programm des Marxismus, sondern nahmen im Gegenteil das Programm der Anpassung an reformistische Individuen an, die nichts außer sich selbst repräsentierten. Sie nahmen an, was sie eine Politik des "tiefen Entrismus" nannten (...) Der - teilweise erfolgreiche - Versuch, sich selbst - in Anpassung an das Milieu - als linke Reformisten anzustreichen, führte dazu, daß sie in großem Ausmaß zu 'linken Reformisten' wurden." (5)

Grant brachte Healys Fehler richtig auf den Punkt. Tiefer Entrismus bedeutete die Aufgabe des Kampfes für ein revolutionäres Programm, um die erstrebte Organisierung eines linksreformistischen Flügels nicht zu "behindern". Für die Healyisten war die Labour Party keine bürgerliche Partei, die sich auf die organisierte Unterstützung der Arbeiterklasse stützt, sondern ein potentielles "Instrument, um ihre sozialistischen Absichten zu erfüllen" (6).

Grant war also durchaus zu einer berechtigten Kritik an Healys Entrismus-Projekt fähig. Aber seine Kritik war partiell und unvollständig. Was sie nicht erkannte und überwand, waren die wesentlichen Fehler der Methode, die im Herzen von Healys opportunistischer Herangehensweise lagen. Das sollte in den kommenden Jahrzehnten nicht nur schwerwiegende Folgen für Grants eigene Erfahrung mit der Labour Party haben, sondern auch für die von Voran (seit Anfang der 70er Jahre) und Vorwärts (seit Mitte der 80er Jahre) in der deutschen und österreichischen Sozialdemokratie.

Grant lehnte den "tiefen Entrismus" ab, womit er Healys Praxis einer Geheimorganisation und die formale Vermischung der Banner mit dem linksreformistischen Flügel in einer gemeinsamen Organisation meinte. Trotzdem unterschied sich auch Grants Herangehensweise stark von jener Trotzkis. Grant bestritt das auch gar nicht. Er betonte, daß - anders als in der Situation, in der die französischen Trotzkisten in den 30er Jahren agierten - im Nachkriegs-Großbritannien "die klassischen Bedingungen für Eintrittsarbeit nicht existierten".

In seinem Oppositionsdokument von 1991, "The New Turn - A Threat to Forty Years' Work" ("Die neue Wende - eine Bedrohung für die Arbeit von 40 Jahren"), in dem er gegen die jetzt von Militant, Voran und Vorwärts eingeschlagene Linie ankämpft, bestätigt Grant diese Sicht explizit. Er schrieb: "40 Jahre lang haben wir in der Labour Party gearbeitet. Die ganze Zeit fehlten die klassischen Bedingungen für Entrismus, wie sie von Trotzki niedergelegt wurden." (7) Er beharrte aber immer darauf, daß Entrismus trotzdem aus verschiedenen Gründen anwendbar wäre.

1970 erklärte er gegenüber den Entrismus-Versuchen seiner politischen Gegner: "Nicht nur in Großbritannien, wo sie niemals die Lehren ihrer Erfahrungen gezogen haben, sondern wo immer sie diese Taktik angewandt haben, haben sie angesichts der Ziele, die sie sich selbst gesetzt haben, schmählich versagt. Der Grund war der lange ökonomische Aufschwung der wichtigsten kapitalistischen Länder, der für ein Vierteljahrhundert in Ländern wie Deutschland und Großbritannien zu einer Erneuerung der Sozialdemokratie und in Ländern wie Frankreich und Italien zu einer Erneuerung des Stalinismus geführt hat. Aufgrund ihrer theoretischen Sackgasse - und wegen der objektiven Situation selbst - entwickelte das VS (Vereinigtes Sekretariat der Vierten Internationale, eine "trotzkistische" Strömung) eine Theorie des allgemeinen Eintritts in sozialdemokratische und kommunistische Parteien, je nachdem, welche stärker war. Das war unter diesen Bedingungen die richtige Taktik. Aber unglücklicherweise führten sie, wie in Großbritannien, eine opportunistische Taktik aus. (...) Der Entrismus wurde durch die objektive Situation und die Schwäche der revolutionären Kräfte erzwungen, aber sie führten ihn auf eine rein opportunistische Weise aus." (8)

Für Trotzki war eine Bewegung der Massen nach links und ein Zustrom von radikalisierten Arbeitern und Jugendlichen in die Sozialdemokratie eine Bedingung für eine Eintrittstaktik, die "nur eine Phase (sei), die unter bestimmten Bedingungen sogar auf eine Episode beschränkt sein kann". Nach Grant stützte sich der Entrismus der Nachkriegszeit auf die ungünstigen Bedingungen des ökonomischen Aufschwungs in den wichtigsten europäischen kapitalistischen Ländern, der die reformistischen Massenparteien stabilisiert hatte. Daraus war eine offensichtliche Schlußfolgerung zu ziehen, und Grant zog sie. Statt der "klassischen" Entrismustaktik, die dazu gedacht war, kurzfristig Kräfte für eine neue revolutionäre Partei zu gewinnen, zielte die "allgemeine" Entrismustaktik auf eine lange Periode der Arbeit innerhalb der Massenpartei ab.

Das führte zu der Schlußfolgerung, daß - weit davon entfernt, die entscheidende Attacke der reformistischen Bürokratie rechtzeitig zu erkennen und sich für die Spaltung und Unabhängigkeit vorzubereiten - die Marxisten zu jedem Preis in der Partei bleiben sollten bis die Bedingungen "reif" seien. Von einer Taktik, die nur unter spezifischen Bedingungen und mit klar umschriebenen Zielen angewandt werden durfte, wurde der Entrismus in eine universell anwendbare Strategie verwandelt.

Die "unvermeidliche" Wende der Massen zur Sozialdemokratie

Grant entwickelte eine "theoretische" Rechtfertigung für die Politik des allgemeinen Entrismus. Das wird am besten in "Problems of Entrism" ausgedrückt, wo Grant schrieb: "Die ganze Geschichte beweist, daß sich die Massen, in den ersten Phasen des revolutionären Aufschwunges, den Massenorganisationen zuwenden, um eine Lösung ihrer Probleme zu suchen und zu finden, besonders die junge Generation, die zum ersten Mal in die Politik einsteigt." (9)

Dieses Schema wurde wieder und immer wieder wiederholt und wurde zur Grundlage des von Grant geführten CWI. Das folgende Zitat, aus "British Perspectives" (1979), ist dafür absolut typisch: "Im Lauf der (kommenden) Kämpfe wird die Arbeiterklasse bemerken, daß ökonomische Kämpfe nicht ausreichen, um ihre Probleme zu lösen, und daß politischer Kampf notwendig ist. Sobald sie den Weg des politischen Kampfes einschlägt, gibt es nur einen Weg, den sie gehen kann, und das ist der, zu versuchen, die Organisation, die von der Gewerkschaften aufgebaut wurde, zu verändern, sich in die Labour Party zu begeben mit dem Ziel sie so zu ändern, daß sie ihren Bedürfnissen entspricht." (10)

Voran hat dieses Schema von seiner britischen Schwesterorganisation übernommen: "Unter dem Druck der künftigen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen und verstärkter Klassenkämpfe werden die Arbeiter auf der Suche nach einer politischen Antwort auf ihre traditionellen Organisationen zurückgreifen. In diesem Zusammenhang werden Gewerkschaften und SPD die gesellschaftliche Entwicklung widerspiegeln. Frische Impulse, neue Ideen jugendlicher Mitglieder werden sie von unten her wieder beleben. Viele tausende junge Arbeiter, Lehrlinge, Schüler werden wieder und wieder versuchen, diese Organisation in ihrem Sinne zu verändern." (11)

Und Michael Gehmacher, führendes Vorwärts-Mitglied, der mit der CWI-Mehrheit ging, vertrat in einem Leserbrief an den ArbeiterInnenstandpunkt, die Zeitung der österreichischen Sektion der LRKI, diese Ansicht sogar noch im März 1992, also bereits nach dem Ausschluß von Grant und seiner Unterstützer. Der angebliche Mitgliederaufschwung der - mittlerweile weitgehend inexistenten - SJ (Sozialistische Jugend, Jugendorganisation der österreichischen Sozialdemokratie) beweise "unsere Argumentation, daß sich in Krisenzeiten (...) Jugendliche auf ihre traditionellen Organisationen (...) zurückziehen." (12) Diese Perspektive, von Grant entwickelt und zum CWI-Leitsatz geworden, wurde als überzeitliches, historisches Gesetz betrachtet und war ein mechanisches Schema.

Wenn die Arbeiter den politischen Kampf aufnehmen, gibt es mehr als "einen Weg, den sie gehen können". Unter bestimmten Bedingungen werden die Massen auf existierende reformistische Parteien Druck ausüben und ihnen gelegentlich in großer Anzahl beitreten - auf der Suche nach politischen Lösungen. Aber unter anderen Bedingungen können sie nach politischen Alternativen Ausschau halten, vorausgesetzt, daß solche Alternativen für sie verfügbar gemacht wurden.

Für eine kurze Periode in den 80er Jahren schien es für viele, daß sich Grants Schema ausgezahlt hätte. Grants Organisation stand an der Spitze der aktiven "Labour Party Young Socialists" (LPYS, der Jugendorganisation der Labour Party) mit tausenden Mitgliedern und an der Spitze des Kampfes der Stadt Liverpool gegen die Sozialkürzungspolitik der konservativen Thatcher-Regierung - ein Kampf, der zehntausende Arbeiter mobilisierte.

Aber in beiden Fällen führte Militants Bindung an die Eintrittsstrategie zu schweren taktischen Fehlern. Letztlich scheiterte es daran, den Kampf für die Stärkung der eigenen Organisation zu nützen. Grants Schema führte zur Vergeudung dieser Möglichkeiten und schließlich zur Spaltung von Militant und dem CWI 1991.

Laut Grant sollten, da es ja notwendig sei, um jeden Preis in der Sozialdemokratie zu bleiben, unnötige Konflikte mit der sozialdemokratischen Bürokratie vermieden werden, auf ihre "Provokationen" sollte nicht eingestiegen werden. Der Grund war stets der gleiche. 1959 antwortete Grant auf den Gedanken, daß die Militant-Tendenz von einer unabhängiger Arbeit profitieren könnte, damit, daß "jeder Nutzen daraus in keinem Verhältnis zu den zukünftigen Möglichkeiten in der Labour Party" (13) stehe. In den 80er Jahren wurde in jedem Fall, wo die Bürokratie einen Konflikt provozierte, eine Gegenoffensive von Militant verschoben - bis zu einer angeblich günstigeren Gelegenheit.

Das wurde klar, als die Labour-Führung daranging, Militants Einfluß über die LPYS zu brechen. Mit der Behauptung, daß die großen und aktiven LPYS dahinsiechen würden, beabsichtigten die Labour-Führer die Vernichtung der unabhängigen Organisationsstrukturen der LPYS, die Abschaffung der regionalen Konferenzen, sowie die Senkung der Altersgrenze der Organisation, um so die etablierten Führer und Organisatoren zu hinauszudrängen.

Klarerweise verlangte diese Attacke totale und kompromißlose Opposition von der Linken. Aber Militant, dessen Repräsentanz in den führenden Parteigremien ausschließlich ihrer mehrheitlichen Kontrolle über die LPYS zuzuschreiben war, machte Ausflüchte. Die oft wiederholte Grundlage war: "egal welche Maßnahme der rechte Flügel ergreift, er wird scheitern. Wenn sie uns nicht verfolgen, werden wir Einfluß gewinnen. Wenn sie uns verfolgen, wird unser Einfluß wachsen". Damit aber überzeugten sie sich lediglich selbst, daß die Bedrohung irreal sei.

Auf der LPYS-Konferenz von 1987 argumentierte Militant, daß die Vorschläge der Bürokratie - weit davon entfernt, ein ernsthafter Angriff zur Zerstörung der LPYS zu sein - "eine Möglichkeit schaffen, eine umfassende Diskussion über den Aufbau einer sozialistischen Jugendmassenbewegung zu haben". Traurigerweise war "eine Diskussion" nicht das, was die rechte Labour-Führung um Kinnock im Sinn hatte. Die 12.000 Mitglieder starke Jugendorganisation wurde zerschlagen. Die stattdessen jährlich von Militant veranstaltete "Youth Trade Union Rights Conference" konnte nur einen Bruchteil der früheren Stärke der LPYS zusammenbringen. Das Ergebnis des strategischen Entrismus war nicht die Ausweitung des Einflusses der Militant-Tendenz unter der Jugend, sondern dessen Auflösung. (14)

Noch verwüstender war die Vergeudung des Masseneinflusses der Militant-Führung in Liverpool, ein Einfluß, der über Jahre hartnäckiger Arbeit sorgfältig aufgebaut worden war.

