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Frauen und Hartz IV

Küche oder Klassenkampf?

Kerstin Lange, Neue Internationale 94, Oktober 2004

Als der Sozialdemokrat Schröder 1998 zum Kanzler gewählt wurde, dann auch deshalb, weil er für eine Alternative zur konservativen Politik Kohls hinsichtlich der Situation von Frauen stand. Seine Wahlpropaganda versprach, die Gleichberechtigung, die Chancen von Frauen in der Gesellschaft zu verbessern.

Sechs Jahre danach kann nicht nur eine Zwischenbilanz gezogen werden - Hartz IV wird für Hunderttausende Frauen die schmerzhafte Erfahrung bringen, dass sie noch stärker als vorher zu Menschen "zweiter Klasse" degradiert werden.

Frauen sind besonders von der Ausweitung des Niedriglohnsektors, von Leiharbeit und ungeschützten Arbeitsverhältnissen betroffen. Schon jetzt stellen sie die Mehrheit der am niedrigsten bezahlten Arbeitskräfte. Die Erhöhung der Frauenerwerbsquote, welche sich die Regierung mit der Agenda 2010 auf die Fahnen geschrieben hatte, wird darin bestehen, vorhandene Vollzeitarbeitsplätze in flexible Teilzeit- und Minijobs umzuwandeln. Fakt ist, dass die Anzahl der von Frauen geleisteten Erwerbsarbeitsstunden seit 1960 absolut gesunken und nicht gestiegen ist.

Die Billigjobs, die für Frauen vorgesehen sind, sollen vorwiegend im personen- und haushaltsnahen Dienstleistungsbereich entstehen. Die geschlechtsspezifische Aufteilung des Arbeitsmarktes, wie sie ohnehin schon besteht, wird weiter verfestigt. Außer dem hilflosen Versuch der Bundesregierung, mit der Propagandaaktion "Girls day" Mädchen für Männerberufe zu interessieren, gehen alle derzeitigen Maßnahmen in die Richtung, Frauen in ihrer Rolle als Zuarbeiterinnen, Zuverdienerinnen und Dienstleisterinnen zu halten.

So erweisen sich auch die stolz präsentierten Zahlen der Wachstumsbranche Medien- und Kommunikation bei näherem Hinsehen als grobe Irreführung: in diesem Bereich stieg die Zahl neu beschäftigter Frauen tatsächlich stark an, doch nur im Bereich der Telekommunikation (wozu vor allem CallCenter gehören). Im Bereich Informationstechnik, bei EntwicklerInnen, IngenieurInnen - also in höher qualifizierten Bereichen - ist hingegen von 1997 bis 2002 einen Rückgang des Frauenanteils um 4% zu verzeichnen.

Anzahl, Qualität und Bezahlung von Frauenarbeitsplätzen sind auch durch die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge gefährdet, denn 81% der erwerbstätigen Frauen arbeiten im Dienstleistungssektor. Besonders in Betreuungs- und Pflegeberufen, die schon jetzt unterbewertet und unterbezahlt sind, drohen weitere Dequalifizierung und Lohndumping durch den Einsatz unqualifizierter Arbeitskräfte. Durch die Gesundheitsreform sind Frauen zum Beispiel durch die gestrichenen Reha-Leistungen doppelt betroffen: zum einen verlieren sie ihre professionellen Arbeitsplätze, zum anderen müssen sie die Angehörigen zu Hause unentgeltlich zu versorgen.

Für einen Teil der Frauen, die akademische oder unternehmerische "Höhen" erreicht haben, wird es möglich und auch notwendig sein, sich eines Teils der Reproduktionsarbeit gegen geringe Bezahlung für Haushaltshilfen - natürlich weibliche! - zu entledigen. Die Mehrheit der Frauen, v.a. jener aus der Arbeiterklasse aber wird der Alltag so aussehen, neben ein, zwei Minijobs noch Haushalt, Kinder und Mann zu versorgen.

