Arbeitermacht
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Einleitung

Das marxistische Programm basiert auf den Prinzipien des wissenschaftlichen Sozialismus. Es analysiert jede soziale und politische Entwicklung vom Standpunkt des dialektischen Materialismus. Dieser geht davon aus, daß der Klassenkampf der treibende Motor der Geschichte ist, und erkennt in der Arbeiterklasse die einzig durchgängig revolutionäre Klasse. Während jedoch das allgemeine marxistische Programm die theoretische Methode des dialektischen Materialismus und die strategischen Ziele des Sozialismus umfaßt, konzentrieren sich die großen programmatischen Beiträge in der Geschichte der marxistischen Bewegung auf die praktischen Aufgaben, die sich aus diesen grundlegenden Prinzipien ergeben. Sie beinhalten die Strategie und die Taktiken zur Erreichung der allgemeinen Ziele und trennen diese Fragen nicht vom Programm. Im marxistischen Programm besteht keine Mauer zwischen Strategie, Taktiken und Prinzipien. Dies ist vom Kommunistischen Manifest bis zum Übergangsprogramm von 1938 klar. Ausgehend von dieser Methode haben wir das Programm der LRKI entwickelt.

Die Sozialdemokratie geht noch immer mit dem Minimal-Maximal-Programm hausieren, das sich in der kapitalistischen Epoche des freien Wettbewerbs den Weg bahnte und durch die strikte Trennung von Minimalforderungen (wirtschaftlichen oder politischen Reformen, die im Rahmen des Kapitalismus erreichbar sind) und dem Maximalziels des Sozialismus gekennzeichnet war. Diese Trennung der zwei Elemente des Programms, niedergelegt im "Erfurter Programm" der deutschen Sozialdemokratie, war die Grundlage seiner opportunistischen Auslegung und Anwendung durch den sich entwickelnden reformistischen Flügel der II. Internationale. Die heutige Sozialdemokratie unterscheidet sich von ihren klassischen Vorläufern nur in der immer größeren Schwächlichkeit ihrer Forderungen nach Minimalreformen und in den immer selteneren Sonntagsreden über das Fernziel des Sozialismus.

In der Epoche des Konkurrenzkapitalismus war die Arbeiterklasse, insbesondere in Europa, dazu gezwungen, für eine Reihe von wirtschaftlichen und politischen Rechten zu kämpfen, um eine organisierte Massenbewegung der Gewerkschaften und politischen Parteien aufzubauen. Im diesem Prozeß selbst bildete sich aus der Arbeiteraristokratie eine reformistische Bürokratie heraus, für die ausgewählte Elemente des Minimalprogramms, die durch rein friedliche, legale und parlamentarische Methoden erreicht werden sollten, bloßer Selbstzweck waren. Das stand in scharfem Widerspruch zu der Position Engels' und Lenins, die argumentierten, daß diese Reformen nur ein Mittel seien, um einen wirklichen Kampf für den Sozialismus zu entwickeln. Der Anbruch der imperialistischen Epoche stärkte die reformistische Bürokratie beträchtlich. Indem sie die methodische Schwäche des Minimal- Maximal-Programms ausbeutete, verstärkte sie die strikte Trennung des Kampfes um Reformen von jeder revolutionären Perspektive zum Sturz des Kapitalismus. Das strategische Ziel des Reformismus bestand also darin, sich selbst innerhalb des Kapitalismus eine einflußreiche Position zu sichern. Für diesen Zweck versuchten die Reformisten, Arbeiterkämpfe zurückzustellen, indem sie die parlamentarische Wahltaktik zu ihrer zentralen Strategie der Erreichung von Reformen im Kapitalismus umfunktionierten.