1985, am Höhepunkt des Kampfes, überlegte der stellvertretende Vorsitzende des Liverpooler Stadtrates, Derek Hatton, offen die Möglichkeit, eine Spaltung der Labour-Party anzuführen - und zwar auf der Grundlage des riesigen Einflusses, den Militant in der Labour Party im Bezirk Liverpool hatte. Hatton schätzte, daß ca 10.000 Mitglieder von der offiziellen Partei losgerissen werden könnten, wenn eine entschlossene Führung vorhanden wäre. Aber, wie Peter Taaffe und Tony Mulhearn (die neue Militant- und CWI-Führung) damals erklärten:

"Eine 'unabhängige' Labour Party würde zweifellos einen Anfangserfolg haben, kurzfristig, aber sie hätte den langfristigen Kampf der Veränderung der Labour Party in eine linke Richtung unterminiert (...) für einen Arbeiter, der die 'unabhängige' Labour Party unterstützt hätte, gäbe es fünf, zehn oder vielleicht hundert in einer späteren Phase, die in die offizielle Labour Party gehen würden. Diesen Arbeitern bliebe der Kontakt zu den besten Kämpfern, die sich als 'unabhängige' Labour Party konstituiert haben, versagt." (15)

Hätten die Ereignisse von Liverpool zu einer linken proletarischen Massenabspaltung von Labour führen können? Es war sicher möglich. Aber eines ist sicher. Heute, über zwei Jahre nach dem Bruch mit der Labour Party, muß die Militant-Führung wünschen, daß sie zumindest einen Teil jener 10.000, die sie 1985 so leichtfertig aufgegeben hat, mit sich genommen hätte.

Damals hätte die Spaltung zu ihren Bedingungen stattgefunden, als sie noch die LPYS kontrollierten, als die Parteibasis noch mit lebendigen politischen Diskussionen erfüllt war, als Kinnock die Zerstörung der linken und demokratischen Errungenschaften der Basis noch nicht abgeschlossen hatte. Als dann die Spaltung kam, zeigten ihre Ergebnisse nur zu klar, daß sie ein Resultat der Schwäche und nicht der Stärke war.

Sowohl in Liverpool als auch bei den LPYS klammerte sich Militant an die bürokratischen Strukturen der Labour Party, verpaßte entscheidende taktische Möglichkeiten, um wirkliche Fortschritte in der Bildung einer unabhängigen, subjektiv revolutionären Arbeiterorganisation zu machen. In beiden Fällen führte seine Politik zu unnötigen Niederlagen. Im Fall von Liverpool lag die Niederlage nicht nur im Verpassen der Möglichkeit, eine Abspaltung von Labour anzuführen. Militants Angst, die Liverpooler Arbeiterklasse zu spalten, führte es dazu, sich Labour und der bürgerlichen Legalität zu unterwerfen und den Konflikt mit den Konservativen in Liverpool nicht zuzuspitzen - und das in dem für die britische Arbeiterbewegung so bedeutenden Moment, wo mit dem entschlossenen Bergarbeiterstreik die Entscheidungschlacht der britschen Arbeiterklasse mit der Thatcher-Regierung in vollem Gange war und das Vorantreiben des Kampfes in Liverpool ein wesentlicher Schritt in Richtung Generalstreik und Niederlage Thatchers gewesen wäre.

Objektiver Prozeß statt revolutionärem Subjekt

Anders als in Voran und Vorwärts in Deutschland und Österreich hatte Militant bedeutenden Einfluß auf eine Minderheit der Arbeiterklasse. Dadurch wurden die Konsequenzen seiner Politik viel sichtbarer als die seiner mitteleuropäischen Schwesterorganisationen. Aber was hat nun Grant und seine Mitstreiter dazu geführt, die Taktik des Entrismus so systematisch falsch anzuwenden?

Das ganze Schema des strategischen Entrismus stützt sich auf einen tieferliegenden methodischen Fehler. Grants Überzeugung, daß die Massen am Beginn jedes wichtigen Aufruhrs in die Sozialdemokratie strömen würden und daß es die Aufgabe von Marxisten wäre, um jeden Preis in der Partei zu bleiben, war integral mit seinem Verständnis der Entwicklung von Klassenbewußtsein verbunden.

Für Grant ist die Entwicklung von Klassenbewußtsein ein vorwiegend automatischer Prozeß, der von objektiven Entwicklungen selbst ausgeführt wird. Diese Sichtweise wird in Militants British Perspectives von 1979 sehr klar zusammengefaßt:

"In jedem Bereich (...) hat Mrs.Thatcher die Saat des Marxismus, die Saat der sozialistischen Revolution gesät. Der Boden ist bereitet für die Ideen des Marxismus. Das breite Bewußtsein der Massen hat sich geändert; wie der Marxismus immer erklärt hat, sind es die Bedingungen, die das Bewußtsein bestimmen. Angesichts all dieser Faktoren bewegt sich, wie Marx, Lenin und Trotzki erklärten, wegen des Prozesses des Kampfes selbst das Bewußtsein der breiten Massen in Richtung Sozialismus." (16)

Das ist eine einseitige Generalisierung. Der Marxismus lehrt, daß das gesellschaftliche Sein - die "Bedingungen", von denen Grant spricht - das Bewußtsein bestimmt. Aber diese Bestimmung passiert nicht in einer direkten, unvermittelten Weise.

Die objektive Situation - die entstehenden Widersprüche des kapitalistischen Weltsystems und der sich verschärfende Klassenkampf - bietet der Arbeiterklasse große Möglichkeiten; aber diese Möglichkeiten enden nicht automatisch in Fortschritten der Revolutionäre. Unter Bedingungen des Zusammenbruchs der sozialen Ordnung und des intensiven Klassenkampfes wird die Masse der Arbeiterklasse sich oft auf sozialistische Ideen zubewegen. Aber die Arbeiter werden das nicht notwendigerweise oder unvermeidlich tun.

Es können verschiedene Ideologien auftauchen und einen "Ausweg" anbieten, z.B. der Fundamentalismus im Iran, bürgerliche Demokratie und Nationalismus in Osteuropa. Im Gegensatz zu Grant erkannten sowohl Marx als auch Lenin und Trotzki, daß der Prozeß des Klassenkampfes allein unzureichend ist, um das Bewußtsein und die Aktionen der Arbeiter auf die Höhe ihrer historischen Aufgaben zu heben.

Solange keine revolutionäre Partei, gestützt auf wissenschaftliche sozialistische Prinzipien und mit tiefen Wurzeln in den Massen, in der Lage ist, den reformistischen Führern die Führung der Bewegung zu entreißen, werden solche Kämpfe in Niederlagen enden. Die objektiven Bedingungen schaffen das Terrain, auf dem die Arbeiterklasse kämpft. Die Partei schafft die Führung, die einen solchen Kampf zum Sieg führen kann.

Marx enthüllte, warum die Arbeiterklasse - trotz ihrer historischen Rolle als Totengräber des Kapitalismus - für die Ideologie des Reformismus empfänglich ist. Er verstand, warum die Arbeiterklasse oft bereit ist, auch außergewöhnlich harte, langwierige und gewaltsame Kämpfe auf das Ziel der Erreichung von "Gerechtigkeit" innerhalb des kapitalistischen Systems zu begrenzen. Er erklärte im Kapital, daß das ausbeuterische Wesen des Verhältnisses zwischen dem Arbeiter und dem Kapitalisten durch die angebliche Gleichheit zwischen den "Partnern" im Arbeitsprozeß verschleiert wird - der Unternehmer stellt das Kapital, die Werkzeuge etc. zur Verfügung, der Proletarier stellt die Arbeit zur Verfügung.

Es war kein Zufall, daß sich Arbeiterwiderstand zunächst in Form von Gewerkschaftskämpfen für bessere Bedingungen für den Verkauf der Arbeitskraft spontan entwickelte, daß aber revolutionäre kommunistische Ideen nicht spontan entstanden. Diese wurden von subjektiven, revolutionären sozialistischen Führern der entstehenden Arbeiterbewegung entwickelt, in einem Kampf mit den radikalsten Ideen der Bourgeoisie in den Sphären der Ökonomie, der Politik und der Philosophie. Deshalb erklärte Lenin: "Aber die spontane Entwicklung der Arbeiterbewegung führt eben zu ihrer Unterordnung unter die bürgerliche Ideologie (...), denn spontane Arbeiterbewegung ist Trade-Unionismus, ist Nur-Gewerkschaftlerei, Trade-Unionismus aber bedeutet eben ideologische Versklavung der Arbeiter durch die Bourgeoisie." (17)

Diese Ansichten haben bei Zentristen wie Grant immer Ärgernis erregt. Weit von Grants Ansicht entfernt, daß der Prozeß des Kampfes selbst das Bewußtsein der Massen entwickeln würde, bestand Lenin immer wieder darauf, daß Revolutionäre gegen die spontane Tendenz zur "ideologischen Versklavung der Arbeiter durch die Bourgeoisie" kämpfen und die Bewegung mit einem Verständnis für ihre historischen Aufgaben erfüllen müssen.

Anstelle der dialektischen Herangehensweise von Marx, Lenin und Trotzki führte Grant ein außergewöhnlich grobes Modell über die Entwicklung des Klassenbewußtseins der Arbeiter ein. Er prophezeite, daß mit der Ausdehnung und Verschärfung der kapitalistischen Krise die Labour Party als politischer Ausdruck des Kampfes der Arbeiter für Reformen schlicht dazu gezwungen wäre, sich immer weiter nach links zu bewegen. Der rechte Flügel des Reformismus würde durch die Widersprüche des Kapitalismus ausradiert werden. 1983, kurz vor dem Beginn von Kinnocks achtjährigem Marsch nach rechts, schrieb er im Militant-Perspektivdokument: "Die alte Labour-Rechte ist am Ende, weil sie - in einem historischen Sinn - ihre Rolle ausgespielt hat." (18)

Die Unfähigkeit des britischen Kapitalismus, echte Errungenschaften zu garantieren, wurde dahingehend interpretiert, daß die ganze Rolle der Rechten ausgeschöpft wäre. Aber die rechten Flügel von reformistischen Parteien (Labour, SPD, SPÖ) existieren nicht einfach, um in Perioden der kapitalistischen Expansion Reformen zu erreichen. Sie existieren, um die Arbeiterklasse zu disziplinieren, um ihren Kampf den Interessen der Kapitalisten unterzuordnen. Das "übersah" Grant in seiner Analyse.

Als die alte Rechte durch die neue Rechte unter Kinnock ersetzt wurde, konnte Grant nicht einschätzen, was passierte. Anstatt seine Unterstützer auf einen Kampf vorzubereiten, der sich zu einer Spaltung zuspitzen könnte, bestand er darauf, daß nicht schiefgehen werde, was nicht schiefgehen könne: "Die objektive Situation bewegt sich in Richtung Marxismus und die subjektive Situation ebenso (...) Wenn die Tories (die Wahlen ...) gewinnen, wird der Marxismus davon profitieren. Aber wenn Labour gewinnt, wird der Marxismus sogar noch mehr profitieren." (19)

Woher hatte Grant diese mechanische Sicht der Entwicklung des Klassenbewußtseins? Sie stammte vom Cheftheoretiker der zentristischen "Vierten Internationale" (20) in den Nachkriegsjahren, Michel Pablo.

Grant und Pablo

Ted Grant war ein Opfer der frühen bürokratischen Degeneration der Führung der Vierten Internationale, die in den 50er und 60er Jahren zu einer Reihe von Spaltungen führte. Grant wurde von Gerry Healy aus der britischen Sektion gedrängt und gründete die "Revolutionary Socialist League" (RSL). Nach der Abspaltung Healys von der internationalen Führung um Pablo 1953 hielt Grant die ganzen 50er Jahre hindurch eine unsichere Kooperation mit den Pablisten aufrecht. Erst 1964 (nach dem Sturz Pablos) brach Grant endgültig mit dem "Vereinigten Sekretariat der Vierten Internationale" (GIM/Inprekorr-VSP in Deutschland, GRM/SOAL in Österreich) - wegen der internationalen Order, von der Labour Party unabhängige Arbeit zu beginnen.

Es ist deshalb kein Zufall, daß die Politik Grants von Pablos versteinertem Zentrismus gekennzeichnet ist, auch wenn Grant Pablos Methode eine eigene zentristische Note hinzugefügt hat. Die Kernelemente von Pablos Position gründeten sich auf ein falsches Verständnis der objektiven Situation nach dem Krieg: nämlich, daß der Dritte Weltkrieg bevorstehe, daß dieser eine "Krieg-Revolution" sein würde, in der die stalinistischen Bürokratien unvermeidlicherweise eine revolutionäre Rolle spielen würden, und daß der unvermeidliche Sieg des stalinistischen Lagers die Menschheit zu "Jahrhunderten von deformierten Arbeiterstaaten" verdammen würde. Grant stand dieser Perspektive von Anfang an kritisch gegenüber - obwohl er Pablos taktische Schlußfolgerungen akzeptierte.