Außer der Absichtserklärung in der Agenda 2010, die Anzahl der Kinderbetreuungsplätze zu erhöhen, gibt es nichts, was in der Praxis wirklich dazu führen würde, Frauen von der Reproduktionsarbeit zu entlasten. Umgesetzt wird gerade das Gegenteil. Die Kosten für Kita- und Hortplätze steigen weiter, die praktische Nutzbarkeit solcher Einrichtungen (Wohnnähe, Öffnungszeiten etc.) sinkt tendenziell. Viele Frauen rechnen ganz einfach die Kosten für die Kinderbetreuung gegen die Einnahmen aus einem Job gegen und kommen zu dem Schluss, dass sich unterm Strich finanziell Arbeit nicht lohnt und bleiben eben mit den Kindern zu Hause. Allein im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg - einem stark proletarisch geprägten, von vielen ImmigrantInnen und sozial Deklassierten bewohnten Bezirk - sollen z.B. 19 Kitas geschlossen werden; teils, weil die Kommune sparen will, teils, weil viele sich eine Kinderbetreuung nicht leisten können - oder auch, weil man sich Kinder überhaupt nicht mehr leisten kann oder will, weil sie der beruflichen Karriere hinderlich sind.

Die Regelung des Erziehungsurlaubs führte zu einem Rückgang der Erwerbstätigkeit von Frauen mit Kindern bis zu drei Jahren. Auch die Riester-Rente bevorzugt Ein-Verdiener-Haushalte.

Hartz IV enthielte keine Regelungen, die besonders für Frauen gelten und sie besonders benachteiligten, sagen die Verteidiger dieser "Reform". Richtig! Doch der Haken liegt darin, dass das gleiche Recht für Frauen wie für Männer auf der Basis einer real schon gegebenen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gilt. Dadurch wird diese Ungleichheit noch weiter vertieft und die Frauen werden nicht rechtlich, aber praktisch gegenüber den Männern benachteiligt.

Speziell Hartz IV wird die Einkommens- und Altersarmut von Frauen verstärken und damit wieder zu größerer Abhängigkeit von Partnern oder Angehörigen führen. Durch die verstärkte Anrechnung von Partnereinkommen werden doppelt so viele Frauen wie Männer aus dem Leistungsbezug herausfallen. Das greift übrigens schon bei Nettoeinkommen ab ca. 850 €, und bedeutet nicht nur kein Geld, sondern auch: keinen Anspruch auf Berufs fördernde Maßnahmen und keine Sozialversicherungsbeiträge in dieser Zeit. Der Anspruch auf Fortbildungen für Berufsrückkehrerinnen nach dem Erziehungsurlaub wurde sowieso ersatzlos gestrichen.

Der "moderne Arbeitsmarkt" bedeutet für proletarische Frauen eine verschärfte Form der alten Zustände am Arbeitsmarkt. Verschärft deshalb, weil die klassen- und geschlechtsspezifische Aufteilung des Arbeitsmarktes, was Einkommen und Berufsmöglichkeiten angeht, verstärkt und vom Kapital Kosten senkend ausgenutzt wird.

Dazu kommt, dass der Druck auf die Beschäftigten insgesamt durch Leiharbeit, Massenarbeitslosigkeit, Sozialabbau usw. dazu führt, dass Tendenzen der Entsolidarisierung, der Spaltung innerhalb der Klasse - auch hinsichtlich des Geschlechts - zunehmen. Es stellt sich also nicht nur die Frage, wie wir dem entgegnen können; es stellt sich die Frage, was Frauen selbst zur Verbesserung ihrer Lage und zur Abwehr der Verschlechterungen durch Agenda und Hartz-Reformen tun können?

Eigenständige Organisierung

Für einen effektiven Kampf gegen diesen Generalangriff ist eine eigenständige Organisierung von Frauen innerhalb der Bewegung, innerhalb der Betriebe und der Gewerkschaften nicht nur wünschenswert, sondern notwendig.