Andererseits führten auch der internationale Stalinismus und sogar Teile des kleinbürgerlichen Nationalismus die Massen mit einer Abart des Minimal-Maximal-Programms in die Irre: mit dem Programm der Etappen, das auf der Theorie des "Sozialismus in einem Lande" aufbaut. Dieses Programm und diese Theorie wurden durch die konservative Bürokratie der UdSSR in den 20er Jahren während der Periode der politischen Konterrevolution gegen die Arbeiterklasse entwickelt. Gemäß diesem Etappenprogramm bedeutet die Existenz der Sowjetunion, daß es für Revolutionen möglich sei, vor einer friedlichen Entwicklung zum Sozialismus eine demokratische Etappe zu durchlaufen. Dabei sei diese demokratische Etappe (verschiedenermaßen fortgeschrittene Demokratie, Volksdemokratie, antiimperialistische Demokratie genannt) streng von einer sozialistischen Etappe getrennt. Der Kapitalismus müsse während dieser demokratischen Etappe aufrechterhalten werden, und dann könne sich der Sozialismus schrittweise und friedlich entwickeln - gemäß den spezifischen Gesetzen, die in jedem Land wirken.

Dieser wiederaufgewärmte Menschewismus ist eine zynische Politik seitens der Bürokratie, um die Kämpfe gegen den Kapitalismus zu beschränken und um für seine Dienste mit einer endlos langen Periode der friedlichen Koexistenz mit dem Imperialismus belohnt zu werden. Diese Abart des Minimal-Maximal-Programms (und da bildet auch die "linkeste" Form, welche behauptet, daß die Durchführung der demokratischen Etappe nicht der Bourgeoisie überlassen werden könne, sondern vom Proletariat geführt werden müsse, keine Ausnahme) ist eine Schlinge um den Hals des Proletariats und der Unterdrückten. Ihre Konsequenz war und ist immer die Konterrevolution, entweder von seiten einer Kapitalistenklasse, die imstande war, sich während der "demokratischen" Etappe neu zu gruppieren (Chile, Portugal) oder seitens einer stalinistischen Bürokratie, die gezwungen ist, den Kapitalismus zu liquidieren, um sich selbst zu verteidigen, allerdings nur unter der Bedingung der erfolgreichen politischen Entmachtung der Arbeiterklasse wie in Osteuropa, China, Indochina und Kuba.

Das Minimal-Maximal-Programm, ob in seinem stalinistischen oder sozialdemokratischem Gewand, hat also seine fortschrittliche Rolle überlebt und hat sich in ein Hindernis verwandelt, nicht nur im Kampf um den Sozialismus, sondern sogar im Kampf um die Gewinnung oder Verteidigung erfolgreicher Reformen. Denn der Kapitalismus kann weder permanente systematische soziale Reformen schaffen, noch kann er für eine dauernde und selbständige bürgerliche Demokratie sorgen. Um seine wiederkehrenden Krisen zu lösen, ist die Bourgeoisie daher gezwungen, jede ernste ökonomische Errungenschaft mitsamt den politischen Rechten der Arbeiterklasse anzugreifen. Der Kampf der Bürokratie zur Anpassung an ein solches System kann daher nur die Opferung selbst des Minimalprogramms an die Bedürfnisse des Profitsystems heißen. Die Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse erfordert aber ökonomische und politische Kriegsführung gegen den Kapitalismus - sogar zur Erzielung angemessener Löhne oder zur Sicherung der Arbeitsplätze.

Dabei sind die Grenzen des Minimal-Maximal-Programms in aller Welt erkennbar: Der Imperialismus ist unfähig, radikale und konsequente Agrarreformen zu sichern oder parlamentarische Demokratien in den meisten Halbkolonien aufrechtzuerhalten. Die offensichtliche Rechtfertigung des Minimalprogramms, daß mit Phasen des Aufschwungs die Gewährung von Reformen seitens des Kapitalismus an einige Teile der Arbeiterklasse verbunden sei, ist ebenfalls eine bloß oberflächliche. Selbst das Proletariat in den am höchsten entwickelten Ländern braucht immer mehr ein Programm, das die unmittelbarsten Verteidigungskämpfe mit der Hauptaufgabe der Epoche verbindet, nämlich dem Kampf um die Macht der Arbeiterklasse. Um den spontanen Klassenkampf zu sozialistischen Zielen weiterzuentwickeln, ist aber eine Brücke notwendig. Das Programm von Übergangsforderungen ist eine derartige Brücke.