Pablo bestand darauf, daß die klassische trotzkistische Entrismustaktik nicht länger brauchbar war. In der Darlegung einer neuen Taktik - "Entrismus der besonderen Art" - machte Pablo klar, daß es weder das Ziel von Revolutionären sei, die reformistischen Massenparteien kurzfristig zu spalten noch daß sie für ein bestimmtes revolutionäres Programm kämpfen sollten, ja sie sollten nicht einmal (trotz des "kommenden Krieges") für ein internationales Programm kämpfen. Pablos Ausgangspunkt war, daß mit dem Beginn der Krise die reformistischen Massenparteien "ob sie wollen oder nicht, gezwungen sein werden, der Politik der ganzen oder zumindest eines Teils ihrer Führung eine Wende nach links zu geben" (21). Diese Linksentwicklungen seien "für alle sozialistischen Parteien" "ein unvermeidliches Phänomen".

Linksreformismus, den Pablo fälschlicherweise als Zentrismus beschrieb, wurde als unvermeidliche Etappe der Entwicklung eines revolutionären Massenbewußtseins betrachtet. Pablo schlußfolgerte: "Sicher ist, daß es zuerst notwendig sein wird, durch die Erfahrung der Durchdringung (des Linksreformismus, alias Zentrismus) zu gehen und ihm von innen zu helfen, sich zu seinen letzten Möglichkeiten und Konsequenzen zu entwickeln." (22)

Pablo erklärte offen, was das für die Anwendung der Entrismus-Taktik bedeutete: "Wir gehen nicht in diese Parteien, um bald wieder herauszukommen. Wir gehen hinein, um dort für eine lange Zeit zu bleiben. Wir setzen auf die großen Möglichkeiten, die darin bestehen, diese Parteien unter neuen Bedingungen zu sehen, die Entwicklung von zentristischen Tendenzen, die eine ganze Etappe der Radikalisierung der Massen und des objektiven revolutionären Prozesses in den entsprechenden Ländern anführen werden. (...) Jedes Manöver und jede Politik, die das Risiko eingeht, frühzeitig von der großen Masse dieser Parteien abgeschnitten zu werden, muß als falsch betrachtet werden (...) Die große Gefahr ist, zu schnell fortzuschreiten, die Bewegungen einer beschränkten Avantgarde fälschlicherweise für die Radikalisierung und Revolte der großen Masse zu halten." (23)

Das hatte nicht nur für die Taktik, sondern auch für das Programm Auswirkungen: "(Unsere) Plattform kann mit folgender Formel zusammengefaßt werden: Für eine Alleinregierung der Sozialistischen Partei, um eine sozialistische Politik umzusetzen." (24)Obwohl Pablos ganze Voraussage davon ausging, daß der Krieg zwischen dem Westen und der UdSSR unmittelbar bevorstehe, wies er die entrierenden Sektionen der Vierten Internationale an, marxistische Kernpositionen zum kommenden Krieg nicht ins Zentrum ihrer Agitation zu stellen. Anstatt "Verteidigung der UdSSR!" schrieb er: "unsere Plattform zu internationalen Fragen muß wie folgt zusammengefaßt werden: Laßt uns für ein sozialistisches England, für ein sozialistisches Deutschland etc. kämpfen." (25)

Pablos Begründung für diesen systematischen Opportunismus war, daß das Vorwärtsbewegen der Massen auch nur um einzelne Schritte eine Aufgabe wäre, "der die allgemeine Propaganda untergeordnet werden muß". Die Bewegung wurde alles, das Ziel nichts. Die Folgen dieser Politik waren gerade in Deutschland und Österreich drastisch. In Österreich entrierten die "Trotzkisten" besonders tief in die SPÖ - bis zur politischen Unkenntlichkeit und dem Verschwinden der Sektion. In Deutschland "verschliefen" diejenigen, die Pablos Rat gefolgt waren, in der SPD die Radikalisierung der Jugendlichen und Studenten Ende der 60er Jahre und verpaßten wesentliche Möglichkeiten zum Organisationsaufbau, während die Mao-Stalinisten massiv rekrutierten.

Insgesamt führte Pablo ein politisches Schema ein, in dem die Krise unvermeidlich zu einer Linkswende der reformistischen Führer führe; die Massen nähmen - als unvermeidliche Etappe - ein zentristisches Programm und eine zentristische Führung an; die Trotzkisten müssten diesen Prozeß "entwickeln" und das Übergangsprogramm nicht auf das strategische Ziel der Sowjetmacht, sondern das einer Labour/SPD/SPÖ-Regierung, die sich sozialistischer Politik verpflichtet, zuschneiden; der revolutionäre Defätismus sei hinter einem national ausgerichteten Programm zu verstecken.Der Kern dieser zentristischen Herangehensweise wurde von Grant pauschal übernommen.

Grants "Übergangsprogramm"

Wir haben gesehen, wie Grant Trotzkis Herangehensweise an den Entrismus ablehnte und stattdessen die Vorstellung annahm, um jeden Preis in den Massenparteien zu bleiben. Wir haben auch gesehen, daß Grant gegenüber Healys Aufgabe eines unabhängigen Programms sehr kritisch war.

Militant, Voran und Vorwärts präsentierten während der ganzen Jahre und Jahrzehnte in der Labour Party beziehungsweise der Sozialdemokratie ihre eigenen Programme. Sie identifizierten sich selbst klar mit bestimmten zentralen Forderungen wie zum Beispiel "Verstaatlichung der größten Konzerne, Banken und Versicherungen unter demokratischer Arbeiterkontrolle" (26).

Aber während Grant die Annahme eines gemeinsamen Programms mit linken Reformisten vermied, hat er sich nichtsdestotrotz auf einen systematischen programmatischen Kompromiß mit dem Reformismus und dem existierenden Bewußtsein der Massen eingelassen. Das CWI scheute sich zwar nicht, ein eigenes Programm aufzustellen, aber es modifizierte das Programm derart, daß es einen Kompromiß zwischen Marxismus und Reformismus verkörperte.

Das Programm des CWI, in zahllosen "Where We Stand"-, "Dafür kämpft Voran"-, "Dafür kämpft Vorwärts" und "Was wir wollen"-Dokumenten wiederholt, war nichts anderes als eine Liste von Forderungen an die Labour Party beziehungsweise die SPD oder SPÖ. Der zentrale Slogan war - in Großbritannien für fast 40 Jahre, in Deutschland für 20 und in Österreich für 10 - (hier in der Voran-Fassung): "Für eine SPD-Alleinregierung auf der Grundlage eines sozialistischen Programms!".

Was bei Pablos Skizze eines Programms für den "Entrismus der besonderen Art" bemerkenswert ist, ist das Fehlen der revolutionären Haupttriebfeder der Methode des Übergangsprogramms. Trotzkis Übergangsprogramm von 1938 war eine Reihe von Forderungen, um die Massen von ihren täglichen Kämpfen gegen Ausbeutung und Unterdrückung zum Kampf um die Macht zu führen. (27) Ausgehend von den Taktiken und Methoden des Kampfes, die notwendig sind, um auch nur die allerpartiellsten Forderungen voranzubringen, führt es zu der Frage der Räte, der Arbeitermilizen und der Arbeiterkontrolle über die Produktion. Während es Trotzki niemals ausschloß, irgendwelche der Forderungen des Programms als Forderungen an reformistische Führer zu richten, war das Programm niemals nur oder hauptsächlich zu diesem Zweck gedacht. Es war als Leitfaden für die Aktionen von Millionen Arbeiter gedacht, nicht nur für den Kampf, den Konferenzen reformistischer Parteien durch Resolutionen "marxistische Politik" anzudrehen.

Sowohl Pablo als auch Grant verwandelten das Programm genau in eine solche Reihe von Forderungen an reformistische Parteien. Aber in diesem Prozeß waren sie gezwungen, die krönenden Punkte des Übergangsprogramms - Räte und Arbeitermilizen - zu kappen. Ebenso gaben Pablo und Grant den praktischen Kampf dafür auf, daß die Arbeiter die ersten Schritte unternehmen, um diese Forderungen umzusetzen - durch Versuche, embryonale Arbeiterverteidigungsorganisationen, Fabrik- und Aktionskomitees u.ä. in konkreten Kämpfen zu bilden.

Das wurde von Grant als notwendige Anpassung des Programms an das Bewußtsein der Massen erklärt, wie es eben unter den nichtrevolutionären Bedingungen im Westen existierte. Anstatt den Kampfmethoden und -zielen der Reformisten revolutionäre gegenüberzustellen, wurde das Übergangsprogramm als Mittel verstanden, jene "schwierigen" Fragen zu verschleiern, die das existierende reformistische Bewußtsein der Arbeiter nicht zu akzeptieren bereit war.

Das ist ein völliges Mißverständnis der Methode von Trotzkis Programm. Trotzki erklärte einem amerikanischen Publikum in einem Kommentar zum Programm, daß die US-Arbeiter kein hohes Niveau an politischem Bewußtsein erlangt hätten:

"Was kann eine revolutionäre Partei in dieser Situation tun? In erster Linie ein klares, aufrichtiges Bild der objektiven Lage geben, der historischen Aufgaben, die dieser Lage entspringen, unabhängig davon, ob die Arbeiter heute reif dafür sind oder nicht. Unsere Aufgaben hängen nicht von der Mentalität der Arbeiter ab. Die Aufgabe ist, die Mentalität der Arbeiter zu entwickeln. Einige werden sagen: Gut, das Programm ist ein wissenschaftliches Programm; es entspricht der objektiven Lage, aber wenn die Arbeiter dieses Programm nicht akzeptieren werden, wird es steril sein. Möglich. Aber das zeigt nur an, daß die Arbeiter zermalmt werden, weil die Krise auf keine andere Weise als durch die sozialistische Revolution gelöst werden kann. Wenn der amerikanische Arbeiter das Programm nicht rechtzeitig akzeptiert, wird er gezwungen werden, das Programm des Faschismus zu akzeptieren." (28)

Trotzki beharrt darauf, daß das Bewußtsein der Massen geändert werden kann, allerdings nur unter der Bedingung, daß die Revolutionäre ihr Programm nicht an die existierenden Vorurteile und die politische Rückständigkeit der Massen anpassen: "Deshalb sind all die Argumente falsch, daß wir nicht so ein Programm vorlegen können, weil das Programm nicht der Mentalität der Arbeiter entspricht. (...) Das Bewußtsein des Proletariats ist rückständig, aber Bewußtsein ist nicht von der gleichen Art wie Fabriken, Gruben, Eisenbahnen; es ist beweglicher, und unter den Schlägen der objektiven Krise, den Millionen von Arbeitslosen, kann es sich rasch ändern." (29)

Die CWI-Version des "Übergangsprogramms" wurde systematisch an reformistische Ideen angepaßt. In jedem Bereich - von der Arbeiterkontrolle über die Produktion bis zu den Fragen des Krieges, des Staates und der Regierung - veränderten die CWI-Führer Trotzkis Übergangsforderungen mit dem Ziel, den Unterschied zwischen Reform und Revolution zu verwischen.

Staat und "SPD-Alleinregierung"

Pablo erwartete - zumindest anfänglich - eine Form von revolutionärem Kampf, einen internationalen revolutionären Krieg. Grant, dessen Unterstützung für den Entrismus aus dem Fehlen solcher Kämpfe herrührte, mußte die programmatische Anpassung theoretisch konsequent machen. So entwickelte er seinen angeblichen Hauptbeitrag zum Marxismus: die Vorstellung, daß (explizit zumindest für Großbritannien) der Weg zum Sozialismus friedlich sein könne, wenn nur die Arbeiterklasse wachsam und zur Verteidigung einer sozialistischen Labour Regierung ausreichend mobilisiert sei.

