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Palästina

Weg mit der Mauer!

Interview, Neue Internationale 94, Oktober 2004

Yossi Bartal ist 18 und lebt in einem Vorort von Jerusalem. Er ist Aktivist bei "Anarchists Against the Wall" und führte zusammen mit REVOLUTION Diskussionsveranstaltungen in Berlin und Bernau über die Apartheid-Mauer durch.

Neue Internationale (NI): Warum kämpfst du gegen den Mauerbau?

Ich war schon immer Aktivist gegen die Besetzung von Palästina. Die Apartheid-Mauer wird rund um die besetzten Gebiete gebaut und annektiert ungefähr 10 Prozent des palästinensischen Landes.

Mich bewegt besonders, dass die geplante Mauer nur einen Kilometer von meinem Haus entfernt verläuft und mich von meinen palästinensischen Nachbarn trennen würde.

NI: Welche Aktionen hat deine Gruppe schon durchgeführt?

Unsere erste Aktion war das Friedenscamp in Mas'ha. Das war ein Camp für Israelis, PalästinenserInnen und internationale AktivstInnen mitten in einem Dorf, das von der Mauer geteilt werden sollte.

Das Ziel des Camps war, die Menschen in Israel und Palästina darüber zu informieren, dass die Mauer viel Ackerbauland annektieren würde – es war ein großer Erfolg, zumindest bis wir versucht haben, ein Haus, das man vor hatte abzureißen, zu besetzen. Daraufhin wurden wir von der Armee auseinander getrieben.

Nach diesem Camp begannen wir mit direkten Aktionen gegen die Mauer und Kontrollpunkten in den besetzten Gebieten. Im August 2003 versuchten wir, Teile des Zaunes in einem Dorf namens Anin, das von der Mauer komplett umschlossen werden würde, zu zerschneiden. Wir schafften es nicht, das Tor zu durchbrechen und vier unserer Mitglieder wurden verletzt.

Aber einen Monat später schafften wir es, 70 Meter Zaun in einem Dorf im Nordern der besetzten Gebiete zu zerschneiden. Die Armee versuchte uns mit Tränengas auseinander zu treiben, aber es gab starken Wind und das Gas wurde zurück zu den Soldaten geblasen!

NI: Welche Repressionen gab es gegen euch?

Bei einer Aktion in Mas'ha im Dezember 2003 versuchten wir ein Tor in der Mauer, das schon seit drei Monaten geschlossen war, zu öffnen. 50 junge Israelis gingen zum Tor und begannen, es aufzuschneiden. Die Soldaten schossen mit scharfer Munition über unsere Köpfe hinweg. Da wir uns davon nicht einschüchtern ließen, schossen sie auf unsere Beine. Dabei wurde einer unserer AktivistInnen ernsthaft verletzt. Er wäre beinahe gestorben, weil die Armee sich weigerte, einen Krankenwagen zu rufen.

Dies war das erste Mal, dass ein israelischer Jude auf einer Demonstration angeschossen wurde. Es verursachte einen solchen Skandal, dass der Stabschef der Armee ihn im Krankenhaus besuchte und eine Untersuchung des Falls versprach. Aber die Armee behauptete, dass sie nicht gewusst hätte, dass wir Juden waren – obwohl wir ihnen die ganze Zeit auf hebräisch zugerufen haben! Kein Soldat wurde wegen dieser Sache angeklagt.

NI: Was ist deine Perspektive für den Kampf?

Der Kampf sollte an mehreren Fronten geführt werden. Die internationale Front ist sehr wichtig – dadurch wird Druck auf den israelischen Staat ausgeübt, die Mauer entlang der "Grünen Linie" zu bauen [d.h. ohne palästinensisches Land zu annektieren]. Die Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, die Kampagnen der NGOs, der weltweiten Boykotts von israelischen Waren – das alles ist wichtig. Aber das Wesentlichste sind die Demonstrationen in aller Welt gegen die israelische Politik.

Innerhalb der besetzten Gebiete ist es wichtig, dass palästinensische DorfbewohnerInnen, israelische AktivistInnen und die "Internationalen" der International Solidarity Movement (ISM) gemeinsam gegen die Mauer kämpfen. Die Armee hat es schwer mit massiven, nicht gewalttätigen Demonstrationen, wenn Juden oder Internationalen dabei sind.

NI: Wie ist momentan die soziale Situation in Israel?

