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Argentinien

Präsidentschaftswahlen offenbaren Rechtsruck

Christian Gebhardt, Neue Internationale 205, Dez. 15/Jan. 16

Die Stichwahlen endeten mit dem am Ende nicht mehr überraschenden Ende einer Ära. Mauricio Macri, der Bürgermeister von Buenos Aires, gewann gegen Daniel Scioli, den Kandidaten der Frente para la Victoria - der Partei der bisherigen Präsidentin Cristina Kirchner. Durch diese Wahl endete eine zwölfjährige Periode des „Kirchnerismus“, in welcher sich Nestor und Cristina Kirchner die Türklinke der Präsidentschaft in die Hand gaben.

Internationaler Rahmen

Dieser Erfolg von Macri und seiner rechts-neoliberalen Koalition Cambiemos bei den Stichwahlen reiht sich ein in einen Rechtsruck der politischen Landschaft Argentiniens. Diese Rechtsentwicklung wurde schon unter der peronistischen Regierung begonnen. Dies lässt sich auch in weiteren lateinamerikanischen Ländern wie Venezuela, Brasilien oder Bolivien beobachten.

Das Programm Macris ist ein klar neoliberales und zielt darauf ab, strategische Angriffe auf die argentinische ArbeiterInnenklasse auszuführen. um das Land wieder für ausländische Investoren (vor allem das US-Kapital) interessant zu machen. Hierbei stehen vor allem die Entkopplung der Löhne von der Inflation sowie die Entwertung der Währung ganz oben auf der Wunschliste für das Kapital. Es stellt sich somit nicht die Frage, ob soziale Einsparungen bei der ArbeiterInnenklasse getätigt werden sollen oder nicht. Es kommt für Macri nur darauf an, wie stark die Gewerkschaften eingebunden werden können, um die einzelnen Maßnahmen durchführen zu können, ohne Gefahr zu laufen, einer Massenbewegung gegenüberzustehen.

Jedoch hat die Wahl Macris nicht nur eine nationale, sondern auch eine internationale Komponente. Schon vor seiner Wahl hatte er angekündigt, die Beziehungen zu anderen links-populistischen, bolivarischen Regierungen in Bolivien, Ecuador und Venezuela einzuschränken. Gleichzeitig sollen die Beziehungen zu den USA  und  den neoliberalen Regierungen Chiles, Kolumbiens und Mexikos verbessert werden.

Wirtschaftliche Krise

Argentinien befand sich im Dezember 2001 in einer revolutionären Krise. Zwei Präsidenten, wurden aus dem Amt gejagt, Arbeitslose blockierten die Straßen und über 200 Fabriken wurden von den ArbeiterInnen besetzt. Trotz grosser revolutionärer Potentiale, konnte die herrschende Klasse - mit Hilfe der Imperialisten - die Lage wieder unter Kontrolle bringen und die Massenbewegung beruhigen. Das wichtigste Mittel hierzu war der „klassische“ argentinische Populismus: der Peronismus. Er stellt eine Politik dar, die versucht, die Klassengegensätze zu befrieden.

Unter den Regierung von Nestor und Cristina Kirchner konnte der Peronismus einerseits die Massenbewegung eindämmen, demobilisieren und die Kontrolle über wichtige Sektoren der ArbeiterInnenklasse zurückgewinnen und die Arbeitslosenbewegung an sich binden. Dies geschah durch ein Zurückkehren zur Sozialpartnerschaft unter Einbindung der ArbeiterInnenaristokratie und des Mittelstandes, gegründet auf einer wirtschaftlichen Restabilisierung, welche Spielräume für Zugeständnisse an die ArbeiterInnenklasse und Jugend zuließ.

Gleichzeitig zeigte sich  die argentinische radikale Linke unfähig, die größte Krise des Peronismus auszunutzen, um den Bruch zwischen ArbeiterInnenklasse und Peronismus voranzutreiben und zu vertiefen, welcher sich im Krisenjahr 2001 aufgetan hatte. Durch das Ausbleiben bzw. bewusste Nicht-Anwenden der Einheitsfronttaktik gegenüber den Gewerkschaften, insbesondere der ArbeiterInnenparteitaktik mit dem Ziel der Schaffung einer Alternative zur peronistischen Partei für die ArbeiterInnenbewegung, versäumte die radikale Linke Argentiniens die bisher größte Krise des Peronismus.