Durch Propagieren frauenspezifischer Forderungen bei allen Protesten, seien es Demos oder sonstigen Veranstaltungen, können mehr Frauen interessiert und eingebunden werden.

Ebenso ist es sinnvoll, in manchen Betrieben neben den Betriebsgruppen eigene Frauentreffen zu initiieren, damit Frauen ihre spezifischen Interessen diskutieren und durchsetzen können. Solche Betriebsfrauengruppen würden und sollen sich natürlich nicht allein auf die Betriebspolitik beschränken, sondern darüber hinausgehend ihre Situation und politische Perspektiven diskutieren und aktiv werden. Sie sollen auch nicht dazu dienen, einen von ihren männlichen Kollegen getrennten Kampf zu führen, sondern dazu, die Forderungen und die Rolle der Frauen im Kampf zu stärken.

Auch innerhalb von Gewerkschaften ist eine eigenständige Frauenorganisierung nötig. Allzu leicht werden von der Gewerkschaftsführung oft weniger kampfstarke Bereiche für einen scheinbaren Erfolg gegenüber der - meist männlichen - Kernbelegschaft verschachert.

So zuletzt beim Tarifabschluss bei Daimler, der nicht nur für die Angestellten und IT-Ingenieure die Verlängerung der Arbeitszeit, sondern auch die praktische Aufhebung des bisherigen Metall-Tarifvertrag für Teile der Beschäftigten wie Kantinenpersonal bedeutet, die Lohneinbussen von bis zu 30% hinnehmen müssen.

Besonders in Bereichen, die zunehmend ausgegliedert werden, in Teilen der Verwaltung, und unter den Teilzeitbeschäftigten arbeiten überdurchschnittlich viele Frauen.

Wie wichtig eine eigenständige Organisierung der Frauen an der Basis ist, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass die bisher existierenden, i.w. von oben errichteten Ausschüsse für Frauen oder auch gut klingende Gleichstellungsbeschlüsse allein kaum etwas an der realen Situation zu ändern vermochten.

Was den betrieblichen und gewerkschaftlichen Bereich betrifft, gilt auch für die Arbeit in den Stadtteilen, unter Erwerbslosen usw. Frauen sind überaus stark von den Angriffen betroffen. 2/3 aller Streichungen der Arbeitslosenhilfe durch ALG II werden in Berlin Frauen betreffen.

Aber sie spielen zugleich oft eine untergeordnete Rolle in den Mobilisierungen.

Eine solche Perspektive muss sich auch bei den Montagsdemos in der Auswahl der RednerInnen und Themen ausdrücken. Diese Fragen müssten in den Aktionskonferenzen und in der Vorbereitung der bundesweiten Demo zu Hartz IV thematisiert und aufgegriffen werden. Sie müssten auf dem Europäischen Sozialforum in London (14.-17. Oktober) als wichtiger Bestandteil der Diskussion um den europaweiten Widerstand gegen die ökonomischen Angriffe, gegen die EU-Verfassung und den Aufbau eines EU-Imperialismus debattiert werden.

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Nr. 94, Oktober 2004

*  Wie weiter mit der Bewegung gegen Hartz IV? Demos, Besetzungen, Streiks!
*  Gewerkschaftsbürokratie sabotiert Widerstand: Auf zum Winterschlaf?
*  Die MLPD und die Montagsdemos: Alle für die Einheit?
*  Frauen und Hartz IV: Küche oder Klassenkampf?
*  Heile Welt
*  Konflikt bei VW: Immer wieder Hartz?
*  Europäisches Sozialforum: EGB vereinnahmt ESF
*  Hafenarbeiter gegen Lohndumping: Internationale Streiks sind machbar!
*  Palästina: Weg mit der Mauer!
*  Irak: Keine Friedhofsruhe!