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Neue Asylgesetzgebung

Zuckerbrotkrümel und Peitsche

Jürgen Roth, Neue Internationale 198, April 2015

Mit dem Gesetz zur Neubestimmung der Balkanstaaten Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien vom 19. September 2014 wurden diese zu „sicheren Herkunftsländern“. Das ist ein weiterer Schritt zur Entrechtung von Geflüchteten. Am 3. Dezember 2014 wurde eine neue Asylgesetzgebung vom Kabinett verabschiedet; im März fand die erste Lesung im Bundestag statt, am 24. April folgt die zweite Lesung, im Juni 2015 soll es dann in Kraft treten.

Langjährig „geduldete“ Menschen sollen eine Bleibeperspektive erhalten, wenn sie Sprachkenntnisse vorweisen und ihren Lebensunterhalt überwiegend selbst sichern können. Eine parteiübergreifende Lösung für Jüngere, die sich in einer Berufsausbildung oder einem Studium befinden, soll noch gefunden werden. Die „gesicherte Aufenthaltsperspektive“ soll aber nur bis zum Erreichen ihres Ausbildungsabschlusses gelten. Hierin waren sich in der ersten Lesung am 6. März sogar die Grünen mit SPD-MdB Rüdiger Veit einig. Die SPD insgesamt unterstützt allerdings den Gesetzentwurf. Die LINKE lehnt ihn ab.

Verschärfungen

Innenminister de Maizière geht es darum, dass Flüchtlinge künftig schneller aus Deutschland abgeschoben werden sollen. Ein Grund für die Gesetzesänderung sei, dass die Koalition den Widerstand fremdenfeindlicher Bewegungen gegen ihre Asylpolitik fürchtet - Pegida lässt grüßen!

Die Abschiebehaft soll stark ausgeweitet werden: wer Identitätspapiere vernichtet, „eindeutig unstimmige oder falsche Angaben“ macht oder zur „unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge für einen Schleuser aufgewandt“ hat - 3.000 Euro sind die Schwelle - kann ebenso inhaftiert werden wie jemand, der/die „Vorbereitungshandlungen“ zur Verhinderung der Abschiebung begeht. Zudem sollen AsylbewerberInnen mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot belegt werden können, sobald ihr Antrag abgelehnt wurde. Abgesehen davon, dass „Schleuser“ kein juristischer Begriff ist und somit willkürlich durch das Ausländeramt definiert werden kann, ist es Geflüchteten mittlerweile schier unmöglich, ohne Fluchthelfer nach Europa zu gelangen.

Geradezu systematisch wird der Abschiebeknast für Flüchtlinge gemäß den Dublin-Abkommen I-III. Diese Abkommen regeln, dass Asylanträge grundsätzlich nur im Einreiseland an einer der EU-Außengrenzen gestellt werden dürfen. Die Bundesregierung reagiert mit dem Gesetzentwurf auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.7.14, wonach Asylsuchende nicht mehr in Haft genommen werden dürfen, solange keine Kriterien für Fluchtgefahr zwecks Untertauchens definiert worden sind. Er legt 6 Anhaltspunkte für Fluchtgefahr fest, darunter „erhebliche Geldbeträge für einen Schleuser“. Gravierender ist der neu hinzugekommene Haftgrund, weil „der Flüchtling einen Mitgliedsstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat“.

Der Gesetzentwurf soll die bisherige Praxis der Bundespolizei nachträglich legitimieren, Dublin-Flüchtlinge in Grenznähe zu inhaftieren. Diese löste 2013/14 eine große Solidaritätswelle mit jenen Refugees aus, die von den Behörden des lt. Dublin-Vertrag für ihre Anträge zuständigen Einreiselands Italien selbst vor Ablauf des Verfahrens nach Deutschland geschickt wurden. Die neue Dublin-Verordnung - also EU-Recht - erlaubt die Inhaftierung aber nur aus einem Grund: „erhebliche Fluchtgefahr“ und schließt sogar explizit aus (Artikel 28), was die Bundesregierung jetzt das Parlament festschreiben lassen will!

Die Abschiebung von Geflüchteten wird ferner erleichtert durch ein in Gesetzesrang erhobenes „Ausweisungsinteresse des Staates“. Letztlich müssen die zuständigen Beamten, die vom Staat bezahlt werden, dessen Interesse gegen das „Bleibeinteresse des Flüchtlings“ abwiegen. Ein generelles Ausweisungsinteresse besteht immer bei einem Staat, der so viele unerwünschte Refugees wie möglich abschieben will; da gibt es kein Gran abzuwägen!

“Straftaten”

Nicht nur „Straftaten“ - dazu zählen natürlich auch solche gegen das Ausländergesetz (!) - sollen als Grund für „erhebliches Ausweisungsinteresse“ herhalten, sondern auch die politische Betätigung von Geflüchteten, welche die „freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik“ oder die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ gefährden. Schon die Selbstorganisation von Refugees, Flüchtlingscamps und Hungerstreiks können so zum Abschiebegrund werden. Zur Begründung wird eine angebliche Terrorgefahr bemüht, Geflüchtete also pauschal mit Terroristen in einen Topf geworfen. Auf richterliche Anordnung soll außerdem das viertägige „Ausreisegewahrsam“ eingeführt werden.

