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Die Linke in Syriza

Schlüsselfaktor der weiteren Entwicklung

Martin Suchanek, Neue Internationale 198, April 2015

Griechenland steht im Zentrum der weiteren Entwicklung Europas. Hat auch die Führung von Syriza wiederholt ihren Willen deutlich gemacht, mit der EU und dem deutschen Imperialismus zu einem Einvernehmen zu kommen und dafür ihre eigenen Wahlversprechen zu opfern, so ist der Ausgang des Kampfes keinesfalls entschieden. Die Politik Schäubles presst nicht nur die Regierung aus Syriza/Anel ins Zwangskorsett der Troika-Diktate, sie unterminiert auch die soziale Basis der griechischen Regierung und damit deren Fähigkeit, faule Kompromisse durchsetzen zu können.

Zweifellos hat die Regierung Tsipras ihren Kredit bei den Massen noch nicht verspielt. Sie ist nach wie vor populär und stützt sich auf die Mehrheit der ArbeiterInnenklasse - trotz ihrer Koalition mit der rechten Anel, trotz der Wahl eines Konservativen zum Staatspräsidenten und trotz der Kapitulation vor den Diktaten aus Berlin und Brüssel. Der  Grund für die Popularität von Tsipras ist durchaus nachvollziehbar. Die nationalistischen und chauvinistischen Angriffe der bürgerlichen Medien, die Arroganz der imperialistischen Machthaber Europas begreifen die griechischen Massen als Teil eines politischen und wirtschaftlichen Angriffs. Wenn „ihre“ politischen Vertreter vorgeführt werden, so werden im Grunde auch „die GriechInnen“ vorgeführt, zynische Bemerkungen über Varoufakis begreifen sie zurecht auch als Vorführen der Bevölkerung.

Das ändert zwar nichts daran, dass die Syriza-Führung zum Erfüllungsgehilfen der Troika in Griechenland geworden ist, es erklärt aber, warum die griechische ArbeiterInnenklasse mit dieser Regierung nicht einfach bricht. Die Massen geben ihre Hoffnungen nicht leichtfertig und schell auf. Viele betrachten die Regierung als „letzte Chance“ gegen das vereinigte europäische Finanzkapital - nachdem die Linken außerhalb von Syriza über Jahre nicht vermochten, eine glaubhafte Machtalternative zu präsentieren.

In dieser Situation kommt den Linken in der Partei eine Schlüsselrolle für die weitere Entwicklung des Klassenkampfes zu.

Koalition und Präsidentschaft

Nach dem Wahlsieg am 25. Januar hatte Tsipras rasch eine Koalition mit der rechten, rassistischen und anti-semitischen Partei Anel gebildet. Diese dient letztlich als Mittel zur Rechtfertigung politischer und wirtschaftlicher Rücksichtnahmen auf das griechische Kapital - und gibt der herrschenden Klasse quasi ein Veto-Recht.

Diese Koalition wurde zwar von einigen linken Abgeordneten, darunter denen der „Internationalistischen Arbeiterlinken“ (DEA) kritisiert - bei der Abstimmung im Parlament votierten jedoch alle (!) Abgeordneten von Syriza, einschließlich jener der „Linken Plattform“ und von DEA für die Koalition.

Linke Strömungen wie die „Kommunistische Plattform“, Schwesterorganisation von „Der Funke“ in Deutschland und Österreich, und auch die Schwesterorganisation der SAV traten für eine Koalitionsregierung mit der KKE bzw. für eine Minderheitsregierung ein, auch wenn ihre Standfestigkeit nicht im Parlament auf die Probe gestellt wurde.

Ein Großteil der Linken in Syriza stimmte auch für die Wahl des Nea Dimokratia-Politikers Pavlopoulos zum Staatspräsidenten - gegen den öffentlichen Protest von linken Abgeordneten wie Gianna Gaitani (DEA).

Insgesamt setzte die parlamentarische Linke in Syriza diesen Schritten der Parteiführung, die allesamt dem griechischen Kapital den Willen zur Klassenzusammenarbeit signalisieren sollten, wenig bis gar nichts entgegen. Im Gegenteil: ein bedeutender Teil der Linken in Syriza wie z.B. der Abgeordnete und Ökonom Lapavitsas hält bis heute die Koalition mit Anel für einen unvermeidlichen, wenn nicht sogar klugen Schachzug.