Während Voran und Vorwärts für Deutschland und Österreich diesen friedlichen Weg zum Sozialismus nie so deutlich ausgesprochen haben wie ihre britische Schwesterorganisation, war ihre tagtägliche Propaganda dennoch ebenso vom Fehlen jedes Eintretens für die Perspektive einer gewaltsamen Revolution, für den bewaffneten Aufstand etc. geprägt. Militant sprach die Konsequenz offen aus. In der 1985er-Fassung seines "Where We Stand" stellt Militant im Abschnitt "Peaceful Transformation" (friedliche Umwandlung) fest:

"All die Intrigen und Verschwörungen der Kapitalisten können auf der Basis einer kühnen sozialistischen Politik, die von der Massenmobilisierung der Arbeiterbewegung unterstützt wird, nichtig werden. In Großbritannien ist eine völlig friedliche Umwandlung der Gesellschaft möglich, aber nur, wenn die ganze Kraft der Arbeiterbewegung kühn dazu verwendet wird, um die Veränderung zu bewirken." (30)

Diese theoretische Revision des Marxismus, gestützt auf einige Pseudoargumente, wurde zum programmatischen Vermächtnis des CWI. Es erlaubte Militant, aber auch Voran und Vorwärts, sich als etwas linkere Ausgabe des Linksreformismus zu verkleiden, die sich nur durch ihre Verpflichtung auf eine undefinierte "Massenmobilisierung" abhob. Eine umfassendere Behandlung dieser Frage, die sich mit den gewundenen Rechtfertigungen der CWI-Führung für diese reformistische Utopie auseinandersetzt, wurde bereits in einer früheren Ausgabe von "Revolutionärer Marxismus" präsentiert. (31)

In der Regierungsfrage drückte sich die Anpassung des CWI z.B. in Bezug auf Österreich durch einen Slogan aus, der direkt von Pablo stammte: "Für eine SPÖ-Alleinregierung auf sozialistischem Programm!" Das entstand als opportunistische Auslegung des Slogan der Komintern für eine "Arbeiterregierung".

Die Komintern erkannte, daß es unter allen Bedingungen für Kommunisten notwendig wäre, gegen den Betrug der bürgerlichen Parlamente Propaganda zu machen - und für eine Regierung, die sich auf demokratische Arbeiterräte und eine Arbeitermiliz stützt. Aber sie gab sich damit allein nicht zufrieden. Sie erkannte auch, daß es unter bestimmten Bedingungen, nämlich in zugespitzten revolutionären Situationen, für Kommunisten notwendig sein kann, von einer reformistischen Regierung zu fordern, daß sie mit der Kapitalistenklasse bricht und eine Regierung bildet, die den kämpfenden Arbeiterorganisationen verpflichtet ist.

Reformistische Parteien an der Macht etablieren sich als kapitalistische Regierungen. Die ganze historische Erfahrung beweist das. Aber dort, wo sie in einer revolutionären Krise beanspruchen, die Arbeiter zu repräsentieren, kann die Forderung nach einer Arbeiterregierung als ein Aufruf an sie benutzt werden, um: "das Proletariat zu bewaffnen, um die Bourgeoisie und konterrevolutionäre Organisationen zu entwaffnen, um die Kontrolle der Produktion einzuführen, um die Steuerlast auf die Reichen zu transferieren, und um den Widerstand der konterrevolutionären Bourgeoisie zu brechen.

Solch eine Arbeiterregierung ist nur möglich, wenn sie aus dem Kampf der Massen entstanden ist, wenn sie von Arbeiterorganisationen unterstützt wird, die zum Kämpfen in der Lage sind, Organisationen, die von den unterdrücktesten Teilen der arbeitenden Massen geschaffen wurden." (32)

Die Forderung nach einer "SPD-Alleinregierung auf der Grundlage eines sozialistischen Programms" ist unter den gegenwärtigen Bedingungen doppelt falsch. Erstens hat die Sozialdemokratie kein sozialistisches Programm. Und das wird sich trotz des langjährigen Vörwärts-Standardslogans "SPÖ wählen! SPÖ verändern!" nicht ändern. Reformistische, bürokratisierte Parteien wie die SPD oder die SPÖ können nicht qualitativ "verändert" werden. Es können nur unter bestimmten Bedingungen Teile davon abgespalten und für revolutionäre Politik gewonnen werden. Das hat dann freilich wenig mit Umwandlung/Veränderung dieser Parteien zu tun oder gar mit der Rückkehr zu den von Voran und Vorwärts immer wieder beschworenen "sozialistischen Traditionen" dieser Parteien, die in Wirklichkeit seit vielen Jahrzehnten systematischen Klassenverrat betreiben. Gerade die deutsche und österreichische Sozialdemokratie ist nicht nur der deutschen und der österreichischen Revolution 1918/19 in den Rücken gefallen (Stichwort: Noske bzw Bauer), sondern hat auch in beiden Ländern den Weg in die Niederlage gegen den Faschismus geebnet. Eine revolutionäre Abspaltung ist ein grundlegender Bruch mit der Sozialdemokratie und ihren Traditionen. (33)

Zweitens existiert keine (vor)revolutionäre Situation, keine Räte und Milizen oder zumindest Ansätze davon, die eine alternative Machtbasis für die Arbeiterregierung werden könnten.

Die Herangehensweise von Pablo/Grant ist keine Anwendung der Taktik der Arbeiterregierung, die dazu gedacht ist, den bürgerlichen Charakter der reformistischen Regierung zu enthüllen und die Massen für den Kampf für die Macht der Arbeiterklasse zu mobilisieren. Stattdessen vermischt diese Herangehensweise systematisch die bürgerlichen sozialdemokratischen Regierungen (in Österreich gab es immerhin 13 Jahre SPÖ-Alleinregierung) mit Arbeiterregierungen.

Es ist richtig, daß Revolutionäre bei Wahlen an den Illusionen des klassenbewußteren Teils der Arbeiterklasse ansetzen und für eine Rückkehr der Sozialdemokratie an die Macht eintreten. Sie werden auch die Forderung an sie richten, im Interesse der Massen zu handeln, diese Forderung allerdings mit einer harten Kritik an der Politik der Sozialdemokratie verbinden und ihren Klassencharakters als bürgerliche Arbeiterpartei sowie ihre prinzipielle Untauglichkeit für sozialistische Politik offen aussprechen(34). Hier geht es darum, die Erwartungen der sozialdemokratischen Wähler mit der enttäuschenden realität zu konfrontieren. Die Vorstellung zu bestärken, daß eine sozialdemokratische Regierung irgendetwas anderes wäre als eine Regierung im Dienste der Kapitalisten - solange sie nicht den bürgerlichen Staat entwaffnet und die Macht an Arbeiterräte überträgt - ist allerdings eine massive Anpassung an den Reformismus.

Auswirkungen der Anpassung

Die Anpassung des CWI an den Reformismus in der Frage der Regierungslosung wirkt sich auf den Rest des Programms aus. Sogar die Forderung nach Arbeiterkontrolle wurde von Voran & Co. ihrer revolutionären Triebfeder beraubt, indem sie als linke Version der Arbeitermitbestimmung dargestellt wird - unter der Formel: "Wir fordern die weitgehende Verstaatlichung aller großen Industrien und Banken Österreichs. Verwaltung und Kontrolle der Verstaatlichten sollen Belegschaftsvertreter, Gewerkschaften und Vertreter des Staates zu gleichen Teilen übernehmen!" (35) "Demokratische Arbeiterverwaltung in staatlichen Betrieben, Konzernen oder Branchen, die wie folgt aussehen könnte: • Ein Drittel Delegierte der jeweiligen Belegschaft, um deren Interessen zur Geltung zu bringen! • Ein Drittel Delegierte des DGB, um die Interessen der gesamten Arbeiterklasse zu berücksichtigen! • Ein Drittel Vertreter des Staates, wegen der Koordinierung mit der staatlichen Rahmenplanung." (36)

Als Übergangsforderung sollte der Aufruf für Arbeiterkontrolle an die Bildung von Komitees auf Fabrikebene gerichtet sein, um in der ersten Phase ein Veto der Arbeiter gegen Entscheidungen des Managements auszuüben, um die unabhängige Organisation und Aktivität der Arbeiterklasse zu entwickeln und das Entstehen der "Doppelmacht in der Fabrik" (Trotzki) voranzutreiben.

Bei Voran & Co. wird die nicht ganz unwichtige Frage, ob der Staat, dem da ein Drittel der Entscheidungsgewalt zugesprochen wird, ein kapitalistischer oder ein proletarischer sein soll, schlicht ignoriert. Das gleiche gilt dafür, daß betriebliche Doppelmacht, d.h. daß die Unternehmer in ihren Fabriken nicht mehr das Sagen haben, entweder zerschlagen oder auf die ganze Gesellschaft ausgeweitet werden muß. Gesellschaftliche Doppelmacht wiederum bedeutet aber, daß eine Entscheidungsschlacht mit der Bourgeoisie und ihrem Staat bevorsteht - wofür die Arbeiterklasse aber eben Räte und Milizen und eine revolutionäre Partei (und nicht eine etwas aufgepäppelte SPD oder SPÖ) braucht. Von all dem will Voran klarerweise nichts hören. Vorans Entstellung dieser zentralen Forderung ist ein gutes Beispiel für die Auswirkung der Zurechtschneiderung von Übergangsforderungen auf die "SPD-Alleinregierungs"-Strategie. Es soll der Eindruck vermittelt werden, daß die deutsche (österreichische, ...) Arbeiterklasse entscheidende Schritte - nicht nur am Weg zur Macht, sondern zur Erreichung des Sozialismus - unternehmen und dabei ihre reformistischen Institutionen intakt lassen könnte.

Eine andere wichtige Auswirkung der Anpassung des CWI an den Reformismus betrifft die Frage des Krieges. Als der britische Imperialismus 1982 in den Krieg mit Argentinien um die Malvinas zog, nahm Militant eine völlig sozialchauvinistische Position ein. Militant lehnte die Forderung nach Rückzug der britischen Truppen aus dem Südatlantik mit dem seltsamen Argument ab, daß das "unpraktikabel" und eine "pazifistische Geste" sei. Militant schrieb: "Marxisten müssen erklären, daß das Händeringen und fromme Deklamieren a la 'Bringt die Flotte zurück' nichts ändern können." (37)

Militants Aktivität während dieses imperialistischen Abenteuers - ein Abenteuer, das für die Vorbereitung der Labour-Niederlage von 1983 entscheidend war und bedeutend zur Umkehrung der Fortschritte im Klassenbewußtsein der Arbeiter beitrug - war kaum mehr als Propaganda. Die Militant-Unterstützer waren auf keiner der wichtigen Demonstrationen gegen die Intervention anwesend.

Militant verstand nicht den wirklichen Charakter des Konfliktes als einen zwischen einem halbkolonialen Land und einer imperialistischen Macht, die ihre Ansprüche im Südatlantik und in Lateinamerika verteidigte. Militant fiel daher auf die imperialistische Propaganda hinein und entschied, daß das wirkliche Problem die diktatorische Natur des argentinischen Regimes sei. Voran hielt sich dabei noch relativ bedeckt und nahm - auch wenn es sich übermäßig ausführlich um die Rechte der Falkländer sorgte und während des Krieges für einen (reaktionären) gewerkschaftlichen Handelsboykott gegen Argentinien eintrat - eine mehr oder weniger neutrale Haltung ein: "Nein zum Krieg zwischen Argentinien und Großbritannien!" (38) Grant hingegen erklärte, daß der Krieg gegen Argentinien deshalb falsch sei, weil er nicht von einer "sozialistischen" Regierung geführt würde:

"Wenn notwendig, werden die britischen Arbeiter und die Marxisten in der Lage sein, einen Krieg gegen Argentinien zu führen, um den argentinischen Arbeitern zu helfen, die Macht in ihre eigenen Hände zu nehmen. Aber nur ein demokratisches sozialistisches Großbritannien hätte reine Hände." (39) Und "Militant International Review" sprach schließlich die Logik davon aus: "Eine Labour-Regierung könnte die Falkländer nicht einfach abschreiben und Galtieri damit durchkommen lassen. Sondern sie würde den Krieg nach sozialistischen Linien fortsetzen." (40)

Nach Militant war nur ein Wechsel der Regierung notwendig, um ein laufendes imperialistisches Abenteuer zu unterstützen. Die ganze "Theorie" war die logische Folge einer systematischen Anpassung an das existierende Bewußtsein der Massen und der bewußten Verwechslung einer Labour-Regierung mit einer Arbeiterregierung. Das Ergebnis war gleichbedeutend mit Klassenverrat.

Warum haben sich Militant & Co. gespalten?

Der Bruch Militants mit der Labour Party - und in der Folge die entsprechende Entwicklung von Voran und Vorwärts - war nicht das Ergebnis irgendeiner ernsthaften nochmaligen Untersuchung von Grants Theorie und der programmatischen Konsequenzen, die oben aufgezeigt wurden. Es ist vielmehr eine empirische Antwort auf die veränderten Bedingungen des britischen Klassenkampfes in den 80er Jahren. Als der Lauf der Geschichte die Strategie des allgemeinen Entrismus entkräftete - nicht im Abstrakten, sondern als praktische Politik, von der nicht länger erwartet werden konnte, daß sie in der unmittelbaren Zukunft Rekruten abwirft - hat Militant sie aufgegeben.