Die historische Wirtschaftskrise von 2008 und ihre Auswirkungen grenzten und grenzen die Spielräume dieser „anti-neoliberalen“ Regierungen Lateinamerikas, darunter auch die peronistische in Argentinien, immer weiter ein. Interne Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf das Land direkt, aber auch externe Kosequenzen der Krise für die imperialistischen Länder USA und China üben hierbei einen starken Einfluss aus. Das rückgängige Wirtschaftswachstum Chinas sowie die mögliche Zinssatzerhöhung in den USA führten einerseits zum Abzug von Investitionskapital aus Südamerika, aber auch zum Einbruch der Rohstoffnachfrage. Da die oben genannten anti-neoliberalen Regierungen stark auf Exporteinnahmen angewiesen sind (Venezuela exportiert Öl, Argentinien hauptsächlich Soja), trifft ein Einbruch der Weltwirtschaft diese Ökonomien natürlich hart.

Dies führt derzeit in mehreren Ländern Lateinamerikas dazu, dass Versprechen an die ArbeiterInnenklassen nicht mehr eingehalten werden und selbst Angriffe in Form von Sparmassnahmen und Kürzungen getätigt werden müssen. Diese „Lösungsansätze“ hatten und haben dabei immer das Ziel, die ArbeiterInnenklasse zu schwächen und das jeweilige Land für Investoren attraktiver zu gestalten. In Argentinien drückte sich dies bei den Wahlkämpfen um die Stichwahl dahingehend aus, dass beide Kandidaten sich bei ihren Forderungen nach sozialen Kürzungen nur in rhetorischen Kleinigkeiten unterschieden. Bei beiden ist klar: die ArbeiterInnenklasse soll die Krise bezahlen.

Diese Maßnahmen von Seiten der Kirchner-Regierungen blieben jedoch nicht ohne Antworten. Die argentinische ArbeiterInnenklasse ließ die Angriffe „ihrer“ Regierungen nicht ohne Kampf über sich ergehen und zwang die Regierung dazu, ihr wahres Gesicht zu zeigen. Über die Jahre hinweg entstand somit ein erneuter Bruch von Teilen der argentinischen ArbeiterInnenklasse mit dem Peronismus. Diese Abwanderungsbewegung ist für Argentinien eine wichtige Dynamik, wenn auch noch nicht vergleichbar mit der von 2001. Die jetzigen Wahlen sowie die Stichwahl zur Präsidentschaft zeigten jedoch auf, dass sich ArbeiterInnen nicht naturgegeben nach links bewegen, wenn sie sich von ihren bisherigen Regierungen und politischen Vertretungen abwenden.

Wie den Widerstand aufbauen?

Die Rechtsentwicklung der vergangen Jahre hatte nicht nur Auswirkungen auf die Präsidentschaftswahl gehabt, sondern zu einem allgemeinen Rechtsruck in der politischen Landschaft Argentiniens geführt sowie die ArbeiterInnenklasse in eine gewisse Bewegung versetzt. Die Politik der PeronistInnen trieb unter ökonomischem Druck nach rechts und ermöglichte dabei gleichzeitig eine Stabilisierung der neoliberalen Kräfte rund um Macri. Dieses Lager konnte durch den Gewinn der Präsidentschaftswahl zwar einen großen Erfolg feiern, dennoch steht die kommende Regierung auf wackligen Beinen. Macri konnte nicht alle Hochburgen der PeronistInnen gewinnen und wird gleichzeitig auch nur von Teilen der Gewerkschaften unterstützt. Dies stellt seine zukünftige Regierung auf tönerne Füße und gibt dem Peronismus durch seine weiterhin bestehende Verankerung in der ArbeiterInnenklasse nun die Möglichkeit, sich in der Opposition wieder aufzubauen und gegenüber Macri zu profilieren.