Es gibt viel Arbeitslosigkeit und Armut und deshalb auch immer mehr Streiks. Die gegenwärtige Regierung ist dabei, das soziale Netz zu zerschlagen, und sieht sich dabei dem Widerstand der Gewerkschaften gegenüber. Leider verlieren die Gewerkschaften oft den Kampf. An vielen Orten verlieren die ArbeiterInnen ihre Rechte, die staatseigenen Betriebe werden privatisiert. Wenn die israelischen ArbeiterInnen nicht beginnen, einen umfassenden Kampf gegen den israelischen Staat zu führen – natürlich zusammen mit den Palästinensern – werden wir eine weitere Erosion des Lebensniveaus und den Niedergang von Arbeitermacht sehen.

NI: Welche Erlebnisse hattest du hier in Deutschland?

Ich habe fünf Vorträge in Berlin über die Mauer gehalten. Viele Menschen, die diese besuchten, waren sehr neugierig und schienen fehlinformiert über den israelisch-palästinensischen Konflikt zu sein. Viele dachten z.B., die Mauer würde Palästina befreien, weil die Mauer ein souveränes palästinensisches Territorium schaffen würde, oder dass der palästinensische Kampf antisemitisch wäre.

Ich war auch froh, auf Aktivisten der ISM in Deutschland zu treffen. Gegenwärtig geben sie Ausbildungsstunden für Aktivisten, die während der Olivenernte nach Palästina gehen wollen.

NI: Welche Erfahrungen hattest du mit den Antideutschen?

Ich war auf einer "antifaschistischen" Demo in Klein-Machnow gegen Horst Mahler. Viele schwenkten israelische und amerikanische Flaggen – sie skandierten sogar, dass Palästina bombardiert werden sollte. Ich wurde körperlich angegriffen und gegenüber der Polizei als Nazi denunziert, weil ich ein Palituch trug. Wie rassistisch!

Ich habe viele Linke getroffen, die sich vor den Antideutschen fürchten. Ich hatte den Eindruck, als ob die Antideutschen die radikale Linke mit Anschuldigungen des Antisemitismus und mit körperlichen Angriffen terrorisieren. Meiner Meinung nach sind die Antideutschen die wahren Antisemiten in der radikalen Linken, weil sie wollen, dass Juden einem bestimmten Klischee entsprechen. Sie denken, dass alle Juden Zionisten und Befürworter der Besetzung wären.

Es gibt eindeutig ein Problem mit Antisemitismus in der Linken – zum Beispiel die verschiedene Beurteilung der israelischen Besatzung in Palästina und der türkischen Besatzung in Kurdistan. Es ist wichtig, sich dem Antisemitismus zu widersetzten, während man für ein freies Palästina kämpft. Israel ist nur ein Teil der imperialistischen Weltordnung und sollte im Zusammenhang des Kampfes gegen Kapitalismus und Rassismus bekämpft werden.

NI: Gibt es etwas, was du den Antideutschen sagen möchtest?

Mein Hauptproblem mit dem Gedankenkonstrukt der Antideutschen ist, dass sie nicht das gesamte Bild, das gesamte Problem sehen. Der Kampf gegen Nationalismus und Kapitalismus ist nicht nur ein Kampf innerhalb Deutschlands, es ist ein Kampf auf der ganzen Welt. Die Bekämpfung des deutschen Staates ist wichtig, aber Deutschland ist nur ein kleiner Teil der imperialistischen Weltordnung, die von den USA angeführt wird. Zu denken, dass die USA und seine 52 Bundesstaaten im Mittlerem Osten ein Feind für Deutschland wären, ist ein sehr flach und dumm. Die USA und die EU mögen zwar miteinander in der Frage der Führung des Globalisierungsprozesses in der Welt rivalisieren, aber sie arbeiten immer noch zusammen, wenn es darum geht, die Welt zu kontrollieren und die Kontrolle des globalen Kapitalismus sicherzustellen.

USA- und Israelfahnen in einer Demonstration zu schwenken, weil du gegen Nationalismus und Rassismus bist, ist genauso dumm, wie Burger King Symbole auf einer Anti-McDonalds-Demo zu zeigen.

Leute, wie die von der Bahamas-Zeitung, nutzen ihren Philosemitismus, um ihren Rassismus gegen AraberInnen und ihre Islamophobie zu rechtfertigen. Ich verstehe nicht, warum solche Rassisten noch auf Anti-Nazi-Demos gehen – sie waren vielleicht früher Linke, aber das war Horst Mahler auch!

NI: Was ist dein Rat für Aktivisten in Deutschland?

Jeder Kampf gegen Unterdrückung ist ein Schritt vorwärts zu einer besseren Welt.

Um Druck auf die israelische Regierung auszuüben, damit sie aufhört, die Palästinenser so brutal zu unterdrücken, ist das Wichtigste, Massendemonstrationen auf der ganzen Welt gegen den israelischen Apartheidstaat durchzuführen.

(Das Interview führte Wladek Flakin)

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Nr. 94, Oktober 2004

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