Aber Militant, Voran und Vorwärts haben nicht die opportunistische Methode aufgegeben, die im Zentrum von Grants Politik stand. Wir werden das sehen, wenn wir uns ihre Anpassung an die Ideologien ansehen, die den Linksreformismus in den letzten fünf Jahren für tausende Jugendliche ersetzt oder ergänzt haben.

Zuerst ist es freilich notwendig, die Spaltung von Militant 1991 und des CWI zu erklären. Grants Schema für die Umwandlung der Labour Party und der diversen Sozialdemokratien nahm an, daß die Arbeiterklasse mit ihren bestehenden reformistischen Institutionen bedeutende Schritte zum Sozialismus machen könne. Die 80er Jahre fegten dieses Schema vom Tisch - besonders in Großbritannien. Das wichtigste Ereignis war die Niederlage des Bergarbeiterstreiks von 1984/85. Die Niederlage der Bergleute entfesselte zwei miteinander verbundene Prozesse:

• eine rasche Rechtsverschiebung der Labour-Führung, die alle Erfolge der Linken aus den frühen 80er Jahren umkehrte und die Basisstrukturen der Partei als Arbeitsfelder für jede Form von effektivem Entrismus schrittweise zerstörte.

• ein stetiger Niedergang der Dichte und Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder und ein damit einhergehender Niedergang der Bedeutung der Gewerkschaften sowie der Rolle und Militanz der shop stewards als einer bestimmten Schicht von Aktivisten in der Industrie.

Durch den Sieg ermutigt, machte Thatcher eine schwere Fehlkalkulation. Sie ging zu einer Offensive gegen die gesamte Arbeiterklasse über. Die Poll Tax (Kopfsteuer, ein reaktionäres Steuersystem) war eine Attacke, die alle Arbeiter und bedeutende Sektoren der Mittelklasse betraf.

So ging die Rechtsentwicklung der Labour Party, der Niedergang der reformistischen Linken und der Rückgang des Selbstbewußtseins und der Militanz der Gewerkschaften mit einer Massenradikalisierung und einer Welle der Empörung gegen die Poll Tax einher. Angesichts einer offiziellen Arbeiterbewegung, die nicht darauf vorbereitet war, die Führung zu übernehmen, eröffnete sich für die radikale Linke eine einzigartige Möglichkeit, das Vakuum zu füllen. Militant, 1989 weit stärker als die andere große britische linke Gruppe, die ebenfalls "trotzkistische" "Socialist Workers Party" (SWP), ergriff die Gelegenheit. Aber statt der Gruppe zu ermöglichen, von diesem Vorteil zu profitieren, sollte der Widerspruch zwischen der objektiven Situation und den Zwängen von Grants Schema alles zunichte machen.

Im März 1990 stand Militant mit einer energischen Kampagne, die sich landesweit an die riesigen Arbeiterviertel gerichtet hatte, an der Spitze einer Massenbewegung von bis zu acht Millionen Menschen, die sich weigerten, die Kopfsteuer zu zahlen. Obwohl die Bewegung von den Labour- und Gewerkschaftsführern einhellig verdammt wurde und sie nur die halbherzige Unterstützung der Labour-Linken und der Stalinisten hatte, war sie in der Lage, in jedem wichtigen Ort eine Anti-Poll-Tax-Vereinigung zu organisieren. Sie mobilisierte 250.000 Menschen für eine Demonstration im Zentrum von London am 31.März 1990.

Auf lokaler Ebene war die Anti-Poll-Tax-Bewegung in erster Linie in den Wohnvierteln verankert und weniger durch Komitees an Arbeitsplätzen. Das ermöglichte der Linken und besonders Militant, tiefer in das Gefüge des Lebens und der Kämpfe der Arbeiterklasse einzudringen als jemals zuvor seit dem Bergarbeiterstreik.

Zwei Punkte der Politik Militants waren hauptsächlich dafür verantwortlich, daß diese Möglichkeit, eine revolutionäre Partei mit echten Wurzeln in den Massen und mit bedeutendem Einfluß auf das politische Leben des Landes aufzubauen, völlig verschwendet wurde. Der erste war der "allgemeine Entrismus". Da sich die Labour Party gegen jeden aktiven Widerstand gegen die Poll Tax stellte, spiegelte sich der Massenzorn in Schottland, wo die Steuer ein Jahr früher eingeführt wurde als in England und Wales, in einem Anwachsen der Unterstützung für die "Scottish National Party" (SNP), in dem Aufstieg einer pseudosozialistischen Führung in der SNP und einigen bemerkenswerten Nachwahlerfolgen der SNP über Labour.

Im wesentlichen zeigten die neuen Schichten von Aktivisten, die in der Bewegung entstanden, keinerlei Neigung, in die Labour Party zu gehen. Labour war zusätzlich eifrig bemüht, das zu verhindern. Selbst wo es Bemühungen gab, wie zum Beispiel der Versuch, daß 500 Anti-Poll-Tax-Aktivisten kollektiv in die Labour Party in Pollock eintreten, lehnte das die Labour-Führung ab. Doch blieben solche Bemühungen Ausnahmen.

Die Vorstellung, daß sich die Massen "notwendigerweise auf die reformistische Massenpartei zubewegen", war einfach unhaltbar. Die unvermeidliche Schlußfolgerung war, für eine neue, unabhängige, kämpfende Arbeiterpartei aufzurufen. Aber Militant verpaßte den Zug.

Es war die größte unabhängige Gruppierung, die SWP, die bezüglich Rekrutierung am meisten profitierte, trotz ihres anfänglichen Schnitzers, die Zahlungsverweigungsstrategie völlig abzulehnen. Mitansehen zu müssen, daß die Rivalen der SNP und der SWP dort ernteten, wo Militant gesäht hatte, war einfach zuviel, besonders für jene schottischen Ortsgruppen, die in ihrer Kampagne gegen die Steuer ein starkes Profil gewonnen hatten. Die Resolution der Militant-Mehrheit über Schottland hob hervor:

"Wenn die SNP oder die SWP diese Massenbewegung geführt hätten, hätten sie jede Möglichkeit ausgenutzt, die Zahlungsverweigerer zu drängen, ihre Partei zu unterstützen (...) Durch das Fehlen einer erkennbaren marxistischen Organisation blieben wir in einer ärgerlichen Position zurück. Obwohl wir in den letzten drei Jahren zumindest in bestimmten Bereichen wichtige Erfolge hatten, wurden manche dieser Erfolge annulliert, teilweise als Ergebnis der komplizierten nationalen und internationalen Situation. Außerdem sind die Erfolge, die wir gemacht haben, nichts verglichen mit den potentiellen Erfolgen, die auf der Grundlage eines offenen Banners erreicht hätten werden können." (41)

Der zweite Punkt war ein Ergebnis der Anpassung Militants an den reformistischen Pazifismus des Labour-Milieus. Bei der Anti-Poll-Tax-Demonstration vom 31.März 1990 diskreditierte sich Militant in den Augen von Tausenden der entschlossensten jungen Aktivisten. Die Polizei führte einen üblen Überfall auf die Massendemonstration durch - einen Überfall, dem von tausenden Arbeiterjugendlichen resolut und erfolgreich entgegengetreten wurde. Die unmittelbare Antwort der Militant-Ordner war, die Demonstration ihrem eigenen Schicksal zu überlassen, um so der Verantwortung für den darauf folgenden "Aufruhr" zu entkommen. Nach der Demonstration verdammten führende Vertreter der landesweiten Föderation der Anti-Poll-Tax-Vereinigungen die Demonstranten mit Ausdrücken, die direkt die Linie der rechten Medien widerspiegelten. Tommy Sheridan, der zentrale nationale Sprecher der Föderation, ging sogar so weit zu erklären, daß die Föderation Nachforschungen anstellen würde, wer hinter dem kämpferischen Widerstand gestanden hatte, und daß "Namen genannt" werden würden. Obwohl Militant-Unterstützer hinterher versuchten, das als einen isolierten Fehler zu erklären, hat sich Militant niemals öffentlich von diesem Statement distanziert.

Natürlich war das kein isolierter Einschätzungsfehler. Wenn das Programm von Militant in der Frage der Notwendigkeit von proletarischer Gewalt gegen den repressiven Apparat des bürgerlichen Staates nicht so zweideutig wäre, wenn Militant nicht versucht hätte, den Unterschied zwischen der Utopie einer friedlichen Reform und der Notwendigkeit einer gewaltsamen Revolution zu verwischen, dann wäre Sheridans schändliche Erklärung auf eine offene Ablehnung von Militants Programm hinausgelaufen.

Für eine solche Tat hätte er aus Militant ausgeschlossen oder zumindest aus dem Scheinwerferlicht entfernt werden müssen. Stattdessen ist er in der Organisation weiter aufgestiegen und wurde zur Gallionsfigur und zum Führer von Militants massiver Wahlkampagne in Schottland.

Von diesem Zeitpunkt an betrachteten zehntausende Jugendliche, besonders die wachsende Zahl, die vom Anarchismus und Anarchosyndikalismus beeinflußt ist, Militant mit nichts anderem als Verachtung. Das Debakel war ein direktes Ergebnis von Militants Konzessionen an den Reformismus in der Frage des Staates.

Die Unfähigkeit von Militant, aus seiner Kampagne gegen die Poll-Tax umfassend zu rekrutieren, war zweifellos die Hauptursache, die die Führung dazu bewegte, nach neuen Taktiken zu suchen. Aber selbst zu diesem Zeitpunkt entstand der Anstoß zu einer radikalen Abkehr vom allgemeinen Entrismus nicht innerhalb Militants, sondern kam von außen. Eine Schicht von linksreformistischen Aktivisten der Labour Party in Liverpool hatte vom Klima der Hexenjagd gegen Linke in der Partei genug und stellte im Mai 1991 bei Lokalwahlen Kandidaten gegen die von der offiziellen Labour Party nominierten auf. Sie siegten in fünf Bezirken und zeigten damit, daß eine solche Politik Erfolg haben konnte.

Militant war anfänglich vorsichtig, sah aber bald die Möglichkeit, in seiner ehemaligen Hochburg wieder Einfluß zu gewinnen. Im Bezirk Walton setzte die Parteiführung den rechten Kandidaten Peter Kilfoyle gegen den Willen der Basis ein. In einem plötzlichen Bruch mit 40 Jahren allgemeinem Entrismus stellte Militant Lesley Mahmood als "wirkliche Labour-Kandidatin" auf und führte eine intensive Kampagne sowohl gegen die Liberalen als auch gegen Kinnocks rechte Labour Party.

Obwohl diese Kampagne nicht erfolgreich war, bedeutete sie einen Wendepunkt. Als Antwort warf die Labour-Führung die Militant-Parlamentarier Dave Nellist und Terry Fields hinaus. Das brachte Militant dazu, diese beiden als "wirkliche Labour-Kandidaten" in den allgemeinen Wahlen vom April 1992 aufzustellen und Tommy Sheridan als einen "Scottish Militant Labour"-Kandidaten in Pollock ins Rennen zu schicken. Gegen diese Taktik organisierte Grant schließlich eine Fraktion, die im Jänner 1992 aus der Organisation gejagt wurde.

Militant Labour - ein Bruch mit Grants Methode?

Die Aufstellung von Militant-Kandidaten gegen die Kandidaten der Labour-Führung war der Ausgangspunkt für die Wende des CWI. Zuerst gründete Militant in Schottland, dann in ganz Großbritannien eine offene unabhängige Organisation. In Deutschland und Österreich folgte eine stärkere Orientierung auf unabhängige Arbeit. Aber bedeutete diese Wende einen Bruch mit der politischen Methode Grants? Offensichtlich schlachtete Militant mit dem Bruch mit dem allgemeinen Entrismus eine seiner heiligsten Kühe. Aber in doppelter Hinsicht - taktisch und programmatisch - gibt es eine Kontinuität der Methode.

Auf der taktischen Ebene hat die Bildung einer offenen Organisation unter weit weniger günstigen Bedingungen stattgefunden als bei verschiedenen Gelegenheiten in den 80er Jahren. Schon seit Jahren war die Mitgliedschaft der Labour Party gesunken, weil Aktivisten, die über Kinnocks Inaktivität zur Poll Tax und seine Unterstützung für den Golfkrieg angeekelt waren, die Partei verließen. Die SWP sprach hunderte neue Rekruten aus früheren Labour-Mitgliedern an. Demgegenüber nahm Militant bei seiner Wende weg von Labour so gut wie keine Kräfte mit.