Für RevolutionärInnen stellt sich somit die Aufgabe, sich in diesen politischen Rahmenbedingungen zurechtzufinden und strategische und taktische Antworten auf die kommenden Angriffe der neoliberalen Regierung zu finden und gleichzeitig zu verhindern, dass sich der Peronismus in der Opposition das Vertrauen der ArbeiterInnenklasse wieder zurück erschleicht. Hier müssen Lösungen gefunden werden, welche den Bruch der ArbeiterInnen mit dem Peronismus aufrechterhalten oder gar beschleunigen und gleichzeitig eine Rechtsentwicklung der ArbeiterInnen hin zur Allianz Macris verhindern. Diese Taktiken müssen immer dem strategischen Ziel - dem Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei - untergeordnet sein.

Wenn in Argentinien über den Aufbau einer ArbeiterInnenpartei gesprochen wird, muss Mensch sich mit der Frente de la Izquierda y de los Trabajadores (Front der Linken und ArbeiterInnen - FIT) auseinandersetzen. Diese Wahlfront, bestehend aus drei trotzkistischen Organisationen, konnte beachtliche Erfolge bei den letzten Wahlen feiern und zeigen, dass eine revolutionäre Perspektive einen gewissen Widerhall in der Gesellschaft finden kann. Bei den jetzigen Wahlen konnte sie bis zu 1 Millionen Stimmen auf sich vereinigen und einen weiteren Abgeordneten ins Parlament entsenden.

Die FIT konnte zwar die Krise des Peronismus in gewisser Weise ausnutzen und das Abwandern vieler ArbeiterInnen vom Peronismus für sich verbuchen. Jedoch zeigt der starke Rechtsruck der letzten Jahre und vor allem bei den diesjährigen Wahlen, dass der alleinige Aufbau einer Wahlalternative nicht ausreicht, um die ArbeiterInnen vom Peronismus zu brechen und eine Entwicklung des Bewusstseins der ArbeiterInnenmassen nach links anstatt nach rechts zu induzieren und zu forcieren. Eine politische Alternative nicht nur in Form einer Wahlalternative ist hierbei vonnöten.

Kampf gegen künftige Angriffe

Der Kampf gegen die künftigen Angriffe sollte mit aller Härte geführt werden. Hierbei muss von RevolutionärInnen im Kampf neben der Einheitsfronttaktik mit Hinblick auf die Gewerkschaften und peronistische Massenwählerschaft auch die Taktik der ArbeiterInnenpartei angewandt werden, um nicht nur den ökonomisch-gewerkschaftlichen Kampf gegen den Peronismus zu führen, sondern auch eine politische Alternative zu ihm aufbauen zu können. Das Krisenjahr 2001 sowie die Folgejahre haben gezeigt, dass sich der Peronismus erholen konnte und dies auch nun in der Opposition versuchen wird. Daher ist es unabdingbar, eine politische Alternative für die ArbeiterInnen Argentiniens zu schaffen, auch wenn diese noch kein fertig entwickeltes revolutionäres Bewusstsein besitzen.

Diese Aufgabe sollte von Seiten der FIT in Angriff genommen werden. Sie sollte aktiv den Aufbau von Aktionskomitees vorantreiben, welche sich zur Aufgabe machen, den Widerstand gegen die kommenden Angriffe der Macri-Regierung zu organisieren.

Von den Gewerkschaften sollte der Bruch mit den bürgerlichen Kräften - sowohl dem Peronismus als auch Macri - eingefordert werden. Anstelle einer gewerkschaftlichen Mitgestaltung sozialer Angriffe muss deren kompromisslose Abwehr stehen. Es sollten koordinierte Streikaktionen bis hin zu einem Generalstreik organisiert werden.

Innerhalb dieser Aktionskomitees sollte die FIT auch den Aufbau einer ArbeiterInnenpartei propagieren und die Notwendigkeit der Schaffung dieser unter die Massen der argentinischen ArbeiterInnenklasse tragen. Die Erarbeitung eines revolutionären Aktionsprogramms für diese Situation ist von besonderer Bedeutung, denn nur so kann in die Abwehrkämpfe sowie in die möglichen Aufbauprozesse einer ArbeiterInnenpartei erfolgversprechend interveniert werden und die beiden Taktiken unter das strategische Etappenziel - den Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei - gestellt werden.

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Nr. 205, Dez. 15/Jan. 16
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