Derartige Forderungen wurden erstmals systematisch in Trotzkis Übergangsprogramm dargelegt. Doch schon Marx und Engels hatten eine Reihe von Übergangsforderungen im Kommunistischen Manifest 1848 formuliert, später waren es Lenin und die Bolschewiki, gefolgt von der Kommunistischen Internationale (Komintern), die auf den ersten vier Kongressen zugespitzte Aktionsprogramme erarbeiteten. Doch Trotzkis Werk von 1938, die programmatische Grundlage der Vierten Internationale, war der klarste und vollständigste Ausdruck der programmatischen Entwicklung der vorangegangenen 90 Jahre des Marxismus. In jeder Phase wurden die programmatischen Erklärungen des Marxismus bereichert, da sich die kapitalistische Gesellschaft selbst entwickelte. Und in jedem Fall haben die Marxistinnen und Marxisten es für nötig empfunden, das Programm im Lichte der Erfahrung zu verfeinern und wiederzuerarbeiten. Diese ist - in Trotzkis Worten - das oberste Kriterium der Vernunft. 1938 erstellte Leo Trotzki ein scharf zugespitztes Aktionsprogramm, das die Schlüsselfragen des Tages ansprach und sie im Lichte der Erfahrung der vorangegangenen zwei Jahrzehnte des Kampfes und der weltweiten Krise beantwortete. Es verkörperte sowohl die Lehren aus dem Zusammenbuch der ersten drei Internationalen als auch die Weiterführung des Beitrags, den sie in ihren revolutionären Jahren geleistet hatten. Das Übergangsprogramm von 1938 war damit ein wiedererarbeitetes Programm des revolutionären Marxismus.

Mehr als fünf Jahrzehnte an tiefgreifenden Entwicklungen im Weltimperialismus und Weltstalinismus, in den Halbkolonien, den Kämpfen der Arbeiterklasse und der Unterdrückten, all das verpflichtet uns, das Übergangsprogramm wiederzuerarbeiten. Dies haben wir geleistet, und unser Programm ist, wie das von 1938, eine Entwicklung der vorangegangenen Programme des revolutionären Marxismus bis zum heutigen Tag, kein Bruch mit ihnen. Es steht also auf den Schultern der vorangegangenen Errungenschaften des revolutionären Marxismus. Es baut selbst auf dieser Methode auf und schließt alle wesentlichen Merkmale, und ebenso viele ihrer Forderungen, mit ein. Wie die vorangegangenen Programme wird es zu Aktionsprogrammen für einzelne Länder, für bestimmte historische Situationen oder für die jeweiligen Schichten im Kampf aufgegliedert werden müssen. Derartige Aktionsprogramme werden, wie Trotzkis eigenes Aktionsprogramm für Frankreich, alle Schlüsselelemente des allgemeinen Programms selbst enthalten, werden sie jedoch scharf auf eine einzelne Situation oder das betreffende Land zuspitzen.

Unser Programm ist ein Weltprogramm für die Weltpartei der sozialistischen Revolution, zugespitzt auf die brennenden Probleme, die für die krisengeschüttelten Schlußjahre des 20. Jahrhunderts charakteristisch sein werden. Es ist ein Übergangsprogramm zur sozialistischen Revolution, und als solches besitzt es in gleichen Maßen für imperialistische und halbkoloniale Länder die volle Gültigkeit. Aber es ist gleichfalls ein Programm für den Übergang zum Sozialismus in den Arbeiterstaaten. Es spricht die brennenden Aufgaben an, denen sich die Arbeitenden in diesen Staaten gegenübersehen, in denen der Kapitalismus abgeschafft wurde, aber wo die stalinistische Bürokratie die Arbeiterklasse politisch enteignet hat und der eigentliche Übergang zum Sozialismus als Ergebnis dessen aufgehalten wurde. Es ist ein Aktionswegweiser für die Millionen, die um die Lösung der Probleme, denen die Menschheit gegenübersteht, kämpfen. Es ist ein Programm, das den Weg zu einer Gesellschaft, die auf der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse beruht, ebnet und im scharfen Gegensatz steht zu jenen Gesellschaften, die entweder auf der Gier nach Profit beruhen oder auf der Befriedigung der Bedürfnisse einer parasitären Bürokratie.