Während die Militant-Führung 1985 Hattons Vorschlag, sich mit bis zu 10.000 Mitgliedern der Liverpooler Labour Party abzuspalten, abgelehnt hatte, war das Ergebnis, als die Spaltung schließlich kam, mitleidserregend. Nichtsdestotrotz hat es Militant unterlassen, eine ehrliche Bilanz oder Erklärung darüber abzugeben. Von der Mehrheit wurden keine Fehler zugegeben. Im Gegenteil, Militant versuchte, an der Befolgung von Grants Schema festzuhalten, und behauptete, die Wende sei lediglich ein "Abstecher, durch den wir unsere Kräfte stärken können, die in der Zukunft die Umwandlung der Labour Party und der Gewerkschaften anführen werden."

Auf der programmatischen Ebene führte der Bruch mit den Organisationstrukturen der Labour Party nicht zu einer Revision von Militants unaufrichtiger Vermischung von Marxismus und Reformismus. Das war in der Wahlplattform der neuen unabhängigen Kandidaten sofort sichtbar. Mahmoods Kampagne war ein Paradebeispiel. Anstatt die Möglichkeit zu ergreifen, breite Propaganda für die sozialistische Revolution und die Notwendigkeit einer neuen Partei zu machen, sprach Militants "Real Labour"-Kampagne von der Notwendigkeit, die Labour Party zu ihrer (mythischen) sozialistischen Vergangenheit zurückzuführen.

Militant befürwortete trotz seines formalen Bruchs mit den Strukturen der Labour Party weiterhin den parlamentarischen Weg zum Sozialismus. Außerdem hat Militant in entscheidender Hinsicht die Trennung zwischen "Politik" und "Gewerkschafterei" eingehalten, die es linken Reformisten immer erlaubt hat, von Kritik an der Rolle der Gewerkschaftsbürokratie Abstand zu nehmen. Gleichzeitig mit Mahmoods Kampagne fanden massive Attacken auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst statt. Obwohl sie auf Massenversammlungen von öffentlich Bediensteten sprach und enthusiastische Aufnahme fand, nützte sie ihre Kampagne nicht dazu, für Streikaktionen zu agitieren, um den Angriffen standzuhalten.

Taktisch, programmatisch und in der prinzipienlosen Führung der Kampagne gab es nichts, was Militants "offene" Kandidatur vom linksreformistischen Elektoralismus unterschieden hätte - etwas, das Grant selbst in seiner Bilanz der Walton-Kampagne klarstellte: "Sogar das Programm, auf dem wir kandidierten, war kein revolutionäres. Es gab keine Erklärung der kapitalistischen Krise und der Notwendigkeit einer sozialistischen geplanten Wirtschaft etc. Das Programm, das wir den Arbeitern von Walton offerierten, war in Wirklichkeit ein linksreformistisches." (42)

Während der Militant-interne Konflikt noch im Laufen war, gründete der linksreformistische Flügel der Labour Party in Liverpool, der von der Parteiführung genug hatte, seine eigene Organisation. Dieser Schritt wurde von Militant kritisiert, aber nicht wegen der linksreformistischen Grundlage der Abspaltung, sondern weil er die strategische Aufgabe der Transformierung der Labour Party verneine. Wie Militant-Führer Tony Mulhearn schrieb: "Sich temporär zu organisieren, wie wir es wegen bürokratischen Ausschlüssen und Auflösungen getan haben, (...) ist eine Sache. Aber eine alternative Partei zu gründen, Labour den Rücken zuzukehren und andere zu ermutigen, die Labour Party zu verlassen, ist eine völlig andere Frage. Sozialisten sollten dem rechten Flügel nicht durch die Abspaltung von der Labour Party die Kontrolle übergeben. Sie sollten bleiben und um jeden Fußbreit kämpfen." (43)

Und Clive Heemskerk bekräftigte ebenfalls Grants zentrale Ansicht: "Das historische Gesetz, das vom Marxismus formuliert wurde, daß Arbeiter darangehen werden, ihre traditionelle Organisation zu beanspruchen, ist ein Prozeß, in den ein komplexes Wechselspiel von verschiedenen Faktoren involviert ist." (44) Sogar als die Ereignisse die letzten Gründe für den strategischen Entrismus beseitigten und Militant gezwungen war, ihn in der Praxis aufzugeben, klammerten sich die Militant-Führer an Grants Schema wie Ertrinkende an ein Stück Holz. Aber es hat sie nicht gerettet.

Opportunismus: damals und heute

Trotz des Bruchs mit Grants Praxis des allgemeinen Entrismus, haben Militant und das CWI das Herzstück von Grants methodischem Fehler beibehalten. Sein Bruch mit dem revolutionären Marxismus in der Frage des Verhältnisses von Spontaneität und Bewußtsein (seine fatalistische Ansicht, daß sich die existierende Ideologie der Arbeiterklasse automatisch zu revolutionär-sozialistischen Schlußfolgerungen entwickle) bleibt unangefochten. Das ist entscheidend, wenn man die politische Entwicklung des CWI seit der Spaltung im Jänner 1992 verstehen will.

Das Erbe der programmatischen Anpassung an den Reformismus bleibt intakt. Aber Militant, Voran und Vorwärts versuchen, sich nun auf Jugendliche zu orientieren, deren Illusionen anderswo liegen. Das CWI hat einfach versucht, das marxistische Programm an andere nichtproletarische Ideologien, die Einfluß auf hunderttausende Jugendliche haben, anzupassen.

Das, so glauben sie, wird ihnen einen Weg zu den Massen eröffnen. Die Geschichte werde die restlichen Aufgaben erfüllen, indem sie diese Jugendlichen stetig nach links treibe. Der "Prozeß" bleibt für die Perspektive der CWI-Organisationen zentral. Sein "kompliziertes Wechselspiel" verlangt schlicht und einfach, daß der Weg der programmatischen Anpassung einen "Umweg" nimmt - über den schottischen Nationalismus und schwarzen Separatismus auf den britischen Inseln, über die Ideologien der kleinbürgerlichen Linken in Deutschland und Österreich.

1979 argumentierte Militant, daß es zwar das Selbstbestimmungsrecht des schottischen Volkes (inklusive Lostrennung) verteidigen würde, daß Marxisten für so einen Schritt aber nicht aktiv eintreten. Er würde die schottischen, walisischen und englischen Arbeiter, die gemeinsame Kampftraditionen und in der britischen herrschenden Klasse einen gemeinsamen Feind haben, spalten. "Es wäre völlig reaktionär, einen 'schottischen Marxismus' oder einen 'walisischen Marxismus' herauszubilden." (45) Das war völlig korrekt.

Aber im Zuge der Poll-Tax-Revolte war Militant mit dem Wachstum der SNP (Scottish National Party) und der Tatsache konfrontiert, daß diese vom Rechtskurs Labours profitierte und sich als radikale Alternative präsentieren konnte. Die Agitation für Unabhängigkeit wuchs rasch an. In der Folge gab Militant seine frühere Unnachgiebigkeit auf und formierte "Scottish Militant Labour" (SML) als unabhängige Partei. Die ursprüngliche Begründung war das unterschiedliche Tempo des Klassenkampfes in Schottland. Mit der Bildung der unabhängigen "Militant Labour"-Organisation im Rest von Großbritannien wäre demnach die Berechtigung für eine eigenständige schottische Gruppe verschwunden. Aber SML blieb bis heute formal unabhängig.

Damit einher ging eine weitere politische Anpassung an den schottischen Nationalismus. Für den Fall eines Tory-Wahlsieges 1992 "muß der Aufruf ergehen, Schottland unregierbar zu machen. (...) Das sollte mit einem Boykott von Westminster (das britische Parlament, d.A.) durch die Labour- und SNP-Abgeordneten einhergehen. (...) Sie müssen darauf vorbereitet sein, mit Westminster zu brechen und ein Abspaltungsparlament zu bilden." (46) Militant nahm die Forderung nach einer Schottischen Nationalversammlung auf, die seiner Meinung nach - im Gegensatz zu den Liberalen und zu Labour - volle Souveränität haben sollte.

Wenn nun die SNP mit ihrem nationalistischen Wirtschaftsprogramm (Schuldenstreichung, Vollbeschäftigung, Verstaatlichung) Labour als jene "Massenorganisation" ersetzte, zu der sich die schottischen Arbeiter "unvermeidlich hinwenden" würden, dann nahm die Schottische Nationalversammlung (in Militants Methode, die Taktik der "Arbeiterregierung" anzuwenden) den Platz der britischen Labour-Regierung ein: "Eine solche Versammlung, in der wirkliche Sozialisten die Mehrheit hätten, wäre tatsächlich eine Arbeiterregierung, die in Schottland gestützt auf eine Million organisierter Arbeiter und auf Millionen unorganisierte Frauen und Jugendliche handeln könnte." (47)

Die Militant-Forderung nach einer Schottischen Nationalversammlung leistete sowohl dem Nationalismus als auch dem Reformismus Vorschub. Wie würde diese Versammlung den Klassenkampf der britischen Arbeiterklasse voranbringen? Die Antwort war, daß sie dazu nicht gedacht sei. Wie würde die von Militant kontrollierte Versammlung mit dem Repressionsapparat des britischen Staates umgehen, wenn sie ihr sozialistisches Programm umsetzt? Wieder nur die vage Antwort von gestern: die "Unterstützung der schottischen Arbeiter" würde die Sache retten. Militants "schottische Wende" war ein Bruch mit Grant, aber nicht mit der wesentlichen Methode, dem spontanen Bewußtsein der Massen hinterherzulaufen.

Die selbe leidige Geschichte muß über Militants Versuch, sich an den schwarzen Separatismus zu richten, berichtet werden. Angesichts des Aufstiegs des Rassismus in Großbritannien und der Radikalisierung von schwarzen Jugendlichen ergriff Militant die Initiative zur Bildung von "Panther UK" (UK steht dabei für United Kingdom), einer Organisation für afro-karibische und asiatische Mitglieder. Das stellte einen Bruch mit der früheren völligen Ablehnung der Idee einer schwarzen Selbstorganisation innerhalb der Arbeiterbewegung dar. In den 80er Jahren lehnte Militant das Recht von schwarzen Mitgliedern der Labour Party ab, eigene Parteistrukturen zu bilden, - ein Recht, das anderen unterdrückten Gruppen wie Frauen und Jugendlichen nicht abgestritten wurde. Es gab keine Rechtfertigung für diese Ausnahme. Der Hintergrund war die politische Anpassung an das bügerlich-integrationistische Bewußtsein des Labourismus. Formal - trotz all den Postern von linken schwarzen Nationalisten bei den Militant-Büchertischen - hält Militant sogar heute noch an der Ablehnung der schwarzen Selbstorganisation innerhalb der Arbeiterbewegung fest. (48)

Gleichzeitig repräsentiert die Politik von Panther UK ein prinzipienloses Gemisch aus Marxismus und schwarzem Nationalismus. In perfekter Übereinstimmung mit der ganzen Methode der Anpassung des Programmes an das existierende Bewußtsein der Massen erklärte das Programm von Panther UK: "Wir glauben, daß der schwarze Kampf ein Teil einer größeren Bewegung für die Veränderung in der Gesellschaft ist und daß unsere Befreiung mit der Veränderung der gesamten Gesellschaft verbunden ist. Panther steht für das Brechen des Würgegriffs einer reichen Minderheit über die Gesellschaft und für den Aufbau einer demokratischen sozialistischen Gesellschaft, die von Arbeitern und Jugendlichen betrieben wird." (49)

Das Panther-Programm versäumte, den entscheidenden Punkt zu erwähnen (einen Punkt, der sich direkt gegen die Vorurteile von Nationalismus und Seperatismus gerichtet hätte), daß nämlich die schwarze Minderheit der Arbeiterklasse in Großbritannien nicht hoffen kann, sich zu emanzipieren, ohne einen gemeinsamen revolutionären Kampf mit weißen Arbeitern zu entwickeln.

Natürlich muß diese Einheit durch einen systematischen Kampf gegen den Rassismus in der weißen Arbeiterklasse aufgebaut werden und nicht durch das Ignorieren der Diskriminierung und Unterdrückung, denen die schwarze Bevölkerung ausgesetzt ist. Aber die Notwendigkeit der Einheit mit weißen Arbeitern ist kein beliebiger Zusatz für das Programm einer schwarzen sozialistischen Organisation. Diese Notwendigkeit muß besonders betont werden, genauso wie die Notwendigkeit für jede schwarze sozialistische Organisation, sich dem Aufbau einer revolutionären politischen Partei zu verpflichten, um die Aktionen aller Arbeiter, schwarz und weiß, männlich und weiblich, zu vereinen. Begleitet wird dieses Fehlen durch all das unkritische Lob für historische schwarze Nationalisten. Ja Militant ging in seiner Anpassung an das verständliche Mißtrauen von vielen schwarzen Jugendlichen gegenüber der weißen Arbeiterklasse so weit, daß es sogar darauf verzichtete, offen und ehrlich die Verbindungen zwischen Panther UK und Militant zu erklären.