Das Abkommen mit der Troika

Das Abkommen mit der Troika und die Kapitulation der griechischen Regierung sorgten jedoch für einen tiefen Riss. Die Regierung hatte ursprünglich geplant, das Abkommen mit der Euro-Gruppe ins Parlament zu bringen, um den Deal absegnen zu lassen. Davon war aber bald keine Rede mehr.

Tatsachlich hat die Syriza-Führung die Parlamentsfraktion und das Zentralkomitee der Partei überhaupt erst nach Abschluss des Abkommens einberufen.

In der 149köpfigen Parlamentsfraktion kam es Ende Februar zu einem heftigen verbalen Schlagabtausch. Die Sitzung dauerte 12 Stunden, 10 stimmten bei einer „Probeabstimmung“ mit Nein, 30 enthielten sich der Stimme. Die Mehrheit stimmte freilich für das Abkommen. Zu den KritikerInnen zählten auch Kabinettsmitglieder wie Lafazanis, eine Führungspersönlichkeit der „Linken Plattform“.

Am letzten März-Wochenende fand die Sitzung des Zentralkomitees von Syriza statt. Hier konnte sich die Führung um Tsipras nur knapp durchsetzen. Die VertreterInnen der „Linken Plattform“ hatten eine eigene Resolution eingebracht. Darin heißt es:

„Wir drücken unsere Ablehnung des Abkommen aus und der Liste von Reformen, die mit der Eurogruppe vereinbart wurden. Beide Texte stellen einen nicht wünschenswerten Kompromiss für unser Land dar und sie bewegen sich in Richtungen und Orientierungen, die sich in ihren Kernpunkten von den programmatischen Verpflichtungen Syrizas wegbewegen oder diesen direkt entgegenstehen.

In der unmittelbaren Zukunft soll Syriza trotz des Abkommens mit der Eurogruppe die Initiative ergreifen zur kontinuierlichen und prioritäteren Umsetzung ihrer Verpflichtungen aus dem Regierungsprogramm.

Um diesen Weg zu beschreiten, müssen wir uns auf die Kämpfe der ArbeiterInnen und des Volkes stützen, zu ihrer Wiederbelebung und zur fortwährenden Ausdehnung der Unterstützung der Massen beitragen, um jeder zukünftigen Erpressung Widerstand leisten zu können und die Perspektive eines alternativen Plan vertreten zur vollständigen Umsetzung unserer radikalen Ziele.“

Außerdem fordert der Resolutionsentwurf, dass zukünftig Entscheidungen von Syriza zuerst von den Gremien der Partei gefällt werden müssen und in der Partei diskutiert werden müssen.

Diese Entschließung wurde zwar abgelehnt, erhielt aber 68 Stimmen des Zentralkomitees (41 Prozent) bei 92 Gegenstimmen (55 Prozent) und 6 Enthaltungen (4 Prozent). Neben den VertreterInnen der „Linken Plattform“ stimmten auch die UnterstützerInnen der Maoisten (die früher in der „Kommunistischen Organisation Griechenlands“ KOE organisiert waren und in Deutschland der MLPD nahe stehen) sowie die AnhängerInnen des früheren Leiters der wirtschaftspolitischen Abteilung von Syriza, John Milios, für die Resolution. Diese beiden Strömungen (Maoisten, Milios-AnhängerInnen) hatten bislang die Führung um Tsipras gegen die Linken unterstützt.

Bei der Sitzung des Zentralkomitees wurde auch Tassos Koronakisder zum neuen Generalsekretär der Partei gewählt, er erhielt 102 von 199 Stimmen. Der Kandidat der Linken Plattform, Kalyvis, erhielt 64 Stimmen. Bei der Wahl zum elfköpfigen „Politischen Sekretariat“ erhielt die Mehrheitsfraktion um Tsipras 6 Sitze, die Linke Plattform 4 und die Maoisten einen.