Während unser Programm in seinem Zentrum ähnlich dem Programm von 1938 ein zugespitztes Aktionsprogramm enthält, ist es heute aber auch notwendig, Probleme anzusprechen, die in diesem Dokument nicht behandelt wurden. Als wiedererarbeitetes Programm muß es der Tatsache ins Auge sehen, daß die Kontinuität der marxistischen Bewegung 1951 mit der Degeneration der Vierten Internationale in den Zentrismus unterbrochen wurde. Eine Periode von vier Jahrzehnten ist seit dieser Degeneration verstrichen. Die Fragen der Perspektiven, der Taktik und der Strategie wurden während dieser vierzig Jahre niemals in einer revolutionären Weise analysiert, geschweige denn in einem konsequent revolutionären Programm beantwortet. Die Lehren der zentralen Ereignisse in dieser Periode, die Schaffung degenerierter Arbeiterstaaten, der lange imperialistische Boom, die anti-imperialistischen Kämpfe, die zentralen Klassenkämpfe und revolutionären Situationen wurden nicht in einer Reihe von Programmen, Thesen und Dokumenten zusammengefaßt. Statt dessen besteht die Geschichte der aus der Vierten Internationale entstandenen Zentristen aus systematischen Irrtümern und verschiedenen opportunistischen oder sektiererischen Entstellungen des marxistischen Programms. Unser Programm basiert daher nicht auf einer ungebrochenen Vergangenheit revolutionärer Positionen und kann sich nicht wie das Programm von 1938 es noch vermochte, auf 15 Jahre von Dokumenten, Positionen, Thesen und Programmen (von der Linken Opposition bis zur Gründung der Vierten Internationale) stützen. Unser Programm ist daher notwendigerweise analytischer und umfassender, als das Programm von 1938 es sein mußte. Wenn Trotzki glaubte, daß es 1938 notwendig war, mehr Kommentare aufzunehmen, als es in einem Programm zweckmäßig ist, so mußten wir das in einem noch weit größeren Ausmaß tun. In diesem Sinne ist es ein Versuch, nicht nur den Kampf von Millionen anzuleiten, sondern ebenso die LRKI klar gegenüber den vielen Spielarten des Zentrismus, die sich auf den Trotzkismus berufen, zu definieren. Es muß auch den Militanten dieser Tendenzen, ebenso wie denen anderer Organisationen innerhalb der Weltarbeiterbewegung, zweierlei aufzeigen: die Lehren, die wir aus der vergangenen Periode ziehen müssen, und ebenso unsere Antworten, die wir auf die Krisen geben.

Klarerweise ist unser Programm weit davon entfernt, das letzte Wort zum internationalen Klassenkampf und zu Strategie und Taktik der Revolution zu sein. Seit 1984 hat die "Bewegung für eine Revolutionäre Internationale" (jetzt die "Liga für eine Revolutionäre Kommunistische Internationale" - LRKI) Resolutionen und Thesen zu den wichtigen Fragen des internationalen Klassenkampfs formuliert. Diese bilden eine Ergänzung zu diesem Programm. Zusätzlich erkennen wir an, daß die Diskussion mit Kämpfern aus Ländern, in denen die LRKI bislang nicht vertreten ist, uns zur Bereicherung und Entwicklung des internationalen Charakters unseres Programms weiter befähigen wird. Aber wir sind fest davon überzeugt, daß wir ein Programm erstellt haben, das als Grundstein für eine solche Entwicklung dient. Dieses Programm, das mit seiner Methode, seiner Analyse, seinen Forderungen und Taktiken und seiner Strategie den lebendigen Geist des revolutionären Marxismus verkörpert, legt die Grundlage für die Wiedererrichtung eines authentischen Trotzkismus auf Weltebene.

 



Vorwort

Einleitung

1 Die objektive Basis der sozialistischen Revolution

2 Die Führungskrise des Proletariats

3 Ein Programm von Übergangsforderungen

4 Strategie und Taktik in den halbkolonialen Ländern

5 Gegen die kapitalistische Restauration! Für die proletarische politische Revolution!

6 Der Kampf gegen soziale Unterdrückung

7 Für eine revolutionär- kommunistische Internationale



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