Hinzu kommen Verschärfungen der Aufenthalts- und Einreisesperren für Flüchtlinge, deren Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt worden ist, sei es, weil sie aus „sicheren Herkunftsländern“ kommen oder ihre Fluchtgründe als unglaubwürdig erklärt werden (minderjährige unbegleitete Flüchtlinge). Darunter fallen auch Menschen, deren Folgeantrag (2. Asylantrag) oder deren Asylantrag bereits in einem anderen EU-Mitgliedstaat, der Schweiz oder Norwegen abgelehnt wurde. Die Konsequenz davon werden Masseninhaftierungen von Menschen sein, welche erneut in die EU einreisen. Die Folge wären nicht nur eine Ausweisung aus dem Bundesgebiet, sondern gegebenenfalls eine einjährige EU-weite Wiedereinreise- und Aufenthaltssperre, im Wiederholungsfall eine bis zu 3 Jahren gültige.

Die Erklärung der westlichen Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern und die damit verbundenen Asylschnellverfahren waren nur der erste Schritt. Mit der Neuregelung im Aufenthaltsrecht soll jetzt dafür gesorgt werden, dass Staatsangehörige dieser Länder möglichst gar keine Asylanträge mehr in Deutschland stellen können.

„Flüchtlingsansturm“ auf die BRD?

Laut UNHCR, dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge, befinden sich weltweit über 50 Mill.  Menschen auf der Flucht, die meisten davon aus Kriegs- und Krisenregionen wie Afghanistan (2,5 Millionen), Syrien (2,4) und Somalia (1,1). 86% der Geflüchteten leben in benachbarten „Entwicklungsländern“. Deutschland verzeichnet die meisten Asylanträge in Europa, bezogen auf seine Einwohnerzahl aber nur 1,5 auf 1.000 (Platz 7 in Europa).

Das EU-Recht sollte im Kampf gegen die bundesdeutsche Asylgesetzgebung allerdings nicht als Maßstab und Ausgangspunkt herhalten, auch wenn es partiell weniger scharf daherkommen mag. Die EU unterstützt wie die BRD Kriege und verstärkt auch andere Krisenursachen wie Verelendung und Verschuldung der Halbkolonien. Sie finanziert das militärische Abschottungssystem Frontex mit erheblichen Mitteln, allein 88 Mill. Euro durch die BRD.

Die neue EU-Kommission verleiht der Migrationspolitik einen zentralen Stellenwert. Mit Dimitris Avramopoulos wurde erstmals ein eigener Kommissar für das Thema bestellt, das aus zwei Feldern besteht. Zum einen sollen eine fairere Verteilung von Flüchtlingen und ein Lastenausgleich zwischen den Mitgliedsländern die Ungleichgewichte zwischen den Unterzeichnerstaaten von Dublin I-III mildern. Aber wer garantiert, dass die Quotenregelung - auf die BRD entfielen 19% - nicht zu neuen Zumutungen für Geflüchtete führt, z.B. die Verteilung von Familienangehörigen auf verschiedene Staaten? Zum anderen verstärkt die geplante Anwerbung von Fachkräften aus Drittstaaten die Selektion zwischen für das Kapital brauchbaren Arbeitskräften und „überflüssigen Asylschmarotzern“.

Gegenwehr

Eine bundesweite Kampagne und eine Aktionswoche sind in Vorbereitung. Wir werden uns nach Kräften daran beteiligen. Doch wir müssen über den humanitären Aspekt hinaus Gegenwehr aufbauen, die den Interessen der Arbeiterklasse dient und eine Propaganda für eine antirassistische Arbeitereinheitsfront entfalten. Wir lehnen alle Einwanderungskontrollen und das Ausländerrecht ab, weil illegale „SchwarzarbeiterInnen“ zu Niedrigstlöhnen für die Unternehmer schuften müssen. Aber auch der „einwanderungsfreundliche“ Teil des deutschen Kapitals, der die Zuwanderung für „brauchbare“, gut ausgebildete Fachkräfte liberalisieren will, tut dies mit der Absicht, die Löhne in diesem Segment zu drücken.

Nein zum neuen Asylgesetz! Weg mit Dublin I-III und dem EU-Grenzregime!

Gegen alle Abschiebungen und das „Lagersystem“! Gegen alle Einwanderungsbeschränkungen, „Ausländergesetze“ und Einschränkungen der politischen Rechte! Für volle staatsbürgerliche Rechte!

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Mindestlohn von 13 Euro!

Recht auf gewerkschaftliche Organisation der Refugees! Weg mit allen Hindernissen für die volle Integration der ArbeitsmigrantInnen in die Organisationen der Arbeiterbewegung!

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Nr. 198, April 2015
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