Es war freilich nicht schwer festzustellen, daß eine solche Verbindung bestand. Das Programm von Panther UK war exakt nach der Art von Militants "Übergangsprogramm" modelliert. Die krönenden Regierungslosungen fehlten und die Übergangsforderungen verwandelten sich in eine leblose Serie von Minimal-Maximal-Forderungen.

In den alten Tagen von Ted Grant sollten die Arbeiter den Eindruck bekommen, daß Militant ein loyaler, historisch gewachsener Teil der britischen Labour Party und seines Milieus war. Dieselbe Methode, bewußt angewandt in der Panther-Zeitung, erzeugte den Eindruck, daß Panther UK nur der letzte Teil einer Serie von sozialistischen schwarzen separatistischen Organisationen war, die bis zum "reformism with a gun" von Bobby Seale und Huey P. Newton zurückreicht.

Während Militants Anpassung an den Labourismus vier Jahrzehnte brauchte bis sie nach hinten losging, flog das Panther-Projekt innerhalb von zwei Jahren in die Luft. Viele schwarze Militant-Mitglieder entschieden sich, nichts mit Separatismus zu tun haben zu wollen. Dies waren weitgehend junge schwarze Arbeiter und Studenten, deren tagtäglicher Kampf und tagtägliche Kultur sie zu einer Art sozialistischer integrationistischer Strategie führten. Andererseits ging eine Gruppe von Panther-Mitgliedern (einschließlich einiger langjähriger Militant-Unterstützer) in einem solchen Ausmaß zum Seperatismus über, daß sie die Organisation 1993 spalteten, um sich von der "Dominanz" von Militant zu "befreien".

Die erste Ausgabe der Zeitung des "Independent Panther UK" beinhaltet ein Programm, das sich noch mehr an den Separatismus anpaßt als das der ursprünglichen Organisation. Voll mit separatistischer Rhetorik verkündet der Leitartikel die Gründung der neuen Gruppe unter der Schlagzeile "Unabhängigkeitserklärung: Endlich frei!" (50) Die Botschaft ist, daß sich die Schwarzen von jeder Organisation, die mit integrationistischer Politik verbunden ist, befreien müssen, bevor sie für ihre Emanzipation kämpfen können.

Die Labour-Entristen, die sich in den 50er Jahren - um Grants Formulierung zu verwenden - als Linksreformisten verkleideten, wurden zu Linksreformisten. Ein Teil derer, die sich in den 90er Jahren als schwarze Separatisten verkleideten, wurden zu schwarzen Separatisten.

Golfkrieg - Geister der Malvinas

Auch in der Frage des Krieges war der Bruch des CWI mit Grants Methode nur partiell, mangelhaft und unehrlich. Mitten im wachsenden internen Kampf in Militant und dem CWI kam es zum Golfkrieg. Die Differenzen über Militants Linie zum Krieg wurden über eine redaktionelle Antwort an einen "Leserbrief" an die Öffentlichkeit gebracht. Jener Leser strich die Schwierigkeiten heraus, am Arbeitsplatz gegen den Krieg zu argumentieren, und schlug Militant vor, für eine "sozialistische Eingreiftruppe" gegen Saddam und für "Arbeiter-Sanktionen" gegen den Irak einzutreten.

Peter Taaffe, der Herausgeber des Militant, lehnte das ab. Aber die Linie wäre durchaus konsistent mit der Methode, die beim Falkland/Malvinas-Krieg abgewandt worden war. Anstatt die Verschiedenheit öffentlich zu erklären und zur neuen Position offensiv zu stehen - sie repräsentiert immerhin einen Schritt in die Richtung einer marxistischen Kriegstaktik - , entschied sich das CWI, diese Veränderung zu verbergen. Taaffe beharrte darauf, daß der Malvinas-Krieg ein "interimperialistischer Krieg" war, d.h. daß Argentinien ein imperialistische Land sei, während das der Irak nicht sei. Jede seriöse marxistische Analyse der zwei Ökonomien würde zeigen, daß beides halbkoloniale Länder sind, wirtschaftlich relativ entwickelt, aber vom bestehenden imperialistischen Weltsystem an der Entwicklung zu imperialistischen Ländern (ökonomisch und politisch) gehindert. Genau deswegen war die nationale Bourgeoisie gezwungen, sich auf einen temporären Kampf einzulassen.

1990/91 übernahmen die CWI-Sektionen die Forderung nach "NATO- und UNO-Truppen raus aus dem Golf" (51) beziehungsweise "Amis raus! Stopp des imperialistischen Krieges und sofortiger Abzug der amerikanischen und 'alliierten' Truppen. Solidarität mit den irakischen und arabischen Massen im Kampf gegen den Imperialismus" (52) Waren das "pazifistische Gesten", wie Militant das 1982 charakterisiert hatte? Taaffe versuchte den Unterschied damit zu rechtfertigen, daß er auf die Tatsache verwies, daß die Forderung nach "Truppen raus!" 1982 "in der Arbeiterklasse kein Echo fand". Das heißt, daß es einfacher war, gegen den Überfall auf den Irak in Opposition zu gehen als den imperialistischen Angriff auf Argentinien zu bekämpfen.

Im Gegensatz zu 1982 wies Taaffe die Idee einer "sozialistischen Eingreiftruppe" gegen den Irak offen und verächtlich zurück: "Es ist die Aufgabe der irakischen Arbeiter und Bauern selbst, die Saddam-Diktatur zu erledigen (...) Jeder Vorschlag einer Eingreiftruppe, selbst mit der Einschränkung, daß es eine 'sozialistische' sein sollte, würde von den Massen des Nahen Ostens völlig abgelehnt werden. Sie haben genug von westlichen Interventionen, die die arabische Nation geteilt und ihren Reichtum ausgebeutet haben." (53) Voran schlug die selbe Linie ein: "Schluß mit den Wirtschaftssanktionen gegen das irakische Volk. Der Sturz von Saddan Hussein darf nicht zur Sache des Imperialismus werden, weil das nur eine neue von den USA gestützte Diktatur bedeuten würde - wie früher in Kuwait und heute in Saudi-Arabien. Für den Sturz des Hussein-Regimes und aller anderen Diktaturen im arabischen Raum durch die eigenen Völker." (54)

Aber was ist mit den lateinamerikanischen Völkern, mit den Arbeitern und Bauern Lateinamerikas? Hatten sie 1982 nicht ebenfalls von imperialistischen Interventionen genug? Hätten - und haben - sie nicht das ganze Gerede von einer sozialistischen Eingreiftruppe mit Hohn begrüßt? Das CWI versuchte, die Kurskorrektur ohne auch nur einen Funken von Selbstkritik über die Bühne zu bringen.

Außerdem bedeutete der gewohnte Opportunismus des CWI, daß es - obwohl es de facto alle Elemente einer Verteidigungsposition zusammengebracht hatte - während des Krieges nie bereit war, diese in die Praxis umzusetzen. Taaffe erklärte: "Es wäre ein Fehler anzunehmen, daß Militant zum Golf eine neutrale Position einnehmen könne." (55) Auf welcher Seite stand das CWI also? Keine einzige Ausgabe von Militant, Voran oder Vorwärts während oder nach dem Krieg beinhaltete die Antwort. Am nähesten kam das CWI der Verteidigung des Irak mit folgender Formulierung im Militant: "Die Imperialisten müssen gezwungen werden, sich zurückzuziehen" (56) Dasselbe Militant-Editorial erklärte "wir können keinen imperialistischen Krieg unterstützen, um Saddam zu stürzen", aber es vermied, die logische Schlußfolgerung der CWI-Position auszusprechen: Unterstützung für den Irak trotz seiner rechten diktatorischen Regierung, als bestem Weg, um die Bedingungen für den progressiven Sturz des Saddam-Regimes zu schaffen.

Der Staat - auf Grants Spuren?

Nach dem Desaster der Anti-Poll-Tax-Demonstration mußte sich Militant gegen den wachsenden Einfluß des Anarchismus unter Jugendlichen verteidigen. Es war zu einer Verteidigung der marxistischen Analyse des Staates gezwungen - gegen die anarchistische Ablehung aller Staatsformen (einschließlich eines Arbeiterstaates).

In einem Artikel in "Militant International Review" (MIR) erklärte Nick Wrack, daß Marx und Engels aus der Pariser Kommune die Schlußfolgerungen gezogen hatten, daß "die Arbeiterklasse den bestehenden Staatsapparat der Bourgeoisie nicht einfach übernehmen könne, sondern ihn durch eine völlig andere Art von Staat ersetzen müsse, einen, der den Interessen der Mehrheit der Gesellschaft dient und die Basis für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft legt." (57) Eine staatenlose und klassenlose Gesellschaft könne "nur durch die sozialistische Revolution erreicht werden, also durch der Eroberung der Staatsmacht durch die Arbeiterklasse, durch die politische Zerstörung des kapitalistischen Staates und seine Ersetzung durch einen demokratischen Arbeiterstaat." (58)

Das stellt scheinbar einen Bruch mit dem "parlamentarischen Weg" des CWI dar. Aber ist dem wirklich so? Erstens wird der Begriff "politische Zerstörung" verwendet, was eher als politische Übertragung der Macht verstanden werden kann denn als physische Zerbrechung des Staates - des Militärs, der Polizei, der Justiz und der oberen Schichten der Verwaltung.

Zweitens wäre für jeden Marxisten der nächste Schritt der Argumentation die Erklärung der Rolle der Selbstorganisation der Massen, der Bildung von Arbeiterräten sowohl für die Durchführung als auch für die Stabilisierung der Revolution. Der nächste Schritt wäre das Beharren darauf, daß auf der Grundlage dieser neuen, qualitativ anderen Macht die Basis für eine wirklich staatslose Gesellschaft gelegt werden wird.

Aber Wrack sagt darüber nichts. Nachdem er das Wesen der Revolution verdunkelt hat, konzentriert er sich auf die historische Debatte zwischen Marxismus und Anarchismus über die Rolle des Arbeiterstaates. Auf diesem entfernten Terrain kann sich das CWI etwas Orthodoxie erlauben. Aber bezüglich der konkreten Fragen des heutigen Klassenkampfes ist das CWI weiter nicht bereit, auszusprechen, wie und warum der kapitalistische Staat zerschlagen werden muß.

Das neue Programm des Vorwärts (Mai 1994) liegt auf einer ähnlichen Linie. Im Kapitel über den Staat stellt das Vorwärts fest, daß der "bürgerliche Staat weder neutral noch unabhängig" (59) sei. Etwas verschämt wird hinzugefügt: "Ein Stammvater des Sozialismus schrieb, daß die Arbeiterklasse diesen Staatsapparat gewaltsam zerschlagen muß." (60) Das bedeute für das Vorwärts aber nur, "daß die Arbeiterklasse die staatlichen Strukturen nicht einfach für ihre Zwecke (zum Beispiel Kampf gegen Faschisten) und für ihre Interessen verwenden kann." (61) Die Frage "Wie können die Arbeiter die Macht übernehmen?" wird lediglich so beantwortet: "Die Auflösung des bürgerlichen Staatsapparats ist eine politische Handlung, die nur durch eine Massenbewegung der Arbeiterklasse erfolgreich sein kann." (62)

Abgesehen von der zumindest eigenwilligen Interpretation von "gewaltsam zerschlagen" und der Begriffverwirrung um "Zerschlagung" oder "Auflösung" ist beim Vorwärts keinerlei Rede von Revolution und Aufstand. Räte werden lediglich als demokratische Verwaltungsorgane beschrieben - nicht (auch) als Kampforgane für die Eroberung der Macht der Arbeiterklasse. Arbeitermilizen, die bei der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparats von entscheidender Bedeutung sind, kommen überhaupt nicht vor. Das Vorwärts-Programm hat also in der Frage des Staates einige Ansätze, die links von der früheren Propaganda stehen, es ist aber kein Bruch mit dem "parlamentarischen Weg" Grants, sondern eine verwaschene Mischung.