All das zeigt, dass in Syriza die Kräfte der Opposition stärker werden, dass die permanenten Zugeständnisse an den Imperialismus zur Stärkung des linken Flügels führen.

Die Politik des linken Flügels und die Euro-Frage

Freilich haben die Abstimmungen um die Regierungsbeteiligung von Anel wie auch die Abstimmung um den Präsidenten gezeigt, dass die Linke von einer konsequenten, klaren Opposition mit Programm und Klassenstandpunkt weit entfernt ist.

Sie ist selbst aus unterschiedlichen Strömungen zusammengesetzt. Die Mehrheit kann als links-reformistisch charakterisiert werden. Sie lehnt die Zugeständnisse an die Euro-Gruppe ab und wirft Tsipras und Varoufakis zu recht vor, dass ihre Politik, um jeden Preis im Rahmen der Euro-Zone zu bleiben, es Schäuble und Co. leicht macht, sie zu erpressen.

Daher mehren sich auch die Stimmen und Strömungen in der „Linken Plattform“, die für einen „Plan B“ eintreten, wie ihn z.B. der Abgeordnete und Ökonom Kostas Lapavitsas vorschlägt (siehe das Interview „Greece: Phase Two” mit Sebastian Budgen, auf www.jacobinmag.com)

Seiner Meinung nach soll Griechenland aus dem Euro (nicht notwendigerweise aus der EU) austreten - am besten in Form eines mit den anderen Euro-Ländern ausgehandelten, „kontrollierten“ Austritts. So könnte die Währung kontrolliert entwertet werden (lt. Lapavitsas um ca. 20 Prozent) und die griechische Ökonomie mittels einiger wichtiger Eingriffe (Kapitalexportkontrollen, Verstaatlichung der Banken) wieder auf die Beine kommen.

Während er zu recht den Utopismus der Syriza-Führung scharf kritisiert, dass sich im Rahmen der Vorgaben der EU und des deutschen Imperialismus eine „soziale“ Lösung für die Massen in Griechenland aushandeln ließe, spekuliert er selbst darauf, dass die EU (und auch Deutschland) einem „kontrollierten“ Ausstieg zustimmen und dabei auch auf einen Teil der Schulden verzichten würde.

Zu solchen Verrenkungen kommt Lapavitsas, weil er - und hier steht er für die Mehrheit der Linken Plattform - davon ausgeht, dass eine sozialistische Revolution, die Bildung eine Arbeiterregierung, also eine grundsätzliche Infragestellung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse heute in Griechenland nicht anstehe. Dazu wäre die Zeit nicht reif. Daher plädiert er dafür, auf den Keynesianismus als „kurzfristige Lösung“ zurückzugreifen.

Er steht hier für ein grundsätzliches Dilemma der linken ReformistInnen in Syriza. Sie gehen davon aus, dass die Zeit noch nicht gekommen wäre, die Perspektive der Arbeitermacht und der sozialistischen Umwälzung zu stellen. So bleibt nur ein „unabhängiger“, staatlich regulierter, alternativer, aber letztlich kapitalistischer Entwicklungsweg für Griechenland. Das ist auch ein Grund, warum immer wieder die Frage des Euro ins Zentrum der Debatten in der griechischen Linken rückt, weil sie die Frage eines eigenen, unabhängigen nationalen Entwicklungsweges symbolisiert.

Wir denken, dass diese Strategie die Frage falsch angeht. Wir gehen davon aus, dass eine unabhängige, eigenständige Entwicklung der griechischen Wirtschaft - zumal auf kapitalistischer Grundlage - eine Utopie ist. Die Überwindung der Krise, der verheerenden Zerstörung der griechischen Ökonomie erfordert letztlich eine sozialistische Umwälzung und die Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

Zweifellos kann das bedeuten, dass Griechenland von der herrschenden Klasse in Europa aus dem Euro geworfen wird (und eine griechische Regierung dann gezwungen ist, eine eigene Währung einzuführen). In jedem Fall würde das mit extremen wirtschaftlichen Verwerfungen einhergehen (Inflation, Entwertung der Einkommen und Sparguthaben der Lohnabhängigen ...).