Militant ging noch einen Schritt weiter und argumentiert: "nach der Zerstörung des kapitalistischen Staates wird es für die siegreiche Arbeiterklasse notwendig sein, sich selbst als neuen Staat zu konstituieren, zu verhindern, daß die besiegte Bourgeoisie die Konterrevolution organisiert. Die Kapitalisten werden alles ihnen mögliche tun, um die Errungenschaften der Revolution zu zerstören. Wenn die Arbeiterklasse nicht den praktischen Schritt unternimmt, ihren eigenen Staat zu organisieren, der ein Instrument der eigenen Klassenherrschaft ist, dann wird die Arbeiterklasse durch die gewaltsame Aktion der Kapitalisten besiegt und der Kapitalismus wieder eingeführt werden." (63)

Das ist völlig richtig. Aber dieser kurze Moment der Weisheit hat keine Auswirkungen auf die Politik des CWI und seine übliche Propaganda über die Mittel und Wege zum Sozialismus. Trotz einiger halb-marxistischer Ansätze bleibt die Staatstheorie des CWI ängstlich an der Nabelschnur Grants hängen, war das CWI zu einem wirklichen Bruch mit dem "parlamentarischen Weg" nicht in der Lage. Trotz der neuen organisatorischen Unabhängigkeit von den reformistischen Massenparteien (in unterschiedlichem Ausmaß in verschiedenen Ländern) war das CWI unfähig, sich von der falschen Anwendung der Taktik der Arbeiterregierung zu befreien. In Wahlkampagnen kämpft Militant auf Programmen, die unbestreitbar linksreformistisch sind.

In Lokalwahlen hat Militant Labour Kampagnen auf der Basis geführt, daß seine Kandidaten "proletarisch" sind, daß sie nur einen Arbeiterlohn beziehen würden, daß sie Mietern mit Wohnungsproblemen helfen würden. Aber nirgends hat es die Möglichkeit genützt, zehntausenden Wählern zu erklären, daß das, was wir brauchen, eine Revolution ist, daß wir eine völlig verschiedene Art von Regierung brauchen und daß wir eine revolutionäre Kmapfpartei brauchen, um das zu bekommen.

Auch wenn Militant und das CWI unabhängig von Labour/Sozialdemokratie auftreten, behalten sie die strategische Anpassung an das reformistische Bewußtsein bei, die ihr Programm und ihre Praxis für über 40 Jahre geprägt hat. In den 20er Jahren attackierte Leo Trotzki die Labour-Linke wegen ihrem Reformismus. Seine Worte richten sich auch gegen das CWI, auch in seiner erneuerten, unabhängigen, verbal linken Form: "Jedenfalls sind heroische Versprechungen, Donnerkeile des Widerstandes zu schleudern, wenn die Konservativen es 'wagen' sollten, etc., keinen einzigen Pfennig wert. Es ist nutzlos, die Massen tagtäglich mit Geschwätz über einen friedlichen, schmerzlosen, parlamentarischen, demokratischen Übergang zum Sozialismus einzulullen und dann, beim ersten ernsthaften Schlag auf die eigene Nase, die Massen zum bewaffneten Widerstand aufzurufen. Das ist die beste Methode, die Zerschlagung des Proletariats durch die Kräfte der Reaktion zu fördern. Um in der Lage zu sein, ernsthaften Widerstand zu leisten, müssen die Massen für diesen Kampf bewußtseinsmäßig, materiell und organisatorisch vorbereitet sein. Sie müssen die Unvermeidbarkeit eines immer heftigeren Klassenkampfes verstehen, und seiner Umwandlung, ab einem bestimmten Punkt, in den Bürgerkrieg." (64)

Schlußfolgerungen

Wie können wir die Entwicklung des CWI charakterisieren? Die Taaffe-Führung schien ein Ziel zu haben, als sie Grant hinauswarf und damit ein Hindernis beseitigte, das einer unabhängigen politischen Arbeit im Weg stand. Aber das CWI wird von seiner zentristischen politischen Vergangenheit verfolgt. Während es sich zweifellos in einer Reihe von einzelnen Fragen nach links bewegt hat, hat sich in den entscheidenden Fragen nur scheinbar etwas verändert.

Die Wahlerfolge von Scottish Militant Labour und die Erfolge beim Aufbau der europaweiten Vorfeldorganisation "Jugend gegen Rassismus in Europa" (JRE), die mit enormem politischen Opportunismus erkauft wurden, werden dazu benutzt, um die Schwierigkeiten zu vermeiden, die eine wirkliche Aufarbeitung der Politik Grants erfordern würde. Aber die Veränderung der globalen Situation nach dem Zusammenbruch des Stalinismus hat die internationale Linke bis in die Grundfesten erschüttert. Überall verändern sich die Klassenkampfbedingungen, die von der Weltordnung der Nachkriegszeit geprägt waren. Jene politischen Organisationen der radikalen Linken, deren Programm und Praxis nicht an die Erfordernisse des Klassenkampfes angepaßt waren, sondern an einen der beiden großen Apparate der Reaktion in der Arbeiterbewegung (Sozialdemokratie und Stalinismus), wurden in die Krise gestürzt.

Die strategische Anpassung des CWI an Labour/Sozialdeokratie konnte nicht anhalten. Die Daten, die am Grabstein des strategischen Entrismus eingraviert sind, sind die Daten, die die Etablierung und den Niedergang der Periode der Nachkriegsordnung markieren: 1951-1991. Ohne eine stabile Formation wie die Labour Party, SPD oder SPÖ, an die es sich anpassen kann, jagd das CWI jetzt hinter kurzlebigeren, instabilen politischen Formationen her. In den kommenden Jahren, wenn verschiedenste Kräfte versuchen, das ideologische Vakuum zu füllen, werden die zentrifugalen Kräfte, die im CWI wirken, zunehmen. Weitere Instabilität, weitere Krisen und Spaltungen sind garantiert.

Es gibt einen Ausweg aus dieser Situation. Er bedeutet nicht nur die Auseinandersetzung mit den bekanntesten von Grants politischen Fehlern, sondern mit deren Grundlagen. Die CWI-Führung hat sich entschieden, diesem Weg nicht zu folgen. Wir sind aber überzeugt, daß es hunderte CWI-Mitgieder gibt, die sich zunehmend unwohl fühlen. Es handelt sich um loyale Genossen, hart arbeitende Aktivisten und Kader, die sich dem Kampf, von dem die Zukunft der Menschheit abhängt, verschrieben haben. Sie wollen ihre Kraft nicht für demoralisierende und fruchtlose Manöver vergeuden. Unter anderem an sie ist dieser Artikel gerichtet.

Anmerkungen:

(1) Militant, 24.1.1992

(2) Mit Zentrismus meinen wir politische Tendenzen, die zwischen Reformismus und revolutionärem Kommunismus stehen, die oft von beidem Anleihen nehmen oder zwischen beiden schwanken oder ihren Revolutionarismus auf die Theorie beschränken und ihren Reformismus auf die Praxis. Wesentlich ist auch, daß er ein Übergangsphänomen ist und er sich entweder zum Marxismus oder von ihm weg bewegt. Dieser Übergang kann schnell gehen oder er kann die Form von jahrelangem, verknöchertem, bewegungslosem Zentrismus annehmen.

(3) aus: Leon Trotsky, The Crisis of the French Section, New York 1977

(4) ebd.

(5) aus: The Programm of the International, International Bureau of the Fourth International, Mai 1970

(6) siehe: The Rise and Fall of the SLL, Workers Power, Februar 1986

(7) siehe: The New Turn - A Threat to Forty Years' Work, 1991

(8) aus: The Programm of the ...

(9) aus: Problems of Entrism, 1959

(10) aus: British Perspectives, Militant 1979

(11) Jugend für Sozialismus, Jugendprogramm von Voran, Köln 1988, S.47

(12) ArbeiterInnenstandpunkt Nr.42, März 1992, S.13

(13) aus: Problems of Entrism

(14) Unsere britische Schwesterorganisation "Workers Power" war die einzige Organisation in den LPYS, die die Notwendigkeit sah, sich auf die Unabhängigkeit vorzubereiten. Der Workers Power-Kandidat für das Führungsgremium der LPYS, Gary O'Donnell, argumentierte in seinem Wahlvorschlag, daß eine Gegenoffensive notwendig war und daß "eine solche Bewegung nicht lange in der Partei der Kinnocks und Whittys koexistieren könne." Er forderte die LPYS auf, den bürokratischen Angriffen zu trotzen und die Strukturen intakt zu halten. Das war eine Perspektive für eine unabhängige Jugendbewegung. Er argumentierte, daß die Bewegung eine unzweideutig revolutionäre Politik annehmen sollte. Workers Power sagte die Notwendigkeit für einen solchen Aktionskurs schon lange voraus. Schon 1984 argumentierten die Genossen, daß "eine kämpferische Perspektive den Zorn von Kinnock und Hattersley auf uns lenken wird. Das ist deshalb, weil es einen Bruch mit ihrer verrotteten Politik bedeuten wird. Da sie den bürokratischen Apparat der Labour Party kontrollieren, kann das leicht den Bruch mit der Labour Party bedeuten." Workers Power warnte: "Militant würde das niemals in Betracht ziehen und als Ergebnis davon helfen sie im voraus, den Kampf der Jugend zu besiegen." Unsere Genossen hatten Recht: Die LPYS wurden kampflos übergeben.

(15) Peter Taaffe and Tony Mulhearn, Liverpool: The City that Dared to Fight, London 1988

(16) aus: British Perspectives

(17) W.I.Lenin, Was tun?, in: LW 5, S. 396

(18) Militant, British Perspectives, 1983

(19) ebd.

(20) Die Vierte Internationale entstand aus der Linksopposition gegen die Stalinisierung der Komintern. Die VI wurde 1938 unter der Führung Leo Trotzkis gegründet. Während dem Zweiten Weltkrieg wurden ihre Strukturen in den meisten Ländern Europas durch Krieg und Faschismus nachhaltig zerstört, neben Trotzki wurden viele ihrer politischen Führer durch Faschisten und Stalinisten ermordet. Nach 1945 war die VI nicht mehr in der Lage, auf die neue Situation der Nachkriegszeit, des Kalten Krieges etc. adäquate Antworten zu entwickeln. Seit den späten 40er/frühen 50er Jahren muß sie als zentristische Strömung bezeichnet werden. Siehe dazu: The death agony of the forth international - and the tasks of the Trotskyists today, Workers Power/Irish Workers Group, London/Dublin 1983

(21) Michel Pablo, Where are we Going?, 1951

(22) Michel Pablo, The Building of the Revolutionary Party, 1952

(23) ebd.

(24) ebd.

(25) ebd.

(26) aus dem Voran-Standardkasten "Dafür kämpft Voran"

(27) siehe: Leo Trotzki, Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale (Übergangsprogramm), 1938

(28) Leo Trotzki, Diskussion über das Übergangsprogramm, 1938

(29) ebd.

(30) Militant, What We Stand For, 1985

(31) siehe: Revolutionärer Marxismus Nr.8, Herbst 1992, "Militant, Marxismus und der Staat"

(32) J. Degras (ed.), The Communist International: Documents, London 1977, Vol.1

(33) siehe dazu: Vorwärts - aber wohin?, ArbeiterInnenstandpunkt Nr.41, Februar 1992

(34) zu revolutionärer Wahltaktik siehe: Arbeitermacht/Arbeiterstandpunkt, Thesen zu Reformismus und Wahltaktik, 1987

(35) aus: Vorwärts, Was wir wollen, 1989

(36) Jugend für Sozialismus, a.a.O., S.43

(37) Militant, April 1982; siehe auch: Communism and the Test of War, Workers Power Nr.33 (May 1982)

(38) Voran Nr.57, Mai/Juni 1982

(39) Militant, April 1982

(40) MIR, June 1982

(41) Scotland, Perspectives and Tasks, 1991

(42) Minority Resolution on Walton, July 1991

(43) Militant, 30.August 1991

(44) After Walton, MIR 46, Summer 1991

(45) Militant, British Perspectives, 1979

(46) Militant, 13 December 1991

(47) Militant, 20 August 1991

(48) Auf der britischen nationalen Konferenz von "Jugend gegen Rassismus in Europa" (JRE) stimmten die Militant-Unterstützer ohne Erklärung gegen das Recht für schwarze Gewerkschafter, ihre eigenen Strukturen zu organisieren, um den Rassismus an den Arbeitsplätzen und in der Arbeiterbewegung zu identifizieren und zu bekämpfen.

(49) Panther UK, What we Want - What we Believe, Flugblatt

(50) Panther, Winter 1993/94

(51) Voran Nr.127, Jänner 1991

(52) Vorwärts-Sondernummer, Jänner 1991

(53) Militant, October 1990

(54) Voran Nr.127, Jänner 1991

(55) Militant, October 1990

(56) Militant, 25.Jänner 1991

(57) Nick Wrack, "Marxism, Anarchism and the State", MIR 46 (1991)

(58) ebd.

(59) Vorwärts, Was wir wollen, S. 64

(60) ebd.

(61) ebd.

(62) ebd.

(63) Militant, 2 April 1993

(64) Leon Trotsky, Trotsky on Britain, New York 1973, S.103