Mobilisierung und Regierung

Das ist aber nur einer der politischen Schwächen des linken Flügels von Syriza (oder von dessen Hauptströmung). Linkere Teile in Syriza (DEA, Red Network, Kommunistische Plattform) beanspruchen durchaus für sich, ihre Politik in den Rahmen einer „Übergangsprogrammatik“ zu stellen. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, sich mit ihren verschiedenen Vorstellungen zu dieser Frage zu beschäftigten. Wir wollen dies aber an anderer Stelle nachholen, ebenso wie eine Beschäftigung mit den Linken außerhalb von Syriza (KKE, Antarsya, Anarchisten). Wir können aber sagen, dass der linke Flügel von Syriza einschließlich von DEA/Red Network nirgendwo die Notwendigkeit des Bruchs mit der Koalition mit Anel und der Politik der Klassenkollaboration in Griechenland selbst hervorhebt.

Wenn wir die keynesianische Ausrichtung der Mehrheit des linken Flügels und diese Schwäche ins Verhältnis zur - korrekterweise betonten - Notwendigkeit, die Arbeiter- und Volksbewegung wieder zu mobilisieren, stellen, so erhebt sich u.a. eine Frage: Angenommen, die Massen werden zur Umsetzung eines linken Reformprogramms gegen die Angriffe der Imperialisten und die Sabotage des griechischen Kapitals mobilisiert. In diesem Fall würde die Frage direkt aufgeworfen, Kontrollorgane zur Umsetzung von Reformen (z.B. Mindestlohn, Kapitalkontrollen, Besteuerung der Reichen) - allesamt noch keine direkt sozialistischen Maßnahmen - einzurichten. Damit würde sich aber eine Situation der Doppelmacht entwickeln, die die Macht der Kapitalisten herausfordert.

Zugleich müsste sich eine solche Regierung nicht nur gegen die Sabotage des Kapitals wehren, sie müsste zum eigenen Schutz auch gegen die Umtriebe der bewaffneten Reaktion (Polizei, Spezialkräfte, Armeeführung, Offizierkorps, Faschisten) vorgehen. Das wiederum würde die Frage des Aufbaus von Selbstverteidigungsorganen, von Soldatenräten, von bewaffneten Arbeitermilizen aufwerfen.

Kurzum, wir hätten es mit einer revolutionären Zuspitzung zu tun. Allein schon um die entscheidenden Reformen umzusetzen, würde die Frage der Schaffung einer genuinen Arbeiterregierung aufgeworfen.

Partei

Die Auseinandersetzung um solche strategischen und taktischen Fragen findet heute in Griechenland statt und muss international von der gesamten Linken geführt werden. Dass sich in Syriza ein größer werdender Teil gegen die Führung wendet, zeigt, dass  RevolutionärInnen aktiv in Form eines fraktionellen Kampfes darin eingreifen sollten - nicht mit der Hoffnung, dass so die reformistische Führung und der Apparat überzeugt werden könnten, sondern weil eine solche Taktik am besten geeignet ist, den notwendigen Ablösungsprozess der Massen vorzubereiten, die noch in die Syriza-Führung vertrauen und so den Grundstein für ein revolutionären Alternative zu legen.

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Nr. 198, April 2015
*  Imperialistische Erpressung Griechenlands: Solidarität mit der ArbeiterInnenklasse!
*  Die Linke in Syriza: Schlüsselfaktor für weitere Entwicklung
*  Blockupy: Mobilisierungserfolg und Hetze
*  Sog. Tarifeinheit: Hände weg vom Streikrecht!
*  Neue Asylgesetzgebung: Zuckerbrotkrümel und Peitsche
*  Linkspartei: Die nächste Kapitulation
*  Mietpreisbremse: Bremse ohne Halt
*  Mahle: Widerstand und Weltmarkt
*  Frigga Haug: Die Quadratur des Marxismus-Feminismus
*  Pakistan: Im Fadenkreuz der Welt(un)ordnung
*  Wahlen in Israel: Netanjahu siegt
*  Öffentlicher Dienst: Vom Warnstreik zum Streik!